Ausbildungsübertritt und Bestandschutz – Widerspruch oder notwendige Ergänzung?

THOMASMATHY/BARBARATROST (WIEN)
Der Gesetzgeber hat mit § 15a BAG einen zusätzlichen Beendigungstatbestand für Lehrverhältnisse geschaffen. Erstmals wurde damit dem Lehrberechtigten die Möglichkeit eröffnet, außerhalb der Probezeit das Lehrverhältnis ohne wichtigen Grund iSd § 15 Abs 3 BAG einseitig zu beenden. Ziel dieses Beitrages ist es, die vorherrschende Qualifikation dieses Beendigungstatbestands als „Auflösungsart sui generis“ auf ihre rechtsdogmatische Fundierung hin zu überprüfen und in weiterer Folge zu untersuchen, welche Auswirkungen sich aus der rechtsdogmatischen Analyse dieser Beendigungsart auf den anzuwendenden Bestandschutz ergeben.
  1. Einleitung und Problemstellung

  2. Die Einordnung der Beendigung nach § 15a BAG in das System der Auflösung von Arbeitsverhältnissen

    1. Das Lehrverhältnis als befristetes Arbeitsverhältnis und der Beendigungsschutz bis 2008

    2. Durchbrechung des besonderen Bestandschutzes für Lehrlinge: Der sogenannte „Ausbildungsübertritt“

    3. Die „außerordentliche Auflösung durch den Lehrberechtigten“ im System des Beendigungsrechts

      1. Die Beendigung durch den Lehrberechtigten als Kündigung?

      2. Einschränkung der Voraussetzungen bzw Rechtsfolgen der Kündigung gem § 15a BAG?

        1. Einfügung des besonderen Kündigungsschutzes nach BEinstG

        2. Reichweite des besonderen Kündigungsschutzes für Belegschaftsvertreter

        3. Anwendbarkeit des individuellen Kündigungsschutzes gem GlBG und BEinstG

        4. Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes

  3. Conclusio

1.
Einleitung und Problemstellung

Der erst mit BGBl I 2008/82 in das BAG eingefügte § 15a normiert jene Art der Beendigung von Lehrverhältnissen, die als Ausbildungsübertritt bezeichnet wird. Umstritten waren von Anfang an sowohl der Zweck als auch die Ausgestaltung der neuen Beendigungsform. Einerseits Teil eines umfassenden Gesamtpaketes vor beschäftigungspolitischem Hintergrund, andererseits Folge des massiven Drängens der AG-Seite auf Lockerung des besonderen Bestandschutzes für Lehrverhältnisse, war die Regelung des § 15a BAG bald nach ihrer Entstehung Gegenstand von stark wertenden Diskussionen in Lehre und Praxis. Während von der einen Seite der Aspekt der Flexibilität gepriesen wurde,* kam man aus anderem Blickwinkel zum Schluss, die Überschrift „Ausbildungsübertritt“ würde verschleiern, dass es hier nur um eine Lockerung des Kündigungsschutzes ginge.* Losgelöst von der Betrachtung dieser Auflösungsmöglichkeit unter dem Blickwinkel der „flexicurity“ wurde durch die Verknüpfung von außerordentlicher Auflösung des Lehrverhältnisses einerseits und der – letztlich durch die öffentliche Hand bereitgestellten – Ausbildungsgarantie andererseits ein Teil des unternehmerischen Risikos – konkret jenes der Personalauswahl und der Personalführung – auf die Allgemeinheit verlagert.446

Dies erscheint gerade deshalb als problematisch, weil diese Lockerung des Bestandschutzes in der Hoffnung erfolgt ist, dass dadurch neue Lehrstellen geschaffen würden.* Dabei ist ein Zusammenhang zwischen der Intensität des Bestandschutzes und dem Einstellungsverhalten aber nicht nur wissenschaftlich nicht nachweisbar,* sondern widerspricht auch den praktischen Erfahrungen, die mit der Lockerung des Bestandschutzes im Rahmen des BEinstG gemacht wurden.* Es überrascht daher nicht, dass trotz Einführung des Ausbildungsübertritts die Zahl der Lehrbetriebe sowie jene der Lehrlinge seit 2008 kontinuierlich gesunken ist.*

Dogmatische Auseinandersetzungen rund um die Einordnung der neuen Beendigungsregelung sind neben den sozialpolitischen Diskussionen bislang zu kurz gekommen. Dies gilt insb für die Fragen, wie die Beendigung von Lehrverhältnissen gem § 15a BAG überhaupt rechtlich einzuordnen ist und welche Konsequenzen sich hieraus hinsichtlich eines allfällig anzuwendenden Bestandschutzes ergeben. Diesen Fragen soll diese Untersuchung nachgehen.

2.
Die Einordnung der Beendigung nach § 15a BAG in das System der Auflösung von Arbeitsverhältnissen
2.1.
Das Lehrverhältnis als befristetes Arbeitsverhältnis und der Beendigungsschutz bis 2008

Das Lehrverhältnis ist seiner Natur nach ein befristetes Arbeitsverhältnis (§ 13 BAG). Zunächst losgelöst vom Bestehen eines Sonderschutzes betrachtet, ist für befristete Arbeitsverhältnisse typisch, dass sie nicht gekündigt werden dürfen. Abweichend von diesem Grundsatz ist die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit aber unter gewissen Voraussetzungen zulässig.* Zudem stellt sich auch für jene Fälle, in welchen eine Kündigung nicht ausgesprochen werden „darf“, die Frage, welche Konsequenzen sich an eine allenfalls dennoch rechtswidrig ausgesprochene Kündigung knüpfen. Sofern nicht ein besonderes Kündigungsverbot vereinbart wurde, gehen Rsp und hL für diese Fälle allgemein von der Wirksamkeit der Beendigungserklärung und entsprechenden Schadenersatzansprüchen aus.*

Für Lehrverhältnisse, die aufgrund ihrer speziellen Zwecksetzung – nämlich über einen ganz bestimmten Zeitraum hin eine persönliche Bindung zwischen Ausbildner und Lehrling sicherzustellen, damit der Abschluss einer Lehrausbildung gewährleistet werden kann* –, haben die oben dargestellten allgemeinen Beschränkungen der Beendigung von befristeten Arbeitsverhältnissen nie hingereicht. Es hat daher der Gesetzgeber mit dem BAG 1969 einen besonderen Bestandschutz, speziell für Lehrlinge, geschaffen, durch welchen die Wirksamkeit einer Kündigung seitens des AG während der Dauer des Bestandschutzes grundlegend ausgeschlossen werden sollte.* Der Stellenwert, welchen das BAG 1969 der Kontinuität der Ausbildung zugemessen hat, erschließt sich erst dann zur Gänze, wenn man bedenkt, dass die in § 102 Abs 4 GewO 1859 idF GewO-Nov 1935 enthaltene – restriktiv gehandhabte – Kündigungsmöglichkeit des Lehrherrn nach Maßgabe zwingender wirtschaftlicher Umstände* nicht übernommen worden ist. Ein vorzeitiges Lösungsrecht für den Fall des Vorliegens eines wichtigen Grundes, welcher die weitere Zusammenarbeit unzumutbar erscheinen lässt, ist jedem Dauerschuldverhältnis immanent. Diese Gründe – ihrem Wesen nach Entlassungsgründe – sind daher auch im BAG als Auflösungsgründe verankert (§ 15 Abs 3 BAG). Die rechtswidrige, weil ohne einen solchen Grund ausgesprochene, Beendigung ist prinzipiell rechtsunwirksam. Lehre und Rsp anerkennen aber ein Wahlrecht des Lehrlings zwischen Beharren auf der Fortsetzung einerseits und Schadenersatz andererseits.*

