Die Auswirkungen der EuGH-Judikatur zum Begriff der Arbeitskräfteüberlassung auf das LSD-BG
Die Auswirkungen der EuGH-Judikatur zum Begriff der Arbeitskräfteüberlassung auf das LSD-BG
Einleitung
Ausgangssituation
Die Definition der Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG
Die Definition der Arbeitskräfteüberlassung durch den EuGH
Die EntsendeRL erfasst sowohl Entsendungen auf Basis eines Werkvertrages (Entsendung ieS) als auch grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung
Die EntsendeRL unterscheidet grundsätzlich nicht zwischen Entsendung ieS und Arbeitskräfteüberlassung
Die Mitgliedstaaten können „ihre“ Mindestlohnsätze sowohl für Entsendungen ieS als auch für grenzüberschreitende Überlassungen vorsehen
Schlussfolgerungen
Die Definition der Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG und die Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung sind nicht deckungsgleich
§ 6 LSD-BG ist iSd EuGH-Judikatur einschränkend auszulegen
Für den „harten Kern“ der Arbeitsbedingungen ist Österreich nicht an die Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung gebunden
Zur Entscheidung des VwGH vom 22.8.2017 über die Entsendemeldungen
Ausgangssituation
Die Entscheidung des VwGH vom 22.8.2017
Exkurs: Die europäischen Vorgaben für Entsendemeldungen
Fazit
2011 und 2015 hat sich der EuGH in zwei Entscheidungen näher mit dem Begriff der Arbeitskräfteüberlassung bzw der Abgrenzung zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag auseinandergesetzt.* Hintergrund beider Verfahren waren die Übergangsbestimmungen zum Arbeitsmarkt in den Beitrittsakten zu den 2004 der EU beigetretenen Mitgliedstaaten. Die Unterscheidung zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Entsendung auf Grund eines Werkvertrages war dabei entscheidungsrelevant. Brodil/Dullinger haben sich dann 2017 in einem Beitrag in der ZAS diesem Thema angenommen* und kommen zum Schluss, dass der Begriff der Arbeitskräfteüberlassung jedenfalls bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nach den §§ 3 und 4 AÜG unionskonform auszulegen sei. Dies würde sich aus der EntsendeRL ergeben, denn diese „erlaubt den Mitgliedstaaten in Art 3 Abs 9 vorzusehen, dass
394Unternehmen überlassene AN iSd Art 1 Abs 3 lit c diejenigen Bedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, für Leih-AN gelten. Für überlassene AN
– so Brodil/Dullinger weiter – können die Mitgliedstaaten also ein höheres Schutzniveau vorsehen als für AN, die „nur“ aufgrund einer Werkvertragsentsendung in diesem Mitgliedstaat tätig werden. Von dieser Möglichkeit hat Österreich auch Gebrauch gemacht.
“* In der Fußnote wird dann auf den vor 2017 geltenden § 10a AÜG und den seit dem 1.1.2017 geltenden § 6 Abs 1 LSD-BG verwiesen. In den Schlussfolgerungen zu diesem Gedankengang wird jedoch nicht mehr zwischen dem „höheren Schutzniveau“ auf Grund des Art 3 Abs 9 EntsendeRL und dem „allgemeinen“ Schutzniveau der EntsendeRL unterschieden, sondern „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“, indem – unabhängig vom Schutzniveau – generell die EuGH-Rsp zum Begriff der Arbeitskräfteüberlassung für grenzüberschreitende Sachverhalte für relevant erklärt wird. Mit den Argumenten, dass das AÜG nur einen einheitlichen Begriff der Arbeitskräfteüberlassung verwendet, eine Unterscheidung zwischen Inlandssachverhalten und Auslandssachverhalten zu einer Benachteiligung der inländischen Unternehmen führen würde und eine objektive Rechtsfertigung für diese Ungleichbehandlung zweifelhaft ist, plädieren Brodil/Dullinger weiters für eine unionsrechtskonforme Interpretation auch bei reinen Inlandssachverhalten.
Argumentiert wird also im Wesentlichen mit der sogenannten Sperrwirkung der EntsendeRL, also damit, dass „ein Mitgliedstaat grundsätzlich über die Ausnahmen der EntsendeRL hinaus eine Anwendung seines Rechts auf Entsandte nicht normieren darf. Der nationale Begriff der Arbeitskräfteüberlassung dürfe in diesem Zusammenhang nicht weiter sein, als jener der RL
“.* Auf der gleichen Linie argumentiert Niksova in einer Besprechung einer E des VwGH vom 22.8.2017.* Im August 2017 hatte der VwGH nämlich einen Fall zu entscheiden,* wo der Unterschied zwischen dem Begriff der Arbeitskräfteüberlassung nach den §§ 3 und 4 AÜG und dem Begriff der Arbeitskräfteüberlassung nach der Definition des EuGH entscheidungsrelevant war. Der VwGH argumentierte gestützt auf die Gesetzesmaterialen, dass die unionsrechtlichen Kriterien für die Interpretation der §§ 3 und 4 AÜG maßgeblich seien und daher bei der Abgrenzung von Arbeitskräfteüberlassung zum Werkvertrag eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Entscheidungen des EuGH vorzunehmen sei.
