Sozialversicherung und Auslandsbezug: positive und negative Entwicklungen*

BEATRIXKARL (GRAZ)
In Art 153 Abs 1 lit c AEUV ist ausdrücklich verankert, dass die aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen nicht die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten berühren, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen. Auch der EuGH betont in ständiger Judikatur den Grundsatz, dass die Ausgestaltung der Systeme der sozialen Sicherheit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.* Zugleich bringt er in seiner Judikatur aber auch deutlich zum Ausdruck, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Sozialsysteme sehr wohl das Gemeinschaftsrecht, wie insb die Grundfreiheiten und das europäische Wettbewerbsrecht, zu beachten haben.*
  1. Auslandskrankenbehandlungen als Beispiel für eine sinnvolle Ergänzung des Koordinierungsregimes durch die Grundfreiheiten

    1. Das Verhältnis der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit zur VO (EG) 883/2004

    2. Die Kodifizierung der EuGH-Judikatur

  2. Die zunehmende Relevanz der Personenfreizügigkeit für die Lösung von sozialversicherungsrechtlichen Fällen mit Auslandsbezug

    1. Die Herstellung einer größtmöglichen Arbeitnehmerfreizügigkeit als Korrektiv der VO (EG) 883/2004

    2. Mögliche Auswirkungen der Herstellung einer größtmöglichen Arbeitnehmerfreizügigkeit auf das österreichische Beamtenpensionssystem

  3. Der Sozialtourismus: UnionsbürgerRL statt größtmögliche Freizügigkeit

    1. Das Verhältnis zwischen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG

    2. Die Konsequenzen der Anwendung der RL 2004/38/EG

  4. Die Unterschiede zwischen Gesundheitstourismus und Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit auf der einen und Sozialtourismus auf der anderen Seite

  5. Conclusio

Der Grundsatz, dass die Festlegung der Grundprinzipien der nationalen Sozialsysteme in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt, besagt damit nur, dass es auf europäischer Ebene keine zwingenden Vorgaben für eine bestimmte Form der Ausgestaltung der nationalen Sozialsysteme gibt. Es wird weder ein bestimmtes Sozialsystem vorgeschrieben, um auf diese Weise eine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu erreichen, noch existiert auf europarechtlicher Ebene ein Sozialrecht, das analog zum nationalen Sozialrecht die Gewährung und Finanzierung von Sozialleistungen regelt. In diesem Bereich herrscht der Grundsatz der Koordinierung; Harmonisierung ist nur in den engen Grenzen des Art 153 Abs 3 lit b AEUV vorgesehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Europarecht keine Auswirkungen auf die nationalen Sozialsysteme hat. Neben jenen Bestimmungen, die zur Gewährleistung der Personenfreizügigkeit die nationalen Sozialrechtssysteme koordinieren (VO [EG] 883/2004 und VO [EG] 987/2009), wirken vor allem auch das Wettbewerbsrecht und die Grundfreiheiten auf das nationale Sozialrecht ein.*

Gerade das auf der Judikatur des EuGH basierende Zusammenspiel zwischen der VO (EG) 883/2004 und den Grundfreiheiten war in den letzten Jahren371prägend für das europäische Sozialrecht. Meines Erachtens handelt es sich dabei um eine grundsätzlich positiv zu bewertende Entwicklung, die sich insb am Beispiel der grenzüberschreitenden Krankenbehandlung gut darstellen lässt. Allerdings zeigt sich auch, dass es nicht immer so klar ist, wo die Grenzen der Anwendung der Grundfreiheiten verlaufen. So stellt sich etwa im Zusammenhang mit dem österreichischen Beamtenpensionssystem im öffentlichen Dienst die Frage, wie weit die Grundfreiheiten, im konkreten Fall die AN-Freizügigkeit, gehen. Der Rückgriff auf die AN-Freizügigkeit kann aber auch dann notwendig sein, wenn es um neue, in das System der VO (EG) 883/2004 nur schwer einordenbare Leistungen geht, wie etwa um das österreichische Rehabilitationsgeld, das an der Schnittstelle von KV und PV angesiedelt ist. Hier zeigt sich, dass der EuGH die Grundfreiheiten auch als Korrektiv der VO (EG) 883/2004 zur Anwendung bringt, wenn er eine am bloßen Wortlaut der VO orientierte Lösung für unangemessen hält. Gleiches gilt auch für die Fälle des sogenannten Sozialtourismus. Dabei wird allerdings nicht eine Grundfreiheit, sondern die UnionsbürgerRL* als Korrektiv der VO (EG) 883/2004 herangezogen.

1.
Auslandskrankenbehandlungen als Beispiel für eine sinnvolle Ergänzung des Koordinierungsregimes durch die Grundfreiheiten

Wenn einem Sozialversicherten Gesundheitsleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsmitgliedstaat erbracht werden, bedarf es der Koordinierung der betroffenen nationalen Gesundheitsversorgungssysteme durch die VO (EG) 883/2004. Dabei sind drei verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: Die Art 17 und 18 VO (EG) 883/2004 regeln den Fall des Wohnsitzes in einem anderen als dem Versicherungsmitgliedstaat. In Art 19 VO (EG) 883/2004 geht es um jene Versicherten, die im Versicherungsstaat wohnen, sich aber zB als Tourist oder Geschäftsreisender vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten und dort unerwartet einer Krankenbehandlung bedürfen. Einen vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat setzt auch Art 20 VO (EG) 883/2004 voraus, allerdings erfolgt dieser zum Zweck der Krankenbehandlung (sogenannter Gesundheitstourismus).

Muss der Versicherte in dem Mitgliedstaat, in dem er nicht versichert ist, aber wohnt bzw sich vorübergehend aufhält, medizinische Leistungen in Anspruch nehmen, hat er gegenüber dem Krankenversicherungsträger des Wohnsitz(Aufenthalts)-mitgliedstaats grundsätzlich einen Anspruch auf Sachleistungen, die auf Rechnung des zuständigen Krankenversicherungsträgers erbracht werden (sogenannte aushilfsweise Sachleistungserbringung; Art 17, 19 und 20 VO [EG] 883/2004). Für den Umfang der gewährten Sachleistungen ist das Leistungsniveau des aushelfenden Staats maßgeblich. Der Patient bekommt die Leistungen daher unter den gleichen Bedingungen wie die im Wohnsitz- oder Aufenthaltsmitgliedstaat Versicherten.* Der Versicherte, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, kann die Sachleistungen aber auch im Versicherungsmitgliedstaat in Anspruch nehmen (Art 18 VO [EG] 883/2004). Geldleistungen werden vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Vorschriften in den Wohnsitz- bzw Aufenthaltsstaat exportiert (Art 21 VO [EG] 883/2004).*

Keinen Anspruch auf aushelfende Sachleistungserbringung hat der Versicherte jedoch dann, wenn er sich zum Zweck einer Krankenbehandlung ins EU-Ausland begibt, ohne davor die Zustimmung des zuständigen Krankenversicherungsträgers eingeholt zu haben (Art 20 VO [EG] 883/2004). Auf solche Fälle hat der EuGH beginnend im Jahre 1998 die Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit zur Anwendung gebracht.* Damit ist er auf viel Kritik gestoßen. Zum einen wurde beanstandet, dass damit sozusagen „über die Hintertür“ in einen Politikbereich eingegriffen wird, dessen Ausgestaltung in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt. Zum anderen bezog sich die Kritik darauf, dass durch die grundsätzliche Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf national ausgestaltete Systeme der Daseinsvorsorge die Möglichkeit eröffnet wird, öffentlich-rechtlich ausgestaltete und im öffentlichen Interesse gelegene Materien strukturell zu verändern.* Der EuGH hat sich durch diese Kritik jedoch nicht beirren lassen und hat in zahlreichen Entscheidungen die Grundprinzipien für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung und damit für die Patientenmobilität festgelegt. Diese Judikatur war schließlich Auslöser für die Erlassung der RL 2011/24/EU,* die die Patientenmobilität im Einklang mit den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen gewährleisten soll (siehe 1.2.).

Sind nun medizinische Leistungen von der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit erfasst, so bedeutet dies auch, dass Patienten, die sich zur Inanspruchnahme einer medizinischen Behandlung in einen anderen Mitgliedstaat begeben, nicht durch nationale Regelungen des Versicherungsmitgliedstaats daran gehindert werden dürfen.* Der EuGH hat klargestellt, dass dies sowohl für ambulante als auch für stationäre Leistungen gilt.*372

Darüber hinaus geht aus der EuGH-Judikatur deutlich hervor, dass auch medizinische Leistungen, die im Rahmen eines Sachleistungssystems erbracht werden, als Dienstleistungen iSd Art 57 AEUV gelten.* Unter dem Gesichtspunkt des freien Dienstleistungsverkehrs dürfe nämlich nicht danach differenziert werden, ob der Patient die angefallenen Kosten zahlt und später ihre Erstattung beantragt oder ob der Leistungserbringer die Zahlung direkt von der Krankenkasse oder aus dem Staatshaushalt erhält.* Daraus folgt, dass auch die Erbringung von Gesundheitsleistungen durch steuerfinanzierte nationale Gesundheitsdienste als entgeltliche Tätigkeit iSd Art 57 AEUV zu qualifizieren ist.*

1.1.
Das Verhältnis der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit zur VO (EG) 883/2004

Strittig war auch das Verhältnis der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit zur VO (EG) 883/2004. Wie sich aus der Judikatur des EuGH ergibt, soll durch Art 17-20 VO (EG) 883/2004 ein „Mindestanspruch“ auf Auslandsbehandlung statuiert werden, der es dem Versicherten ermöglicht, Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Krankenversicherungsträgers nach den Rechtsvorschriften jenes Mitgliedstaats zu erhalten, in dem die Leistungen erbracht werden. Darüber hinaus gehende aus dem nationalen Recht des Versicherungsmitgliedstaats resultierende Ansprüche werden dadurch nicht berührt. Die Art 17-20 VO (EG) 883/2004 hindern den Versicherungsmitgliedstaat zwar nicht daran, die Erstattung nach den für ihn geltenden günstigeren Sätzen vorzunehmen und damit die Erstattung nach den Bestimmungen des Aufenthalts(Wohnsitz)-mitgliedstaats zu ergänzen, doch schreibt die VO dem Versicherungsstaat eine derartige ergänzende Erstattung nicht vor.* Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Auslandskrankenbehandlung nach den im Versicherungsstaat geltenden Sätzen kann sich jedoch aus der Dienstleistungs- oder Warenverkehrsfreiheit ergeben. Diese erstrecken nämlich die aus dem nationalen Recht des Versicherungsmitgliedstaats resultierenden Ansprüche auf das EU-Ausland.*

Allerdings begrenzt der EuGH die Ansprüche aus den Grundfreiheiten auf die geplante grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen.* Wenn ein Versicherter ständig oder jedenfalls ohne eine vorhersehbare Begrenzung der Dauer seinen Hauptaufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nimmt, um dort auf unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu empfangen (Art 17 VO [EG] 883/2004), mangelt es dem EuGH an einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, so dass er eine Anwendung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr ablehnt.* Auch die Gesundheitsleistungen, die unerwartet während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich sind (Art 19 VO [EG] 883/2004), fallen nach Auffassung des EuGH nicht in den Anwendungsbereich des Art 56 AEUV. Er hält eine nationale Regelung, die die Erstattung der Kosten einer im Ausland unerwartet notwendig gewordenen Krankenbehandlung nicht in Höhe der Kosten einer gleichwertigen Behandlung im Inland gewährt, nämlich nicht für geeignet, den freien Verkehr von Krankenbehandlungsleistungen zu behindern.* Der EuGH verweist zur Begründung auch darauf, dass eine dem Versicherungsmitgliedstaat auferlegte Verpflichtung, den Versicherten immer dann eine ergänzende Erstattung durch den zuständigen Träger zu garantieren, wenn das im Aufenthaltsmitgliedstaat für die unerwartete Krankenbehandlung geltende Deckungsniveau niedriger ist als jenes im Versicherungsmitgliedstaat, darauf hinauslaufen würde, unmittelbar die Anlage des durch die VO (EWG) 1408/71 (heute VO [EG] 883/2004) errichteten Systems zu beeinträchtigen.* Hier wird es vom EuGH somit akzeptiert, dass den Grundfreiheiten durch die VO (EG) 883/2004 Grenzen gesetzt werden (siehe auch 2.2.).

Wie der EuGH in stRsp festhält, kann das Primärrecht der Union einem Versicherten auch nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit, insb in Bezug auf Leistungen bei Krankheit, neutral ist.* Aufgrund der nationalen Unterschiede bei der sozialen Absicherung auf der einen und des auf die Koordinierung und nicht die Harmonisierung der nationalen Vorschriften ausgerichteten Zwecks der VO (EG) 883/2004 auf der anderen Seite können die Bedingungen im Zusammenhang mit einer Auslandskrankenbehandlung je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile für den Versicherten haben.* Somit kann bei Wohnsitz oder vorübergehendem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat die – gegebenenfalls aufgrund der Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 erfolgende – Anwendung einer nationalen Regelung des Aufenthalts(Wohnsitz)mitgliedstaats, die in Bezug auf Krankenbehandlungsleistungen weniger günstig ist als die des zuständigen Mitgliedstaats, grundsätzlich mit den Grundfreiheiten vereinbar sein.* Hier bezieht sich der EuGH somit auf jene Verschlechterungen, die sich273aus den im neuen Wohnsitzmitgliedstaat anzuwendenden sozialrechtlichen Regeln im Vergleich zum Sozialsystem des Herkunftsmitgliedstaats ergeben. Bieback* spricht davon, dass der EuGH punktuelle Benachteiligungen als eine sachlich gerechtfertigte und verhältnismäßige Folge eines an sich sinnvollen und erprobten Systems zur Lösung der Probleme der Gesundheitsversorgung bei Mobilitätsprozessen ansieht.

1.2.
Die Kodifizierung der EuGH-Judikatur

Die VO (EG) 883/2004 stellt somit in Kombination mit der Waren- und Dienstleistungsfreiheit sicher, dass die in einem Mitgliedstaat Versicherten auch in anderen Mitgliedstaaten auf Kosten ihrer KV Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen können. Ein Manko dieses auf der VO (EG) 883/2004 und den Grundfreiheiten basierenden ohnehin schon sehr komplexen Systems bestand aber lange Zeit darin, dass vieles nur aus der EuGH-Judikatur abgeleitet werden konnte. ISd Rechtssicherheit und Klarheit ist es daher zu begrüßen, dass im Jahr 2011 die PatientenmobilitätsRL (RL 2011/24/EU) erlassen wurde.

Diese RL soll vor allem den Zugang zu einer sicheren und hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in der EU erleichtern (Art 1 Abs 1 RL 2011/24/EU), dient aber auch dazu, die Patientenmobilität im Einklang mit den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen zu gewährleisten.* Sie bezieht sich grundsätzlich auf die passive Dienstleistungsfreiheit der Patienten (siehe Erwägungsgrund Nr 1), gilt jedoch auch für die unter die Gruppe der Korrespondenz- oder Distanzdienstleistungen fallende grenzüberschreitende Telemedizin.*

Gerade durch die Telemedizin wird die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung vor neue Herausforderungen gestellt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erbringung telemedizinischer Leistungen werden gem Art 3 lit d RL 2011/24/EU in jenem Mitgliedstaat festgelegt, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist (Herkunftslandprinzip). Wenn aber die Erbringung solcher Leistungen in diesem Staat zulässig ist, stellt sich die Frage, ob und inwieweit sie auch in Mitgliedstaaten erbracht werden dürfen, die eine solche Leistungserbringung nicht zulassen, man denke zB an die in Großbritannien erlaubten, in vielen anderen Mitgliedstaaten aber verbotenen Internet-Ordinationen. Bei Beantwortung dieser Frage spielen auch die Richtlinien über den elektronischen Geschäftsverkehr* sowie die BerufsqualifikationsRL* eine Rolle. Zutreffend geht Wallner* davon aus, dass bei grenzüberschreitenden telemedizinischen Leistungen für Vorgaben zum erlaubten Leistungsumfang, aber auch für die Vorschriften, die die ärztliche Leistungserbringung selbst regeln, die Bestimmungen jenes Staates anzuwenden sind, in dem sich der Patient befindet. Dies gilt zB für die Frage der Geltung und der Reichweite des Unmittelbarkeitsgebotes bei ärztlichen Behandlungen. Für Regelungen, die nicht direkt die Leistungserbringung am Patienten betreffen, wie zB Werbebeschränkungen, gelangt hingegen das Recht des Staates zur Anwendung, in dem sich der Dienstleister aufhält.*

Dabei handelt es sich aber nur um eine von vielen Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit grenzüberschreitender telematischer Diagnostik und Therapie stellen. Es ist daher davon auszugehen, dass der EuGH hier ein breites Betätigungsfeld vorfinden und wichtige Grundsätze aufstellen wird, so wie er es betreffend die nicht-telematische grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung getan hat.

2.
Die zunehmende Relevanz der Personenfreizügigkeit für die Lösung von sozialversicherungsrechtlichen Fällen mit Auslandsbezug

Im Erwägungsgrund 1 der VO (EG) 883/2004 wird festgehalten, dass die Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit Teil des freien Personenverkehrs sind und zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen beitragen sollten.

Durch die Koordinierung der nationalen Sozialsysteme soll gewährleistet werden, dass die Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts für die Unionsbürger keine sozialrechtlichen Nachteile mit sich bringt. Art 48 AEUV, der die Grundlage für die VO (EG) 883/2004 bildet, zielt somit auf die sozialrechtliche Absicherung der Freizügigkeit der AN ab. Es ist daher nur schlüssig, dass der EuGH in vielen Entscheidungen zur VO (EG) 883/2004 auf die AN-Freizügigkeit zurückgreift, so dass neben der Waren- und Dienstleistungsfreiheit auch diese Grundfreiheit Auswirkungen auf die nationalen Sozialsysteme hat.

Eine Europarechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die AN-Freizügigkeit kann in zwei Formen auftreten: Zum einen kann es sich um eine Ausländerdiskriminierung handeln, wenn eine Regelung des Aufnahmemitgliedstaats den dort tätigen EU-Ausländer im Vergleich zu den Inländern benachteiligt. Zum anderen kann ein Verstoß gegen das Beschränkungs- oder Benachteiligungsverbot vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn eine im Herkunftsmitgliedstaat geltende Regelung geeignet ist, den Unionsbürger davon abzuhalten, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, weil er im Vergleich zum Verbleib im Inland Nachteile zu erwarten hat.* Das bedeutet, dass die Mitglied-374staaten im nationalen Sozialrecht nicht nur jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung, sondern auch jede Maßnahme zu unterlassen haben, die geeignet ist, die Ausübung der AN-Freizügigkeit zu behindern bzw weniger attraktiv zu machen.

2.1.
Die Herstellung einer größtmöglichen Arbeitnehmerfreizügigkeit als Korrektiv der VO (EG) 883/2004

Der Hinweis auf die Telemedizin hat bereits gezeigt, dass das europäische Sozialrecht immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert ist. Als Herausforderung für die Sozialrechtskoordinierung der EU kann sich auch die Einführung einer neuen nationalen Sozialleistung erweisen, wenn diese – wie zB das österreichische Rehabilitationsgeld – im Koordinierungsregime der VO (EG) 883/2004 nicht klar einordenbar ist. In einem solchen Fall kann die Anwendung der VO (EG) 883/2004 zu Ergebnissen führen, die der Zielsetzung der Art 45 und 48 AEUV nicht gerecht werden.

Der OGH hatte in seiner E vom 20.12.2016* zu beurteilen, ob der Kl im Anschluss an den Bezug einer österreichischen befristeten Invaliditätspension Rehabilitationsgeld verweigert werden darf, weil sie ihren Wohnsitz im EU-Ausland hat. Das Besondere an dieser Entscheidung war zum einen, dass das Erfordernis eines Wohnsitzes in Österreich nicht im nationalen Recht verankert war, sondern aus der Anwendung der Regelungen über die Leistungszuständigkeit nach der VO (EG) 883/2004 resultierte. Zum anderen ist das Rehabilitationsgeld an der Schnittstelle von KV und PV angesiedelt, so dass unklar war, ob es nach der VO (EG) 883/2004 als „Leistung bei Krankheit“ oder als „Leistung bei Invalidität“ einzustufen ist. Davon hängt es aber ab, ob das Rehabilitationsgeld ins EU-Ausland zu exportieren ist.

Ausgehend von der Judikatur des EuGH und der österreichischen Lehre qualifizierte der OGH das Rehabilitationsgeld als Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004. Zugleich betonte er aber, dass diese Einordnung nichts daran ändert, dass der Sondercharakter an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität zu berücksichtigen ist. Um diesem Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes Genüge zu tun, stellte der OGH auf den mit der AN-Freizügigkeit verfolgten Zweck ab und zog diesen für die Interpretation der VO (EG) 883/2004 heran. Dies war deshalb notwendig, weil eine am bloßen Wortlaut der VO (EG) 883/2004 orientierte Interpretation dazu geführt hätte, dass diese Leistung nur bei Wohnsitz in Österreich gebührt hätte.

Der OGH ging davon aus, dass die alleinige Zuständigkeit des ausländischen Wohnsitzmitgliedstaats und der damit einhergehende Leistungsverlust trotz bereits im Inland erworbener Versicherungszeiten in bestimmten Fällen die unionsrechtliche Freizügigkeit beschränken kann (Rz 5.8.). Dabei folgte er dem Urteil da Silva Martins,* in dem die Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 im Lichte der Art 45 und 48 AEUV ausgelegt wurden, um für die Wander-AN größtmögliche Freizügigkeit herzustellen. Der Zweck der Art 45 und 48 AEUV würde nach Auffassung des EuGH verfehlt, wenn die AN, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, die Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlieren würden, die ihnen allein die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates sichern, insb wenn diese Vergünstigungen die Gegenleistung für von ihnen gezahlte Beiträge darstellen. Zudem betont der EuGH in ständiger Judikatur, dass mit den Art 45-48 AEUV ebenso wie mit der zu ihrer Durchführung erlassenen VO (EG) 883/2004 insb verhindert werden soll, dass ein AN, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in mehr als einem Mitgliedstaat beschäftigt war, ohne objektiven Grund schlechter gestellt wird als ein AN, der seine gesamte berufliche Laufbahn in einem einzigen Mitgliedstaat zurückgelegt hat.* Es sei auch darauf hingewiesen, dass es nach Auffassung des EuGH keine Rolle spielt, ob es sich um die Inanspruchnahme der AN-Freizügigkeit gem Art 45 ff AEUV oder der allgemeinen Freizügigkeit von Unionsbürgern gem Art 18 ff AEUV handelt.*

Immer dann, wenn der EuGH der Meinung ist, dass die Anwendung der VO (EG) 883/2004 zu unangemessenen, die AN-Freizügigkeit beschränkenden Ergebnissen führt, zieht er somit diese Grundfreiheit als Korrektiv heran. Dies geschieht entweder durch Interpretation der VO (EG) 883/2004 iSd Art 45 und 48 AEUV, wie im Urteil da Silva Martins* oder durch unmittelbare Anwendung des Art 45 AEUV, wie im Urteil Petersen, in dem es um den österreichischen Pensionsvorschuss (§ 23 AlVG) gegangen ist. Der EuGH hat zur Beantwortung der Vorlagefrage, ob der bis zur Entscheidung über den Antrag auf Berufsunfähigkeits- bzw Invaliditätspension gewährte Pensionsvorschuss von einem Wohnort in Österreich abhängig gemacht werden darf, darauf abgestellt, ob das im österreichischen Recht verankerte Wohnorterfordernis mit dem Primärrecht vereinbar ist und hat dies verneint. Der aus dem Wohnsitzerfordernis resultierende Leistungsverlust könnte nämlich AN davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, und würde somit diese Freiheit beeinträchtigen.* In der Regel wird es keinen Unterschied machen, ob Art 45 AEUV unmittelbar angewendet wird oder ob Art 45 und 48 AEUV zur Interpretation der VO (EG) 883/2004 herangezogen werden.*

Bei dieser unmittelbaren oder auf interpretativem Wege erfolgenden Anwendung der AN-Freizügigkeit spielt es auch keine Rolle, ob sich die Freizügigkeitsbeschränkung aus dem nationalen Recht oder aus der Anwendung der VO (EG) 883/2004 ergibt. Nach ständiger Judikatur des EuGH haben die nationalen Gerichte das innerstaatliche Recht so375weit wie möglich so auszulegen, dass es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.* Nichts anderes gilt auch für die Auslegung des sekundären Unionsrechts. Der EuGH hat festgestellt, dass man über das Ziel der VO (EG) 883/2004 hinausginge und die Zwecke sowie den Rahmen von Art 48 AEUV außer Betracht ließe, wenn man die VO so auslegen würde, dass sie einem Mitgliedstaat verbietet, AN einen weitergehenden sozialen Schutz zu gewähren, als er sich aus der Anwendung dieser VO ergibt. Die unionsrechtlichen Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Sozialsysteme sind nämlich insb in Anbetracht der mit ihnen verfolgten Ziele so anzuwenden, dass sie dem Wander-AN nicht Leistungen aberkennen, die allein nach dem Recht eines Mitgliedstaats gewährt werden.* In diesem Sinne hat auch der OGH die VO (EG) 883/2004 interpretiert und gelangt zum Ergebnis, dass die Exportpflicht von Geldleistungen bei Krankheit (Art 21 VO [EG] 883/2004) auch auf das Rehabilitationsgeld anzuwenden ist.

