12Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitnehmers an der Beurteilung seines Leistungsvermögens durch den Arbeitgeber bei Kündigung wegen langen Krankenstands
Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitnehmers an der Beurteilung seines Leistungsvermögens durch den Arbeitgeber bei Kündigung wegen langen Krankenstands
Im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Ausfällen, die auf eine allgemeine Minderung des Gesundheitszustands zurückzuführen sind, ist der AG auch auf eine gewisse Mitwirkung des AN angewiesen, da nur dieser die eigene Leistungsfähigkeit beurteilen kann.
Anders als bei objektiv betriebsbedingten Kündigungen, bei denen der AG im Rahmen der Organisationsänderung die Einsatzmöglichkeit eines grundsätzlich arbeitsfähigen AN zu beurteilen hat, ist im Rahmen des personenbezogenen Kündigungsgrundes erhöhter Krankenstände die Leistungsfähigkeit vom AG nach Maßgabe der Angaben und Mitwirkung des AN zu beurteilen.
Berücksichtigt man, dass der AG nach einer Operation des AN mit diesem das Gespräch suchte, was von diesem jedoch verweigert wurde, der AN sich nur Ersatztätigkeiten vorstellen konnte, für die ihm die erforderliche Ausbildung fehlte, und der AN selbst auf bleibende – für die Krankenstände ursächliche – Einschränkungen der Hebeleistung und in der Fingerfertigkeit hinwies, kann keine Verletzung der sozialen Gestaltungspflicht des AG gesehen werden.
[...]
4. Im vorliegenden Fall hat der Kl 2013 122 Kalendertage Krankenstand aufgewiesen. Nach einem Wechsel des Arbeitsplatzes und einer kurzfristigen Besserung im Jahr 2014 kam es im Jahr 2015 bis zum Oktober zu weiteren 112 Kalendertagen Krankenstand. Es ist davon auszugehen, dass Krankenstände in einem solchen weit überdurchschnittlichen Ausmaß auf dem Arbeitsmarkt auch von einem verständigen AG nicht mehr akzeptiert werden. Zusätzlich wies der Kl selbst auf bleibende Beeinträchtigungen der Hebeleistung und der Fingersensibilität hin. Von einer Besserung dieser Situation ging er dabei weder vor noch nach der Operation im August 2015 aus. Aufgrund der Entwicklung der vorangehenden Jahre und der Äußerungen des Kl musste die Bekl daher davon ausgehen, dass derartige Krankenstände auch in Zukunft auftreten werden. Dies entspricht letztlich auch der tatsächlichen Entwicklung. Der Kl war bis Dezember 2016 durchgehend im Krankenstand.
5. Dem Berufungsgericht ist jedoch nicht darin zuzustimmen, dass die Bekl im konkreten Fall ihre soziale Gestaltungspflicht verletzt hat. Dem Kl wurde aufgrund der von ihm angegebenen Beeinträchtigungen mehrfach der Wechsel des Arbeitsplatzes ermöglicht, er wurde auch für Arbeiten eingesetzt, deren Bewertung niedriger war als der Lohn, den er tatsächlich erhielt. Auf eigenen Wunsch wurde er schließlich [...] versetzt. Dort kam es aber nur zu einer vorübergehenden Besserung, dann wieder zu vermehrten Krankenständen. Nach der Operation im August 2015 war der Kl für die Bekl trotz Bemühungen nicht erreichbar. Ein in Aussicht genommener Gesprächstermin Ende September wurde vom Kl nicht wahrgenommen. Eine Erörterung der weiteren Verwendung des Kl137 scheiterte an seiner mangelnden Bereitschaft zur Kommunikation.
