Bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen – Bedingungen, Pauschalierungen, Differenzierungen

ROBERTREBHAHN (WIEN)
Die zentralen bedürftigkeitsabhängigen Leistungen Mindestsicherung, Ausgleichszulage und Notstandshilfe stehen nur zu, wenn der Lebensbedarf nicht durch eigene Mittel oder Arbeit gedeckt werden kann. Erörtert werden die Gründe für diese Ausgestaltung. Zur Höhe der Leistungen wird auf deren Bestimmungsgründe sowie die Angemessenheit eingegangen. Manche Bundesländer haben, insb nach Auslaufen der Bund-Länder-Vereinbarung, zur Mindestsicherung Regelungen beschlossen, deren Zulässigkeit umstritten ist.
  1. Einleitung

  2. Zur Begründung bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen – Bedingungen

    1. Allgemeines

    2. Bedürftigkeitsabhängigkeit und deren Grund

    3. Zum Kreis der Berechtigten

  3. Zur Höhe der Leistungen – Pauschalierungen

    1. Allgemeines

    2. Zur Angemessenheit der Höhe

    3. „Deckelung“ oder Reduktion bei großen Haushalten?

    4. Lohnabstand als relevante Größe?

    5. Sachleistungen statt Geldleistungen

  4. Zu einigen Differenzierungen

    1. Vier Unterschiede zwischen den drei Leistungen

    2. Wartezeiten für volle Leistung der BMS

    3. Obliegenheit zu gemeinnütziger Arbeit

    4. Schlechterstellung von Schutzberechtigten

  5. Schlussbetrachtung

1.
Einleitung

In Österreich vorgesehene Sozialleistungen stehen überwiegend bereits zu, wenn bei den Berechtigten der durch die Leistung abzudeckende Bedarf konkret eintritt oder, insb bei Pensionen, ein typisierter Bedarf aufgrund von Vorleistungen abgedeckt wird. Die Leistungen gebühren auch, wenn die Berechtigten den Bedarf aus eigenem abdecken könnten. Bedürftigkeitsabhängige Leistungen stehen hingegen nur zu, wenn die EmpfängerInnen den Bedarf nicht mit Hilfe unterschiedlich definierter eigener Mittel decken können.* Die wichtigsten dieser Leistungen sind Bedarfsorientierte Mindestsicherung (= BMS),* Ausgleichszulage* sowie Notstandshilfe.* Man kann sie als Leistungen zur Grundsicherung zusammenfassen; die BMS ist das letzte Auffangnetz des Sozialstaats. Bedürftigkeitsabhängig sind ferner weitere Leistun-431gen der Sozialhilfe sowie zB Studienbeihilfe und Grundversorgung für AsylwerberInnen. Meine Ausführungen beschränken sich auf die Ausgestaltung der Grundsicherung im österreichischen Recht. Auf die oft labyrinthischen Fragen, die das Unionsrecht aufwirft, wird nur am Rande eingegangen. Im Vordergrund stehen Rechtsfragen, nicht die sozialpolitische Sinnhaftigkeit einer Regelung. In der Wissenschaft haben die drei Leistungen lange Zeit nur bei wenigen Aufmerksamkeit gefunden; ohne die kontinuierliche und intensive Arbeit Pfeils wäre dazu kaum etwas vorhanden.

Bedürftigkeitsabhängige Leistungen sind jene Sozialleistungen, die am klarsten der Umverteilung zugunsten wirtschaftlich Schlechtergestellter dienen. Die an der rechtlichen Diskussion dieser Leistungen Beteiligten sind, anders als bei jener über andere Sozialleistungen, von der Lebenslage der Betroffenen meist weit entfernt. Für bedürftigkeitsabhängige Leistungen wurden 2015 folgende Beträge aufgewendet:* Mindestsicherung und sonstige Sozialhilfe ohne Heimkosten 1,4 Mrd € (BMS allein ca 850 Mio €); Ausgleichszulage etwa 1 Mrd € und Notstandshilfe 1,5 Mrd €. Dies waren 0,41, 0,3 und 0,44 % des BIP, zusammen 1,15 %. Die Beträge sind, gemessen am Gesamtbudget, vergleichsweise gering, vor allem die Ausgaben für die BMS zeigen aber stark steigende Tendenz.

Von den drei Leistungen sind Ausgleichszulage und Notstandshilfe stets Geldleistungen, bei der BMS trifft dies bislang in aller Regel zu. Die drei Leistungen unterscheiden sich insb in vier Punkten: grundlegende Voraussetzung, Bemessung der Höhe, Kriterien der Bedürftigkeit sowie Obliegenheit zur Erwerbsbereitschaft. Die BMS setzt neben Bedürftigkeit nur den rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich voraus; die Leistung ist grundsätzlich am aktuellen Bedarf ausgerichtet. Ausgleichszulage und Notstandshilfe knüpfen hingegen an eine Leistung der SV an. Die Notstandshilfe erfordert das Auslaufen von Arbeitslosengeld sowie das Erfüllen der Voraussetzungen für diese Leistung. Die Ausgleichszulage erfordert den Bezug einer Pension und rechtmäßigen Aufenthalt im Inland.

Ausgleichzulage und Notstandhilfe sind vom Bund einheitlich geregelt. Die BMS fällt hingegen unter den Kompetenztatbestand „Armenwesen“ des Art 12 B-VG. Danach ist der Bund zur Grundsatzgesetzgebung, die Länder sind zu Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung zuständig. Der Bund hat nie ein Grundsatzgesetz erlassen. Eine einheitlichere Regelung wurde 2010 durch eine Bund-Länder-Vereinbarung nach Art 15a B-VG (= BMS-V) erreicht, die ein Abweichen zugunsten der EmpfängerInnen erlaubte. Ein Abweichen nach unten bleibt rechtlich weitgehend ohne Folgen.* Die Vereinbarung ist Ende 2016 ausgelaufen.

Dies hat die Möglichkeit zu mehr Differenzierung zwischen Bundesländern eröffnet. Manche Länder sind bereits vom Gehalt der BMS-V nach unten abgewichen, primär durch die Migration motiviert. Unterschiede im Leistungsniveau werden politisch häufig kritisiert. Verfassungsrechtlich ist eine bundeseinheitliche Regelung nicht geboten.*

Wer meint, eine Frage müsse einheitlich geregelt sein, möge ein Grundsatzgesetz fordern oder die Gesetzgebungskompetenz der Länder in Frage stellen. Manche plädieren für eine bundeseinheitliche Regelung, weil Unterschiede im Leistungsniveau zu Wanderungen motivieren. Dies passt wenig zur Aussage, dass vergleichsweise hohe Sozialleistungen in einem Staat keinerlei Einfluss auf die Motivation zur Zuwanderung aus dem Ausland hätten. Aufgrund einer (öffentlich kaum bekannten) Vereinbarung aus 1976 trägt bislang allerdings jenes Bundesland, aus dem die EmpfängerInnen von BMS kommen, die Kosten der BMS im Land des neuen Aufenthaltsortes, auch wenn dieses höhere Leistungen erbringt, und zwar ohne zeitliche Begrenzung.* Einige Länder wollen diese Vereinbarung kündigen.

Bei den Vorgaben zur Ausgestaltung an den einfachen Gesetzgeber kann man nach der Zielrichtung unterscheiden: Vorgaben zu Ob und Höhe einer Existenzsicherung; Pflicht zu sachlicher, in sich konsistenter Ausgestaltung; Gebote zur Gleichstellung, insb die für StaatsbürgerInnen/InländerInnen vorgesehenen Regeln auch für bestimmte andere Gruppen anzuwenden.*

2.
Zur Begründung bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen – Bedingungen
2.1.
Allgemeines

Detailfragen zur Grundsicherung lassen sich besser erörtern, wenn man zwei vorausliegende Fragen anspricht: Warum sichert die Allgemeinheit bei Bedürftigkeit den Lebensunterhalt und warum sichert sie ihn nicht unabhängig von Bedürftigkeit? Diese Fragen stellen sich auf rechtlicher sowie auf ethischer oder religiöser Ebene. Die Trennung von Recht und Ethik bzw Religion zählt zu den Grundlagen moderner Staatlichkeit.

Bei der zweiten Frage geht es um ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, kurz: Grundeinkommen. Dieses wird wieder verstärkt diskutiert,* allerdings gibt es kein einheitliches Konzept. Wesentlich soll wohl sein, dass die Leistung sowohl von Bedürftigkeit als auch von Erwerbsbereitschaft unabhängig sein soll, also potentiell allen zusteht. Für ein Grundeinkommen wird nun ins Treffen432geführt, die Digitalisierung werde menschliche Arbeit breitflächig durch Computer und Maschinen ersetzen. Ob dies zutrifft, stehe dahin. Es verwirrt allerdings, wenn in der Öffentlichkeit – bildlich gesprochen – in geraden Wochen die These vom Wegbrechen menschlicher Arbeit verkündet wird, in ungeraden hingegen, die demographisch bedingte Reduktion der einheimischen Erwerbsbevölkerung führe zu Problemen und erfordere hohe Zuwanderung. Es kann kaum gleichzeitig zutreffen, dass es zu wenig Arbeitsplätze und zu wenig Arbeitskräfte geben werde (auch wenn man die Qualifikationsfrage berücksichtigt). Sollte es tatsächlich zur massiven Reduktion des Arbeitskräftebedarfes kommen, so wird man das Sozialsystem neu konzipieren müssen, bei der Finanzierung weg von Arbeitskosten, wohl hin zu viel höheren Abgaben auf Güter und Dienstleistungen, jedenfalls importierte, oder/und auf Maschinen, und bei den Leistungen zu einem Grundeinkommen. Bis zum Eintritt einer großen Transformation der Produktion ist es aber angeraten, bei Überlegungen von der bestehenden Produktionsstruktur auszugehen. Überdies wäre ein Grundeinkommen mit der Wirtschaftsverfassung der Union nicht zu vereinbaren,* und Fragen zur Überleitung der bestehenden Sozialleistungen und Anwartschaften, insb auf Pensionen, sind völlig ungeklärt.

Rechtlich stellt sich primär die Frage, ob und wann der Staat zur Absicherung des Lebensunterhalts verpflichtet ist. Die Lage dazu ist jedenfalls zum genuinen Bundesverfassungsrecht nach herrschender Auffassung eher einfach: Dieses verpflichte nicht zu Leistungen zum Lebensunterhalt.* Art 12 B-VG enthält nur eine Ermächtigung zur Regelung. Die Bundesverfassung enthält ferner keine ausdrücklichen Bestimmungen zu sozialen Grundrechten als subjektive Leistungsrechte. Aus dem Gleichheitssatz folge kein originärer Anspruch auf Sozialleistungen,* auch nicht auf Grundsicherung. Nach dem VfGH ist der Gesetzgeber (daher) nicht gehalten, Leistungen der Sozialhilfe in unbeschränkter Weise vorzusehen, vielmehr ist dieser bei steuerfinanzierten Transferleistungen bei Verfolgung rechtspolitischer Ziele frei; erst bei Ausgestaltung einer Leistung verbietet der Gleichheitssatz unsachliche Regelungen.*

2012 hatte der VfGH zu beurteilen, dass ein Bundesland die Leistungen der BMS plötzlich um 20 % kürzte. Dazu wurde gesagt: „Ist in einem [...] System der Sicherung zur Gewährung eines zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Mindeststandards der Zweck, dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum zu gewähren, nicht mehr gewährleistet, dann verfehlt ein solches Sicherungssystem offensichtlich insoweit seine Aufgabenstellung.* Dies traf nach dem VfGH bei der Kürzung zu. Die dann erforderliche sachliche Rechtfertigung fehlte konkret, es wäre aber nicht ausgeschlossen, eine Kürzung zu rechtfertigen. Der VfGH deutet damit wohl auch an, dass Leistungen zur Existenzsicherung, falls das Gesetz sie vorsieht, stets diesen Zweck erfüllen müssen, woraus dann ein verfassungsrechtliches Minimum folgte. Da man annehmen kann, dass der Gesetzgeber die Leistungen nicht völlig abschaffen wird, führt dies zu derselben Lage wie bei einem originären Anspruch.

Umstritten ist, ob ein originärer Anspruch auf Existenzsicherung aus Art 3 EMRK folgt.* Der EGMR hat jedenfalls noch nicht klar gesagt, dass aus Art 3 ein allgemeiner Anspruch auf Existenzsicherung folgt.* Auch wenn man anderes annähme, kann daraus nur ein Recht auf ein absolutes Minimum folgen, über dem die Mindeststandards der BMS derzeit liegen.* Manche Landesverfassungen enthalten Bestimmungen zu Sozialem. Kneihs vertritt zu diesen, dass sie „weder unmittelbar einklagbare subjektive Rechte gewähren noch ganz konkrete Bedingungen festlegen, unter denen das Land Hilfsbedürftigen zu helfen hat“.*

Die Lage zum österreichischen Verfassungsrecht ist insoweit außergewöhnlich, als viele ausländische Verfassungen das Existenzminimum ausdrücklich absichern.* So bestimmt etwa Art 12 der Schweizer Bundesverfassung: „Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.“ Allerdings bedeutet eine verfassungshohe Absicherung nicht, dass der betreffende Staat auch nur gleich viel an Grundsicherung leistet wie Österreich.* Das Ausmaß an Sozialleistungen ist keineswegs proportional zum Ausmaß an verfassungshohen sozialen Grundrechten, zuweilen ist es eher umgekehrt.

Nach Art 34 Abs 3 Grundrechtecharta achtet die Union das Recht auf soziale Unterstützung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen soll.* Die Bestimmung enthält kein Grundrecht,433sondern einen Grundsatz iSd Art 52 Abs 5 GRC, und wendet sich überdies (nur) an die Union. Die nähere Bedeutung für die Mitgliedstaaten ist offen. Aus Art 52 Abs 5 und 51 Abs 1 GRC folgt mE, dass die BMS nicht an Art 34 Abs 3 GRC zu messen ist. Faktisch gibt es einige Mitgliedstaaten, die kaum ein System der Mindestsicherung haben, das jenem Österreichs vergleichbar wäre.*

Nach Art 13 Abs 1 Europäische Sozialcharta verpflichtet sich ein Vertragsstaat „to ensure that any person who is without adequate resources and who is unable to secure such resources either by his own efforts or from other sources ... be granted adequate assistance ...“. Österreich hat sich zur Einhaltung von Art 13 (nicht auch von Art 30) verpflichtet. Zur „compliance“ mit der ESC gibt es ein Expertenkomitee.* Es meint, social assistance müsse für Alleinstehende zumindest 50 % des medianen Äquivalenzeinkommens des Landes betragen.*

Auf der Ebene der Ethik bzw Sozialphilosophie ist primär zu bedenken, dass die BMS steuerfinanziert ist, dass es also weder um Risikovorsorge noch um Umverteilung zwischen Generationen geht, sondern um Umverteilung zwischen Personen mit und ohne Mittel. Dies gilt auch zur Ausgleichzulage. Diese wird zwar innerstaatlich und (nur) teilweise im Unionsrecht als Leistung der PV eingeordnet,* materiell (funktionell) ist sie aber keine Versicherungsleistung. Das Gesagte gilt wohl auch für die Notstandshilfe. Zwar wird diese weithin als Versicherungsleistung angesehen,* weil sie die Anwartschaft voraussetzt und durch Beiträge finanziert wird. Allerdings übersteigt jedenfalls bei längerem Bezug eine zeitlich potentiell unbegrenzte Geldleistung funktionell den Rahmen einer Risikovorsorge.

Zum anderen ist zu bedenken, dass der leistende Staat keine übernatürliche Geldquelle ist, sondern hier die Summe all jener, welche die Leistungen finanzieren. Fraglich ist dann, ob schon das Vorsehen der umverteilenden Sozialleistung der Rechtfertigung (gegenüber den Finanzierenden) bedarf oder erst eine Beschränkung des Zugangs zur Leistung.* Die Antwort hängt in der politischen Diskussion meist vom Vorverständnis ab, nämlich ob man die Gleichheit oder die bestehende Verteilung der Güter (und deren Ursache) als Ausgangspunkt nimmt. Korrespondierend gibt es in der ethischen Diskussion sehr verschiedene Auffassungen zur Legitimation des Sozialstaates im Allgemeinen und einer Grundsicherung im Besonderen. Als positive Gründe werden primär die Kombination von sozialer Fairness bzw Gerechtigkeit, Wahrung der Menschenwürde sowie Vermeiden sozialer Ineffizienz angeführt.* Eine Auseinandersetzung mit Ansätzen zur Legitimation finden wir etwa bei Kersting.* Danach könne der Sozialstaat nur kohärenztheoretisch gerechtfertigt werden, also wenn er aus Gründen der Grundwerte Freiheit, Gleichheit oder Selbstbestimmung notwendig ist. In der Folge unterscheidet Kersting vier Begründungsmodelle und bevorzugt das Konzept der Freiheitsfürsorge. Dieses verlange, dass der Staat sich um die freiheitsrechtliche Voraussetzung der Selbstständigkeit sorge und eine persönliche und freiheitliche Lebensführung material ermögliche. Das Konzept der Daseinsfürsorge hält er allgemein für nicht ausreichend, für die Grundsicherung reicht es aber aus. Nach diesem Konzept müsse der Schutz fundamentaler Menschenrechte auf das Versorgungsinteresse ausgedehnt werden, der Staat habe für das Existenzminimum zu sorgen. Gemeinsam ist allen diesen Konzepten die Annahme einer Verantwortung für andere. Fraglich ist, wie weit diese Verantwortung gehen und wem gegenüber sie bestehen soll.

2.2.
Bedürftigkeitsabhängigkeit und deren Grund

Bedürftigkeitsabhängig bedeutet primär, dass Einkommen oder Vermögen anspruchshindernd wirken. Die Leistungen sind subsidiär und insoweit individualisierend. Bei der BMS wird weitgehend jedes Einkommen, das nicht spezifischen sozialen Zwecken dient sowie Vermögen mit Ausnahme von Schonvermögen berücksichtigt. Dieses beträgt bei Geldvermögen etwa in Wien € 4.188,79.* Darüber hinaus sind Sachwerte grundsätzlich zu veräußern, bevor BMS zusteht. Ist die Sache für das Leben erforderlich, wie eine Eigentumswohnung, so kann das Land ein Pfandrecht eintragen lassen. Die Vermögensabhängigkeit der BMS mag dazu beitragen, dass manche Erwerbstätige mit größerer Kinderzahl, deren Einkommen unter dem Mindeststandard liegt, ergänzende BMS nicht beantragen können.* Bei der Ausgleichszulage wird hingegen nur Einkommen berücksichtigt, selbst434großes Vermögen hindert den Bezug nicht.* Beim Einkommen bleiben nicht wenige Zuflüsse unberücksichtigt, allerdings ohne stimmiges Konzept.* Bei der Notstandshilfe wird Einkommen in weiterem Umfang berücksichtigt. § 33 AlVG („Notlage“) würde das Berücksichtigen von Vermögen nahelegen, aus § 36 Abs 1 Satz 2 AlVG kann man aber ableiten, dass nur Einkommen die Leistung hindert.*

Kennzeichen der Notstandshilfe ist ferner die Obliegenheit, jede zumutbare Erwerbstätigkeit anzunehmen. Dasselbe gilt zur BMS für BezieherInnen, die das Pensionsalter noch nicht erreicht haben. Die BMS-V hat die Anforderungen an die Erwerbsbereitschaft an jene der Notstandshilfe angeglichen. BMS und Notstandshilfe sollen also nicht zustehen, wenn die Lebenserhaltung durch eigene Anstrengungen möglich ist; sie sind auch insoweit subsidiär. Die Erwerbsobliegenheit besteht in Bezug auf jede nach Fähigkeiten, Betreuungspflichten und Wegzeiten zumutbare unselbständige Erwerbstätigkeit, sowie in Bezug auf Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Dies gilt auch bei Sprachkursen und Integrationsmaßnahmen;* dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken, auch nicht bei Schutzsuchenden, entsprechen die Maßnahmen doch den Schulungsmaßnahmen bei InländerInnen. Wird neben Bezug von BMS gearbeitet, so wird vom Einkommen ein Freibetrag befristet nicht angerechnet.* Dies soll zu Erwerbsarbeit motivieren,* weil volle Anrechnung einen impliziten Grenzsteuersatz von 100 % bedeutet. Allerdings ist fraglich, ob die aktuelle Höhe des Freibetrages – er ist mit 15 % des Einkommens und zusätzlich 17 % des Mindeststandards begrenzt – dafür ausreicht.

Die Möglichkeit zum Erwerb hängt vor allem vom Angebot an (zugemuteten) Erwerbstätigkeiten und damit vom Arbeitsmarkt ab, überdies von den Fähigkeiten und partiell von der Einstellung. Fehlen Erwerbsgelegenheiten, so können BMS, wie Notstandshilfe, auf Dauer auch bis zum Pensionsalter bezogen werden. Die BMS ist potentiell eine Dauerleistung. Insoweit ist es schief, wenn die BMS von der Politik zuweilen als nur vorübergehende Leistung oder als „Sprungbrett“ bezeichnet wird. Faktisch ist der Anteil jener, die nach Bezug von BMS eine stabile Beschäftigung finden, eher gering.

Nun zur Frage, warum die Grundsicherung an das Fehlen eigener Mittel und bei Erwerbsfähigen an Erwerbsbereitschaft geknüpft ist. Im Rahmen der bestehenden Produktionsstruktur werden gegen ein Grundeinkommen vor allem Probleme der Finanzierung sowie die Bedeutung der Arbeit vorgebracht.* Ein Grundeinkommen löse den Zusammenhang von Arbeit und Einkommen auf, erweitere den Bereich arbeitslosen Einkommens und führe zur Partizipation an der Wertschöpfung ohne Gegenleistung. Dies entwerte Erwerbsarbeit als zentrales Element der Existenz, insb im Verhältnis zu jenem Teil der Erwerbstätigen, die nur geringe Markteinkommen erzielen können. Bei diesen wird ferner befürchtet, dass ein Grundeinkommen die Erwerbsbereitschaft massiv reduziere (insb wenn die durch Arbeit erworbene Alterssicherung kaum über jene hinausgeht, die ein Grundeinkommen bringt). Das erste sei sozialethisch schwer zu rechtfertigen, das zweite könne die Gesellschaft gefährden. Insgesamt befördere das Grundeinkommen Individualismus statt kollektiver Rationalität.* Die Gesellschaft ist (noch?) nicht bereit, ein Grundeinkommen bereitzustellen, sie versteht sich als „Arbeitsgesellschaft“. Diese Grundentscheidung ist beim Verständnis der BMS zu bedenken.

Die Bedeutung der Erwerbsobliegenheit hängt ferner von Sanktionen ab. Bei Verweigerung zumutbarer Arbeit/Schulung sind die Leistungen der BMS zu kürzen, jedenfalls um 50 %; allerdings nur befristet. Höhere Kürzungen sind in manchen Ländern möglich. Jedoch dürfen stets Wohnbedarf sowie Lebensunterhalt Unterhaltsberechtigter nicht beeinträchtigt werden. Dies schwächt die Sanktion ab.* Bislang wurde fehlende Bereitschaft nur im Nachhinein sanktioniert. Manche Länder verlangen für die volle BMS nun den Abschluss der Integrationsvereinbarung, also eine Verpflichtung im Vorhinein. Da die Integrationsvereinbarung nur eine Ausformung der Arbeitsbereitschaft darstellt, ist das Verlangen unproblematisch; inhaltlich entspricht das Verweigern der Leistung dem Entzug.

Manche verlangen, dass die Sanktionen bei fehlender Erwerbsbereitschaft entfallen; man solle nur positive Anreize setzen, nur Fördern und nicht Fordern. Faktisch hängt die Differenz von BMS und Grundeinkommen aber von den Anforderungen an die Arbeitsbereitschaft ab: Mit den Sanktionen entfällt die Voraussetzung der Erwerbsbereitschaft. Dies führte zu einem Grundeinkommen, aber bloß für einen Teil der Bevölkerung. Überdies ist fraglich, ob nur positive Anreize ausreichend zu gemeldetem Erwerb motivieren.

2.3.
Zum Kreis der Berechtigten

Nun zur Frage, wer die anderen sind, denen gegenüber die Verantwortung für eine Grundsicherung bestehen soll. Sozialsysteme sind traditionell durch den Bezug zum Territorium geprägt. Dieser Bezug war lange, sieht man von Nachkriegszeiten ab, primär durch die Staatsbürgerschaft und das Recht der Staaten geprägt, den Zuzug zu beschränken. Der Bezug zum Territorium besteht bei der Grundsicherung auch heute: BMS und Ausgleichs-435zulage stehen grundsätzlich nur Personen zu, die ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben.* Notstandshilfe setzt an sich Vermittelbarkeit am österreichischen Arbeitsmarkt voraus, und damit den berechtigten Aufenthalt im Inland.*

In den letzten Jahrzehnten haben zwei Faktoren den Bezug zum Territorium deutlich gelockert. Zum einen fordert das Unionsrecht die Öffnung der Sozialsysteme für zuziehende UnionsmigrantInnen, man spricht von Entterritorialisierung.* So kann die Ausgleichszulage zu einer Pension aus einem anderen Mitgliedstaat zustehen,* und auf die Anwartschaft nach AlVG sind ausländische Versicherungszeiten anzurechnen. Zum anderen wurde der Zugang faktisch stark durch das Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen ausgeweitet, insb für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte.* Allerdings hat diese Entwicklung immanente Grenzen. Die Verantwortung für andere ist in einem Umverteilungssystem mit festen Ansprüchen nur zu realisieren, wenn sich die Verantwortung auf eine hinreichend abgegrenzte Gruppe beschränkt. Dies gilt insb für die Grundsicherung. Dogmatisch ist dies darin angelegt, dass BMS und Ausgleichszulage – anders als zuweilen gesagt wird – nicht nur durch die Bedarfsabdeckung charakterisiert sind, sondern gleichgewichtig durch das Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthaltes. Es zeigt, dass der leistende Staat eine ausreichende Verbindung mit ihm als Solidargemeinschaft verlangt und verlangen muss. BMS und Grundeinkommen sind mit einer Zuwanderung aller, die zuwandern wollen, nicht kompatibel.* Solche Leistungen sind nur möglich, wenn der Staat entweder den Zugang zum Territorium oder zumindest zur Leistung, etwa durch eine Wartefrist, beschränken kann, wenn er dies will, und soweit es wegen der Zahl der Empfangswilligen erforderlich ist.* Daraus ergibt sich auch die Rechtfertigung für das Erfordernis des rechtmäßigen Aufenthaltes.

Dies hat zu UnionsmigrantInnen nun auch der EuGH erkannt, zumindest in Bezug auf Nicht-Erwerbstätige.* Nach der älteren Judikatur bis zum Urteil Brey war eine aufenthaltsbezogene Wartezeit auch bei Nichterwerbstätigen mit der Unionsbürgerschaft nicht vereinbar. Die jüngere Judikatur seit dem Urteil Dano differenziert bei diesen hingegen wohl zwischen Aufenthalt und Leistungsrecht.* Die Mitgliedstaaten können danach das Nichtangewiesensein auf social assistance als Voraussetzung des rechtmäßigen Aufenthaltes normieren. In der Folge sind sie nicht verpflichtet, nicht erwerbstätigen UnionsmigrantInnen sogleich social assistance zu gewähren, sondern sind dazu erst nach fünf Jahren (rechtmäßigen) Aufenthalt(s) verpflichtet. Erst der längere Aufenthalt verschafft also die erforderliche Verbundenheit mit dem Leistungsstaat. Offen ist, inwieweit diese Hürde durch geringfügige gemeldete Erwerbstätigkeit, unselbständig oder selbständig, übersprungen werden kann.

In Bezug auf Schutzberechtigte haben Medien und Politik binnen kurzer Zeit einen bemerkenswerten Umschwung vollzogen. Manche vertraten, die Belastungsgrenze sei erst bei einer Lage wie im Libanon erreicht, also wenn der Anteil der humanitär Aufenthaltsberechtigten etwa ein Fünftel der sonstigen Bevölkerung erreicht (das wären in Österreich etwa 1,7 Mio), andere sehen die Grenze schon bei 2 %. Bei realistischer Einschätzung kann man jedenfalls sagen, dass mit einem Anstieg des Prozentsatzes die Änderungen in der sozio-ökonomischen Lebenswelt aller und für die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates mittelfristig zumindest linear, wohl aber stärker steigen.

3.
Zur Höhe der Leistungen – Pauschalierungen
3.1.
Allgemeines

Ausgleichszulage und Notstandshilfe sind stets Geldleistungen, bei der BMS traf dies bislang idR zu. Bei der Ausgleichszulage gibt es bundeseinheitliche Richtsätze. Bei der BMS gibt es ebenfalls Mindeststandards, und dazu gab es bis 2016 einheitliche Mindestvorgaben. Die Leistungen werden bis zur Höhe des Mindeststandards erbracht, uU in Höhe der Differenz zu anrechenbarem Einkommen. Die Höhe der Notstandshilfe knüpft hingegen an jene des Erwerbseinkommens an, enthält also keinen Mindeststandard. Liegt die Notstandshilfe unter den Sätzen der BMS, so kann diese ergänzend zustehen. Sie kann aber auch höher sein.

Die BMS-V sah vor, dass die BMS für Alleinstehende dem Ausgleichszulagenrichtsatz entspricht, abzüglich des Beitrages zur KV. Die Leistungen für weitere Personen wurden von diesem Ausgangswert abgeleitet. Leben mehrere volljährige Personen in einem Haushalt, so betrug die Leistung je Person idR 75 % des Ausgangswertes, ab der dritten volljährigen Person jedoch nur 50 %, wenn sie unterhaltsberechtigt ist. Für Minderjährige betrug die Leistung bei den ersten drei Kindern je 18 %, ab dem vierten Kind je 15 %. Nur bei der BMS dien-436ten 25 % des Mindeststandards der Abdeckung des Wohnbedarfes. Der Ausgangswert wird vom Bundesgesetzgeber im ASVG festgelegt. 2017 beträgt der Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende € 889,84, der abgeleitete BMS-Mindeststandard € 834,46, der Betrag ohne Wohnanteil € 626,–. Der Mindeststandard für Paare beträgt € 1.334,– bzw € 1.266,– (das sind ohne Wohnanteil je Person € 474,-*), jener für minderjährige Kinder beträgt in Wien € 226,–, in Niederösterreich € 190,–. Dazu kommen die Familienbeihilfe, die idR nicht als Einkommen angerechnet wird,* sowie weitere familienbezogene Leistungen.

Schon unter Geltung der Art 15a-Vereinbarung gab es manche Unterschiede im Detail. So erbrachten einige Länder die Leistung nicht zwölfmal im Jahr, sondern vierzehnmal, wie Wien an Arbeitsunfähige und an Personen über dem Pensionsalter. In mehreren Bundesländern ist die Leistung für Kinder höher. Überdies sehen die Gesetze im Rahmen der BMS Zusatzleistungen bei Sonderbedarf vor, die auch neben Ausgleichszulage oder Notstandshilfe in Betracht kommen. Bei diesen Leistungen haben die Behörden aber meist Ermessen. Sieht man von diesen Erweiterungen ab, so sind die Geldleistungen bei Hilfe zum Lebensunterhalt der BMS und Ausgleichszulage grundsätzlich gleich hoch. Besonderes gilt zum Wohnbedarf. Sind die Kosten einer angemessenen Wohnung höher als der 25 %-Anteil, so kann die BMS die Differenz zahlen; auf diese Wohnbeihilfe besteht aber häufig kein Rechtsanspruch.* Manche Länder trennen von vornherein zwischen den Leistungen für Lebensunterhalt und für Wohnbedarf. Allgemein muss man sagen, dass die Berechnung der konkret zustehenden BMS sehr kompliziert ist, wenn mehr als zwei Personen in einer Wohnung leben.

Die Gesetze gehen also davon aus, dass der durch BMS und Ausgleichszulage abzudeckende Bedarf bei allen Berechtigten grundsätzlich gleich hoch ist. Insb wird wenn, dann nur bei der Wohnung nach dem Preisniveau am Wohnort differenziert. Die Gesetze unterstellen, dass die Kosten in Österreich bzw nun im Bundesland gleich hoch sind. Überdies wird nur sehr beschränkt auf individuelle Unterschiede im Bedarf Bedacht genommen. Die bedürftigkeitsabhängigen Geldleistungen weisen also einen hohen Grad an Pauschalierung auf. Der VfGH hat gesagt: „Gegen eine pauschale Festsetzung von Mindeststandards in einer bundesweiten Durchschnittsbetrachtung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.* Fehlt ein bestimmter Bedarf aber zur Gänze, so kann der entsprechende Leistungsteil entfallen.*

3.2.
Zur Angemessenheit der Höhe

Für die Pauschalierung spricht jedenfalls der Gedanke der praktischen Handhabbarkeit. Im Übrigen ist sie vor dem Hintergrund der Überlegungen zum Zweck der Grundsicherung zu sehen. BMS und Ausgleichszulage dienen der Sicherung des Lebensbedarfes. Der VfGH sagt: „Die Grundsicherung ist ein System, das durch Gewährung eines zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Mindeststandards dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum gewähren soll.* Es geht also um dessen angemessene Höhe. Dies führt zur Diskussion um Begriff und Bestimmung von Armut.* Armut kann entweder absolut oder relativ bestimmt werden. Absolute Bestimmungen orientieren sich am Subsistenzniveau und zielen auf Vermeidung von Prekarität, relative zielen auf Teilhabe bzw Partizipation.*

In Deutschland wird die Höhe der Sozialhilfe nach SGB XII bzw der Grundsicherung nach SGB II* absolut und bundeseinheitlich bestimmt. Basis sind gem § 28 Abs 3 SGB XII „die tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen“. Daraus ergebe sich, welche Ausgaben für das existenzielle und sozio-kulturelle Existenzminimum erforderlich sind. Das BVerfG billigt diese Pauschalierung, auch vor dem Hintergrund des aus der Garantie der Menschenwürde (Art 1 GG) abgeleiteten Anspruchs auf das Existenzminimum.* Zum einen dürfe der Gesetzgeber bei Massenerscheinungen typisieren und pauschalieren. Zum anderen träten individuelle Abweichungen bei einzelnen Bedarfspositionen typischerweise in beide Richtungen auf; wesentlich ist dann die Möglichkeit der EmpfängerInnen, über den Gesamtbetrag der Leistung zu disponieren. Bleibt die Regelleistung unter den Ergebnissen der Statistik, so muss dies gut begründet werden. Das BVerfG hat Detailregelungen verworfen, weil sie nicht der Vorgabe genügten, dass „alle existenznotwendigen Aufwendungen ... nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen“ sind.* Die Berechnungen führen 2016 bei der Leistung für die Lebenshaltung zu € 404,– für Alleinstehende, je € 364,– für Paare (90 % des Satzes für Alleinstehende) und zB € 270,– für Kinder zwischen 7 und 14; dazu kommen die Kosten einer angemessenen Wohnung sowie zB für Heizung. Die Beträge für Erwachsene unterscheiden sich doch deutlich von den österreichischen (€ 404,– : € 624,–; € 364,– : € 474,–), allerdings werden manche Bedarfe in Deutschland gesondert abgedeckt437(zB Heizung), und das Preisniveau dürfte in Österreich höher sein.

Den anderen, relativen Ansatz verfolgt das Expertenkomitee zur ESC. Es sagt, die social assistance müsse zumindest 50 % des medianen Äquivalenzeinkommens betragen. Auch Eurostat bestimmt Armut primär relativ (in der SILC-Statistik). Die Armutsgefährdungsschwelle wird dort mit 60 % des Medianäquivalenzeinkommens definiert (bis 2000 waren es 50 %), was der Europäische Rat im Dezember 2002 gebilligt hat. 60 % werden jedoch in kaum einem Mitgliedstaat erreicht.* 2009 (noch vor der BMS) waren die Prozentsätze für zwei typische Konstellationen nur in Irland und Dänemark höher als in Österreich/Wien. Die OECD sieht 50 % als Richtwert, die Leistungen erreichten in den OECD-Ländern im Durchschnitt aber nur etwa 41 %.* In den Vertragsstaaten der ESC wird der Wert im Durchschnitt wohl darunter liegen. Man kann den vom ESC-Expertenkomitee nicht näher begründeten Wert von 50 % als Versuch deuten, die Vorgabe nicht allzu weit vom realen Ausmaß der Leistungen zu entfernen.

Zur Berücksichtigung der mit der Haushaltsgröße abnehmenden Kosten und des Alters werden die Personen gewichtet. In der SILC-Statistik werden der erste Erwachsene mit 1,0, jedes weitere Haushaltsmitglied ab 14 Jahren mit 0,5 und Kinder unter 14 Jahren mit 0,3 gewichtet. Der zweite wesentliche Faktor ist das nationale Mediannettoeinkommen. Dabei werden offenbar alle Einkommen berücksichtigt, auch aus Sozialleistungen und Vermögen. Auch dies zeigt die Bedeutung statistischer Begriffsbestimmungen.

Die Richtsätze zur Ausgleichszulage gelten als „konventionelles Existenzminimum“. Fragt man nach den Bestimmungsgründen für die konkrete Höhe von Ausgleichszulage und BMS, so schweigen die Gesetzesmaterialien.* 2010 wurde in der BMS-Vereinbarung der Ausgangswert vom Ausgleichszulagenrichtsatz übernommen. Der Ausgleichszulagenrichtsatz war kurz zuvor zweimal „außerordentlich“ erhöht worden.* Die Materialien dazu gaben keinen Maßstab für diese Erhöhungen an.* Die Prozentsätze für weitere Personen wurden in Anlehnung an die EU-SILC Statistik festgelegt.* Bei Kindern nimmt SILC allerdings einen Bedarf von 30 % an, für den geringeren Prozentsatz der BMS wurde die Familienbeihilfe in Anschlag gebracht.* Für die Übernahme des Ausgangswertes für Alleinstehende sprachen vor allem praktische/pragmatische Gründe. Da es in Österreich keine offengelegten Maßstäbe für die Festlegung der Höhe gibt, ist – im Unterschied zu vielen Mitgliedstaaten* – auch keine regelmäßige Überprüfung der Höhe vorgesehen. Das Gesetz sieht nur die jährliche Anpassung der Ausgleichszulagenrichtsätze vor, die bislang zur BMS nachvollzogen wurde.

Von Interesse ist daher das Verhältnis der Mindeststandards zu den Durchschnittseinkommen in Österreich. Dies zu ermitteln ist nicht so einfach, weil es unterschiedliche Größen gibt.* Das Mediannettoeinkommen aller Unselbständigen lag 2015 bei € 19.344,– oder monatlich € 1.612,–, jenes der vollzeitbeschäftigten Unselbständigen bei € 27.205,– oder € 2.267,–. Das mediane Gesamtäquivalenznettoeinkommen bezieht hingegen alle Einkommen der Bevölkerung ein und ergibt sich erst aufgrund komplexer statistischer Operationen. Es lag 2015 bei € 23.260,– jährlich oder € 1.938,– monatlich je Person. 60 % davon waren € 13.956,– jährlich oder € 1.163,– monatlich; 50 % waren € 12.610,– jährlich oder € 970,– monatlich. Der Mindeststandard für Alleinstehende blieb und bleibt unter 50 %, so wie in den meisten Staaten von OECD und EU.

Fragt man nach den Unterschieden der Konzepte, so kann man sagen: Das deutsche Modell der absoluten Bestimmung zielt auf die Vermeidung von Prekarität iS eines Mangels an elementaren Gütern und Dienstleistungen. Der relative Ansatz zielt hingegen mehr auf das Vermeiden eines allzu großen Abstandes zwischen den Mitteln, die Leistungsberechtigten und DurchschnittsverdienerInnen zur Verfügung stehen. Die Armutsgefährdungsschwelle betrifft ja primär die Ungleichheit der Einkommensverteilung, sie markiere die „Grenze der erträglichen Ungleichheit“.* Der VfGH musste sich bisher noch nicht ausführlich mit der Angemessenheit der Leistungshöhe befassen. Er hat aber gesagt, die Orientierung der BMS am Ausgleichszulagenrichtsatz sei zulässig (allerdings ohne die uU unterschiedliche Häufigkeit der Auszahlung explizit zu berücksichtigen). Grundsätzlich sind mE sowohl die absolute wie die relative Herangehensweise mit den Anforderungen der Verfassung vereinbar. Insb erfordert die Verfassung nicht die Orientierung an der Armutsgefährdungsschwelle. Statistik und Sozialforschung unterschei-438den dazu zwischen Armutsgefährdung und Armut, und eine an der Gleichheit orientierte Kennzahl ist daher nicht notwendige Vorgabe für eine Leistung zur Existenzsicherung.* Die österreichischen Mindeststandards orientieren sich nun weder streng an der Armutsgefährdungsschwelle noch an der Prekaritätsvermeidung, sie dürften vielmehr dazwischen liegen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Fraglich könnte allenfalls sein, ob die Prozentsätze für weitere Haushaltsangehörige treffend gewählt sind. Sie sind bei Erwachsenen deutlich geringer als in Deutschland; allerdings sind die Mindeststandards selbst dort geringer. Es wäre wohl sinnvoll, wenn in Österreich der zum Existenzminimum relevante Bedarf einmal durch Ausgabenstatistik oder Warenkorbanalyse erhoben würde und es nachvollziehbare Kriterien zur Festsetzung der Mindeststandards gäbe. In manchen anderen Staaten werden dazu deutlich höhere Anforderungen an die Begründung gestellt.*

Bei Verletzung der Obliegenheit zu Erwerb oder Integrationsbemühen sind die Leistungen der BMS zu kürzen. Geht man davon aus, dass die Leistungen etwas über dem Prekaritätsniveau liegen, so erscheint jedenfalls eine Kürzung auf dieses Niveau zulässig. Bei einer Kürzung um 50 % oder mehr wird dieses Niveau jedoch unterschritten, was die Frage aufwirft, ob dies bei Leistungen, die auf Grundsicherung zielen, zulässig ist. Dies wird in Deutschland insb zu „1-Euro-Jobs“ kontrovers diskutiert. Fraglich ist zum einen, ob ein von Art 12 GG verbotener Arbeitszwang vorliegt, zum anderen, ob die Garantie der Menschenwürde aus Art 1 GG eine Versorgung auch ohne Arbeitsbereitschaft verlange.* Die österreichische Verfassung enthält jedenfalls kein vergleichbares Gebot zur Unterstützung bei Bedürftigkeit. Für die Vereinbarkeit kann dann ins Treffen geführt werden, dass Erwerbsarbeit und Integration weithin (noch) als sinnvoll angesehen werden und die Sanktion vermeidbar ist. Eine andere Frage ist, ob eine starke Kürzung sozialpolitisch sinnvoll ist.