2.2.
Mögliche Auswirkungen der Herstellung einer größtmöglichen Arbeitnehmerfreizügigkeit auf das österreichische Beamtenpensionssystem

Sowohl der EuGH als auch der OGH wollen somit durch die unmittelbare Anwendung des Art 45 AEUV oder durch Heranziehung des Primärrechts zur Interpretation der VO (EG) 833/2004 eine größtmögliche Freizügigkeit der AN herstellen. Ausgehend vom Urteil Pöpperl* könnte dies aber zum Problem für das österreichische Überweisungssystem im öffentlichen Dienst werden.

In diesem Urteil ging es um eine Regelung, die dazu führt, dass ein Beamter, der eine Beschäftigung im EU-Ausland annimmt, im Herkunftsmitgliedstaat seine Ansprüche auf Ruhegehalt aus der Beamtenversorgung verliert und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert wird, wobei die daraus resultierenden Altersrentenansprüche niedriger sind als die Ruhegehaltsansprüche. Der EuGH ging davon aus, dass diese Regelung eine Beschränkung der AN-Freizügigkeit darstellt, die geeignet ist, die Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen daran zu hindern oder davon abzuhalten, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat anzunehmen.* Damit folgte er dem Urteil Kommission/Zypern,* in dem es ebenfalls um eine nationale Regelung ging, die Beamte, die aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden, um eine berufliche Tätigkeit im EU-Ausland anzunehmen, im Vergleich zu jenen zyprischen Beamten, die ihre Tätigkeit weiter ausüben oder innerhalb des öffentlichen Dienstes in Zypern wechseln, benachteiligt.

Auch das österreichische Überweisungssystem kann durchaus dazu führen, dass der Beamte durch sein Ausscheiden aus dem Beamtensondersystem Nachteile erleidet, etwa weil in diesem System die Leistungsansprüche nicht durch die in der gesetzlichen PV vorgesehene Höchstbeitragsgrundlage begrenzt werden.* Scheidet der Beamte aus dem österreichischen öffentlichen Dienst aus, um ins EU-Ausland zu wechseln, können solche Nachteile geeignet sein, seine AN-Freizügigkeit zu behindern.

Der EuGH übersieht aber meines Erachtens im Urteil Pöpperl, dass die AN-Freizügigkeit in Konflikt mit der VO (EG) 883/2004 tritt. Mit der VO (EG) 1606/98* wurden auch die Sondersysteme für Beamte in den sachlichen Geltungsbereich der Vorgängerregelung der VO (EG) 883/2004 aufgenommen. Allerdings wurden – insb hinsichtlich des Grundsatzes der Zusammenrechnung der Versicherungszeiten (ursprünglich Art 51a VO [EWG] 1408/71, heute Art 60 Abs 2 VO [EG] 883/2004) – abweichende Regelungen vom sonst geltenden Koordinierungssystem vorgesehen. Für die Beamtensondersysteme gilt somit eine Spezialkoordinierung, der auch bei Anwendung der AN-Freizügigkeit Rechnung getragen werden muss.

Auch das österreichische Sondersystem für die Beamtenpensionen unterliegt der Spezialregelung des Art 60 Abs 2 VO (EG) 883/2004. Wie der VwGH* zutreffend ausführt, muss Österreich daher nicht die für die „normalen“ Systeme für Arbeiter oder Selbständige vorgesehenen Regelungen der Pensionsberechnung nach der VO (EG) 883/2004 berücksichtigen. Somit werden für die Prüfung, ob für eine Leistung die verlangte Dauer der ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit vorliegt, nur die im österreichischen Sondersystem zurückgelegten Zeiten berücksichtigt, dh es findet keine Zusammenrechnung mit den im EU-Ausland erworbenen Versicherungszeiten statt.* Nach Linka/Spiegel* gebietet es die Anwendung der nach der VO (EG) 883/2004 vorgesehenen Spezialkoordinierung für Beamtensondersysteme zudem auch nicht, dass bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Sondersystem die erworbenen Zeiten in diesem System verbleiben, weil zum Zeitpunkt des vorzeitigen Ausscheidens auf Grund der im Beamtensondersystem zurückgelegten Zeiten noch kein Anspruch besteht. Daher können die in Österreich geltenden Überweisungsbetragsregelungen auch nach Einbeziehung der Beamtensondersysteme in die Koordinierungs-VO uneingeschränkt angewendet werden.* Vor dem Hintergrund des Urteils Pöpperl zur Anwendung der AN-Freizügigkeit auf376die Beamtensondersysteme scheint dies allerdings nicht mehr so klar zu sein.

Auch bei Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf die nationalen Sozialsysteme trat das Beschränkungsverbot mit der VO (EG) 883/2004 in Konflikt. Der EuGH löste diesen Konflikt jedoch zugunsten der VO (EG) 883/2004. Mit der Begründung, dass die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit in diesem Fall darauf hinauslaufen würde, unmittelbar die Anlage des durch die VO (EWG) 1408/71 (heute VO [EG] 883/2004) errichteten Systems zu beeinträchtigen, wendet er die Dienstleistungsfreiheit dann nicht an, wenn eine Krankenbehandlung unerwartet während eines vorübergehenden Auslandsaufenthalts erforderlich ist, auch wenn dies für den Betroffenen einen Nachteil bedeutet* (siehe 1.1.). Dazu sei auch auf das Urteil Vougioukas* verwiesen, das Auslöser für die Einbeziehung der Beamtensondersysteme in die VO (EWG) 1408/71 war. Darin räumte der EuGH dem Rat einen breiten Ermessensspielraum ein, um in Abweichung von dieser VO das jeweils geeignetste Koordinierungssystem zu wählen. Wie Linka/Spiegel* zutreffend ausführen, kann daraus geschlossen werden, dass die für „normale“ AN und Selbständige nach der VO (EG) 883/2004 vorgesehenen Grundsätze nicht zur Gänze auf die Beamtensondersysteme übertragen werden müssen. Dies ergibt sich auch aus dem 8. Erwägungsgrund zur VO (EG) 1606/98, wonach die Abweichung von der für AN und Selbständige geltenden Koordinierung damit begründet wird, den Besonderheiten der Beamtensondersysteme für die Altersversorgung Rechnung zu tragen und dabei das Gesamtgleichgewicht des Koordinierungssystems zu wahren.