Der folgende Beitrag erörtert in Kapitel 2 und 3 die Auswirkungen der EuGH-Entscheidungen auf die materiellrechtlichen Bestimmungen des LSD-BG zur Arbeitskräfteüberlassung. Dabei wird aufgezeigt, dass die unionsrechtliche Verschiebung der Grenze zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag nicht zwangsläufig bedeutet, dass der von der Verschiebung betroffene Teil zur Gänze aus dem Anwendungsbereich der EntsendeRL fällt. Nur dort, wo der Begriff der Arbeitskräfteüberlassung iSd EntsendeRL eine Grenze vorgibt, greift die sogenannte Sperrwirkung der EntsendeRL.
Kapitel 4 widmet sich der erwähnten E des VwGH, erörtert die europäischen Vorgaben für Entsendemeldungen und stellt fest, dass es keinerlei Vorgaben gibt, wonach die Mitgliedstaaten bei Entsendemeldungen die Terminologie des EuGH einhalten müssen.
Die Überlassung von Arbeitskräften nach § 3 AÜG ist die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte. Überlasser ist, wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet. Beschäftiger ist, wer Arbeitskräfte eines Überlassers zur Arbeitsleistung für betriebseigene Aufgaben einsetzt. § 4 Abs 1 ordnet an, dass für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend ist. Insb kann unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegen, wenn die Arbeitsleistung der Arbeitskraft in Erfüllung eines Werkvertrages erbracht wird. Grundvoraussetzung dieser Arbeitskräfteüberlassung in Erfüllung eines Werkvertrages ist, dass die Arbeit im Betrieb des Werkbestellers erfolgt. Weiters muss eines der vier in § 4 Abs 2 Z 1 bis 4 AÜG angeführten Tatbestände gegeben sein. „Ist keiner der Tatbestände (auch nur) einer dieser vier Ziffern gänzlich erfüllt, sind aber dennoch einige der in diesen vier Ziffern genannten oder ihnen gleichwertige Tatbestandselemente gegeben, so ist im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtbeurteilung zu entscheiden, ob dem wirtschaftlichen Gehalt nach dennoch die Überlassung von Arbeitskräften im Vordergrund steht.
“* Grundsätzlich genügt es aber, wenn bereits einer der vier Ziffern erfüllt ist. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „oder“ und wurde in diesem Sinne durch den OGH* und seit Jahren in stRsp durch den VwGH* entschieden (siehe Abbildung A). Ein Teil der Lehre kritisierte diese Rechtsansicht entweder unter Hinweis auf die Systematik des AÜG und die Materialien oder vertritt die Ansicht, dass eine Erfüllung von Werkverträgen durch Arbeitskräfte-395überlassung nicht möglich sei und der Gesetzgeber in § 4 Abs 2 AÜG die Bezeichnungen „Werkbesteller“ und „Werkunternehmer“ zu Unrecht verwendet.*
Von der Rechtsansicht, dass es für die Qualifikation als Arbeitskräfteüberlassung genügt, wenn einer der in § 4 Abs 2 AÜG angeführten Tatbestände vorliegt, ist der VwGH in der E vom 22.8.2017 abgewichen.* Es ging bei dieser E um die Meldung einer grenzüberschreitenden Überlassung nach § 17 Abs 2 AÜG. Der VwGH vertrat die Ansicht, dass in Bezug auf die Abgrenzung von Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag die einschlägigen Entscheidungen des EuGH zum Begriff der Arbeitskräfteüberlassung maßgeblich seien* und kommt zum Ergebnis, dass eine „Gesamtbetrachtung“ vorzunehmen sei.* Ausgehend von dieser E wird vertreten, dass eine Judikaturwende des VwGH zum Begriff der Arbeitskräfteüberlassung vorliegt,* und dass es verfassungsrechtlich geboten sei, diese Abgrenzung auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte anzuwenden.*
Abbildung A:
Der EuGH hat sich in zwei Entscheidungen näher mit dem Begriff der Arbeitskräfteüberlassung auseinandergesetzt. Hintergrund beider Verfahren waren die Übergangsbestimmungen zum Arbeitsmarkt in den Beitrittsakten zu den 2004 der EU beigetretenen Mitgliedstaaten.* In diesen Beitrittsakten gibt es nämlich wesentliche Unterschiede zwischen der AN-Freizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit. Während für die AN-Freizügigkeit die Übergangsbestimmungen in Bezug auf alle Branchen und alle Mitgliedstaaten zur Anwendung kamen, traf dies für die AN-Entsendung im Zuge der Dienstleistungsfreiheit nur für Deutschland und Österreich und nur für bestimmte Branchen zu. Ausgangspunkt der Rs Vicoplus* waren Geldstrafen, die gegen drei Unternehmen verhängt wurden, weil sie polnische AN in die Niederlande entsandt hatten, ohne über eine Beschäftigungserlaubnis zu verfügen. Holland stützte sich dabei einerseits auf die auf Grund der Übergangsbestimmungen zulässigen Beschränkungen der AN-Freizügigkeit und andererseits darauf, dass es sich in den konkreten Fällen um Arbeitskräfteüberlassung handelt und diese nicht unter die Dienstleistungsfreiheit, sondern unter die AN-Freizügigkeit fällt. Der EuGH beurteilte die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zwar als Dienstleistung, gab aber im Endeffekt dennoch Holland recht und definierte Arbeitskräfteüberlassung bzw eine Entsendung iSd Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL als eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung, bei der der entsandte AN im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen würde. Ihr