Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Hinblick auf das primäre und sekundäre Unionsrecht – Umsetzung der Patientenmobilitäts-RL in nationales Recht

STEPHANIEPRINZINGER (WIEN)
Das Unionsrecht lässt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit grundsätzlich unberührt.* In Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene ist es daher das Recht eines jeden Mitgliedstaates, zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden; dennoch müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten.* Der Anspruch auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung findet seinen Ursprung in der Dienstleistungsfreiheit.* Parallel dazu begründet aber auch sekundäres Unionsrecht eine Verpflichtung zur Finanzierung von grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung. Zu denken ist hierbei einerseits an die unmittelbar anwendbare VO (EG) 2004/883* (Koordinierungs-VO) sowie an die RL (EU) 2011/24* (Patientenmobilitäts-RL).
  1. Das Verhältnis der Patientenmobilitäts-RL zur Koordinierungs-VO

  2. Die Rechtsprechung des EuGH als Grundlage für die Patientenmobilitäts-RL

  3. Das EU-PMG – auf dem Prüfstand des Unionsrechts

    1. Umsetzung der Patientenmobilitäts-RL in Österreich durch das EU-PMG

    2. Die Kostenerstattung nach dem EU-PMG

    3. Ist das System der Kostenerstattung richtlinienkonform?

    4. Ambulante Behandlungen iSd § 7b Abs 4 Z 2 SV-EG

    5. Fehlende Berücksichtigung anderer Versicherungsträger in § 7b SV-EG

  4. Konklusion

1.
Das Verhältnis der Patientenmobilitäts-RL zur Koordinierungs-VO

Während die Koordinierungs-VO das Ziel verfolgt, die Personenfreizügigkeit sicherzustellen, dient die Patientenmobilitäts-RL vordergründig der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung iSd Dienstleistungsfreiheit.* Die Koordinierungs-VO stützt sich auf Art 48 AEUV, nach dem das Europäische Parlament und der Rat „die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen“ zu beschließen haben. Die Patientenmobilitäts-RL stützt sich hingegen auf Art 114 und 168 AEUV.

Die Koordinierungs-VO ist in örtlicher Hinsicht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in den EFTA-Staaten* sowie in der Schweiz anwendbar, die RL hingegen ausschließlich in den Mitgliedstaaten und im EWR. Die RL findet im Gegensatz zur VO keine Anwendung im Wohnmitgliedstaat, wenn der Versicherungs- und der Wohnmitgliedstaat nicht derselbe sind.* In Bezug auf den persönlichen Anwendungsbereich ist festzuhalten, dass von der RL auch jene Drittstaatsangehörigen erfasst sind, welche die gesetzlichen Voraussetzungen des Versicherungsmitgliedstaates für einen19Anspruch auf Leistung erfüllen. In materieller Hinsicht ist anzumerken, dass von der RL im Unterschied zur VO Dienstleistungen im Bereich der Langzeitpflege, die Zuteilung von Organen und der Zugang zu solchen sowie öffentliche Impfprogramme gegen Infektionskrankheiten von der Patientenmobilität ausgenommen sind. Ansonsten wird aber in der RL nicht zwischen geplanten und nicht geplanten Behandlungen unterschieden. Vom Anwendungsbereich der RL sind daher sämtliche im Leistungskatalog enthaltene Behandlungen von Gesundheitsdienstleistern erfasst.*

Grundsätzlich kann zur Unterscheidung der Anwendungsbereiche festgehalten werden, dass die RL für den Fall gilt, dass sich jemand in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Koordinierungs- VO gilt auch für Fälle, in denen ein Versicherter in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet oder sich zu Urlaubszwecken aufhält.*

Wesentliche Unterschiede zwischen der Koordinierungs- VO und der Patientenmobilitäts-RL bestehen hinsichtlich der Notwendigkeit der Einholung einer Vorabgenehmigung und bezüglich der Kostenerstattung. Die Koordinierungs-VO sieht die Einholung einer Vorabgenehmigung generell verpflichtend vor. Die Patientenmobilitäts-RL räumt den einzelnen Mitgliedstaaten lediglich in den in Art 8 genannten Fällen die Möglichkeit zur Einführung eines Systems der Vorabgenehmigung ein. Nach österreichischem Recht ist eine Vorabgenehmigung für stationäre Behandlungen und ambulante Behandlungen, die den Einsatz hoch spezialisierter medizinischer Infrastruktur erfordern, notwendig (§ 7b Sozialversicherungs-Ergänzungsgesetz [SVEG]). Nach Art 20 der Koordinierungs-VO ist eine Genehmigung unabhängig davon erforderlich, ob es sich um eine Behandlung im extra- oder im intramuralen Bereich handelt. Wird die Genehmigung erteilt, sieht die VO Sachleistungsaushilfe vor. Dh der Versicherte erhält Sachleistungen, die vom Träger des Aufenthaltsortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob er nach diesen Vorschriften versichert wäre. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres Gesundheitszustandes und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraumes gewährt werden kann.

Der Sachleistungsanspruch richtet sich nach den Rechtsvorschriften des aushelfenden Staates, sodass der Versicherte im Ausland andere Sachleistungen erhalten kann als im zuständigen Staat.* So kann der Leistungsanspruch im zuständigen und im aushelfenden Staat in Hinblick auf die Art oder den Gegenstand der zu gewährenden Sachleistung differieren. Als Beispiel kann hierfür angeführt werden, dass in einigen Mitgliedstaaten fortpflanzungsmedizinische Eingriffe, Schwangerschaftsabbrüche bzw psychotherapeutische Leistungen als Leistungen der KV gewährt werden und in anderen Staaten nicht. Windisch-Graetz vertritt bspw die Auffassung, dass auch Leistungen nach dem IVF-Fonds-Gesetz als Sachleistungen der KV zu betrachten sind, da sie ihrer Art nach zur medizinischen und chirurgischen Versorgung gehören.* Sie beruft sich dabei insb auf die Rs Jauch,* in welcher der EuGH das Pflegegeld als Geldleistung bei Krankheit einstufte.* Unterschiede können sich aber auch in Hinblick auf Selbstbehalte bzw Kostenzuschüsse ergeben.* Ist im Behandlungsmitgliedstaat ein System der Kostenerstattung vorherrschend (zB Frankreich), dann erfolgt auch nach der Koordinierungs-VO die Behandlung zunächst auf Kosten des Versicherten.*

Anders als nach der Koordinierungs-VO wird der Versicherte nach den Bestimmungen der RL nicht in das Leistungssystem des Behandlungsmitgliedstaates integriert.* Der Versicherte muss daher nach der RL die Leistung vorfinanzieren und erhält maximal so viel, wie der Versicherungsträger im Versicherungsmitgliedstaat für die Leistung hätte bezahlen müssen.* Vorteile gegenüber der Koordinierungs- VO können sich dann ergeben, wenn im Behandlungsmitgliedstaat hohe Selbstbehalte vorgesehen sind, die nach der Koordinierungs-VO der Versicherte selbst zu tragen hat.* In Österreich hat sich an dem Kostenerstattungsregime für diese ambulanten Behandlungen nichts geändert, da bereits vor Inkrafttreten der RL bzw der Umsetzung der RL in nationales Recht die Kostenerstattung nach den §§ 131 und 150 ASVG vorgesehen war. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass in anderen Mitgliedstaaten nunmehr erstmals die Möglichkeit besteht, Kostenerstattung für ambulante Behandlungen ohne Vorabgenehmigung zu erhalten. Die RL eröffnet daher keinen über die Rsp des EuGH hinausgehenden Anspruch auf Kostenerstattung.

2.
Die Rechtsprechung des EuGH als Grundlage für die Patientenmobilitäts-RL

Aus Art 56 AEUV lässt sich grundsätzlich die Freiheit des Dienstleistungsempfängers ableiten, ohne vorherige Genehmigung grenzüberschreitende20 Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen und die Kosten vom Träger der zuständigen Versicherung erstattet zu erhalten.* In den Rs Kohll* und Decker* sprach der EuGH erstmals aus, dass die verpflichtende Einholung einer vorherigen Genehmigung für ambulante Behandlungen nicht zulässig ist. Nach Ansicht des EuGH können rein wirtschaftliche Gründe eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen. Eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems kann aber einen zwingenden Grund im Allgemeininteresse darstellen, sodass eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zulässig ist.* In der Rs Kohll hielt der EuGH jedoch fest, dass die Erstattung von Kosten einer Zahnbehandlung, die in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wurde, nach den Tarifen des Versicherungsmitgliedstaates keine wesentlichen Auswirkungen auf die Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit hat.*