3.3.
„Deckelung“ oder Reduktion bei großen Haushalten?

In letzter Zeit wurde in der Öffentlichkeit intensiv die Gesamtsumme der BMS bei größeren Familien oder Haushaltsgemeinschaften diskutiert. Manche forder(te)n, die Leistungen zu „deckeln“. Niederösterreich hat dies verwirklicht. § 11b Abs 1 NÖ MSG bestimmt seit 2017: „Die Summe der Mindeststandards aller Personen, die gemeinsam in einer Haushalts- oder Wohngemeinschaft leben, ist mit € 1.500,– begrenzt.* Nach der Verordnung dazu beträgt schon die Summe der Mindeststandards für ein Paar mit einem Kind € 1.460,–.* In einem System, das die BMS aufgrund von Beträgen je Person berechnet, bedeutet die Höchstgrenze prima facie, dass weitere Personen nicht (voll) berücksichtigt werden. Bei € 1.500,– wird schon das zweite Kind kaum berücksichtigt, weitere Kinder gar nicht. Bei zwei Erwachsenen und drei Kindern beträgt die Summe der Mindeststandards € 1.849,04; die Kürzung beträgt € 349,– oder 18,8 %. Bei drei Erwachsenen und drei Kindern betragen die Summe € 2.482,39 und die Kürzung 39,6 %; die Leistung je Erwachsenen sinkt von € 633,– auf € 382,–. Die Höchstgrenze trifft nicht nur Familien, sondern auch bloße Wohngemeinschaften von Erwachsenen, deren Zahl bei Migranten zunimmt. Die allgemeinen Regeln führten für eine Wohngemeinschaft von sechs Erwachsenen in NÖ zu einer BMS von € 3.798,–;* aufgrund der Deckelung sinkt die Leistung je Person auf € 250,–.

Eine Höchstgrenze begegnet nun kaum unions- oder völkerrechtlichen Schranken,* außer der Betrag unterschreitet bei Schutzberechtigten die Vorgaben zum Minimum, die allerdings eher unklar sind. Kritisch ist die Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht.* Der VfGH hatte 1988 eine Kärntner Verordnung zu beurteilen, nach der ab dem dritten Haushaltsangehörigen „in der Regel“ nahezu oder überhaupt keine zusätzliche Hilfe zum Lebensunterhalt vorgesehen war. Der VfGH hielt dies für unsachlich: „Auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, so ist doch immer noch je weiterer Person ein Aufwand iSd § 7 Abs 1 K-SHG in einiger Höhe erforderlich. Es ist also kein sachlicher Grund zu erkennen, die richtsatzmäßigen Geldleistungen für eine Haushaltsgemeinschaft ab dem dritten Haushaltsangehörigen derart abrupt zu kürzen.* Dies überzeugt. Eine starre Höchstgrenze stellt einen Systembruch dar, wenn und weil die BMS auf die Deckung eines typisierten Bedarfes abstellt. Es kann dahinstehen, wie eine Ausgestaltung zu beurteilen wäre, bei der die Leistung primär das durchschnittliche oder im Niedriglohnsektor erzielbare Erwerbseinkommen zum größeren Teil substituieren soll.*439

Aus dem Erkenntnis geht aber hervor, dass eine gewisse Degression mit zunehmender Haushaltsgröße zulässig ist, weil der Bedarf je Person dann typischerweise abnimmt. § 11b Abs 2 NÖ MSG versucht dies aufzugreifen: „Im Falle einer Überschreitung des Betrages [von 1.500 Euro] sind die Mindeststandards der einzelnen Personen gleichmäßig prozentuell zu kürzen, sodass ihre Summe genau € 1.500,– beträgt.“ Die Leistungen an alle Haushaltsangehörigen werden also anteilig verringert. Damit wird prima facie vermieden, dass Leistungen für weitere Personen zur Gänze entfallen. Gleichwohl ist fraglich, ob die Regelung ausreichend schlüssig und sachlich ist, insb im Hinblick auf das BVG-Kinderrecht.* Vor allem ist es bei größeren Haushalten, zB bei fünf minderjährigen Kindern, unrealistisch anzunehmen, dass sich der Bedarf je Haushaltsangehörigen so stark verringert, dass insgesamt ein Betrag ausreicht, der kaum höher ist als bei einem Kind. Jedenfalls bei großen Haushalten führt die Höchstgrenze dazu, dass zusätzliche Personen doch unberücksichtigt bleiben, und man kann diese Fälle nicht als Sonderfälle ansehen, die bei der zulässigen Durchschnittsbetrachtung unberücksichtigt bleiben können. Aber auch wenn nur ein zweites oder drittes Kind hinzutritt, ist fraglich, ob dies den Bedarf der anderen so verringert, dass der Betrag gleichbleiben kann.

Das Problem des niederösterreichischen Modells ist nicht die Degression der Leistungen je Person, sondern die starre Höchstgrenze. Wenn man Degression will, so wäre daher daran zu denken, dass der Betrag, der jeder Person des Haushalts zusteht, bei Hinzutreten jeder weiteren (bezugsberechtigten) Person um einen bestimmten Prozentsatz absinkt. Der Absenkprozentsatz könnte einheitlich sein oder ansteigend. Es müsste aber gesichert sein, dass jede weitere Person idR zu einer Erhöhung der BMS für den Haushalt führt, auch wenn der zusätzliche Betrag abnimmt. Überdies muss gewährleistet bleiben, dass die Leistungen noch ausreichend sind, und zwar primär im Verhältnis zu Leistungsberechtigten, die in kleinen Haushalten leben. Die Kürzung wegen der Haushaltsgröße darf in dieser Hinsicht nicht höher sein, als im Durchschnittsfall mit einer Aufwandreduktion gerechnet werden kann.*

Wird die Degression so ausgestaltet, ist für die Rechtsanwendung eine Höchstgrenze nicht erforderlich. Ein fester Betrag kann dann allenfalls zur Orientierung bei Festlegung der Degressionsprozentsätze dienen. Zur geltenden Regelung ist hingegen nach der Rechtfertigung der Höchstgrenze zu fragen. Die knappen Materialien sagen:* Die BMS diene der Eingliederung in den Arbeitsmarkt, ihr Bezug soll daher nicht zu einem Haushaltseinkommen führen, das trotz der Synergieeffekte weit über dem mittleren Erwerbseinkommen liegen kann. Der Betrag von € 1.500,– orientiere sich am Medianeinkommen aller unselbständigen Erwerbstätigen und trage dem Gedanken Rechnung, die BMS als Surrogat für Erwerbseinkommen auszugestalten. Allerdings lag das genannte Medianeinkommen (also sogar einschließlich Teilzeitarbeit) schon 2015 bei monatlich € 1.612,–.

Zusätzliche Probleme bereitet die „Deckelung“ bei Personen, die Pflegegeld oder erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder dauernd arbeitsunfähig sind. Deren Mindeststandards sind nach § 11b Abs 4 NÖ MSG zwar in Bezug auf die Höchstgrenze einzurechnen, jedoch sind deren Mindeststandards nicht zu kürzen. Das damit Gemeinte bleibt unklar. Kann danach die Höchstgrenze überschritten werden, so entstehen keine zusätzlichen Probleme. Verfassungswidrig wäre es, wenn wegen der begünstigten Personen die Leistungen für nicht begünstigte Haushaltsangehörige stärker gekürzt würden, als wenn jene nicht vorhanden wären.*

3.4.
Lohnabstand als relevante Größe?

In der politischen Diskussion bringen manche vor, die BMS sei bei einer größeren Zahl von Haushaltsangehörigen höher als das Erwerbseinkommen vieler, sodass kein Anreiz mehr zum Erwerb bestehe. Zu berücksichtigen seien überdies weitere Leistungen, die nur bei fehlendem oder geringem Einkommen erfolgen, wie familienbezogene Leistungen von Ländern oder Gemeinden. Die BMS müsse daher, insb bei vielen Haushaltsangehörigen, ausreichend Abstand zu Erwerbseinkommen halten,* soll sie von anderen nicht als unangemessen und demotivierend empfunden werden. Manche erwidern, dann wären eben die Löhne zu erhöhen und/oder, dass die Erwägung in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit mangels Arbeitsplätzen irrelevant sei. Der zweite Einwand überzeugt nicht, schon weil es sektoral mehr freie Arbeitsplätze als Arbeitssuchende gibt, auch bei wenig qualifizierten Tätigkeiten.