wesentliches Merkmal besteht darin, dass der Wechsel des AN in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist und dass der AN seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnimmt. Darauf aufbauend hat der EuGH sein Verständnis von Arbeitskräfteüberlassung iS von Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL in der Rs Martin Meat* noch klarer definiert. Demnach ist jeder Anhaltspunkt zu berücksichtigen, ob der Wechsel des AN in den Aufnahmemitgliedstaat den eigentlichen Gegenstand der Dienstleistung, auf den sich dieses Vertragsverhältnis bezieht, darstellt oder nicht. Einen Hinweis darauf, dass ein solcher Wechsel nicht der eigentliche Gegenstand der betreffenden Dienstleistung ist, stellen grundsätzlich ua der Umstand dar, dass der Dienstleistungserbringer die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich vereinbarten Leistung trägt, sowie der Umstand, dass es dem Dienstleistungserbringer freisteht, die Zahl der AN zu bestimmen, deren Entsendung in den Aufnahmemitgliedstaat er für sachgerecht hält. Hingegen erlaubt der Umstand, dass das Unternehmen, dem die betreffende Leistung zugutekommt, kontrolliert, ob diese vertragsgemäß ist, oder allgemeine Anweisungen an die AN des Dienstleistungserbringers erteilen kann, als solcher nicht die Schlussfolgerungen, dass eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt.396
Abbildung B:
Die EntsendeRL gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen AN gem Art 1 Abs 3 der EntsendeRL in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats entsenden (Art 1 Abs 1 EntsendeRL). Abs 3 leg cit zählt drei Entsendesituationen auf:
„Dienstleistungsentsendung“: Eine Entsendung im Rahmen eines Vertrages, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in dem im Empfangsstaat tätigen Dienstleistungsempfängers geschlossen wurde. Diese Form der Entsendung wird im Folgenden als Entsendung ieS bezeichnet. Die rechtliche Grundlage für den Einsatz des AN wird in der Regel ein Werkvertrag sein.
„Konzernentsendung“: Entsendung eines AN in eine Niederlassung oder in ein Konzernunternehmen in einem anderen Mitgliedstaat.*
Grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung: Entsendung eines AN als Leiharbeitskraft an einen Beschäftigerbetrieb in einen anderen Mitgliedstaat (im Folgenden kurz: grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung).*
Während also bei den den Arbeitsmarkt betreffenden Übergangsbestimmungen die Unterscheidung zwischen Entsendung ieS und Arbeitskräfteüberlassung von hoher Relevanz war bzw ist,* trifft dies für die EntsendeRL nicht zu. Beide Formen der Entsendung sind vom Anwendungsbereich erfasst.
Die EntsendeRL unterscheidet auch im Weiteren grundsätzlich nicht zwischen Entsendung ieS und grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung. Dies betrifft insb die zentrale Bestimmung des Art 3 Abs 1. Demnach sorgen die Mitgliedstaaten „dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbare Recht
(also unabhängig von dem Recht, welches auf Grund der Rom I VO anwendbar ist) die in Artikel 1 Abs 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten AN bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird
(also im Empfangsstaat), – durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder – durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge
(österreichische Terminologie: Kollektivverträge) oder Schiedssprüche im Sinne des Absatz 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen
(dabei handelt es sich im Wesentlichen um Bauleistungen), festgelegt sind
“. Danach folgt die Auszählung dieser besonderes geschützten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, welche auch als „harter Kern“* bezeichnet werden. Dazu zählen insb Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten, bezahlter Mindestjahresurlaub, Mindestlöhne sowie Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.
Art 3 Abs 1 bezieht sich also auf AN, die von Unternehmen iSd Art 1 Abs 1 in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden. Art 1 Abs 1 wiederum verweist auf die Entsendeformen des Art 1 Abs 3 (siehe oben) und erfasst daher Entsendungen ieS, Konzernentsendungen und grenzüberschreitende Überlassungen.
Die Mitgliedstaaten sind also verpflichtet, den „harten Kern“ der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auf die in ihr Territorium entsandten AN ieS und auf die grenzüberschreitend überlassenen AN auszudehnen, sofern es sich um Rechts- oder Verwaltungsvorschriften handelt. Handelt es sich um Kollektivverträge, so gilt diese Verpflichtung 1. nur für solche, die die Anforderungen nach Abs 8 erfüllen und 2. sofern es sich um die im Anhang aufgelisteten Tätigkeiten („Bauleistungen“) handelt. Für Tätigkeiten, die nicht im Anhang angeführt sind, kann der Mitgliedstaat die Kollektiverträge auf entsandte AN ieS und grenzüberschreitend überlassene AN vorschreiben. Dies aber auch für diese Tätigkeiten nur unter der Voraussetzung, dass die Kollektivverträge die Anforderungen nach Abs 8 erfüllen. Festgelegt ist dies ausdrücklich in Art 3 Abs 10 zweiter Gedankenstrich.
Vom Grundsatz, dass die EntsendeRL nicht zwischen Entsendung ieS und grenzüberschreitender397Arbeitskräfteüberlassung unterscheidet, gibt es zwei Ausnahmen.* Einerseits ermöglicht Art 3 Abs 9, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass Unternehmen, die AN grenzüberschreitend überlassen, diejenigen Bedingungen garantieren, die in ihrem Mitgliedstaat für Leih-AN gelten. Der Aufnahmestaat kann also anordnen, dass alle für Leih-AN im Aufnahmestaat geltenden Vorschriften – Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie Kollektiverträge – auch auf entsendete Leih-AN anwendbar sind. Die Ermächtigung des Art 3 Abs 9 geht also über Art 3 Abs 1 und Art 3 Abs 10 hinaus.* MaW: Der Mitgliedstaat ist nicht an den im Art 3 Abs 1 angeführten Katalog des „harten Kerns“ der geschützten Arbeitsbedingungen gebunden, sondern kann darüber hinausgehend alle für „seine“ Leih-AN geltenden Vorschriften auf grenzüberschreitend entsandte Leih-AN erstrecken.*
Die zweite Ausnahme ist bloß eine mittelbare. Zum „festen Kern“ der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zählen auch Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insb durch Leiharbeitsunternehmen (Art 3 Abs 1 lit d). Diese Vorschrift bezieht sich definitionsgemäß auf überlassene AN. Um welche Bedingungen es sich hierbei handelt, ist unklar. Rebhahn/Windisch-Graetz kommen zum Ergebnis, dass Beschränkungen der Leiharbeit, wie etwa ein Erlaubnisvorbehalt, sicher erfasst wären. „Fraglich ist hingegen, ob Buchstabe c
(Anm: gemeint ist offenbar Buchstabe d) im Übrigen alle vertragsrechtlichen Vorschriften zur Überlassung erfasst (also insoweit denselben Inhalt hat wie Abs 9), oder nur einen Teil dieser.
“* Sollten – mit Ausnahme der bereits in Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis g EntsendeRL angeführten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen – „alle“ vertragsrechtlichen Vorschriften für überlassene Arbeitskräfte erfasst sein und sohin kein Unterschied zu Art 3 Abs 9 bestehen, dann hätte letztere Bestimmung keinen Anwendungsbereich und wäre redundant. Dies wäre aber für Rechtstexte ungewöhnlich, wenig sinnvoll und wird dem europäischen Gesetzgeber im Zweifel nicht zu unterstellen sein. Eine mit dem Wortlaut vereinbare und sinngebende Auslegung könnte jedoch sein, dass Art 3 Abs 1 lit d die Bedingungen für die Überlassung ieS betrifft. Im österreichischen Kontext wäre dies die Bestimmung, wonach keine Arbeitskraft ohne ihre ausdrückliche Zustimmung überlassen werden (§ 2 Abs 2 AÜG) und durch den Einsatz überlassener Arbeitskräfte für die AN im Beschäftigerbetrieb keine Beeinträchtigung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und keine Gefährdung der Arbeitsplätze bewirkt werden darf (§ 2 Abs 3 AÜG). Der Anwendungsbereich für Art 3 Abs 9 EntsendeRL wäre dann für Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die nicht durch Art 3 Abs 1 EntsendeRL erfasst sind, wie etwa Entgeltfortzahlung, Versetzungsschutz, Kündigungs- und Entlassungsschutz und Arbeitszeitvorschriften, soweit sie nicht Höchstarbeitszeiten oder Mindestruhezeiten betreffen.
Übersicht:
Art 3 Abs 1 lit a bis c und lit e bis g EntsendeRL (im Folgenden Bereich X bezeichnet) | Art 3 Abs 1 lit d EntsendeRL (im Folgenden Bereich Y bezeichnet) | Art 3 Abs 9 EntsendeRL (im Folgenden Bereich Z bezeichnet) |
Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten, bezahlter Mindestjahresurlaub, Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze mit Ausnahme der zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme, Sicherheit, Gesundheit und Hygiene am Arbeitsplatz, Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen, Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen | Bedingungen für die Überlassung; im österreichischen Kontext insb § 2 Abs 2 und 3 AÜG | Bedingungen soweit sie nicht durch Art 3 Abs 1 lit a bis g erfasst sind und auch für inländische Leih-AN gelten, wie etwa Entgeltfortzahlung, Versetzungsschutz, Kündigungs- und Entlassungsschutz, Arbeitszeitvorschriften, soweit sie nicht Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten betreffen, DN-Haftpflichtgesetz, Pflegefreistellung, Aufwandersatz, Elternkarenz und Elternteilzeit, Dienstzeugnis |
Die EntsendeRL ermöglicht es den Mitgliedstaaten also, die nationalen Vorschriften für den „harten Kern“ an Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für entsandte AN ieS als auch für überlassene AN vorzusehen. Genau genommen für die in Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis f EntsendeRL angeführten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Lit d bezieht sich ja definitionsgemäß nur auf die Überlassung von Arbeitskräften.