In der Rs Smits und Peerbooms entschied der EuGH hingegen in Hinblick auf stationäre Behandlungen, dass das Unionsrecht einem System der Vorabgenehmigung grundsätzlich nicht entgegensteht. Dieses System muss aber auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruhen.* Die Genehmigung darf von der Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass die Behandlung in ärztlichen Kreisen als „üblich“ betrachtet werden kann. Hierbei ist allerdings auf den internationalen Stand der Medizin abzustellen.* Ansonsten würde nach Ansicht des EuGH nämlich tatsächlich die Gefahr bestehen, dass die innerstaatlichen Erbringer von Gesundheitsdienstleistungen bevorzugt würden. Keine Genehmigung muss in Fällen erteilt werden, in denen die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden kann, die ein Vertragspartner der Krankenkasse des Versicherten ist.* Der EuGH rechtfertigte ein solches System der Vorabgenehmigung mit der Notwendigkeit, „im Inland ein ausreichendes, ausgewogenes und ständiges Angebot an Krankenhausversorgung aufrechtzuerhalten und die finanzielle Stabilität des Systems der Krankenversicherung zu gewährleisten“.*

Darüber hinaus konkretisiert der EuGH noch, dass bei der Prüfung der Vorabgenehmigung zu berücksichtigen ist, ob eine Behandlung, welche die gleiche Wirksamkeit für den Patienten aufweist, rechtzeitig in einer Einrichtung verfügbar ist, die eine vertragliche Vereinbarung mit der Krankenkasse, welcher der Versicherte angehört, geschlossen hat. Dabei ist nicht nur der Gesundheitszustand des Patienten zum Zeitpunkt der Stellung des Genehmigungsantrags, sondern auch die Vorgeschichte des Patienten zu berücksichtigen.* Aus der Rs Watts lässt sich wiederum schlussfolgern, dass die Versagung der Genehmigung für die Durchführung der Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat nicht bloß auf Wartelisten gestützt werden darf, sondern auf einer objektiven medizinischen Beurteilung des Gesamtzustandes des Patienten beruhen muss.*

Der EuGH hält in der Rs Petru fest, dass eine Genehmigung zu erteilen ist, wenn zum einen die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem der Versicherte wohnt, vorgesehen sind, und zum anderen der Versicherte in Anbracht seines Gesundheitszustandes die Behandlung nicht in einem angemessenen Zeitraum erhalten kann. Für die Beurteilung der Frage, ob die Behandlung rechtzeitig verfügbar ist, sind sämtliche Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Das Fehlen von Medikamenten und grundlegendem Material kann bspw die Vornahme einer wirksamen und rechtzeitigen Behandlung unmöglich machen.*

Aus der Rs Müller-Fauré und van Riet folgt, dass ein System der Vorabgenehmigung im extramuralen Bereich der Dienstleistungsfreiheit widerspricht.* Ausnahmen für den ambulanten Bereich ergeben sich bspw aus der Rs Kommission/Frankreich.* Der EuGH vertrat entgegen der Ansicht der Kommission die Auffassung, dass wenn die Versicherten des französischen Systems auf Kosten des zuständigen Trägers Behandlungen, die den Einsatz medizinischer Großgeräte erfordern, „frei und unter allen Umständen bei Leistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten erhalten könnten, ... dies sowohl die Planungsanstrengungen der nationalen Behörden als auch das finanzielle Gleichgewicht des Angebots an Spitzenbehandlungsleistungen“ beeinträchtigen würde.* Angesichts dieser Gefahren für das französische Gesundheitssystem erachtete der EuGH die Regelung, nach der Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat einer Vorabgenehmigung bedürfen, wenn medizinische Großgeräte zum Einsatz kommen, als gerechtfertigte Einschränkung des Unionsrechts.*