Die derzeitige BMS verfolgt das Konzept, die Höhe aus einem typisierten Bedarf abzuleiten und nicht aus einem im Niedriglohnsektor erzielbaren Erwerbseinkommen. Im Rahmen dieses Konzepts kann daher gegen einen Vergleich der BMS-Höhe in besonderen Fällen mit dem medianen Erwerbseinkommen schon eingewendet werden, dass auch Erwerbstätige Anspruch auf ergänzende BMS haben können, wenn das Erwerbseinkommen unter dem Richtsatz bleibt. Wer als AlleinerhalterIn einer Familie mit vier Kindern, davon zwei erwachsen, zB € 1.600,– monatlich netto verdient, kann grundsätzlich ergänzende BMS von € 795,– verlangen, und steht dann prima facie jener Familie gleich, die ohne Erwerbstätigkeit € 2.395,– an BMS erhält. Allerdings stimmt dies nur, wenn die Erwerbstätigen kein „hinderliches“ Vermögen haben. Haben sie Ersparnisse über € 5.000,– oder ein kleines Haus, so haben sie entweder keinen440Anspruch auf BMS oder müssen ein Pfandrecht auf das Haus hinnehmen. Personen mit auch nur geringem Vermögen sind also schlechter gestellt als jene ohne Vermögen. Der aus der Möglichkeit zum „Aufstocken“ folgende Einwand besteht allerdings nur, solange es keine stärkere Reduktion für größere Bedarfsgemeinschaften gibt. Überdies bleibt es auch bei Leistung von ergänzender BMS dabei, dass die einen für denselben Nettobetrag arbeiten, die anderen nicht. Jedenfalls psychologisch kann dies, wenn eine größere Zahl von Menschen höhere Leistungen der BMS bezieht, bei manchen zu einem Nachlassen der Erwerbsmotivation führen, auch wenn dagegen eingewendet wird, die Mehrzahl arbeite nicht bloß wegen des Geldes.

Aus der Verfassung lassen sich jedenfalls keine Vorgaben eines bestimmten Mindestabstands ableiten. Auf der anderen Seite bestehen aber auch keine nachhaltigen völker- oder unionsrechtlichen Hindernisse, die Höhe der BMS an einem Abstandspostulat zu orientieren, und auch soziale Grundrechte stehen dem nicht entgegen.* Es ist auch nicht unsachlich, die Beträge, die große Haushalte durch eine BMS erhalten, die nicht als Grundeinkommen dient, mit Bezug auf das am Markt erzielbare Medianeinkommen zu sehen. Andernfalls würde die BMS das Lebensmodell der Sozialhilfe begünstigen und könnte die Erwerbsbereitschaft anderer beeinträchtigen. Zu prüfen ist jedoch stets die konkrete Ausgestaltung (dazu oben 3.).

3.5.
Sachleistungen statt Geldleistungen

Die Leistungen zu Lebensunterhalt und Wohnbedarf waren nach der BMS-V grundsätzlich in Geld zu erbringen.* Auf die Frage, inwieweit an die Stelle von Geldleistungen Sachleistungen treten dürfen, kann hier nur kurz eingegangen werden. Das Gewähren von Sachleistungen begegnet nun keinen grundsätzlichen Bedenken aus Verfassung oder ESC. Auch wenn die Verfassung die Berücksichtigung der Erwerbsmotivation nicht gebietet (kein Lohnabstandsgebot), so wird es doch sachlich sein, das Aufrechterhalten der Motivation zu berücksichtigen. Dies spricht für die Zulässigkeit von Sach- statt Geldleistungen, wenn es – bei Durchschnittsbetrachtung – zutrifft, dass die Erwerbsmotivation durch Sachleistungen weniger beeinträchtigt wird. Die Möglichkeit zu Sachleistungen betrifft dann insb den Wohnraum. In Bezug auf den Lebensunterhalt setzen Sachleistungen auf Dauer hingegen voraus, dass ein gewisser Freiraum zur eigenen Gestaltung verbleibt, also ein gewisser Geldbetrag und Gutscheine statt Naturalleistungen.* In Bezug auf den Wohnbedarf wird gesagt, die mit Sachleistungen verfolgten Ziele könnten auch durch direkte Zahlung der Wohnungskosten an den Vermieter (anstelle einer Naturalleistung) verwirklicht werden. In Bezug auf das Ziel, die Erwerbsmotivation aufrechtzuerhalten, ist diese Folge unwahrscheinlich. Es dürfte für die EmpfängerInnen wirtschaftlich und psychologisch gleichgültig sein, ob das Geld über ihr Konto läuft.

4.
Zu einigen Differenzierungen
4.1.
Vier Unterschiede zwischen den drei Leistungen

Manche Unterschiede zwischen den drei erörterten Leistungen wurden bereits angesprochen. Alle Unterschiede können nicht erörtert werden, wie etwa jene bei Anrechnung von Partnereinkommen. Nur vier weitere Unterschiede seien thematisiert.

Die BMS wird meist zwölfmal im Jahr bezahlt, die Ausgleichszulage hingegen vierzehnmal.* Da sich der Mindeststandard der monatlichen BMS an jenem der Ausgleichzulage orientiert, führt dieser Unterschied bei Alleinstehenden zu einer Jahresdifferenz von einem Fünftel der BMS (etwa € 1.700,–). Daraus folgt nicht notwendig, dass die Höhe der BMS per se verfassungsrechtlich zu gering ist. Sehr wohl folgt daraus aber, dass die Höhe nicht mit einer Orientierung an der Ausgleichzulage begründet werden kann.

Die Höhe der Notstandshilfe richtet sich nach dem versicherten Einkommen, ist also nicht pauschaliert. Österreich ist, soweit zu sehen, eines der wenigen Länder, in denen bei einer potentiell dauernden Leistung bei Arbeitslosigkeit die Ersatzrate annähernd gleich bleibt. Die bei langfristigem Bezug im Vergleich zur BMS uU höhere Leistung kann kaum durch die frühere Beitragszahlung gerechtfertigt werden. Auch die vergleichsweise etwas geringeren Leistungen zu Beginn der Arbeitslosigkeit* sind keine taugliche Begründung für eine langfristig höhere Notstandshilfe, und diese ist kein tauglicher Ersatz für eine höhere Ersatzrate bei Beginn der Arbeitslosigkeit.

Die Ausgleichszulage ist im Normalfall nicht höher als die BMS, sie ist aber bei den Voraussetzungen weitaus günstiger, weil das Vermögen nicht und Einkommen weniger berücksichtigt wird. Der sachliche Grund für diese Besserstellung könnte (nur)in Bezug auf Einkommen darin gesehen werden, dass die Pension nur bei längerfristiger Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft zusteht: bei der Alterspension sind dies 15 Versicherungsjahre, auch wenn die Erwerbstätigkeit nur geringfügig war. Hingegen kann die Besserstellung kaum durch eine erhebliche Finanzierung der (geringen) Pension durch eigene Beiträge gerechtfertigt sein, schon weil dies wenn dann nur beim ASVG zutrifft.*441

2017 wurde überdies eine erhöhte Ausgleichszulage für jene PensionistInnen eingeführt, die mindestens 360 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben haben.* Der „Zuschlag“ beträgt 2017 € 118,–. Die Grundsicherung ist für lange Erwerbstätige also höher. Fraglich ist, ob diese Besserstellung gegenüber der BMS sachlich ist. Der Zuschlag honoriert hier in manchen Fällen auch lange höhere Beitragsleistungen.* Dann ist fraglich, warum die höhere Leistung nur zusteht, wenn anderes Einkommen fehlt (ob also die Pensionsbemessung anders auszugestalten wäre). In anderen Fällen honoriert der Zuschlag nur eine längere Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft, weil er auch zusteht, wenn das Entgelt stets nur knapp über der Geringfügigkeitsgrenze lag. Dann wird fraglich, ob so geringe Beitragsleistungen die Besserstellung rechtfertigen. Unabhängig davon ist anzumerken, dass der Zuschlag wohl nur an Alleinstehende gewährt wird, nicht an Paare, auch wenn beide die lange Versicherungsdauer aufweisen.* Wenn der Zuschlag lange Verbundenheit oder höhere Vorleistung honorieren soll, ist aber kein Grund ersichtlich, warum er nicht auch Paaren (zumindest einmal) zusteht. Auf die Probleme, welche die Erhöhung im Unionsrecht bereiten könnte, kann nicht eingegangen werden.

Nochmals aufzugreifen ist die Irrelevanz von Vermögen als Hinderungsgrund bei der Notstandshilfe. Sie ist hier problematisch,* zumindest bei langem Bezug. Die Vorleistungen sind bei der Notstandshilfe weit geringer als bei der Ausgleichszulage, weil schon das laufende Versicherthalten eine wesentliche Gegenleistung darstellt. In Bezug auf die Vorleistungen bestehen daher zwischen den EmpfängerInnen von BMS und Notstandshilfe, auch bei langer Vorversicherungsdauer, kaum relevante Unterschiede. Die Irrelevanz von Vermögen ist aber auch bei der Ausgleichszulage fragwürdig. Die oben erwähnte Vorleistung bezieht sich nur auf das Einkommen. Dort mag eine langjährige geringfügige Erwerbstätigkeit als Grund für eine Besserstellung ausreichen. In Bezug auf die Relevanz von Vermögen trägt dieses Argument hingegen wohl nicht. Noch fragwürdiger wird die Nichtanrechnung von Vermögen bei der Ausgleichszulage, wenn man die Lage bei Erwerbstätigkeiten einbezieht, die wegen eines geringen Vermögens keine ergänzende BMS beziehen können, und wenn – wie eben angeregt – Vermögen auch bei der Notstandshilfe berücksichtigt würde.

4.2.
Wartezeiten für volle Leistung der BMS

Seit 2015 wurden zur BMS wiederholt Wartezeiten diskutiert, meist dahingehend, dass die volle Leistung nur zustehen soll, wenn sich die Person in den letzten Jahren überwiegend in Österreich aufgehalten hat. Fraglich ist insb, ob vom Erfüllen der Wartezeit die gesamte Leistung abhängen soll oder nur ein Teil. Letzteres bedeutete ein Aufspalten der BMS, insb der Leistung zum Lebensunterhalt, in niedrigere Grundleistung und eine Zusatzleistung.

Soweit zu sehen hat bislang nur Niederösterreich eine Wartezeit eingeführt.* Nach § 11a NÖ MSG „Mindeststandards – Integration“ gelten „für Hilfe suchende Personen, die sich innerhalb der letzten sechs Jahre weniger als fünf Jahre in Österreich aufgehalten haben“ geringere Mindeststandards, die Leistungen sind an der Grundversorgung für Asylwerber orientiert. Man spricht von „Mindestsicherung light“. Nach den knappen Materialien „soll [damit] einerseits das System vor Überlastungen geschützt werden, andererseits soll ein klares Zeichen ... gesetzt werden, um die Attraktivität Österreichs als Zielregion für Flüchtlinge einzudämmen“.* Jedenfalls aus den Materialien folgt, dass die Bestimmung für alle gelten soll, auch für Österreicher, die länger im Ausland gelebt haben.* Alleinstehende erhalten, auch in Wohngemeinschaft, € 572,– statt € 844,–, eine Reduktion um 33 %. Alleinerziehende erhalten € 675,50 oder 81 % des Regelbetrages. Zwei Erwachsenen mit zwei minderjährigen Kindern gebühren € 1.404,– statt € 1.655,– oder 85 %. Bei zwei Eltern mit je zwei voll- und minderjährigen Kindern ergäben sich € 2.248,– statt € 2.500,– oder 90 % (allerdings greift der Höchstbetrag ein). Die Höhe der Verringerung bleibt bei diesen beiden Familien unter 15 %.