Die praktisch wichtigste Bedeutung in diesem Zusammenhang haben die Mindestlohnsätze, also die lit c. Damit diese Mindestlohnsätze auf entsandte AN ieS oder grenzüberschreitend überlassene AN erstreckt werden können, müssen mehrere Voraussetzungen bzw Vorgaben erfüllt sein:
Die Mindestlöhne müssen entweder auf einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift beruhen398oder auf einem KollV oder Schiedsspruch. Beruhen sie auf einem KollV oder Schiedsspruch, dann müssen sie die Voraussetzungen des Art 3 Abs 8 EntsendeRL erfüllen, also „flächendeckende“ Wirkung haben.*
Die Mindestlohnvorschriften dürfen weiters nicht diskriminierend gegenüber AG bzw AN aus anderen Mitgliedstaaten sein oder in Hinblick auf Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung, Rasse oder ethnischer Herkunft.*
Die Lohnvorschriften müssen zugänglich und klar („transparent“) sein. Letzteres ergibt sich aus der Dienstleistungsfreiheit bzw aus der einschlägigen Rsp des EuGH.*
Im Übrigen verweist die EntsendeRL in Bezug auf den Begriff der Mindestlohnsätze ausdrücklich auf die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet der AN entsandt wird.* Dies impliziert, dass die Art und Weise der Berechnung des Mindestlohnsatzes und die dafür herangezogenen Kriterien ebenfalls in die Zuständigkeit des Aufnahmemitgliedstaates fallen. Vorschriften über die Berechnung der Mindestlöhne auf Stunden- oder auf Akkordbasis oder die Einteilung der AN in Lohngruppen, die im Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage verschiedener Kriterien angewandt werden, wie etwa der Qualifikation, der Ausbildung und der Erfahrung der AN und/oder der Art der von ihnen ausgeübten Tätigkeit, treten daher an die Stelle der Vorschriften, die im Herkunftsmitgliedstaat auf die entsandten AN anwendbar sind.* Der Mindestlohn kann also insb auch branchenspezifisch geregelt sein und erfasst die gesamte Lohnstruktur (Lohngitter) und nicht bloß den untersten Mindestlohn.* Zuschläge, Zulagen und insb auch Entsendungszulagen sind grundsätzlich vom Begriff Mindestlohn erfasst. Letztere jedoch nur soweit sie nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich dem Entsendeten entstandene Kosten, wie zB Reise-Unterbringungs- und Verpflegungskosten, gezahlt werden.*
Die Definition der Arbeitskräfteüberlassung nach § 4 AÜG und die Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung iSd Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Anschaulich wird der Unterschied am Beispiel der E Martin Meat. Dieser E lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2007 schloss die Alpenrind GmbH (im Folgenden: Alpenrind), eine auf die Zerlegung von Fleisch und die Vermarktung von verarbeitetem Fleisch spezialisierte Gesellschaft österreichischen Rechts, mit der in Ungarn ansässigen Gesellschaft Martin Meat einen Vertrag. Nach diesem Vertrag sollte Martin Meat pro Woche 25 Rinderhälften verarbeiten und verkaufsfertig verpacken. Die Verarbeitungs- und die Verpackungstätigkeiten fanden in den in Salzburg gelegenen Räumlichkeiten des Schlachthofs von Alpenrind statt. Diese Räumlichkeiten und die für die genannten Tätigkeiten erforderlichen Maschinen wurden von Martin Meat gemietet, Alpenrind zahlte einen pauschalen Mietzins. Alpenrind trug die Betriebskosten für die Räumlichkeiten. Dass bei den genannten Tätigkeiten benutzte Material, wie Messer, Sägen und Schutzkleidung, gehörte Martin Meat. Diese Tätigkeiten wurden durch die ungarischen AN von Martin Meat ausgeführt. Der Vorarbeiter von Alpenrind erteilte dem Vorarbeiter von Martin Meat Weisungen hinsichtlich der zu verarbeitenden Rinderhälften und der Art und Weise der Verarbeitung. Anschließend organisierte der Vorarbeiter von Martin Meat die Arbeit dieser AN, denen er Weisungen erteilte. Alpenrind kontrollierte die Qualität der geleisteten Arbeit. Die Vergütung für die von Martin Meat erbrachten Dienstleistungen berechnete sich nach der Menge des verarbeiteten Fleischs. Sie wurde herabgesetzt, wenn die Qualität des verarbeiteten Fleischs unzureichend war.* Beurteilt nach § 4 AÜG liegt Arbeitskräfteüberlassung vor. Die AN erbringen ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers und stellen kein von den Produkten des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk her. Die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 Z 1 AÜG sind daher erfüllt.* Demgegenüber ist für den EuGH offenbar der Umstand, in welchen Räumlichkeiten die Dienstleistung erbracht wird, nicht von Relevanz.* Er orientiert sich ausschließlich an dem Vertrag zwischen dem Dienstleistungserbringer und dem Dienstleistungsempfänger. Fragen wie insb: „Wen treffen die Folgen einer nicht ordnungsgenmäßen Erfüllung des Vertrages?“ oder „Wer bestimmt die Anzahl der eingesetzten AN?“ stehen im Vordergrund.
Bei diesem bloß am Vertrag zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger orientierten Verständnis der Arbeitskräfteüberlas-399sung wollte der österreichische Gesetzgeber nicht stehen bleiben. Er hat deshalb für die vier in § 4 Abs 2 AÜG angeführten Tatbestände vorgesehen, dass eine Arbeitskräfteüberlassung auch dann vorliegt, wenn die Arbeitsleistungen „in Erfüllung von Werkverträgen
“ erbracht werden. Der Vertrag zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger kann somit ein Werkvertrag sein und die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen den beiden Vertragspartnern dieses Vertrags richten sich grundsätzlich nach den Rechtsvorschriften für Werkverträge. Soweit jedoch in Erfüllung dieser Werkverträge Arbeitskräfte zum Einsatz kommen, richten sich deren Rechte und Pflichten nach dem AÜG. Eine ungewöhnliche Konstruktion, die jedoch sozialpolitisch von hoher Relevanz sind, wie sich am Beispiel der sozialen Verwerfungen in Deutschland vor einigen Jahren unter dem Stichwort „Werkvertragler“ gezeigt hat.*
Wie auch immer, festzuhalten ist, dass die Definition der Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG und die Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung nicht deckungsgleich sind. Es gibt einen Bereich, wo sich beide Definitionen decken. Es gibt aber auch einen Bereich, wo die Definition der Arbeitskräfteüberlassung nach dem AÜG weiter ist als die Definition des EuGH. Dieser Bereich wird im Folgenden als „AÜ+“ bezeichnet. Er fällt nach dem AÜG in den Bereich der Arbeitskräfteüberlassung, nach dem EuGH in den Bereich der Entsendung auf Grund eines Werkvertrages, also in den Bereich Entsendung ieS (siehe Abbildung C).
Da § 2 Abs 2 LSD-BG auf § 4 Abs 2 AÜG verweist, bedeutet dies, dass auch die Definition der Arbeitskräfteüberlassung des LSD-BG weiter ist als die Definition der Arbeitskräfteüberlassung des EuGH nach Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL. Welche Auswirkungen dies auf das LSD-BG hat, ist Gegenstand der folgenden Erörterungen.
Die Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend überlassene Arbeitskräfte sind in den §§ 4 Abs 2 und 6 LSD-BG geregelt. Maßgeblich für den Begriff der Arbeitskräfteüberlassung ist dabei gem § 2 LSD-BG der wahre wirtschaftliche Gehalt sowie § 4 Abs 2 AÜG. Da jedoch, wie soeben festgestellt, dieser Begriff der Arbeitskräfteüberlassung über den Begriff der Arbeitskräfteüberlassung gem Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL hinausgeht, stellt sich die Frage, ob die Anwendung der §§ 4 Abs 2 und 6 LSD-BG für Entsendungen „AÜ+“ europarechtskonform ist. Hierbei ist einerseits zwischen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu unterscheiden, wo der Bereich „AÜ+“ über den Anwendungsbereich der EntsendeRL hinausgeht und insofern die sogenannte Sperrwirkung der EntsendeRL greift und andererseits den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, wo Entsendungen „AÜ+“ weiterhin in den Anwendungsbereich der EntsendeRL fallen. Für Arbeitsbedingungen, die unter Art 3 Abs 9 EntsendeRL fallen (Bereich Z), bildet der Überlassungsbegriff des Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL die Grenze. Gleiches gilt für den Bereich Y. Diese Bereiche können daher grundsätzlich* nicht für entsandte AN vorgeschrieben werden. Anders verhält es sich jedoch bei den Arbeitsbedingungen gem Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis g EntsendeRL (Bereich X). Für diese Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gilt der Anwendungsbereich des Art 1 Abs 3 lit a, b und c und sohin ist auch die Entsendung ieS erfasst. Da Entsendungen „AÜ+“ europarechtlich als Entsendung ieS zu qualifizieren sind, können für diese Entsendungen folglich auch die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Empfangsstaates iS von Mindeststandards vorgeschrieben werden. Es ist daher festzuhalten: Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Bereiche Y und Z können für Entsendungen „AÜ+“ grundsätzlich nicht vorgeschrieben werden, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Bereichs X jedoch sehr wohl.
Für die §§ 4 Abs 2 und 6 LSD-BG bedeutet dies Folgendes: Relativ klar ist die Unterscheidung bei § 6 Abs 1 LSD-BG („Entgeltfortzahlung, Beendigungsrecht“) und bei § 4 Abs 2 LSD-BG (Urlaub). Für Entsendungen „AÜ+“ wird § 6 Abs 1 LSD-BG (Bereich Z) nicht zur Anwendung kommen, § 4 Abs 2 LSD-BG (Bereich X bzw Art 3 Abs 1 lit b EntsendeRL) kommt für Entsendungen „AÜ+“ zur Anwendung. § 6 Abs 2 und 3 LSD-BG („Kollektivverträge für gewerblich überlassene Arbeitskräfte; AÜG“) gilt für Entsendungen „AÜ+“ soweit es sich um den Bereich X handelt.
§ 4 Abs 2 LSD-BG | § 6 Abs 1 LSD-BG | § 6 Abs 2 und 3 LSD-BG |
gilt für Entsendungen „AÜ+“ | Keine An-wendung auf Entsendungen „AÜ+“ | Anwendung auf Entsendungen „AÜ+“, soweit es sich um den Bereich X handelt, also insb Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten, Mindestlöhne |
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gem Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis g EntsendeRL kann Österreich auch für Entsendungen „AÜ+“ vorschreiben. Unter welcher Etikette dies erfolgt, ist nicht von Relevanz. Dies gilt insb für Mindestlöhne, die „durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaates bestimmt werden, in dessen Hoheitsgebiet der AN entsandt wird“400(Art 3 Abs 1 letzter Absatz EntsendeRL). Österreich kann daher auch Mindestlöhne für überlassene Arbeitskräfte vorschreiben, die nicht unter Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL fallen. Wesentlich ist, dass die Entsendungen durch den Anwendungsbereich des Art 1 Abs 3 insgesamt abgedeckt sind. Erforderlich ist weiters, dass die Mindestlöhne die oben in Kapitel 1.5. angeführten Voraussetzungen a) („Gesetz oder Kollektivertrag“), b) („keine Diskriminierung“) und c) („Transparenz“) erfüllen. Der Umstand, dass diese Lohngestaltung in einem Gesetz geregelt wird, welches Arbeitskräfteüberlassungsgesetz lautet, ist irrelevant. Fazit: § 10 Abs 1 AÜG findet daher grundsätzlich* auf Entsendungen „AÜ+“ weiterhin Anwendung.