3.
Das EU-PMG – auf dem Prüfstand des Unionsrechts
3.1.
Umsetzung der Patientenmobilitäts-RL in Österreich durch das EU-PMG

Die Patientenmobilitäts-RL kodifiziert im Wesentlichen die bisherige Rsp des EuGH zur Frage21 der Finanzierung von geplanten medizinischen Leistungen in anderen Mitgliedstaaten der EU mit dem Ziel, die Rechtssicherheit zu erhöhen.* Die RL wurde am 9.3.2011 erlassen und hätte bis 25.10.2013 in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Die Umsetzung erfolgte letztlich verspätet mit der Einführung des EU-Patientenmobilitätsgesetzes (EU-PMG),* das am 25.4.2014 in Kraft trat. Bis zur Einführung des EU-PMG im April 2014 ergab sich ein Anspruch auf Kostenerstattung mitunter auch bereits aus nationalem Recht, und zwar nach dem Regime der §§ 131 und 150 ASVG.

Die wesentlichen Regelungsinhalte des EU-PMG sind die Einführung einer nationalen Kontaktstelle für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (§ 15b GÖGG*), die Einführung eines Systems der Vorabgenehmigung für bestimmte grenzüberschreitende Behandlungen (§ 7b SV-EG*), die Novellierung des KAKuG dahingehend, dass Pfleglingen klare Preisinformationen zur Verfügung gestellt werden und sie eine Rechnung über die Leistung erhalten (§§ 39 und 40 KAKuG) sowie die Einführung einer verpflichtenden Berufshaftpflichtversicherung im Apothekengesetz (§ 4a) und im Psychotherapiegesetz (§ 16b).

3.2.
Die Kostenerstattung nach dem EU-PMG

Nach Art 7 Abs 1 der Patientenmobilitäts-RL hat der Versicherungsmitgliedstaat vorbehaltlich des Art 8 sicherzustellen, dass die Kosten, die einem Versicherten im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung entstanden sind, erstattet werden, sofern die betreffende Gesundheitsdienstleistung zu den Leistungen gehört, auf die der Versicherte im Versicherungsmitgliedstaat Anspruch hat. Letzterer kann ein System der Vorabgenehmigung einführen, dieses muss aber in Hinblick auf das zu erreichende Ziel auf das notwendige und angemessene Maß beschränkt bleiben und darf kein Mittel willkürlicher Diskriminierung und keine ungerechtfertigte Behinderung der Freizügigkeit der Patienten darstellen.*

Im Rahmen der Richtlinienumsetzung wurde von der Möglichkeit, ein solches System der Vorabgenehmigung einzuführen, Gebrauch gemacht.* Die Kostenerstattung für Fälle, in denen keine Vorabgenehmigung erforderlich ist, wurde durch das EU-PMG nicht neu geregelt.* In § 7b Abs 3 SV-EG wird nunmehr normiert, dass in den Fällen des § 7b Abs 4 leg cit ein Anspruch auf die besondere Kostenerstattung* besteht, wenn auch im Inland ein Anspruch auf diese Leistung gegeben ist. In § 7b Abs 4 SV-EG werden jene Fälle angeführt, die einen Anspruch auf Kostenerstattung nach Abs 6 eröffnen, sofern der zuständige österreichische Krankenversicherungsträger der anspruchsberechtigten Person eine Vorabgenehmigung erteilt hat. Dabei handelt es sich um:

  • stationäre Behandlungen,

  • ambulante Behandlungen (spitalsambulanter und niedergelassener Bereich), die den Einsatz hoch spezialisierter und kostenintensiver medizinischer Infrastruktur oder medizinischer Ausrüstung erfordern,

  • Behandlungen, die mit einem besonderen Risiko für die Patienten oder die Bevölkerung verbunden sind,

  • Behandlungen, die von Gesundheitsdienstleistern erbracht werden, die im Einzelfall zu ernsthaften spezifischen Bedenken hinsichtlich der Qualität oder Sicherheit der Versorgung Anlass geben könnten.