Vorzeitige Auflösungsgründe sind auch für den Lehrling normiert uzw in § 15 Abs 4 BAG. Diese entsprechen in weitem Umfang Austrittsgründen. Enthalten ist in der Aufzählung aber auch (mindestens) ein Tatbestand, der es dem Lehrling (anders als dem Lehrberechtigten) ermöglicht, ohne Vorliegen eines die Unzumutbarkeit bewirkenden Grundes, allein aufgrund der eigenen Willensentscheidung das Lehrverhältnis aufzulösen, nämlich wenn er sich entschließt, seinen Lehrberuf aufzugeben (§ 15 Abs 4 lit g BAG).*

Zusammenfassend stellt sich daher der Bestandschutz nach dem BAG ursprünglich wie folgt dar:

  • Der Lehrling kann bei Vorliegen von gewissen Austrittsgründen vorzeitig auflösen oder aber ohne Vorliegen eines die Unzumutbarkeit bewirkenden Grundes wegen Aufgabe des Lehrberufes seinen Austritt erklären.447

  • Der Lehrberechtigte kann eine einseitige Auflösung nur erklären, wenn einer der in § 15 Abs 3 BAG aufgezählten Beendigungsgründe vorliegt. Bei Missachtung, also Auflösung ohne Vorliegen eines solchen Grundes, ist die Auflösung rechtsunwirksam, wobei der Lehrling wahlweise Schadenersatz in Anspruch nehmen kann.

2.2.
Durchbrechung des besonderen Bestandschutzes für Lehrlinge: Der sogenannte „Ausbildungsübertritt“

Obwohl § 15a BAG mit der Überschrift „Ausbildungsübertritt“ versehen worden ist, wird dieser Begriff lediglich in einem Halbsatz (§ 15a Abs 7 BAG) erwähnt, wo er über den Zweck der Verpflichtung des Lehrberechtigten zur Mitteilung der Auflösungserklärung an die Lehrlingsstelle („um einen reibungslosen Ausbildungsübertritt zu gewährleisten“) Auskunft gibt. Der Begriff Ausbildungsübertritt meint, dass für den (jugendlichen) Lehrling eine neue Lehrstelle gesucht wird, auf der er die Lehre fortsetzen kann. Detaillierte Regelungen hierzu finden sich in den §§ 38d ff AMSG. Denkbar ist aber wohl auch, dass infolge einer Auflösung gem § 15a BAG die Lehre abgebrochen und auch keine neue Lehre begonnen wird. Im Übrigen regelt § 15a BAG lediglich die Beendigung des Lehrverhältnisses. Mit Recht wird daher von manchen auf die unpassende Überschrift der Regelung hingewiesen.*

Sowohl Lehrling als auch Lehrberechtigter können das Lehrverhältnis innerhalb einer bestimmten, in § 15a BAG eng umgrenzten Zeit beenden. Nur für die Auflösung durch den Lehrberechtigten muss außerdem als weitere Voraussetzung des § 15a BAG das in den Abs 3 bis 6 im Detail beschriebene Mediationsverfahren vorgeschaltet werden. Dass auch der Lehrling von sich aus ein Mediationsverfahren verlangen könnte, geht aus dem Gesetz nicht hervor. De facto bringt daher für den auflösungswilligen Lehrling § 15a BAG keine Neuerungen im Vergleich zur Rechtslage vor 2008. Da nämlich der Auflösungsgrund des § 15 Abs 4 lit g BAG schon immer praktisch keines Nachweises bedurfte und allein der Wille des Lehrlings, die Ausbildung nicht mehr fortsetzen zu wollen, ausschlaggebend war, stellt eine Auflösung gem § 15a Abs 1 BAG schon wegen der restriktiv geregelten Fristen im Vergleich zu der jederzeit möglichen Auflösung gem § 15 Abs 4 lit g BAG eine Beschränkung dar, wodurch für den Lehrling in aller Regel eine Auflösung gem § 15 Abs 4 lit g BAG die zu bevorzugende Variante sein wird. Reduziert man also § 15a BAG auf jene Inhalte, welche einen selbstständigen Zweck verfolgen, so bleibt einzig die unter Einhaltung von Frist und Termin und nach vorheriger Abwicklung (bzw mindestens Einleitung) eines Mediationsverfahrens auszusprechende einseitige Beendigung durch den AG.*

2.3.
Die „außerordentliche Auflösung durch den Lehrberechtigten“ im System des Beendigungsrechts

Einleitend sollen die terminologischen Versuche rund um die arbeitgeberseitige Auflösung von Lehrverhältnissen im Rahmen des § 15a BAG betrachtet werden. Dabei ist zu beachten, dass ungeachtet der Begriffe, die der Gesetzgeber zur Beschreibung von Rechtsgeschäften verwendet, aus dem Umstand, dass die Rechtsordnung als ein in sich geschlossenes Ganzes betrachtet werden muss, folgt, dass die Auslegung der einzelnen Rechtssätze so durchzuführen ist, dass Wertungswidersprüche möglichst hintangehalten werden.*

Der Gesetzgeber verwendet an mehreren Stellen die Bezeichnung „außerordentliche Auflösung“, so insb in Abs 1, 3, 7 und 8 des § 15a BAG. Im Kontext mit der Mitteilungspflicht gem § 15a Abs 7 mutet die Formulierung sonderbar an: Zunächst ist davon die Rede, dass der AG die Mitteilung „Im Falle der Auflösung“ zu tätigen hat; was er mitzuteilen hat, ist demgegenüber die „außerordentliche Auflösung“. Zweifellos ist der Zweck der Mitteilungspflicht nur erfüllt, wenn jede Auflösung gem § 15a BAG mitgeteilt wird, also insb auch dann, wenn der Lehrling erklärt, „nicht weiter auf der Fortsetzung des Lehrverhältnisses zu bestehen“.* Auf die Frage, welchen Charakter nun diese Erklärung rechtsgeschäftlich hat, soll hier nicht weiter eingegangen werden.* Aus der Zusammenschau von Abs 6 und 7 lässt sich aber schließen, dass der Gesetzgeber offenbar jede Art der Auflösung gem § 15a BAG als „außerordentliche Auflösung“ bezeichnen wollte. Dem entspricht auch Abs 8, wonach für die Anwendung des Sonderschutzes ausdrücklich auf die „außerordentliche Auflösung durch den Lehrberechtigten“ Bezug genommen wird, was wiederum darauf schließen lässt, dass der Gesetzgeber ohne nähere Spezifizierung eben auch alle anderen Varianten der Auflösung (wohl insb auch jene durch Aufhebungsvertrag) als „außerordentliche Auflösung“ bezeichnen wollte.