Abbildng C:
§ 19 LSD-BG sieht vor, dass AG und Überlasser mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat, EWR-Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Beschäftigung von nach Österreich entsandten AN und nach Österreich überlassenen AN zu melden haben. Der Inhalt der Meldung findet sich in den Abs 3, 4 und 7. Abs 7 betrifft die Meldung von mobilen AN im Transportbereich. Abs 3 betrifft die Meldung bei Entsendung und Abs 4 die Meldung bei grenzüberschreitender Überlassung. Der Inhalt der Meldung für die Entsendung und für die grenzüberschreitende Überlassung Abs 3 und 4 ist sehr ähnlich. Die Unterschiede ergeben sich auf Grund der unterschiedlichen Natur der Beschäftigung. Für die Praxis bedeutet dies, dass für die Entsendung ieS das Formular ZKO 3 und für die grenzüberschreitende Überlassung das Formular ZKO 4 zu verwenden ist.*
Vor dem LSD-BG waren die entsprechenden Meldepflichten in § 7b Abs 3 AVRAG und in § 17 Abs 2 AÜG geregelt.
Bei der gegenständlichen E ging es um ein Straferkenntnis gegen den verwaltungsstrafrechtlich verantwortlichen Vertreter eines ungarischen Unternehmens, welches keine Entsendemeldung erstattet hat. Die Behörde stufte die Entsendung, beurteilt gem § 4 Abs 2 AÜG und die dazu ergangene Rsp, als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung ein und verhängte eine Verwaltungsstrafe wegen Übertretung des § 17 Abs 2 AÜG. Der VwGH argumentierte unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien, dass die gegenständliche Bestimmung des AÜG auch der Umsetzung von Unionsrecht dient und dessen Vorgaben bei der Vollziehung dieser Gesetzesbestimmungen daher zu berücksichtigen sei. Vor diesem Hintergrund seien die Kriterien für die Arbeitskräfteüberlassung gem Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL entscheidend und maßgebend für die Beurteilung, ob (grenzüberschreitende) Arbeitskräfteüberlassung iSd §§ 3 und 4 AÜG vorliegt.*
Um welche Vorgaben des Unionsrechts es sich dabei konkret handelt, wird vom Gericht nicht klar offengelegt. Die Definition der Arbeitskräfteüberlassung nach Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL an sich ist noch keine Vorgabe. Mittelbar könnte diese Definition dann eine Vorgabe sein, wenn das EU-Recht eine Entsendemeldung nur für den Bereich Arbeitskräfteüberlassung zulassen würde. Das ist jedoch definitiv nicht der Fall und selbst der VwGH stellt fest, dass auch für Entsendungen iSd Art 1 Abs 3 lit a EntsendeRL bzw Entsendungen ieS eine Entsendemeldung vorgeschrieben werden könnte.* Also auch dann, wenn der Bereich „AÜ+“ europarechtlich als Entsendung ieS anzusehen wäre, könnte der Mitgliedstaat eine Entsendemeldung vorschreiben. Es gibt weiters auch keine europäische Vorgabe, dass bei der Art und Weise der Entsendemeldungen zwischen Entsendungen iSd Art 1 Abs 3 lit a und Entsendungen iSd Art 1 Abs 3 lit c EntsendeRL zu unterscheiden wäre. Gäbe es diese, dann müsste diese konsequenterweise zwischen Entsendungen iSd Art 1 Abs 3 lit a (Entsendungen ieS); lit b (Konzernentsendung oder Entsendungen in eine Niederlassung) und lit c (grenzüberschreitende Überlassungen) unterscheiden. Eine derartige Vorgabe müsste dann aber nicht nur vorschreiben, dass bei einer Entsendemeldung zwischen diesen drei Arten der Entsendung zu unterscheiden ist, sondern natürlich auch wie. Der europäische Gesetzgeber müsste dann vorgeben, welche Informationen für welche Art der Entsendung im Rahmen der Entsendemeldung vorgeschrieben werden könnten. Derartige Vorgaben gibt es zwei-401fellos nicht.* Dem nationalen Gesetzgeber bleibt es daher grundsätzlich unbenommen, bei der Entsendemeldung nach verschiedenen Kriterien zu unterscheiden und muss sich dabei nicht nach der europäischen Terminologie richten. Der österreichische Gesetzgeber unterscheidet bei den Entsendemeldungen auch nicht nur zwischen Entsendung ieS und grenzüberschreitender Überlassung, sondern sieht weiters auch Abweichungen bei der Entsendemeldung für Entsendungen von mobilen AN im Transportbereich vor (§ 19 Abs 2 Satz 2 und Abs 7 LSD-BG), sowie uU für wiederholte grenzüberscheitende Einsätze (§ 19 Abs 5 LSD-BG) oder Entsendungen für gleichartige Dienstleistungsverträge in einem engen örtlichen oder zeitlichen Zusammenhang (§ 19 Abs 6 LSD-BG).