Die Verpflichtung zur Einholung einer Vorabgenehmigung entfällt in medizinischen Notfällen, in denen diese nachweislich nicht oder nicht rechtzeitig eingeholt werden kann.* Aus § 7b Abs 5 SV-EG ergibt sich wiederum, unter welchen Voraussetzungen eine Vorabgenehmigung zu erteilen ist, nämlich dann, wenn diese Behandlung unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Gesundheitszustandes und des voraussichtlichen Krankheitsverlaufes nicht innerhalb eines medizinisch vertretbaren Zeitraumes im Inland erbracht werden kann und die anspruchsberechtigte Person Anspruch auf diese Gesundheitsdienstleistung hat.* Das gilt aber nicht, wenn eine der folgenden Ausnahmen vorliegt:

  • der Patient wird einem nicht annehmbaren Sicherheitsrisiko ausgesetzt oder

  • die Öffentlichkeit wird einem erheblichen Sicherheitsrisiko ausgesetzt oder

  • diese Behandlung wird von einem Gesundheitsdienstleister erbracht, der zu ernsthaften Bedenken in Hinblick auf die Einhaltung der Qualitätsstandards und -leitlinien für die Versorgung und die Patientensicherheit Anlass gibt.

Die anspruchsberechtigte Person hat bei der Inanspruchnahme von Leistungen gem § 7b Abs 4 SV-EG Anspruch auf Erstattung jener Kosten, die der österreichische Sozialversicherungsträger bei einer entsprechenden Behandlung in Österreich mittels Europäischer Krankenversicherungskarte im Rahmen der VO dem zuständigen ausländischen Träger in Rechnung gestellt hätte. Die Erstattung darf die Höhe der tatsächlich durch die Gesundheitsversorgung entstandenen Kosten nicht überschreiten.*22

3.3.
Ist das System der Kostenerstattung richtlinienkonform?

Strittig ist die Frage, ob diese Kostenerstattung nach innerstaatlichem Recht der Patientenmobilitäts-RL Genüge tut. Selbst die parlamentarischen Materialien nehmen dazu Stellung wie folgt: „Die Richtlinie 2011/24/EU lässt erkennen, dass die bestehenden Tarife in einigen Fällen als nicht in Übereinstimmung mit dem EU-Recht angesehen werden könnten. ... Da nicht beabsichtigt wird, diese höheren Sätze generell zur Anwendung zu bringen, wird für diese Fälle das nach dem EU-Recht erlaubte System der Vorabgenehmigung eingeführt.*

Vor der Einführung des EU-PMG wurde im stationären Bereich ein Pflegekostenzuschuss nach § 150 ASVG geleistet.* In den Materialien kommt der Verdacht des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass dieser Kostenzuschuss eventuell nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sein könnte, weil durch die gesetzliche KV nämlich nur ein Teil der Kosten im stationären Bereich gedeckt wird. Der andere Teil wird aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Nach der RL ist aber jener Betrag zu erstatten, der dem Versicherungsmitgliedstaat erwachsen wäre, wenn die Behandlung in seinem Hoheitsgebiet erbracht worden wäre. Daher wurde die besondere Kostenerstattung nach § 7b Abs 6 SV-EG eingeführt.* Unklar ist allerdings, mit welcher Begründung diese besondere Kostenerstattung auch für ambulante Behandlungen, die einer Vorabgenehmigung bedürfen, Anwendung findet. Die Kostenerstattung für genehmigungsfreie und jene für genehmigungspflichtige Behandlungen verläuft demnach nach einem anderen Erstattungsregime. Diese Differenzierung ist in der Patientenmobilitäts- RL nicht vorgesehen. Fraglich ist auch, ob eine solche Differenzierung sachlich gerechtfertigt bzw zulässig ist. Eine höhere Kostenerstattung gebührt nach der österreichischen Regelung also gerade für jene Behandlungen, die ohnehin kostenintensiver sind.

Die Kostenerstattung für genehmigungsfreie ambulante Behandlungen richtet sich weiterhin nach § 131 ASVG. Diese Regelung wurde jedoch bereits vor In-Kraft-Treten des EU-PMG in der Wissenschaft häufig kritisiert.* Aus Art 7 Abs 4 der RL folgt, dass „der Versicherungsmitgliedstaat ... die Kosten der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung bis zu den Höchstbeträgen [erstattet oder bezahlt], die er übernommen hätte, wenn die betreffende Gesundheitsdienstleistung in seinem Hoheitsgebiet erbracht worden wäre, wobei die Erstattung die Höhe der tatsächlich durch die Gesundheitsversorgung entstandenen Kosten nicht überschreiten darf“. In der Patientenmobilitäts- RL wird nicht explizit angeführt, ob auf die Vertragstarife oder auf die Wahlarzttarife abzustellen ist. Die 80 %-Kostenerstattung ist Mosler folgend jedenfalls nicht diskriminierend, da nicht zwischen Inlands- und Auslandsbehandlungen unterschieden wird.* Die 80 %-Kostenerstattung ist auch verfassungskonform, wie der VfGH bereits für inländische Behandlungen aussprach.* Das Erk des VfGH bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Höhe der Kostenerstattung für inländische Behandlungen. Zur Frage der Kostenerstattung für grenzüberschreitende Behandlungen nahm der VfGH hingegen nicht Stellung. Die Reduktion der Höhe des Erstattungstarifes von 100 % auf 80 % stellte mE eine Maßnahme dar, um das Wahlarztsystem in Grenzen zu halten und die Inanspruchnahme von Sachleistungen attraktiver zu machen. Auch Kietaibl führt zur Reduktion der Höhe der Kostenerstattung an, dass „nicht mehr wie vorher Kostenneutralität der wahlärztlichen Behandlung gegenüber der Krankenversicherung und somit nur Finanzierbarkeit der Behandlung durch Wahlärzte bezweckt, sondern die Versicherten von der Inanspruchnahme eines Wahlarztes“ abgehalten werden sollen.* Durch den Verwaltungskostenabschlag für grenzüberschreitende Behandlungen werden diese für die Versicherten weniger attraktiv gemacht. Dies könnte als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gesehen werden. Anzumerken ist auch, dass keine Bestimmung existiert, die es den Mitgliedstaaten erlauben würde, einen Verwaltungskostenabschlag einzuheben.*

Mosler führt als Argument für die Zulässigkeit des Verwaltungskostenabschlags an, dass für den Marktzugang die Reduktion der Kostenerstattung um 20 % nicht von entscheidender Relevanz sein wird, sondern vielmehr die Vorfinanzierung selbst.* In der Rs Kohll sprach der EuGH aus, dass rein wirtschaftliche Gründe eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen können. Nur eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit kann einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigt.*Resch führt als Argument gegen die 80 %-Kostenerstattung jedenfalls ins Treffen, dass „mit dem Argument der Überwälzung der Verwaltungskosten auf den Verursacher – das für23den VfGH tragende Argument aus den Motiven des SRÄG 1996 – [...] als rein fiskales Argument den Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen [...] kann. Die allenfalls zu thematisierende Gefahr für das Gleichgewicht des Systems kann im Hinblick auf die in Rede stehenden Summen wohl keine ausreichende sachliche Rechtfertigung angeben. [...] Insofern läge es aber im Verfahren vor dem EuGH an der Republik, die sachliche Rechtfertigung nachzuweisen.*

Rebhahn setzte sich jüngst auch kritisch mit der 80 %-Kostenerstattung auseinander und führte aus, dass eine Behinderung nur gerechtfertigt werden könne, wenn sie erforderlich ist, um das finanzielle Gleichgewicht des Systems nicht zu gefährden. Dies treffe aber seiner Ansicht nach aufgrund der geringen Fallzahlen von Auslandsbehandlungen nicht zu. Dabei blieben allerdings die mittelbaren Folgen ausgeblendet. Nach Rebhahn würde nämlich die 100 %-Kostenerstattung für ausländische Behandlungen dazu führen, dass für inländische Behandlungen alsbald auch 100 % gefordert werden würden.* In der Literatur wurde bereits mehrmals und auch zu Recht angeführt, dass bei einer Erstattung von 100 % der Kosten für Auslandbehandlungen aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Angleichung für inländische Behandlungen erfolgen müsste.* Dem ist jedoch mE entgegenzuhalten, dass einerseits eine Inländerdiskriminierung zunächst vom VfGH bejaht werden müsste, und andererseits das Unionsrecht Inländerdiskriminierungen nicht verbietet. Die Unzulässigkeit ergibt sich vielmehr aus dem Gleichheitsgrundsatz.* Die bloße Gefahr einer Inländerdiskriminierung kann mE bei der Prüfung, ob ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt ist, nicht mitberücksichtigt werden.