Richtig ist zwar, dass die Behauptungs- und Beweislast für das Nichtvorhandensein anderer Arbeitsplätze grundsätzlich bei der Bekl liegt. Gerade im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Ausfällen, die – wie beim Kl – auf eine allgemeine Minderung des Gesundheitszustands zurückzuführen sind, ist der AG aber auch auf eine gewisse Mitwirkung des AN angewiesen, da nur dieser die eigene Leistungsfähigkeit beurteilen kann. Anders als bei objektiv betriebsbedingten Kündigungen, bei denen der AG im Rahmen der Organisationsänderung die Einsatzmöglichkeit eines grundsätzlich arbeitsfähigen AN zu beurteilen hat, ist im Rahmen des personenbezogenen Kündigungsgrundes erhöhter Krankenstände die Leistungsfähigkeit vom AG nach Maßgabe der Angaben und Mitwirkung des AN zu beurteilen. Die Bekl hat zu diesem Zweck nach der Operation im August 2015 auch das Gespräch mit dem Kl gesucht, dieses wurde von ihm jedoch verweigert. In der Folge konnte der Kl sich bei einer Besprechung erst nach Ausspruch der Kündigung nur Ersatztätigkeiten vorstellen, für die ihm die erforderliche Ausbildung fehlte. Dass er ungeachtet dessen über die dafür erforderlichen Kenntnisse (entsprechend einem Lehrabschluss bzw einer Facharbeiterausbildung) verfügte bzw diese in einer der Bekl zumutbaren Einarbeitungsfrist hätte erwerben können, wird auch vom Kl nicht behauptet.
Berücksichtigt man diese Gesamtumstände, insb dass der Kl selbst auf bleibende – für die Krankenstände ursächliche – Einschränkungen der Hebeleistung und in der Fingerfertigkeit hinwies, kann auch bei Anwendung der zuvor dargestellten strengen Grundsätze keine Verletzung der sozialen Gestaltungspflicht der Bekl gesehen werden.
Dazu kommt, dass der Kl nicht nur bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (29.2.2016), sondern auch darüber hinaus bis Dezember 2016 im Krankenstand war, weshalb von einer Einsatzfähigkeit auch für andere als die zuletzt ausgeübten Tätigkeiten nicht ausgegangen werden kann.
Der Bekl ist damit der Nachweis gelungen, dass beim Kl wesentliche personenbedingte Kündigungsrechtfertigungsgründe vorliegen.
Mit dieser E beschäftigt sich der OGH einmal mehr im Rahmen eines Kündigungsanfechtungsprozesses mit einem langen Krankenstand, der als personenbezogener Kündigungsgrund vom AG herangezogen wurde. Das Phänomen „Langer Krankenstand und Beendigung“ spielt in der Arbeitsrechtspraxis regelmäßig eine große Rolle: Als möglicher Kündigungs- oder gar Entlassungsgrund, als Auslöser erhöhter Sorgfaltsanforderungen an den AG, dem betroffenen AN weitere Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten, oder auch als allenfalls zu beachtender Diskriminierungstatbestand wegen Behinderung. Der OGH bekräftigt mit der vorliegenden E, dass die soziale Gestaltungspflicht des AG auch bei der Beurteilung, ob ein langer Krankenstand als personenbezogener Kündigungsgrund bei Sozialwidrigkeitsanfechtungen taugt, auszuüben ist und konkretisiert diese insofern, als der AN an der Beurteilung seines Leistungsvermögens und alternativer Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten durch den AG mitwirken muss.
In stRsp (Nachweise bei Wolligger in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 196 ff; Gahleitner in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht 35 [2015] Rz 118) bewertet der OGH das Vorliegen eines langen Krankenstandes oder mehrerer, gehäufter Krankenstände als personenbezogenen bzw „subjektiv betriebsbedingten“ Kündigungsgrund, der gem § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG geeignet erscheint, eine prinzipiell festgestellte wesentliche Interessenbeeinträchtigung des AN durch eine ihm ausgesprochene Kündigung zu rechtfertigen. Dem Gesetzeswortlaut entsprechend ist dafür lediglich vorausgesetzt, dass durch den Krankenstand die betrieblichen Interessen nachteilig berührt werden. Eine Richtschnur bezüglich der Dauer oder Häufigkeit von Krankenständen, der in der Praxis gefolgt werden könnte, ist schwer zu finden, aber auch schwer zu geben. Dies aufgrund des unbestimmten Gesetzeswortlautes, der Einzelfallbezogenheit und schließlich der wechselseitigen Interessenabwägung, in die letztlich unterschiedlichste individuelle Faktoren einfließen und mit der der Gerichtshof auch im vorliegenden Fall ausdrücklich seine finale Conclusio begründet hat.
In einzelnen Judikaten wird eine Krankenstandsdauer von rund einem Drittel (zB 27 % – OGH 19.6.1991, 9 ObA 120/91; rund ein Drittel – OLG Wien 10 Ra 91/04g ARD 5581/8/2005; 126 Tage – OGH 23.2.1994, 9 ObA 31/94; vgl dazu eine Zusammenstellung einzelner Judikate von Sabara, Krankenstände als Kündigungsgrund, ARD 6546/5/2017) der möglichen Arbeitszeit als Indikator einer nachteiligen arbeitgeberseitigen Interessenberührung hervorgehoben. Es wird auch die Auffassung vertreten, dass bereits die Erschöpfung der vom AG zu leistenden gesetzlichen Entgeltfortzahlungsdauer eine nachteilige Berührung betrieblicher Interessen insofern indiziere, als erkennbar wäre, dass der Gesetzgeber ab diesem Zeitpunkt dem AG nicht mehr zumutet, die volle (Entgelt-)„Last“ des Krankenstands zu tragen. Dagegen wendet sich Löschnigg (Arbeitsrecht13 [2017] Rz 8/078), der gerade die Übernahme des Erkrankungsrisikos durch den Sozialversicherungsträger als Entlastung des AG versteht und meint, dass die Anerkennung jedes längeren Krankenstandes als Kündigungsgrund diese sozialpolitische Wertung in ihr Gegenteil verkehren würde.
Ebenso vage und einzelfallbezogen sind die auch vom OGH herangezogenen Prüfkriterien der Verunmöglichung eines planbaren Arbeitseinsatzes des AN138 und der nicht mehr von anderen Mitarbeitern bewältigbaren Übernahme der ausgefallenen Arbeitsleistung, hängen diese doch sehr von den individuellen Verhältnissen am jeweiligen Arbeitsplatz des erkrankten AN ab, die einer Herausbildung eines generellen Maßstabs nur schwer zuführbar sind.
Die stRsp des OGH (zB 30.8.2011, 8 ObA 53/11v; OGH 28.2.2008, 8 ObA 9/08v; OGH 31.1.2007, 8 ObA 103/06i) zum betriebsverfassungsrechtlichen Kündigungsanfechtungsrecht wie auch zum Vorliegen des Kündigungsgrundes der gesundheitlichen Nichteignung für die Erfüllung der Dienstpflichten im Vertragsbedienstetenrecht stellt aber nicht nur auf die zum Kündigungszeitpunkt feststehende Dauer des Krankenstands bzw der Krankenstände ab, sondern bezieht auch deren zukünftige Entwicklung nach der Kündigung so weit ein, als sie damit in einem Zusammenhang stehen. Demgemäß wird dem AG die Erstellung einer Zukunftsprognose abverlangt, die aufgrund der dem AG zum Kündigungszeitpunkt bekannten Dauer und Entwicklung des Krankenstands, aber auch aufgrund der ihm bekannten Art und Ursache der Erkrankung, die Wahrscheinlichkeit gleichwertigen Auftretens bzw Ausmaßes in der Zukunft abschätzen soll.
Nach A. Mair (Krankheit und Behinderung, wbl 10/2014, 541) könne aber die Prognose, dass zukünftig immer wieder Krankenstände anfallen werden, nicht mehr das zentrale Kriterium für die Zulässigkeit der krankheitsbedingten Kündigung eines AN mit einer behinderungsgleichen Erkrankung sein, da ja wegen der Behinderung mit häufigeren krankheitsbedingten Abwesenheiten zu rechnen sei als bei nichtbehinderten AN und dies mittelbar diskriminierend sei.
In einer aktuellen – nicht einmal einen Monat nach der besprochenen getroffenen – E des OGH (21.3.2018, 9 ObA 153/17s) zum Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 42 Abs 2 Z 2 VBO Wien weist der neunte Senat darauf hin, dass eine alleine aufgrund der vergangenen Krankenstandstage erstellte (negative) Zukunftsprognose – ohne Feststellung einer anhaltend ansteigenden Tendenz oder einer objektivierten Verschlechterung des Grundleidens – unzureichend ist. Er bekräftigt seinen Standpunkt, dass nur Feststellungen über eine grundsätzliche körperliche Nichteignung, eine objektivierte Verschlechterung des Grundleidens oder auch in der Zukunft auftretende erhöhte Krankenstände eine ungünstige Prognose ableitbar machen.
Interessant für den besprochenen Fall ist die Betonung, dass „bei dieser Beurteilung
(Anm: gemeint die Zukunftsprognose) auch die Art der Erkrankung samt deren Ursache und die daraus ableitbare gesundheitliche Situation des Dienstnehmers und Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten in der Zukunft nicht außer Betracht bleiben darf
“. Der OGH geht also im Zusammenhang mit der Erstellung der Zukunftsprognose von einer (wechselseitigen) