EDITORIAL

DIE SCHRIFTLEITUNG

Am 15.5.1919 hat die Nationalversammlung der Republik Deutsch-Österreich, das erste freigewählte Parlament in der Geschichte Österreichs, das Gesetz betreffend die Errichtung von Betriebsräten, kurz das Betriebsrätegesetz (BRG), erlassen (StGBl 1919/283). Dass dieses Gesetz noch heute im Wesentlichen in Geltung ist, freilich unter anderem Namen, ist durchaus erstaunlich. Nicht nur, weil es zwei faschistische Diktaturen und einen Weltkrieg überlebt hat. Sondern vor allem, weil es ideengeschichtlich in unserem heutigen kapitalistischen und liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als „Alien“ bezeichnet werden kann. Der Begründung zum Gesetzesentwurf aus dem Jahr 1919 ist zu entnehmen, dass die Idee zum Betriebsrätegesetz aus den Beratungen der zuständigen Fachabteilung der sogenannten „Sozialisierungskommission“ hervorgegangen ist (BlgKNV 164, 10). Durch eine weitgehende Demokratisierung der Betriebe sollte dem Gedanken der Mitwirkung von ArbeiterInnen und Angestellten an der Sozialisierung der Wirtschaft zum Durchbruch verholfen werden. Die Einrichtung von Betriebsräten wurde also im Jahr 1919 als zentraler Baustein für eine Sozialisierung der Wirtschaft angesehen. Dazu ist es freilich nie gekommen, dennoch haben das Betriebsrätegesetz in Gestalt des Arbeitsverfassungsgesetzes und die Institution des BR bis heute überlebt. Dies, obwohl der Begriff der „Sozialisierung“ aus dem Blickwinkel des Jahres 2019 nicht nur anachronistisch wirkt. In einem Wirtschaftssystem, das vom Abbau staatlicher Wirtschaftsregulierung, der Einbettung in einen europäischen Binnenmarkt und mehreren Privatisierungswellen geprägt ist, haftet ihm der Houtgout staatlicher Planwirtschaft an, auch wenn das nie die Absicht der „Sozialisierung“ war. Weder wollte man die Unterwerfung aller Betriebe unter die staatliche Bürokratie, noch war es das Ziel, die enteigneten Betriebe ausschließlich in die Hände der Angestellten und ArbeiterInnen zu legen. Die ursprüngliche Idee bestand darin, selbständige juristische Organisationen zu schaffen, die sowohl die Interessen der AN als auch der KonsumentInnen sowie des Staates bei der Wirtschaftsführung wahren sollten. In der staatlichen Wirtschaftskommission gem § 112 ArbVG ist dieser Gedanke noch heute erkennbar. Klar ist allerdings, dass sich der BR weitgehend von dieser Entstehungsgeschichte emanzipiert hat und seine Existenz bis heute mit seiner erfolgreichen und effektiven Interessenvertretungsarbeit rechtfertigt. Das ist Grund genug, sich dieser wichtigen Institution im Rahmen eines Jubiläumshefts aus Anlass des 100. Geburtstags der österreichischen Betriebsverfassung zu widmen.291