Die BMS wird durch die Wartezeit von einer Sicherung aller Bedürftigen, die ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, teilweise – in Bezug auf die Differenz – zu einer Leistung, die über diesen Aufenthalt hinaus eine intensivere Verbindung zu Österreich voraussetzt. Dazu ist primär fraglich, ob das Anknüpfen an einen längeren Aufenthalt mit der Verfassung vereinbar ist. In Bezug auf StaatsbürgerInnen bedeutet die Wartezeit ein Abgehen von den seit langem mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Positionen. Wohl seit dem Heimatrechtsgesetz von 1863 bestand ein gewisses „Anrecht“ auf öffentliche Fürsorge, anfangs nur gegenüber jener Gemeinde, in der man das Heimatrecht hatte. Für die Vereinbarkeit mit der Verfassung spricht prima facie, dass die Republik den ständig hier Lebenden zu existenzsichernden Leistungen nicht verpflichtet ist. Pfeil hält die Wartezeit für die Zusatzleistung jedoch aus Gleichheitsgründen für verfassungsrechtlich unzulässig.* Der bloße längere Aufenthalt im Land rechtfertige schon bei StaatsbürgerInnen nicht die Besserbehandlung bei einer Leistung, die auf Bedarf und Bedürftigkeit abstelle. Das Abstellen auf die Aufenthaltsdauer könne auch nicht mit Beiträgen zur Finanzierung des Staates gedeutet werden, schon442weil unklar sei, welche Steuern dabei berücksichtigt würden. Gegen die Kritik kann eingewendet werden, dass der Zugang zu Sozialleistungen im Allgemeinen und jener zur Sozialhilfe im Besonderen in der Regel eine gewisse Verbundenheit mit der Gemeinschaft, die zahlen soll, voraussetzt (die auch in der Zulassung zum Land bestehen kann). Darauf baut gerade die BMS auf, die ja nur den Aufenthalt erfordert (andernfalls wäre sie allen Bedürftigen in der Welt zu bezahlen, die sie beantragen). Früher wurde diese Verbundenheit durch die Staatsbürgerschaft oder die bewusste Zulassung zum Territorium im Einzelfall begründet. Die Schranke der Zulassung ist aber nicht nur in Randfällen weggefallen. Daher liegt es nahe, für die Verbundenheit auf anderes abzustellen. Wenn der Aufenthalt ein sachlicher Grund ist, die Leistung zu gewähren, dann kann das Abstellen auf längeren Aufenthalt nicht per se unsachlich sein. Fraglich ist dann, ob die Länge der Wartefrist und das Ausmaß der Reduktion sachlich sind. Die Fünf-Jahresfrist wird vom Unionsrecht bei UnionsbürgerInnen und Drittstaatsangehörigen für den vollen Zugang zu social assistance verwendet, was für die Sachlichkeit spricht. In Bezug auf die Ausgestaltung sei hier nur gesagt: Die prozentuell geringere Reduktion bei Vorhandensein von Kindern kann wohl dadurch gerechtfertigt werden, dass die Kinder nicht selbst über den Aufenthalt entscheiden (können).

Zusätzlich ist die Vereinbarkeit mit Unionsrecht fraglich. Die endgültige Richtung der Judikatur des EuGH zur Pflicht, in der EU migrierenden UnionsbürgerInnen social assistance zu leisten, ist nicht ganz klar. Es spricht aber mehr dafür, dass eine allgemeine aufenthaltsbezogene Wartezeit (nur) bei Nichterwerbstätigen an sich zulässig ist, selbst wenn sie für StaatsbürgerInnen nicht gilt. Allerdings ist zu bedenken, dass die Zulässigkeit der fünfjährigen Wartezeit vor dem Hintergrund bejaht wird, dass UnionsbürgerInnen in ihrem Heimatland stets volle social assistance erlangen können. Die hier erörterte Wartezeit beseitigt diese Rückfallposition bei aus Österreich in der EU Migrierenden, und beeinträchtigt daher die Freizügigkeit. § 10 Abs 4 NÖ MSG versucht darauf Bedacht zu nehmen und sieht für manche Ausnahmen von der Reduktion der BMS vor. Allerdings ist zweifelhaft, ob dies die Beeinträchtigung ausreichend behebt.*

Überdies ist eine Mindestsicherung „light“ keine in der EU verallgemeinerbare Regelung. Würden alle Mitgliedstaaten sie verwirklichen, so würden UnionsmigrantInnen in keinem Mitgliedstaat volle social assistance erlangen können, wenn sie in den letzten Jahren migriert sind. Dieser Effekt könnte vermieden werden, wenn (was kaum wahrscheinlich ist) alle Mitgliedstaaten eine Regelung hätten, die für die volle social assistance darauf abstellt, in welchem Mitgliedstaat der größere Teil einer fünfjährigen Wartezeit verbracht wurde. Fraglich ist, ob ein einzelner Mitgliedstaat, der eine fünfjährige Wartezeit für die volle Leistung einführt, den Effekt nur durch eine eigene Regelung vermeiden kann.

In Bezug auf Drittstaatsangehörige im Allgemeinen ist die fünfjährige Wartezeit wohl mit dem Verfassungsrecht wie mit dem Unionsrecht vereinbar. Zu prüfen bleibt die Lage bei Schutzberechtigten. Art 29 Status-RL 2011/95/EU schreibt zu Asylberechtigten die Gleichstellung mit StaatsbürgerInnen bei social assistance vor, bei subsidiär Schutzberechtigten verlangt er die Gleichstellung (nur) bei Kernleistungen.* Aufgrund der Geltung der Wartezeit auch für StaatsbürgerInnen liegt keine unmittelbare Benachteiligung vor. Die aufenthaltsbezogene Wartezeit wirkt sich allerdings bei Schutzberechtigten deutlich häufiger aus als bei StaatsbürgerInnen. Für die Rechtfertigung der mittelbaren Benachteiligung könnte allenfalls angeführt werden, dass die volle Leistung eine ausreichende Verbundenheit mit der leistenden Gemeinschaft erfordert, was allenfalls dann überzeugt, wenn die Wartezeit auch für UnionsmigrantInnen eingreifen darf. Bei subsidiär Schutzberechtigten könnte überdies gesagt werden, dass nur die reduzierte Leistung die „Kernleistung“ sei.

Man sieht auch hier, dass das Unionsrecht so manche nationalen Regelungen zur Sozialpolitik erschwert bis verbietet, obwohl die Sozialpolitik und insb die social assistance nach der Kompetenzverteilung Sache der Mitgliedstaaten ist. Man kann diese Einschränkungen je nach Standpunkt zu Sozialpolitik und Integration begrüßen oder beklagen, allerdings sollte die Haltung zur konkreten Frage mit den Grundlinien zu Union und Integration kompatibel sein, was nicht stets der Fall ist.

Zu Art 13 Abs 1 ESC hat das Expertenkomitee Bedenken gegen eine Wartefrist.* Manchmal hat es aber nur eine „exzessive“ Länge der Wartezeit beanstandet (und dies bei fünf Jahren bejaht).* Allerdings ging es stets um die volle Leistung, während die Wartezeit hier nur einen Teil betrifft. Davon abgesehen überzeugt die Auffassung nicht. Art 13 ESC wurde vor dem Hintergrund vereinbart, dass Vertragsstaaten den Zugang zum Territorium regulieren können; fehlt es daran, so verändert dies die Rahmenbedingungen. Wenn selbst das Unionsrecht nicht den sofortigen Zugang verlangt, dann kann dieser nicht schlüssig aus einem Vertrag folgen, dessen Vertragsstaaten weit loser verbunden sind als jene der EU.

4.3.
Obliegenheit zu gemeinnütziger Arbeit

Eine Obliegenheit zu gemeinnütziger Arbeit ist – wohl erstmals – in § 7a Abs 2 NÖ MSG idF LGBl 2016/103 vorgesehen worden. Die Obliegenheit ist befristet und besteht nur, wenn keine Erwerbstätigkeit angeboten werden kann. Eine gesonderte Bezahlung der Arbeit ist nicht vorgesehen. Man kann aber die BMS in einen Stundenlohn umrechnen. Geht man vom Mindeststandard für Alleinstehende iHv € 889,– und monatlich 173 Arbeitsstunden aus, so entspricht dies einem Stundenlohn von € 5,14 oder – wenn man zwei Sonderzahlungen bedenkt –443von € 4,29. Bei einem Paar beträgt der Wert € 3,66 bzw € 3,06. Erstreckt sich die Arbeitsobliegenheit jedoch nur auf die Hälfte der üblichen Arbeitszeit,* so erhöht sich der rechnerische Stundenlohn auf € 8,50 bzw € 6,10. Fraglich ist, ob die Obliegenheit zulässig ist. Im Ansatz stellen sich ähnliche Fragen wie bei der Obliegenheit zu Erwerbsarbeit mit dem Unterschied, dass die Arbeit hier nicht sozialversichert ist.* Geht man davon aus, dass die Verfassung kein Gebot zur Unterstützung bei Bedürftigkeit enthält, so bleibt als Kontrollmaßstab der Gleichheitssatz. Für die Obliegenheit lässt sich, falls die Arbeit sinnvoll ist,* Folgendes anführen: Auch gemeinnützige Arbeit hält den Kontakt mit regelmäßiger Arbeit und der bei uns üblichen Tagesstruktur aufrecht oder stellt diesen her;* sie erschwert ungemeldete Arbeit und sie kann zur Aufnahme von Erwerbsarbeit zusätzlich motivieren. Dem steht die Frage gegenüber, ob eine Arbeit zur erwähnten rechnerischen Entlohnung zugemutet werden soll sowie die Gefahr einer Verdrängung regulärer Arbeit. Letzteres ist für die Beurteilung der Zumutbarkeit jedoch nicht relevant. Bei der Obliegenheit handelt sich nicht um eine von Art 4 EMRK und Art 5 Abs 2 GRC verbotene Zwangsarbeit. „Zwangsarbeit“ stellt primär auf eine unbedingte Pflicht ab, die zB bei der Erwerbsobliegenheit für Arbeitslosengeld nicht vorliegt.* Dies wird in Bezug auf die Obliegenheit auch zur gemeinnützigen Arbeit gelten, weil es hier nur um die Arbeitspflicht geht. Die fragliche Obliegenheit dürfte aufgrund des Gesagten mit der genuin österreichischen Verfassung vereinbar sein, weil diese kein unbedingtes Recht auf Existenzsicherung enthält. Das Expertenkomitee zur ESC hat noch nicht erkennen lassen, dass es unbezahlte „community work“ als Verletzung von Art 13 ESC ansieht.*

4.4.
Schlechterstellung von Schutzberechtigten

Bei Schutzberechtigten ist zwischen Konventionsflüchtlingen (Asylberechtigte ieS) und subsidiär Schutzberechtigten zu unterscheiden. Für Asylberechtigte sieht Art 29 Status-RL die Gleichbehandlung bei der „notwendigen Sozialhilfe“ vor, bei subsidiär Schutzberechtigten die Gleichbehandlung nur bei deren „Kernleistungen“. Kernleistungen ist eher leistungsartbezogen als umfangmäßig zu verstehen,* sodass auf die Art der Leistung zu blicken ist. Bei nicht aufgespaltener BMS für Lebens- und Wohnbedarf haben dann auch subsidiär Schutzberechtigte Anspruch auf die gesamte BMS. Manche Bundesländer sehen allerdings (teilweise schon länger) vor, dass subsidiär Schutzberechtigte (auch nach einer Übergangsfrist) nur Leistungen der Grundversorgung wie Asylwerber erhalten.* Nach dem eben Gesagten dürfte dies der Status-RL widersprechen. Mit dem Gleichheitssatz der Verfassung ist eine unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen von Schutzberechtigten hingegen, aber auch nur vereinbar, wenn man an Völker- und Unionsrecht anknüpft.