Der Begriff der „außerordentlichen Auflösung“ wird, soweit ersichtlich, ausschließlich in dieser Regelung und nirgends sonst im Arbeitsrecht verwendet. Wohl aber kennen Lehre und Rsp die Bezeichnung „außerordentliche Kündigung“, insb für Kündigungen während der Probezeit bzw iZm der Insolvenz des AG.* Der Begriff „außerordentlich“ wird dort deshalb vor den Begriff Kündigung gesetzt, weil es bei diesen Formen der Auflösung auf die im Übrigen für Kündigungen typische Einhaltung von Frist und Termin nicht bzw nur zum Teil ankommt.448

Warum der Gesetzgeber für die Auflösungen gem § 15a BAG – und hier wiederum im Besonderen für die arbeitgeberseitige Beendigung – die in der Rechtsordnung iwS schon vorhandene Bezeichnung „außerordentliche Kündigung“ nicht verwenden wollte und stattdessen den unspezifischen Begriff „außerordentliche Auflösung“ verwendet, scheint mit Blick auf die Materialien vordergründig klar zu werden: In den Erläuterungen zur RV* wird versucht, das in der neuen Bestimmung konzipierte Rechtsgeschäft rechtlich zu beurteilen, uzw in der Weise, dass dies „keine Kündigung“ sei. Die Erläuterungen schaffen darüber hinaus noch eine zusätzliche terminologische Verwirrung, indem dort von einer „Auflösungsart sui generis“ die Rede ist.

Faktum ist, dass also bereits die Genese der Norm von einem Verschwimmen rechtlicher Zuordnung und terminologischer Willkür gekennzeichnet ist. Gerade die Kreation des Rechtsgeschäfts „sui generis“ bietet den idealen Nährboden für nachfolgende Spekulationen und weitere terminologische und inhaltliche Experimente. Vor diesem Hintergrund ist die vom Gesetzgeber in § 15a BAG vorgesehene rechtsgeschäftliche Beendigung des Lehrverhältnisses durch den Lehrberechtigten im Folgenden einer genaueren Prüfung zu unterziehen.

Die Kerninhalte, die der Beurteilung zugrunde zu legen sind, enthält § 15a Abs 1 BAG. Danach handelt es sich um eine „einseitige“ Beendigungserklärung, die unter Einhaltung einer bestimmten „Frist“ zu einem bestimmten „Termin“ dem Vertragspartner gegenüber abzugeben ist. Vordergründig betrachtet sind damit die Bestimmungskriterien für ein einseitiges Gestaltungsrechtsgeschäft erfüllt, das als „Kündigung“ auf die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet ist.* Wäre dem so, dann würde dies bedeuten, dass sämtliche Voraussetzungen für eine Kündigung einzuhalten sind und sämtliche Rechtsfolgen einer Kündigung eintreten. Dies würde an sich bereits aus § 34 Abs 2 BAG folgen, der – zur Klarstellung – die Anwendbarkeit sämtlicher Vorschriften des Arbeitsrechtes anordnet, „soweit in diesem Bundesgesetz hinsichtlich des Lehrverhältnisses nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist“. Zu prüfen ist daher: (1) ob bzw allenfalls welche methodisch fundierte Einwände gegen eine Beurteilung dieses Rechtsgeschäfts als arbeitgeberseitige Kündigung sprechen; (2) ob bzw inwieweit der Gesetzgeber die Rechtsfolgen einer solchen Kündigung einschränkt.

2.3.1.
Die Beendigung durch den Lehrberechtigten als Kündigung?

Die hA* vermeint die Frage nach der Rechtsnatur der außerordentlichen Auflösung gem § 15a BAG bzw die daran anknüpfenden Rechtsfragen auf rein begriffsjuristischer Ebene lösen zu können, indem sie diese als Auflösung sui generis qualifiziert. Einzig Trost* begreift die außerordentliche Auflösung als Kündigung. Die Anhänger der hA stützen sich dabei insb auf die RV*, in der die außerordentliche Auflösung explizit als „Auflösungsart sui generis“ bezeichnet wird. Ob es sich bei der außerordentlichen Auflösung um eine Kündigung handelt, wird im BAG selbst letztlich offen gelassen. Zwar verwendet § 18 Abs 3 BAG im Zusammenhang mit dem im Anschluss an das Lehrverhältnis zur Erfüllung der Behaltefrist abzuschließenden Arbeitsverhältnis den Begriff der Kündigung. Allein der Umstand, dass § 15a BAG nicht explizit von der Kündigung des Lehrverhältnisses spricht, darf aber insb vor dem Hintergrund, dass das BAG auch für die Auflösung aus wichtigem Grund gem § 15 Abs 3 und 4 die Begriffe Entlassung und Austritt vermeidet und stattdessen bloß von vorzeitiger Auflösung des Lehrverhältnisses durch den Lehrberechtigten bzw den Lehrling spricht, nicht überbewertet werden. Daran zeigt sich nämlich, dass der Gesetzgeber des BAG keinen großen Wert auf rechtstechnisch präzise Ausdrucksformen legt. Damit verbleibt die Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien. Zur Klärung der Frage nach der Rechtsnatur der außerordentlichen Auflösung können nach allgemeinen methodischen Grundsätzen die Materialien nur „nach Maß ihrer inneren Überzeugungskraft“ herangezogen werden.*

Diesbezüglich ist zunächst anzumerken, dass die Materialien eine Begründung für die dort postulierte Qualifikation der außerordentlichen Auflösung als „Auflösungsart sui generis“ schuldig bleiben. Darüber hinaus muss den Materialien in diesem Punkt jedwede Überzeugungskraft abgesprochen werden: Einerseits bezeichnet die RV die Frist zwischen Abgabe der Auflösungserklärung und der tatsächlichen Auflösung (§ 15a Abs 1 BAG) ausdrücklich als Kündigungsfrist,* andererseits bezeichnet sie die Auflösung an anderer Stelle selbst als Kündigung.* Infolge der Widersprüchlichkeit der in den Materialien verwendeten Terminologie kann wohl von einer „klaren Absicht des Gesetzgebers“ – wie dies § 6 ABGB für die Auslegung fordert – nicht ernsthaft gesprochen449werden.* Sofern diese Widersprüchlichkeit der Materialien im Schrifttum überhaupt wahrgenommen wird, wird darüber hinweggegangen, ohne daraus Schlüsse für die Auslegung zu ziehen.*