Nachdem die Patientenmobilitäts-RL sowohl für genehmigungspflichtige als auch für genehmigungsfreie Behandlungen dieselbe Kostenerstattung vorsieht, ist die österreichische Regelung insb in Hinblick auf die Rs Hartlauer* kritisch zu sehen. In dieser Rechtssache entschied der EuGH, dass die Vorschriften, „wonach für die Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbstständigen Ambulatoriums für Zahnheilkunde eine Bewilligung erforderlich ist und diese Bewilligung, wenn angesichts des bestehenden Versorgungsangebots durch Kassenvertragsärzte kein die Errichtung einer solchen Anstalt rechtfertigender Bedarf besteht, zu versagen ist“ unionsrechtlichen Vorgaben entgegenstehen, sofern nicht auch Gruppenpraxen einem solchen System unterworfen werden.* Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass ein Eingriff in Grundfreiheiten auf objektiven, nicht diskriminierenden Kriterien beruhen muss, damit der Ermessensübung durch die nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden.* Darüber hinaus sprach der EuGH aus, dass die Verfolgung eines anerkannten Zieles nur dann einen Rechtfertigungsgrund für einen Grundrechtseingriff darstellt, wenn die Regelung geeignet ist, das Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.* Nachdem die räumliche und apparatemäßige Ausstattung von Gruppenpraxen und selbstständigen Zahnambulatorien ähnliche Merkmale aufweisen, sie die gleichen medizinischen Leistungen anbieten und damit denselben Marktbedingungen unterliegen, können sie die verfolgten Planungsziele in gleicher Weise berühren. Die unterschiedliche Regelung betreffend die Bedarfsprüfung ist daher nicht nachvollziehbar.* In Hinblick auf die Rs Hartlauer stellt sich die Frage, ob der EuGH das österreichische System der Kostenerstattung für grenzüberschreitende Behandlungen nach § 7b Abs 6 SV-EG und § 131 ASVG nicht auch als inkohärent beurteilen würde.

Infolge der Rs Hartlauer wurde die Frage der Inländerdiskriminierung an den VfGH herangetragen, da bis zur Novellierung des nationalen Rechts aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts die Bestimmungen über die Bedarfsprüfung in Fällen mit Unionsrechtsbezug verdrängt wurden, während dies bei rein innerstaatlichen Fällen nicht der Fall war. Der VfGH entschied in dieser Rechtssache, dass ein öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung des nationalen Regelungsregimes zumindest für jenen Zeitraum bestand, der erforderlich war, um eine unionsrechtlich zulässige Neuregelung im nationalen Recht einzuführen. Dieses öffentliche Interesse sei nach Ansicht des VfGH geeignet,* eine vorübergehende inländerdiskriminierende Wirkung sachlich zu rechtfertigen. Zu beachten ist aber, dass sich der EuGH in diesem Fall nicht gegen die Bedarfsprüfung, sondern nur gegen das inkohärente System aus gesprochen hat. Fände der EuGH nur das Parallelregime hinsichtlich der besonderen Kostenerstattung nach § 7b Abs 6 SV-EG und der Erstattung nach § 131 ASVG als mit der Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar, wäre der Fall vergleichbar. Spräche der EuGH allerdings aus, dass die Kostenerstattung nach § 131 ASVG erfolgen kann, aber ohne Verwaltungskostenabschlag von 20 %, wäre eine allfällige Inländerdiskriminierung wohl nur durch die Anhebung der innerstaatlichen Kostenerstattung auf 100 % zu beheben.