Im Urteil Pöpperl blieben die Besonderheiten der Sondersysteme für Beamte hingegen unberücksichtigt. Vielmehr wurde vom EuGH beanstandet, dass die im Beamtensondersystem von Nordrhein-Westfalen zurückgelegten Zeiten nicht in diesem System verbleiben, sondern eine Nachversicherung in der gesetzlichen PV auslösen, so dass Herr Pöpperl pensionsrechtliche Nachteile erleidet, die geeignet sind, ihn davon abzuhalten, von seinem Recht auf AN-Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Linka/Spiegel bezeichnen hingegen eine andere als die mit der VO (EG) 1606/98 gewählte Lösung als nicht sinnvoll, solange nicht auch grenzüberschreitend Überweisungsbeträge gezahlt werden. Allerdings sehen sie eine solche Koordinierung einer Harmonisierung der Systeme schon sehr nahe, weil diese zweifellos eine Vereinheitlichung der Überweisungsbetragsregelung erfordern würde.* Auch derartige Überlegungen bleiben im Urteil Pöpperl ausgespart.

Auch wenn der EuGH die AN-Freizügigkeit gerne als Korrektiv der VO (EG) 883/2004 sieht und immer wieder von der Herstellung einer größtmöglichen AN-Freizügigkeit spricht, sind meines Erachtens auch dieser Grundfreiheit Grenzen zu setzen. Solche Grenzen anerkennt der EuGH sehr wohl, wenn er in ständiger Judikatur betont, dass das Primärrecht der Union einem Versicherten nicht garantieren kann, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist.* Dazu verweist er auf die nationalen Unterschiede bei der sozialen Absicherung und auf den Zweck der VO (EG) 883/2004, der auf die bloße Koordinierung gerichtet ist. Die Dienstleistungsfreiheit stößt nach Auffassung des EuGH auch dann an ihre Grenzen, wenn sie darauf hinauslaufen würde, unmittelbar die Anlage des durch die VO (EG) 883/2004 errichteten Systems zu beeinträchtigen.* Die Anwendung der AN-Freizügigkeit in der Rs Pöpperl läuft aber sehr wohl darauf hinaus, die Anlage des nach der VO (EG) 883/2004 vorgesehenen Sondersystems für Beamte zu beeinträchtigen. Diese Unterschiede bei der Anwendung der Grundfreiheiten zählen ohne Zweifel zu den negativen Entwicklungen im europäischen Sozialrecht, führen sie doch zu einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit.

3.
Der Sozialtourismus: UnionsbürgerRL statt größtmögliche Freizügigkeit

Die Frage nach den Grenzen der Personenfreizügigkeit im Bereich der sozialen Sicherheit beschäftigte den EuGH in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit dem sogenannten Sozialtourismus. In einer Reihe von Urteilen* hatte er zu entscheiden, inwieweit die Mitgliedstaaten nicht erwerbstätigen Unionsbürgern Zugang zu ihren Sozialsystemen gewähren müssen. Dabei ging es jeweils um Unionsbürger, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben und dort Sozialhilfeleistungen beantragt hatten, die ihnen verweigert wurden. Während die ersten Urteile noch viele Fragen offen ließen, brachten die nachfolgenden Urteile wichtige Klarstellungen.

3.1.
Das Verhältnis zwischen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG

Strittig war jeweils die Gewährung von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gem Art 70 VO (EG) 883/2004, die gem Art 3 Abs 3 VO (EG) 883/2004 vom sachlichen Anwendungsbereich dieser VO erfasst sind. Dabei handelt es sich um Leistungen, die sowohl Merkmale einer Leistung der sozialen Sicherheit als auch solche der Sozialhilfe aufweisen.* Sie sind ausschließlich im Wohnsitzmitgliedstaat nach dessen Rechtsvorschriften zu gewähren (Art 70 Abs 4 VO [EG] 883/2004) und377unterliegen dem in Art 4 VO (EG) 883/2004 verankerten Gleichbehandlungsgebot.*

Bei einer ausschließlichen Betrachtung der VO (EG) 883/2004 würde somit aufgrund des Gleichbehandlungsgebots nach Art 4 iVm Art 70 dieser VO ein Anspruch auf Gewährung der begehrten Sozialleistungen gebühren, da Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats in der gleichen Situation diese Leistungen gewährt worden wären. Der EuGH kam jedoch unter Anwendung der RL 2004/38/EG zu einem anderen Ergebnis. Damit widersprach er Teilen der Lehre, die zum Verhältnis zwischen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG zuvor die Auffassung vertreten hatten, dass eine Leistung, die in den Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 fällt und damit auch dem Gleichbehandlungsgebot unterliegt, nicht gleichzeitig eine Sozialhilfeleistung iSd Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG sein kann.* Auch die Kommission brachte im Verfahren Brey* vor, dass die Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eine gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 verstoßende mittelbare Diskriminierung darstellt, da sie nur Unionsbürger betrifft, die nicht die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen.* Der EuGH vertrat hingegen die Auffassung, dass Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004, wonach die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausschließlich im Wohnortmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt werden, lediglich eine Kollisionsnorm enthält, mit der das anzuwendende Recht und der zuständige Träger bestimmt werden und nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen festgelegt werden.* Es ist grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, diese Voraussetzungen festzulegen, sodass sie den Anspruch auf eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung auch davon abhängig machen können, dass die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat erfüllt sind.*

Felten* führt zutreffend aus, dass der EuGH mit der Rs Brey das Spannungsverhältnis zwischen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG im Falle einer Überschneidung scheinbar dahingehend auflösen wollte, dass die RL vorgeht. Auf Kritik von Schreiber* stößt der Umstand, dass ohne nähere Begründung und ohne Bezugnahme auf die stRsp zur Vorgängervorschrift des Art 4 VO (EG) 883/2004 das Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthalts als unschädlich angesehen wird. Fuchs* sieht diese Begründung darin, dass Gleichbehandlungsgebote bzw Diskriminierungsverbote Einschränkungen zugänglich sind, wenn sie objektiv gerechtfertigt sind. Für den Fall Brey geht er davon aus, dass der Gerichtshof bei unmittelbarer Diskriminierung die Wahrung der berechtigten Interessen der Mitgliedstaaten zum Schutz ihrer öffentlichen Finanzen als einen Rechtfertigungsgrund anerkannt hat. Dies klingt auch im Urteil Dano an, wenn der EuGH ausführt, dass eine potenzielle Ungleichbehandlung von Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt Gebrauch gemacht haben, und Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats bei der Gewährung von Sozialleistungen eine unvermeidliche Folge der RL 2004/38/EG sei, die auf dem Verhältnis beruhe, das der Unionsgesetzgeber in Art 7 dieser RL zwischen dem Erfordernis ausreichender Existenzmittel als Voraussetzung für den Aufenthalt und dem Bestreben, keine Belastung für die Sozialhilfesysteme der Mitgliedstaaten herbeizuführen, geschaffen hat.*

3.2.
Die Konsequenzen der Anwendung der RL 2004/38/EG

Bereits aus den Urteilen Brey* und Dano* geht hervor, dass EU-Ausländer hinsichtlich der Sozialhilfeleistungen nur dann gem Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG wie Inländer behandelt werden müssen, wenn sie die Aufenthaltsvoraussetzungen dieser RL erfüllen. Würden Personen, denen kein solches Aufenthaltsrecht zusteht, derartige Leistungen unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer beanspruchen können, würde dies nach Auffassung des EuGH dem im zehnten Erwägungsgrund der RL 2004/38/EG genannten Ziel zuwiderlaufen, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats durch EU-Ausländer zu verhindern.*

Auch der OGH hatte sich bereits in mehreren Entscheidungen mit dem Antrag auf Ausgleichszulage von nicht erwerbstätigen EU-Ausländern zu befassen.* Der Judikatur des EuGH folgend hielt er fest, dass eine Gleichbehandlung mit Inländern nur jenen wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern zusteht, deren Aufenthalt die Voraussetzungen der RL 2004/38/EG erfüllt. Aus dem Urteil Dano leitete er zutreffend ab, dass die Mitgliedstaaten damit die Möglichkeit haben, im Rahmen der Prüfung des Sozialleistungsanspruchs die Erfüllung der Voraussetzungen der RL 2004/38/EG zu prüfen und auf ihrer Grundlage den Sozialleistungsanspruch zu versagen, ohne dass es einer vorherigen Beendigung des Aufenthalts bedarf.378

Als zu eng erweist sich der Befund des OGH, dass im Ergebnis EU-Bürger, die nicht erwerbstätig sind und nur zum Zweck eines Leistungsbezugs mobil sind, auf der Grundlage von Unionsrecht keine Ansprüche auf Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen können. Diese Einschränkung auf Unionsbürger, die „nur zum Zweck eines Leistungsbezugs mobil sind“, lässt sich spätestens seit den Urteilen Alimanovic und Garcia-Nieto nicht mehr aufrechterhalten.

Ein Unionsbürger kann hinsichtlich des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen somit nur dann eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats verlangen, wenn er sich dort auch rechtmäßig iSd RL 2004/38/EG aufhält. Diese Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht ist vor allem dann von Relevanz, wenn der Aufenthalt länger als drei Monate und kürzer als fünf Jahre dauert.* In diesem Fall ist das Aufenthaltsrecht davon abhängig, dass der nicht erwerbstätige Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt (Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG). Die Frage nach dem Modus der Beurteilung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel wurde erst mit dem Urteil Alimanovic restlos geklärt. Im Urteil Brey hat der EuGH für die Feststellung, ob die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen iS von Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG in Anspruch genommen werden, noch eine umfassende Beurteilung der Frage verlangt, welche Belastungen dem nationalen Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit aus der Gewährung dieser Leistung nach Maßgabe der individuellen Umstände, die für die Lage des Betroffenen kennzeichnend sind, konkret entstünde.* Im Urteil Alimanovic hat der EuGH hingegen festgestellt, dass die einem einzigen Antragsteller gewährte Hilfe schwerlich als „unangemessene Inanspruchnahme“ eines Mitgliedstaats iS von Art 14 Abs 1 RL 2004/38/EG eingestuft werden kann. Eine solche Inanspruchnahme könne nämlich den betreffenden Mitgliedstaat nicht infolge eines einzelnen Antrags, sondern nur nach Aufsummierung sämtlicher bei ihm gestellten Einzelanträge belasten.* Zur Beurteilung, ob die vorhandenen Existenzmittel ausreichend sind, hat somit eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen zu erfolgen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen. Ob ein Unionsbürger die Sozialhilfeleistungen „unangemessen“ in Anspruch nimmt und die Gewährung einer Sozialleistung eine Belastung für das gesamte Sozialhilfesystem dieses Mitgliedstaats darstellt, ist jedoch nicht zu prüfen.*

Auch der OGH ging der Frage nach, ob ein pauschaler Ausschluss von bestimmten Sozialleistungen möglich ist oder ob eine Einzelfallprüfung stattzufinden hat. Zutreffend wies er darauf hin, dass der EuGH im Urteil Dano zwar von seiner Brey-Rsp abgewichen ist und von den Mitgliedstaaten nicht mehr verlangt, eine mögliche Belastung ihrer Sozialsysteme insgesamt zu prüfen, jedoch eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des einzelnen Betroffenen für notwendig hält. Sodann folgerte der OGH aus den Urteilen Alimanovic und Garcia-Nieto, dass der EuGH noch einen Schritt weitergeht und auf eine individuelle Prüfung verzichtet. Dabei übersah er, dass sich diese beiden EuGH-Urteile in einem wesentlichen Punkt vom Urteil Dano unterscheiden: Im Urteil Dano wurde der Sozialleistungsanspruch an das Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG geknüpft, so dass zu prüfen war, ob Frau Dano über ausreichende Existenzmittel verfügt. Dazu hatte eine konkrete Prüfung ihrer wirtschaftlichen Situation zu erfolgen. In den Urteilen Alimanovic und Garcia-Nieto hat sich der Mitgliedstaat hingegen jeweils auf die Ausnahmebestimmung nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG berufen. Nach dieser Bestimmung gilt Folgendes: Hält sich der wirtschaftlich nicht aktive Unionsbürger kürzer als drei Monate im Aufnahmemitgliedstaat auf oder sucht er – ausgenommen während eines Zeitraums von sechs Monaten nach der letzten Beschäftigung – aktiv und nicht völlig aussichtslos Arbeit, hat er zwar ein Aufenthaltsrecht, der Mitgliedstaat kann aber gestützt auf Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG die Gewährung von Sozialhilfeleistungen versagen. Die wirtschaftliche Situation des Betroffenen spielt dabei keine Rolle.*

4.
Die Unterschiede zwischen Gesundheitstourismus und Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit auf der einen und Sozialtourismus auf der anderen Seite

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der EuGH und ihm folgend der OGH im Falle des Sozialtourismus die Freizügigkeit der Unionsbürger eher restriktiv versteht, während der Gesundheitstourismus von Seiten des EuGH durch die Anwendung der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit ebenso forciert wird wie die Herstellung einer größtmöglichen AN-Freizügigkeit. Dies ist angesichts der Unterschiede der zu gewährenden Leistungen sachgerecht. Auf der einen Seite geht es um nationale Regelungen des Versicherungsmitgliedstaats, die geeignet sind, die Versicherten von Auslandskrankenbehandlungen oder einer Arbeitsaufnahme im EU-Ausland abzuhalten, weil ein Verlust von Sozialleistungen, die ihnen bei Verbleib im Inland gebühren würden und für die sie auch Beiträge geleistet haben, droht. In der Regel erwachsen dem zuständigen Krankenversicherungsträger daher keine zusätzlichen Kosten, da er die Leistungen auch ohne Auslandsbezug erbringen hätte müssen. Dort wo es für das nationale Sozialsystem doch zu Nachteilen kommen kann, etwa im Krankenan-379staltenbereich, wo die Planbarkeit der nationalen Gesundheitsversorgung sowie die Vorhaltekosten zu berücksichtigen sind, hält der EuGH auch Beschränkungen der Grundfreiheiten für gerechtfertigt. Beim Sozialtourismus ist die Sachlage hingegen eine gänzlich andere. Hier geht es um Kosten, die dem Aufenthaltsmitgliedstaat entstehen, weil er einem nicht erwerbstätigen Unionsbürger wegen dessen Aufenthalt im Inland Sozialhilfeleistungen gewähren muss. Während somit in dem einen Fall der Anspruch auf eine Sozialleistung wegen eines Wechsels ins EU-Ausland verloren geht, entsteht er im anderen Fall erst dadurch. In diesem Unterschied liegt die sachliche Rechtfertigung für die Beschränkung des Sozialtourismus begründet.

Im Zusammenhang mit dem vom EuGH immer wieder herangezogenen Rechtfertigungsgrund der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Systemen der sozialen Sicherheit spielt vor allem die erhebliche Gefährdung ihres finanziellen Gleichgewichts eine Rolle. Im Urteil Kommission/Zypern hat der EuGH nicht ausgeschlossen, dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, der einen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit rechtfertigen kann, allerdings hat es im konkreten Fall an einer aussagekräftigen Beweisführung gefehlt.* Im Bereich des Gesundheitstourismus anerkennt der EuGH in ständiger Judikatur, dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der geeignet ist, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen.* Im Urteil Müller-Fauré und van Riet* konkretisierte der EuGH den Begriff der erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit dahingehend, dass diese insb dann ein zwingender Grund des Allgemeininteresses sein kann, wenn Auswirkungen auf das Gesamtniveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit möglich sind. Zudem wird eingeräumt, dass selbstverständlich die Übernahme der Kosten einer einzelnen Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsstaat niemals bedeutende Auswirkungen auf die Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit haben kann. Die Auswirkungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Gesundheitswesen sind daher nach zutreffender Auffassung des EuGH notwendig in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten.* Dies muss wohl auch dann gelten, wenn es um die Beschränkung der Personenfreizügigkeit im Rahmen des Sozialtourismus geht. Es ist daher gerechtfertigt, dass der EuGH die RL 2004/38/EG der VO (EG) 883/2004 vorzieht und auf eine unmittelbare oder auf interpretativem Weg erfolgende Anwendung der Freizügigkeit der Unionsbürger verzichtet.

5.
Conclusio

Grundsätzlich ist es als positiv zu beurteilen, dass der EuGH die Grundfreiheiten immer wieder als Korrektiv der VO (EG) 883/2004 heranzieht. Dies gilt etwa dann, wenn eine dem bloßen Wortlaut der VO (EG) 883/2004 folgende Einordnung neuer nationaler Sozialleistungen in das Koordinierungsregime dieser VO zu unangemessenen Ergebnissen führen würde. Die Judikatur hat damit die Möglichkeit, rascher auf Änderungen im nationalen Sozialrecht zu reagieren, als wenn auf eine Änderung der VO gewartet werden müsste.

Heikel wird der Rückgriff auf die Grundfreiheiten aber immer dann, wenn sich wichtige Entwicklungen des europäischen Sozialrechts zusehends auf die Judikaturebene verlagern, ohne dass es zu einer Kodifizierung kommt. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit war ein Kritikpunkt an der sonst positiv zu bewertenden Entwicklung des Gesundheitstourismus durch Anwendung der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit. Mit der Verabschiedung der RL 2011/24/EU wurde dieser Kritik schließlich begegnet.

Die Rechtssicherheit leidet aber auch dann, wenn der EuGH bei Anwendung der Grundfreiheiten unterschiedliche Maßstäbe anwendet, was insb ihre Reichweite betrifft. Während er in seinen Urteilen zum Gesundheitstourismus sehr wohl immer wieder bereit ist, Beschränkungen der Grundfreiheiten zuzulassen, ist er – abgesehen vom Sonderfall des Sozialtourismus – bei Anwendung der AN-Freizügigkeit im Bereich der Sozialrechtskoordinierung sehr stark auf die Herstellung einer größtmöglichen Freizügigkeit fokussiert.380