Ein solches Vorgehen ist aus methodischer Sicht aber zumindest angreifbar: Zur Methodenehrlichkeit gehört es auch, sämtliche Argumente, die sich aus der Anwendung einer Methode für und wider eine bestimmte Auslegung ergeben, darzustellen und zu würdigen.* Die einseitige Vorgangsweise der hA erscheint vor dem Hintergrund, dass die Auffassung von der außerordentlichen Auflösung als Auflösung sui generis letztlich keinen eigenständigen Erklärungswert hat, umso unverständlicher. Welchen Sinn soll es haben, diese als Auflösung eigener Art zu definieren und im nächsten Atemzug die Grenzziehung zur Kündigung wieder zu verwischen, indem eingestanden wird, dass die Unterschiede „marginal“ seien* bzw dass diese Auflösung eine „gewisse Nähe zur Kündigung“ aufweise?*Strasser* ist uneingeschränkt darin zu folgen, das eine verfehlte, weil lediglich begriffsjuristisch konzipierte Fragestellung zwangsläufig zu einer begriffsjuristischen Scheinlösung führt. Die eigentliche Frage ist nämlich jene nach den aus der außerordentlichen Auflösung abzuleitenden Rechtsfolgen. Dh in der hier zu untersuchenden Konstellation: Welche Kündigungsschutzbestimmungen sind auf die außerordentliche Auflösung anzuwenden? Es besteht daher keine Veranlassung, die arbeitsrechtliche Systembildung durch Einführung einer Kategorie „Auflösungsart sui generis“ zu erschweren, wenn es letztlich doch bloß um die richtige Auslegung des § 15a Abs 8 BAG geht.

2.3.2.
Einschränkung der Voraussetzungen bzw Rechtsfolgen der Kündigung gem § 15a BAG?

Damit stellt sich die Frage, inwieweit die unterbliebene Nennung einzelner Kündigungsschutzbestimmungen in § 15a Abs 8 BAG deren Unanwendbarkeit zur Folge hat. Gerade vor dem Hintergrund des taxativen Charakters, den die hL* unter Berufung auf die Materialien* dieser Aufzählung beimisst, gewinnt die Frage noch zusätzlich an Brisanz. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Umstand, dass es sich um eine taxative Aufzählung handelt, die Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit nicht ausschließt.* Tatsächlich offenbart die Auseinandersetzung mit § 15a Abs 8 BAG in mehrfacher Hinsicht die Lückenhaftigkeit dieser Aufzählung.

2.3.2.1.
Einfügung des besonderen Kündigungsschutzes nach BEinstG

Das Fehlen eines Hinweises auf die Bestimmungen des besonderen Kündigungsschutzes nach BEinstG in der Stammfassung des § 15a Abs 8 BAG wurde von der hL unter Berufung auf den taxativen Charakter der Aufzählung so gedeutet, dass diese nicht anwendbar sein sollten.* Dieser Auffassung ist der Gesetzgeber durch die mit BGBl I 2010/40 erfolgte Novellierung des § 15a Abs 8 BAG entgegengetreten. Die Materialien* zur Novelle führen nämlich aus, dass die Aufnahme des besonderen Bestandschutzes nach BEinstG lediglich infolge eines redaktionellen Versehens unterblieben sei und dessen Aufnahme nunmehr nachgeholt werden solle. Zwar können nach allgemeinen methodischen Grundsätzen den Materialien jüngerer Gesetze keine Hinweise zur Deutung älterer Gesetze entnommen werden.* Die Richtigkeit der in den Materialien zur Novelle wiedergegebenen Auffassung hinsichtlich des Bestehens einer Lücke im Regelungskonzept des § 15a Abs 8 BAG ergibt sich jedoch bereits aus den Materialien zur Stammfassung. Dort wird die Aufnahme der Bestimmungen des besonderen Kündigungsschutzes für Belegschaftsvertreter sowie jener nach MSchG, VKG und APSG damit begründet, dass „andernfalls der Kündigungsschutz durch ein Mediationsverfahren ohne Einigung umgangen werden könnte.* Diese Erwägung trifft aber jedenfalls auch für den besonderen Kündigungsschutz nach BEinstG zu, sodass diesbezüglich von einer teleologischen Lücke* auszugehen war. Die ratio legis forderte daher iVm dem Gleichheitssatz bereits während der Geltung der Stammfassung des § 15a Abs 8 BAG die Anwendung des besonderen Kündigungsschutzes gem § 8 BEinstG.

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die Bestimmung des § 15a Abs 8 BAG idF BGBl I 2008/82 im Hinblick auf die in den Materialien zur Stammfassung wiedergegebene Zwecksetzung eine teleologische Lücke aufweist, die (zumindest) im Hinblick auf § 8 BEinstG durch BGBl I 2010/40 geschlossen wurde. Da diese Novelle ausschließlich die Beseitigung der Unvollständigkeit hinsichtlich des § 8 BEinstG bezweckte, bleibt das gesetzgeberische Konzept der Stammfassung für die Auslegung und damit auch für die Frage nach dem Bestehen450einer Lücke im Hinblick auf die übrigen (in § 15a Abs 8 BAG nicht explizit genannten) Kündigungsschutzbestimmungen nach wie vor maßgeblich, darf dem Schweigen des Gesetzgebers doch im Zweifel keine Billigungsabsicht hinsichtlich einer gewissen Auslegung unterstellt werden.*

2.3.2.2.
Reichweite des besonderen Kündigungsschutzes für Belegschaftsvertreter

§ 15a Abs 8 BAG normiert, dass „der besondere Kündigungsschutz (...) für Mitglieder des Jugendvertrauensrates oder Betriebsrates“ anzuwenden ist. Die überwiegende Ansicht sieht darin einen umfassenden Verweis auf die §§ 120 f ArbVG und betrachtet folglich auch die in § 120 Abs 4 ArbVG den Belegschaftsfunktionären gleichgestellten Personen als vom Verweis umfasst.* Demgegenüber vertritt eine Minderheit die auf eine strenge Wortlautinterpretation gestützte Ansicht, den gem § 120 Abs 4 ArbVG Belegschaftsfunktionären Gleichgestellten käme der besondere Bestandschutz nicht zu.* Freilich ist diese Auffassung in sich unstimmig, da sie den besonderen Bestandschutz für die „Abkühlungsfrist“ des § 120 Abs 3 ArbVG bejaht, obwohl AN auch in diesem Zeitraum zweifellos keine Mitglieder des BR bzw Jugendvertrauensrates mehr sind. Fragt man danach, ob die gesetzliche Wertung des § 120 Abs 4 ArbVG, maW die dort angeordnete Gleichstellung, im BAG durchbrochen werden sollte, so muss dies verneint werden. Denn warum gerade im Anwendungsbereich des BAG die in § 120 Abs 4 ArbVG genannten Personen weniger schutzwürdig sein sollen – was Voraussetzung für ein restriktives Verständnis des Verweises auf den Sonderschutz der Belegschaftsfunktionäre wäre –, bleibt völlig im Dunklen. Mit der überwiegenden Ansicht ist daran festzuhalten, dass dem § 15a Abs 8 BAG eine solche Differenzierung nicht unterstellt werden kann, zumal sich auch in den Materialien keinerlei Hinweis auf ein diesbezügliches Problembewusstsein des Gesetzgebers findet. Ganz im Gegenteil. Die Anordnung der Geltung der verschiedenen Arten des besonderen Kündigungsschutzes geschah vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber ansonsten eine Umgehung dieser Schutzbestimmungen befürchtete.* Freilich überschreitet die überwiegende Ansicht damit die äußerst mögliche Grenze des Wortsinnes des § 15a Abs 8 BAG: Mitglieder von Wahlvorständen und Wahlwerber sind unzweifelhaft keine Mitglieder des BR bzw Jugendvertrauensrates. Die überwiegende Ansicht löst folglich die diesbezüglich zwischen Wortlaut und Zweck bestehende Divergenz (zu Recht) durch analoge Rechtsanwendung auf.

2.3.2.3.
Anwendbarkeit des individuellen Kündigungsschutzes gem GlBG und BEinstG

Dem Wortlaut des § 15a Abs 8 BAG nach ist der individuelle Kündigungsschutz nach GlBG und BEinstG auf die außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG nicht anzuwenden. Auch der Wortlaut der §§ 12 Abs 7, 26 Abs 7 GlBG nennt die außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG nicht als Anfechtungsgegenstand. Letzteres ist insofern von Bedeutung, als bei der Neufassung der Bestimmungen des GlBG (BGBl I 2008/98) bereits die Möglichkeit bestanden hätte, auf die mit BGBl I 2008/82 kurz zuvor eingeführte außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG Bedacht zu nehmen. Trotzdem war (und ist) nach nahezu einhelliger Auffassung im Schrifttum der individuelle Kündigungsschutz nach GlBG auch auf die außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG anzuwenden.* Der Begriff der Entlassungsbedingungen in den Anti-Diskriminierungs-Richtlinien* ist nach einhelliger Auffassung in einem umfassenden Sinn zu verstehen und umfasst sämtliche Formen der einseitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den AG.* Eine richtlinienkonforme, maW systematisch-(teleo)logische, Interpretation des § 15a Abs 8 BAG sowie der §§ 12 Abs 7, 26 Abs 7 GlBG offenbart folglich das Bestehen einer planwidrigen Unvollständigkeit hinsichtlich des individuellen Kündigungsschutzes nach GlBG. Dass es der Gesetzgeber bei Novellierung des § 15a Abs 8 BAG verabsäumt hat, diesbezüglich eine Klarstellung vorzunehmen, kann nicht als Beleg für die Unanwendbarkeit des individuellen Kündigungsschutzes gem GlBG herangezogen werden. Wie oben ausgeführt, war die gesetzgeberische Absicht ausschließlich auf die Einbeziehung des § 8 BEinstG gerichtet. Die hA geht daher zu Recht nach wie vor vom Bestehen einer Lücke hinsichtlich der Anwendbarkeit des individuellen Kündigungsschutzes nach GlBG aus. Gleiches hat zweifellos auch für den individuellen Bestandschutz nach dem BEinstG zu gelten, zumal sich dieser – wie weite Teile des individuellen Kündigungsschutzes nach GlBG – auf die RL 2000/78/EG stützt.*451

2.3.2.4.
Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes

Die bisherige Auseinandersetzung mit § 15a Abs 8 BAG hat ergeben, dass diese Norm sowohl aus teleologischen, als auch aus systematisch-logischen Erwägungen Lücken aufweist. Der Gesetzgeber hat die diesbezüglich bestehenden Unzulänglichkeiten bislang nur punktuell saniert. Obwohl § 15a Abs 8 BAG den allgemeinen Kündigungsschutz nicht explizit für anwendbar erklärt, erscheint dies nicht von vornherein ausgeschlossen.* Dabei ist aus historischer Perspektive bemerkenswert, dass noch zur Kündigungsmöglichkeit des Lehrberechtigten gem § 102 Abs 4 GewO 1859 idF GewO-Nov 1935 unstrittig war, dass diese Beendigungsform vom allgemeinen Kündigungsschutz des § 25 BRG 1947 erfasst war.*

Die RV begründet die Unanwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes mit dem Hinweis auf den taxativen Charakter der Aufzählung des § 15a Abs 8 BAG. Wie bereits oben ausgeführt, steht dies einer analogen Rechtsanwendung nicht entgegen. Es stellt sich daher die Frage, ob hinsichtlich der §§ 105, 107 ArbVG eine planwidrige Unvollständigkeit vorliegt. Gerade die historisch-teleologische Auslegung* legt eine solche nahe: Neben der bereits oben erwähnten gesetzgeberischen Erwägung, eine Umgehung der Kündigungsschutzbestimmungen durch ein Mediationsverfahren ohne Einigung zu verhindern,* spricht auch die in den Materialien* vielfach wiederholte Zwecksetzung, „die neue Auflösungsmöglichkeit soll keinen Spielraum für willkürliche Auflösungen von Lehrverhältnissen eröffnen“, deutlich für das Vorliegen einer teleologischen Lücke. Denn das im Gesetz vorgesehene (formstrenge) Verfahren und die (restriktiven) Fristen und Termine führen nur zu einer Bindung des AG in formeller Hinsicht. Im Gegensatz zu dem in den Materialien erweckten Anschein steht die außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG hinsichtlich des Beweggrundes – innerhalb der Grenzen der Privatautonomie – gänzlich im Belieben des AG.* Da die Wirksamkeit der außerordentlichen Auflösung auch dann gegeben ist, wenn der Lehrberechtigte bzw dessen mit der Ausbildung des Lehrlings betrauter Vertreter an einem (!) Mediationsgespräch teilgenommen hat (§ 15a Abs 6 aE BAG), selbst wenn dieser sich dabei der Mediation verschließt oder diese offen ablehnt,* ist dieses völlig ungeeignet, willkürliches Verhalten hintanzuhalten. Insofern ist der Wortlaut des § 15a Abs 8 BAG erheblich hinter der Absicht des Gesetzgebers zurückgeblieben. Die in den Materialien postulierte Unanwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes scheint daher der gesetzgeberischen Regelungsabsicht diametral entgegengesetzt zu sein. Vor dem Hintergrund der Widersprüchlichkeit und Unschlüssigkeit der Materialien in diesem Punkt können diese für den Ausschluss der Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht fruchtbar gemacht werden.

Burger* meint, dass der Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes den Lehrling aus zweierlei Gründen im Ergebnis nicht benachteiligt: Erstens sind außerordentliche Auflösungen gem § 15a BAG, die aufgrund eines verwerflichen Motivs ausgesprochen werden gem § 879 Abs 1 ABGB unwirksam. Zweitens käme für Lehrlinge infolge ihres idR geringen Alters iVm der kurzen Betriebszugehörigkeit und des geringen Einkommensverlustes iVm der Ausbildungsgarantie eine Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit ohnehin nicht in Betracht.

Dagegen muss zunächst vorgebracht werden, dass wenngleich der OGH mittlerweile Kündigungen an § 879 Abs 1 ABGB misst,* selbst dann noch erhebliche Unterschiede zur Anfechtung wegen verpönten Motivs gem § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG bestehen, wenn man die Wertungen, die § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG zugrunde liegen, in die Generalklausel des § 879 Abs 1 ABGB einbezieht.* Dabei geht es nicht um den Unterschied zwischen der relativen Nichtigkeit gem § 879 Abs 1 ABGB einerseits und der Anfechtbarkeit gem § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG andererseits, die die Rechtslage im Ergebnis sehr ähnlich gestalten. Vielmehr sieht § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG in zweierlei Hinsicht eine Privilegierung des AN vor: Erstens die primäre Anfechtungsberechtigung des BR bei ausdrücklichem Widerspruch im Vorverfahren, die dem AN die Möglichkeit einräumt, nicht selbst prozessieren zu müssen.* Darin zeigt sich ein Strukturelement der kollektivrechtlichen Konzeption des allgemeinen Kündigungsschutzes, nämlich der Schutz des Einzelnen durch das Kollektiv.* Zweitens muss das verpönte Motiv gem § 105 Abs 5 ArbVG nur glaubhaft gemacht werden, wohingegen (zumin-452dest nach wohl überwiegender Ansicht) im Rahmen des § 879 Abs 1 ABGB der Strengbeweis gefordert wird.* Lehrlinge in betriebsratspflichtigen Betrieben würden damit im Ergebnis schlechter gestellt als einfache AN, obwohl der Gesetzgeber aufgrund des Ausbildungszweckes des Lehrvertrages eine besondere Schutzwürdigkeit der Lehrlinge annimmt.* Eine solche Ungleichbehandlung lässt sich vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG) wohl nur schwerlich rechtfertigen. Die einzige Möglichkeit, diese Antinomie aufzulösen, besteht in der Anwendbarkeit des § 105 ArbVG auf die außerordentliche Auflösung. Gegen die hier vertretene Ansicht lässt sich auch nicht einwenden, dass die Aufgriffsobliegenheit zur Geltendmachung der Nichtigkeit gem § 879 Abs 1 ABGB dem AN im Ergebnis eine längere Frist einräumt, als dies im Rahmen des § 105 Abs 4 ArbVG der Fall ist. Das Schrifttum orientiert sich dabei an einer Frist von mindestens 14 Tagen bis zu höchstens sechs Monaten.* Dennoch ist die Frist zur Geltendmachung der Nichtigkeit der Kündigung nicht zwangsläufig günstiger für den AN: Während es sich nämlich im Rahmen des § 879 Abs 1 ABGB um eine materiell-rechtliche Frist handelt, stellen die Anfechtungsfristen des § 105 Abs 4 ArbVG prozessuale Fristen dar. Dies bedeutet, dass die Tage des Postlaufs nicht in die Frist eingerechnet werden und dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (selbst bei leichter Fahrlässigkeit des AN) möglich ist.*

Zu welch systemwidrigen Ergebnissen der Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes mitunter führt, zeigt sich am Beispiel des Motivkündigungsschutzes für Sicherheitsvertrauenspersonen, Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmediziner und deren Fach- oder Hilfspersonal: Der diesbezügliche Schutz ist grundsätzlich in der Weise ausgestaltet, dass während die der gesetzlichen Betriebsverfassung unterliegenden AN durch § 105 Abs 3 Z 1 lit g ArbVG erfasst werden, für AN, die in nicht betriebsratspflichtigen Betrieben tätig sind oder den AN-Begriff des § 36 ArbVG nicht erfüllen, § 9 Abs 2 AVRAG zur Anwendung kommt.* § 9 Abs 2 AVRAG steht zu § 105 Abs 3 Z 1 lit g ArbVG somit im Verhältnis der Subsidiarität.*Burger-Ehrnhofer/Drs* gehen trotz des von ihnen nicht in Zweifel gezogenen taxativen Charakters des § 15a Abs 8 BAG davon aus, dass im Gegensatz zum allgemeinen Kündigungsschutz § 9 Abs 2 AVRAG auf die außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG anwendbar ist. Zu kritisieren ist daran nicht, dass Burger-Ehrnhofer/Drs die ratio legis des § 15a Abs 8 BAG auch auf § 9 Abs 2 AVRAG erstrecken bzw dass sie zwischen den dort genannten Sachverhaltskonstellationen und jener nach § 9 Abs 2 AVRAG keine rechtlich bedeutsamen Unterschiede ausmachen können.* Problematisch ist lediglich, dass sie, entgegen dem methodischen Gebot, bei der Lückenfüllung möglichst „eng am Gesetz“ zu bleiben,* die Subsidiarität des § 9 Abs 2 AVRAG nicht berücksichtigen. Die planwidrige Unvollständigkeit des § 15a Abs 8 BAG, die Burger-Ehrnhofer/Drs hinsichtlich des § 9 Abs 2 AVRAG annehmen, hat daher zwangsläufig zur Folge, dass eben die gleiche Lücke im Hinblick auf den Anfechtungstatbestand des § 105 Abs 3 Z 1 lit g ArbVG besteht.

Auch hinsichtlich der Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit greift die Auffassung Burgers zu kurz. Zunächst ist festzuhalten, dass die Ausbildungsgarantie des § 38e AMSG sich nur auf jugendliche Lehrlinge bezieht. Trotz des (auch) in den Materialien zur Stammfassung des § 15a BAG durch den Gesetzgeber anerkannten Interesses des Lehrlings an der abgeschlossenen Lehrausbildung* ist daher keinesfalls gewährleistet, dass dieser jedenfalls nach drei Monaten seine Ausbildung fortsetzen kann.* Weiters ist zu bemerken, dass der Zweck des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG anerkanntermaßen darin liegt, willkürlichen Beendigungen entgegenzutreten.* Der Ausschluss der Anwendbarkeit des § 105 ArbVG in den Materialien steht daher mit der dort postulierten Auffassung, „die neue Auflösungsmöglichkeit soll keinen Spielraum für willkürliche Auflösungen von Lehrverhältnissen eröffnen“, im direkten Widerspruch. Bei der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist nach hA auf die gesamte soziale Lage des AN abzustellen, wobei alle Aspekte, die das Leben des AN (mit)bestimmen, einzubeziehen sind.* Zwar wird sich die materielle Verschlechterung für den Lehrling wohl tatsächlich idR in Grenzen halten. Aber gerade durch die eintretende Unterbrechung der Ausbildung werden ideelle Interessen des Lehr-453lings massiv beeinträchtigt.* Die systematische Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten, wie sie für das Lehrverhältnis prägend ist, wird durch den Bruch in der Kontinuität der Ausbildung zwangsläufig beeinträchtigt. Im Hinblick darauf, dass das durch die Ausbildung zu vermittelnde „Know-How“ die profunde Ausgangsbasis für die weitere berufliche Entwicklung des Lehrlings bilden soll, besteht ein beträchtliches ideelles Interesse des Lehrlings (und der Allgemeinheit*) am Bestand des Lehrvertrags. Damit weist das Ausbildungsinteresse beide von Kuderna* geforderten Elemente für die Berücksichtigung im Rahmen des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG auf: einerseits die Verbindung mit dem Arbeitsleben und andererseits deren Schutzwürdigkeit. Für die Beachtlichkeit „bloß“ ideeller Interessen im Rahmen des § 105 ArbVG spricht im Übrigen auch der Vergleich mit dem kollektivrechtlichen Schutz bei dauernden verschlechternden Versetzungen gem § 101 ArbVG. Dort ist unstrittig, dass eine Versetzung aufgrund der Verschlechterung „bloß“ immaterieller Arbeitsbedingungen (zB Arbeitsimage) der zwingenden Mitbestimmung des § 101 ArbVG unterfallen kann.*

Dies ist insofern von Bedeutung, als die betriebliche Notwendigkeit einerseits und die richtige Auswahl der Betroffenen andererseits sowohl für die Versetzung als auch für die betriebsbedingte Kündigung gleichermaßen die entscheidenden Parameter darstellen. Zwar ist der Normierung der außerordentlichen Auflösung gem § 15a BAG zu entnehmen, dass der Gesetzgeber gewillt ist, gewisse Brüche im Ausbildungsverlauf hinzunehmen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass aus den Materialien* zur Stammfassung des § 15a BAG sowie dem restriktiven Prozedere der außerordentlichen Auflösung zu schließen ist, dass der Gesetzgeber das Interesse des Lehrlings an der abgeschlossenen Berufsausbildung nach wie vor anerkennt. Vergegenwärtigt man sich weiters die Gründe, weswegen die außerordentliche Auflösung eingeführt wurde: „geringe Eignung oder nur eine geringe Motivation des Lehrlings“,* so könnte diesen wohl auch im Rahmen der Kündigungsrechtfertigungsgründe des § 105 Abs 3 Z 2 lit a und lit b ArbVG angemessen Rechnung getragen werden. Es würde sich dann die Frage stellen, ob die Aufrechterhaltung des Lehrverhältnisses über die Frist des § 15a Abs 1 BAG dem Lehrberechtigten zumutbar ist.* Die gegenteilige Auffassung hätte wohl auch zur Konsequenz, dass bei einem durch betriebliche Gründe notwendigen Abbau von Arbeitsplätzen in einer Tätigkeitssparte (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) primär Lehrverhältnisse aufgelöst werden müssten. Dies folgt zwangsläufig daraus, dass der Zweck der Mitwirkung der Belegschaft bei betriebsbedingten Kündigungen darin liegt, jene AN abzubauen, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes am wenigsten hart getroffen werden.* Zunächst mag es vielleicht problematisch erscheinen, dass die dem Ausbildungszweck schädliche Unterbrechung durch den allgemeinen Kündigungsschutz nicht beseitigt wird. Die Auflösung ist nämlich zunächst wirksam und wird durch das Gerichtsurteil mit ex tunc-Wirkung für unwirksam erklärt. Zur Sicherung des Ausbildungszweckes müsste der Lehrling daher – vor dem Hintergrund seines nach hA bestehenden Rechtes auf Beschäftigung – eine einstweilige Verfügung erwirken. Als Argument gegen die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes kann dies freilich nicht verwendet werden: Selbst bei Unwirksamkeit der Auflösung ist der Lehrling mitunter zur Durchsetzung seines Beschäftigungsanspruches auf diesen Rechtsbehelf angewiesen.

Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass die Anwendung des § 105 ArbVG im Hinblick auf das Fristenregime des § 15a BAG zT Schwierigkeiten bereitet. Diese folgen zwangsläufig aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des § 15a BAG das Verfahren des § 105 ArbVG für nicht anwendbar erachtete. § 15a Abs 3 BAG sieht – bei sonstiger Unwirksamkeit der außerordentlichen Auflösung – die Verständigung des BR von der beabsichtigen außerordentlichen Auflösung vor. Will man den allgemeinen Kündigungsschutz zur Anwendung bringen, so muss die Verständigung von der Kündigungsabsicht iSd § 105 Abs 1 ArbVG auf diesen Zeitpunkt am Ende des 9. bzw 21. Lehrmonats bezogen werden. Ein Abwarten des Ergebnisses des Mediationsverfahrens wäre zwar im Hinblick auf die Stellungnahme des BR zweifellos sinnvoll. Da das Mediationsverfahren aber erst fünf Werktage vor Ablauf des 11. bzw 23. Lehrmonats jedenfalls endet (§ 15a Abs 6 BAG), bietet das Abstellen auf das Ende des Mediationsverfahrens keine Gewähr dafür, dass das (längstens einwöchige) Kündigungsvorverfahren durchgeführt wird, bevor der letztmögliche Zeitpunkt für den Ausspruch der außerordentlichen Auflösung verstrichen ist.* Zwar kann ein Betriebsratsmitglied zweifellos Vertrauensperson des Lehrlings iSd § 15a Abs 5 BAG sein und auf diese Weise am Mediationsverfahren teilnehmen. Der Inhalt der Stellungnahme des BR wird durch die Ergebnisse des Mediationsverfahrens jedoch nicht verändert. Freilich sind der zeitlichen Abfolge von Kündigungsvorverfahren und Mediationsverfahren auch positive Aspekte abzugewinnen: Wird bspw im Rahmen der Beratungen mit dem BR ein für alle Parteien tragbares Ergebnis erzielt (zB Wechsel des Ausbildners, einvernehmliche Auflösung oä), erspart sich der Lehrberechtigte das auf seine Kosten durchzuführende Mediationsverfahren.

Es stellt sich die Frage, was aus all dem für die Anwendbarkeit des § 105 ArbVG abgeleitet wer-454den muss. Wie Schwind* formuliert hat, ist „unter den mehrfachen möglichen Lösungen zu wählen und unter ihnen die praktisch brauchbarste zu erkennen“. UE sprechen die besseren Argumente für das Vorliegen einer planwidrigen Lücke im Hinblick auf den allgemeinen Kündigungsschutz, maW für dessen Anwendbarkeit: Der pauschale Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes führt nämlich zu zahlreichen Wertungswidersprüchen. Im Bereich der motivwidrigen Kündigung läuft es auf die Frage hinaus, ob der Lehrberechtigte, der aufgrund eines in § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG genannten verpönten Motivs das Lehrverhältnis gem § 15a BAG auflöst, dadurch privilegiert werden soll, dass für den Lehrling die Vergünstigungen des allgemeinen Kündigungsschutzes (Schutz des Einzelnen durch die kollektivrechtliche Konstruktion, Beweiserleichterung) ausgeschlossen werden. Ein solch wertungswidersprüchliches Ergebnis kann uE dem Gesetz nicht unterstellt werden. Das Mediationsverfahren stellt nämlich bereits aufgrund der Zweifel an der Neutralität des Mediators* und seiner Untauglichkeit, willkürliche Auflösungen hintanzuhalten, keinesfalls einen Ausgleich für einen Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes dar. Im Bereich der sozialwidrigen Kündigung hätte der pauschale Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes zur Folge, dass das vom Gesetzgeber anerkannte Interesse des Lehrlings an der abgeschlossenen Ausbildung ebenso wie die sonstige Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen und sozialen Interessen, dort wo keine Ausbildungsgarantie besteht, überhaupt nicht berücksichtigt würden und dort, wo die Ausbildungsgarantie des § 38e AMSG greift, in jedem Fall geringer bewertet würden als das Interesse des Lehrberechtigten an der Auflösung. Bedenkt man, dass die außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG vor dem Hintergrund einer als zu restriktiv empfundenen Handhabung des Entlassungstatbestands des § 15 Abs 3 lit c BAG (Pflichtverletzung bzw -vernachlässigung trotz wiederholter Ermahnung) geschaffen wurde, scheint die Interessenabwägung im Rahmen des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG geeignet, für den jeweiligen Einzelfall zwischen dem Ausbildungsinteresse des Lehrlings und dem Auflösungsinteresse des AG eine Entscheidung zu treffen.

3.
Conclusio

Die im Schrifttum vorherrschende Qualifikation der außerordentlichen Auflösung gem § 15a BAG als „Auflösungsart sui generis“ hat sich als unbegründet erwiesen. Sie stellt sich als unreflektierte und bloß selektive Übernahme der Ausführungen der RV dar. Vor dem Hintergrund, dass die Beurteilung der Rechtsnatur der außerordentlichen Auflösung gem § 15a BAG in den Materialien zwischen Kündigung und „Auflösungsart sui generis“ schwankt, kann von einer „klaren Absicht des Gesetzgebers“ iSd § 6 ABGB nicht gesprochen werden. Das Festhalten an der Deutung als „Auflösungsart sui generis“ ist dabei umso unverständlicher, als ihr ohnehin kein eigenständiger Erklärungswert zukommt. Dass es sich bei der Einführung der Kategorie „Auflösungsart sui generis“ um eine bloße Scheinbegründung handelt, offenbart sich, wenn man bedenkt, dass der einzig ersichtliche Unterschied zur Kündigung in der Unanwendbarkeit gewisser Bestandschutzbestimmungen besteht und die Unanwendbarkeit dieser Normen letztlich mit dem Charakter dieser Beendigungsform als „Auflösungsart sui generis“ begründet wird.

Die Auseinandersetzung mit § 15a Abs 8 BAG offenbart, dass die nach hA taxative Aufzählung der auf die außerordentliche Auflösung zur Anwendung kommenden Kündigungsschutzbestimmungen in mehrfacher Hinsicht eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist. Obwohl der Gesetzgeber das Vorliegen einer Lücke im Hinblick auf den besonderen Kündigungsschutz nach BEinstG eingestanden und mit BGBl I 2010/40 geschlossen hat, ergibt sich im Lichte der Reichweite des Begriffes der Entlassungsbestimmungen in den europarechtlichen Anti-Diskriminierungs-Richtlinien sowie des Normzweckes des § 120 Abs 3 und 4 ArbVG, dass hinsichtlich des individuellen Kündigungsschutzes nach GlBG und BEinstG sowie partiell hinsichtlich des besonderen Kündigungsschutzes für Belegschaftsvertreter der Wortlaut des § 15a Abs 8 BAG eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist.

Die Widersprüchlichkeit und Unschlüssigkeit, die die Materialien bereits bei dem Versuch einer rechtsdogmatischen Qualifikation der außerordentlichen Auflösung aufweisen, setzt sich im Rahmen der Beurteilung der daraus entspringenden Rechtsfolgen hinsichtlich des Bestandschutzes – insb bezüglich des Ausschlusses des allgemeinen Kündigungsschutzes – nahtlos fort. Vor dem Hintergrund, dass einerseits an der Neutralität des Mediators im Hinblick auf die Honorierung durch den Lehrberechtigten sowie dessen Dominanz bei der Bestellung Bedenken bestehen und dem Umstand, dass das Mediationsverfahren nicht in der Lage ist, willkürliche Auflösungen zu verhindern, kann das Verfahren des § 15a Abs 3 bis 6 BAG nicht als Ausgleich für den Entfall des allgemeinen Kündigungsschutzes angesehen werden. Andernfalls würden nämlich AN, die nach der Vorstellung des Gesetzgebers besonders schutzbedürftig sind, im Vergleich zu normalen AN im Ergebnis schlechter gestellt. Es würde auch einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn das Interesse des Lehrlings an der abgeschlossenen Ausbildung sowie die sonstige Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen und sozialen Interessen, dort wo keine Ausbildungsgarantie besteht, überhaupt nicht berücksichtigt würden und dort, wo die Ausbildungsgarantie des § 38e AMSG greift, in jedem Fall geringer bewertet würden als das Interesse des Lehrberechtigten an der Auflösung. Auch hinsichtlich des allgemeinen Kündigungsschutzes ist daher von einer planwidrigen Unvollständigkeit auszugehen, die durch analoge Rechtsanwendung zu schließen ist.

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten: Bei der außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses durch den Lehrberechtigten gem § 15a BAG handelt es sich um eine arbeitgeberseitige Kündigung. Die Bestimmungen über den allgemeinen, individuellen und besonderen Bestandschutz gelangen – sofern sich diese nicht untereinander ausschließen – zur Anwendung.455