3.4.
Ambulante Behandlungen iSd § 7b Abs 4 Z 2 SV-EG

Weder im Gesetz selbst noch in den Materialien findet sich eine nähere Definition, unter welchen Voraussetzungen „ambulante Behandlungen (spi-24talsambulanter und niedergelassener Bereich), die den Einsatz hoch spezialisierter und kostenintensiver medizinischer Infrastruktur oder medizinischer Ausrüstung erfordern“, vorliegen. Damit ist es für Patienten schwer ersichtlich, in welchen Fällen eine Vorabgenehmigung einzuholen ist. In Art 8 Abs 7 der RL wird aber explizit angeführt, dass der Versicherungsmitgliedstaat die Information, welche Gesundheitsdienstleistungen einer Vorabgenehmigung unterliegen, öffentlich zugänglich macht und der Öffentlichkeit alle relevanten Informationen über das System der Vorabgenehmigung zur Verfügung stellt.*

§ 7b Abs 5 SV-EG normiert, dass Näheres zu den Abs 4 und 5 durch die Krankenordnung entsprechend den Vorgaben der Musterkrankenordnung des Hauptverbandes iSd § 456 Abs 2 ASVG festgelegt wird. In § 55a Abs 1 Z 2 der Musterkrankenordnung* werden die ambulanten Behandlungen, die einer Vorabgenehmigung bedürfen, nunmehr definiert. Gesundheitsdienstleistungen werden aber auch von anderen Trägern erbracht (zB IVF-Fonds) und diese sind nicht an die Musterkrankenordnung gebunden. Daher kann die Musterkrankenordnung mE nicht abschließend darüber Auskunft geben, welche Gesundheitsdienstleistungen einer Vorabgenehmigung unterliegen.

3.5.
Fehlende Berücksichtigung anderer Versicherungsträger in § 7b SV-EG

In § 7b Abs 4 SV-EG wird normiert, dass die in diesem Absatz angeführten Behandlungen einen Anspruch auf Kostenerstattung nach Abs 6 eröffnen, sofern der zuständige Krankenversicherungsträger der anspruchsberechtigten Person eine Vorabgenehmigung erteilt hat. Der Antrag auf Genehmigung einer der in § 7b Abs 4 SV-EG angeführten Behandlung kann daher nur beim zuständigen Krankenversicherungsträger gestellt werden. Das österreichische Sozialversicherungssystem sieht jedoch auch exportierfähige Gesundheitsdienstleistungen vor, die in den Zuständigkeitsbereich der Träger der UV oder der Träger der PV fallen. Zu denken ist hierbei an den Leistungskatalog der UV, der insb auch ärztliche Hilfe und Pflege in Kranken-, und Kur- und sonstigen Einrichtungen umfasst oder an den Leistungskatalog der PV, der auch medizinische Maßnahmen der Rehabilitation einschließt.* Des Weiteren ist auch der IVF-Fonds vom Begriff des „Krankenversicherungsträgers“ nicht mit umfasst. Bei der IVF handelt es sich zwar um keine Leistung der KV nach nationalem Recht, es könnte sich aber dennoch um eine Leistung bei „Krankheit“ im unionsrechtlichen Sinn handeln. Die Patientenmobilitäts-RL findet nämlich für jegliche Gesundheitsversorgung, unabhängig von deren Erbringung oder Finanzierung, Anwendung. In Betracht käme eine richtlinienkonforme Interpretation dahingehend, dass der IVF-Fonds ein Träger iSd § 7b SV-EG ist.*

4.
Konklusion

Schwerpunkt dieses Beitrags ist die Prüfung des EU-PMG auf seine Unionsrechtskonformität. Näher untersucht wird hierbei die Kostenerstattung nach § 7b Abs 6 SV-EG und § 131 ASVG. Kritisch angemerkt wird, dass die unterschiedliche Kostenerstattungsregelung für genehmigungsfreie und für genehmigungspflichtige Behandlungen keine Grundlage in der RL findet und die unterschiedliche Höhe der Kostenerstattung auch in Hinblick auf die Rsp des EuGH unionsrechtswidrig sein könnte. Darüber hinaus wird auch die Zulässigkeit der Einhebung eines Verwaltungskostenabschlags nach § 131 ASVG für grenzüberschreitende Behandlungen umfassend erörtert. Weitere Kritikpunkte an der Umsetzung der RL ergeben sich in Bezug auf die Definition jener ambulanter Behandlungen, die der Vorabgenehmigungspflicht unterliegen sowie hinsichtlich der Regelung, dass eine Vorabgenehmigung nach dem SV-EG grundsätzlich beim Krankenversicherungsträger einzuholen ist.25