Auch der Hinweis des VwGH darauf, dass § 17 Abs 2 AÜG laut Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht dient, sodass dessen Vorgaben bei der Vollziehung dieser Gesetzesbestimmung zu berücksichtigen seien,* ist nicht überzeugend. Hätte der Gesetzgeber die Terminologie der EntsendeRL unreflektiert übernehmen wollen, dann hätte er bei den Entsendemeldungen zwischen den Entsendeformen Art 1 Abs 3 lit a (Entsendungen ieS); lit b (Konzernentsendung oder Entsendungen in eine Niederlassung) und lit c (grenzüberschreitende Überlassungen) unterschieden. Dies ist nicht der Fall. Der österreichische Gesetzgeber hat vielmehr für die Vorschriften über die Entsendemeldung die österreichische Systematik gewählt und zwischen grenzüberschreitenden Entsendungen (§ 7 b Abs 3 AVRAG) und grenzüberschreitenden Überlassungen iSd AÜG unterschieden.
Es gibt also keine Vorgabe des Unionsrechts, wonach bei Entsendemeldungen zwischen den drei Entsendeformen des Art 1 Abs 3 EntsendeRL zu unterscheiden ist. Es gibt aber andere Vorgaben, die im Folgenden kurz angesprochen, aber nicht näher erörtert werden:
Einerseits finden sich im Unionsrecht Vorgaben, die im gegebenen Zusammenhang ein aktives Tun der Mitgliedstaaten vorschreiben. Gem Art 7 EntsendeRL haben die Mitgliedstaaten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die erforderlich sind, um der RL nachzukommen. Gem Art 10 der DurchsetzungsRL 2014/67/EU haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass geeignete und wirksame Kontroll- und Überwachungsmechanismen eingesetzt werden und die Behörden wirksame und angemessene Prüfungen durchführen, um die Einhaltung der Bestimmungen und Vorschriften der EntsendeRL zu kontrollieren und zu überwachen. Dass Entsendemeldungen Teil dieser Kontroll- und Überwachungsmechanismen sind, liegt auf der Hand. Insb bewirken sie, dass konkrete Kontrollen zielgerichtet und effizient durchgeführt werden können.
Andererseits finden sich im Unionsrecht Vorgaben, die vor dem Hintergrund der Dienstleistungsfreiheit die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten Entsendemeldungen vorzuschreiben, einschränken. Die Entsendemeldungen müssen demnach verhältnismäßig sein, dh die konkreten Anforderungen an die Entsendemeldungen dürfen nicht überschießend sein bzw müssen in Anbetracht der damit verfolgten Ziele, die zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen, gerechtfertigt sein.* Ähnliche Vorgaben enthält Art 9 der DurchsetzungsRL 2014/67/EU. Diese Bestimmung sieht vor, dass Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung von Pflichten, die sich aus der EntsendeRL ergeben, „im Einklang mit dem Unionsrecht gerechtfertigt und verhältnismäßig sein“ müssen (Abs 1 Unterabsatz 1). Dienstleistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten kann ua eine Entsendemeldung („einfache Erklärung“) vorgeschrieben werden, die eine Kontrolle der Sachlage am Arbeitsplatz erlaubt. Der mögliche Inhalt dieser Entsendemeldung ist in Abs 1 lit a aufgelistet, wobei diese Liste nicht taxativ ist, da sie unter bestimmten Voraussetzungen erweitert werden kann (Abs 2 und 5). Verfahren und Formalitäten dazu müssen „von den Unternehmen in nutzerfreundlicher Weise erfüllt werden können, und zwar soweit möglich durch Fernkommunikationsmittel und auf elektronischem Weg“ (Abs 4).
Nur dort, wo die EntsendeRL eine Sperrwirkung entfaltet, ist die Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung von Relevanz. Dies ist bei Art 3 Abs 9 und Art 3 Abs 1 lit d der Fall. Für den Anwendungsbereich der Arbeitsbedingungen gem Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis g EntsendeRL bedeutet eine Verschiebung bei der Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung nicht, dass der Anwendungsbereich der EntsendeRL verlassen wird. Dies gilt insb auch für die Mindestlöhne und insb auch dann, wenn diese Lohnvorschriften innerstaatlich als Mindestlöhne bei Arbeitskräfteüberlassung etikettiert werden, europarechtlich aber als Mindestlöhne für Entsendungen ieS einzuordnen wären. § 6 LSD-BG ist somit iSd Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung nur für die Arbeitsbedingungen einschränkend auszulegen, die nicht durch Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis g EntsendeRL erfasst sind.*
Für Entsendemeldungen gibt es keine europäischen Vorgaben, wonach der nationale Gesetzgeber nach den drei in Art 1 Abs 3 EntsendeRL angeführten Formen der Entsendung unterscheiden muss. Der österreichische Gesetzgeber wollte auch keine Unterscheidung zwischen diesen drei Entsendeformen treffen, sondern hat ausdrücklich nach der österreichischen Terminologie unterschieden.402