Spezifische Sonderbestimmungen, die auch Asylberechtigte einbeziehen, gibt es so weit zu sehen nur in Oberösterreich. Dort wurde im Frühjahr 2016 beschlossen, dass Schutzberechtigte eine Basisleistung erhalten sowie einen Steigerungsbetrag dann, wenn sie eine Integrationserklärung abgeben und einhalten.* Die Neuregelung gilt nur für Personen mit befristetem Aufenthaltsrecht (was nun bei allen neu Asylberechtigten zutrifft) und nur für jene, denen das Schutzrecht nach Inkrafttreten des Gesetzes zuerkannt wird. Die Basisleistung kann in organisierten Quartieren oder außerhalb erbracht werden. Bei organisiertem Quartier beträgt die Geldleistung täglich € 6,–.* Bei nicht-organisiertem Quartier betragen die monatlichen Geldleistungen zB für alleinstehende Erwachsene € 365,–, für ein Ehepaar mit zwei Kindern € 930,–, und für die oben genannte sechsköpfige Familie € 1.360,–, also deutlich weniger als die BMS. Dazu kann aber der Steigerungsbetrag von € 155,– je Erwachsenen kommen, was im letzten Fall die Leistung auf € 1.980,– erhöhte, bei Alleinstehenden auf € 520,–. Die Schlechterstellung von Asylberechtigten im Vergleich zu StaatsbürgerInnen widerspricht prima facie Art 29 Status-RL, und zwar auch bei nur befristet Aufenthaltsberechtigten.* Zur Rechtfertigung wird in den Materialien gesagt, dass in der EU ein ungleichgewichtiger Massenzustrom vorliege, der es rechtfertige, die Attraktivität als Zielland durch eine Senkung der Leistung für Neuankommende zu senken.* Dies lehnt sich an eine Überlegung an, die im Gutachten für die Bundesregierung angestellt wurde: Das Unionsrecht könne nicht von manchen Mitgliedstaaten die genaue Einhaltung der unionalen Vorgaben verlangen, wenn sich die Mehrzahl um diese Vorgaben – hier die solidarische Verteilung von Flüchtlingen in der Union (vgl Art 80 AEUV)* – nicht kümmert und die bislang444rechtstreuen Länder dadurch im Vergleich zu den anderen erheblich belastet werden.* Dann sei hier eine Reduktion der Leistungen zulässig, um weiteren Zustrom abzuhalten. Ein Massenzustrom liegt derzeit seit einiger Zeit jedoch nicht vor; allerdings ist die Aufteilung auf die Mitgliedstaaten nach wie vor grob ungleichgewichtig. Dies reicht aber auch nach der erwähnten These für eine Freistellung von den unionalen Vorgaben nicht aus. Art 29 Statuts-RL gebietet dann die Gleichbehandlung mit StaatsbürgerInnen. Dies gilt jedenfalls für Asylberechtigte, aber auch bei subsidiär Schutzberechtigten, weil Oberösterreich die BMS nur für Schutzberechtigte aufspaltet, sodass die Basisleistung nicht als „Kernleistung“ qualifiziert werden kann.*

Sieht man davon ab, so liegt das Problem der Regelung in der Frage, ob die insgesamt mögliche Leistung, und damit die Basisleistung, ausreichend ist. Das LandesG sieht einen Grund für die Schlechterstellung wohl im befristeten Aufenthaltsrecht. Der physische Existenzbedarf wird bei Schutzberechtigten aber schwerlich geringer sein. Unterschiede könnten sich daher allenfalls beim sozio-kulturellen Existenzminimum ergeben, weil bei befristetem Aufenthalt nicht für eine langfristige Integration vorzusorgen sei. Ich halte diesen Ansatz nicht für überzeugend. Falls man ihn teilte, ist fraglich, welcher Abschlag zulässig wäre. Bei Alleinstehenden beträgt die Differenz etwa € 300,– und damit mehr als ein Drittel; der Anteil des sozio-kulturellen Existenzminimums an der BMS liegt sicher nicht so hoch.

5.
Schlussbetrachtung

Die drei zentralen bedürftigkeitsabhängigen Leistungen, insb die Mindestsicherung, sind nicht nur das letzte soziale Auffangnetz, sie sind theoretisch wie praktisch Fluchtpunkt und Prüfstein des Sozialstaates, weil es hier nur um Umverteilung geht. Unterschiedliche gesellschaftspolitische Vorstellungen können hier massiv aufeinandertreffen, sobald die Leistungen ins Blickfeld treten. Dies war länger weder in der Öffentlichkeit noch in der Wissenschaft der Fall. Gründe dafür waren wohl die eher geringe Zahl an BezieherInnen, die früher geringere Höhe der Leistungen und vielleicht auch die früher stärker mögliche „soziale Kontrolle“. Erst der deutliche Anstieg der Zahl der BezieherInnen hat die BMS, insb ab 2015, ins Zentrum der politischen Diskussion rücken lassen. Zuerst wurde eine Reduktion der Leistungen für Schutzsuchende gefordert, insb weil diese keine Vorleistungen an den österreichischen Sozialstaat erbracht haben. In der Folge verlagerte sich die Diskussion auf die Ausgestaltung der BMS. Der aktuelle Aufwand für die BMS kann das gesteigerte Interesse nicht erklären, insb wenn man ihn zum Aufwand für die HETA in Beziehung setzt. Auch die wenigen Fälle von großen Haushaltsgemeinschaften können die Aufmerksamkeit sachlich nicht voll erklären. Im Hintergrund gab es bei manchen wohl schon länger den Wunsch nach Einschränkung. Die Verbindung der Diskussionen über die allgemeine Ausgestaltung der BMS mit dem Zustrom von Migranten und Flüchtlingen ist, wie Pfeil angemerkt hat, nicht hilfreich, mE aus keiner der möglichen Perspektiven. Die Änderungen in manchen Bundesländern lenken den Blick aber auf zentrale Fragen der BMS. Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es, diese aus rechtlicher Perspektive kritisch zu begleiten; die sozialpolitische Bewertung ist davon zu trennen.

Mit den Rechtsproblemen zur HETA, insb inwieweit der Staat den AnleihegläubigerInnen für den Ausfall haftet, haben jene zur BMS aber eines gemeinsam: Auch in diesen beiden Bereichen ist die Rechtsordnung sehr kompliziert und fast undurchschaubar geworden. Dank einer Fülle an Kontrollmaßstäben und Vorgaben, insb aus überstaatlichem Recht, kann ein Gericht fast alles als Inhalt des geltenden Rechts ausgeben und in der Folge die demokratisch legitimierte Politik sich kaum mehr bewegen – vielleicht einmal zum Vorteil der Besitzenden, das andere Mal zu jenem der Bedürftigen. Es ist zweifelhaft, ob diese Überfrachtung mit Normen für eine demokratische Gesellschaft auf Dauer von Vorteil ist.

Die Mindestsicherung muss in einem Sozialstaat weiterhin jene Leistung sein, welche die Existenz für Bedürftige absichert. Dies darf aber nicht jede Diskussion über die Ausgestaltung abschneiden. Blickt man allein auf die Ausgestaltung der Leistungen für schon länger Ansässige, so fallen die unterschiedlichen Anforderungen an die Bedürftigkeit auf. Bei der Ausgleichszulage lassen sich diese rechtfertigen, weniger bei der Notstandshilfe. Die Obliegenheit zu Erwerb oder Schulung spiegelt die verbreitete Auffassung, dass der Staat jedenfalls bei der Sozialhilfe nichts „schenken“ solle. Viele sehen dies hier deutlich kritischer als bei anderen Leistungen (die sie selbst erhalten). Bei den Leistungen fällt vor allem die starke Pauschalierung bei einer Leistung auf, von der man sagt, sie stelle auf den individuellen Bedarf ab. Dies ist aber selbst nach den strengen Maßstäben des BVerfG zulässig und praktisch wohl unvermeidbar. Die Bestimmung des Ausgangswertes für die Höhe erfolgt kaum anhand von offengelegten Kriterien, allerdings ist fraglich, ob eine Orientierung an Statistiken, die eher als artifizielle Konstrukte erscheinen, viel mehr Rationalität bringt. Die allgemeinen österreichischen Mindeststandards liegen jedenfalls nicht unter jenen vergleichbarer Länder. In manchen Bundesländern wurden die allgemeinen Standards jüngst allerdings verändert. Die Obliegenheit zu gemeinnütziger Arbeit ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die allgemeine Wartezeit für die volle BMS dürfte mit der Verfassung vereinbar sein, fraglich ist die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht. In einem System, das – naheliegenderweise – den Bedarf je Person bemisst, ist es aber nicht kohärent, wenn in größeren Haushalten zusätzliche Personen bei der Berechnung oder im Ergebnis überhaupt nicht berücksichtigt werden. Die „Deckelung“ durch einen starren Höchstbetrag ist daher verfassungsrechtlich unzulässig. Dasselbe gilt aus unionsrechtlichen Gründen zur Schlechterstellung von Asylberechtigten und wohl auch von subsidiär Schutzberechtigten.445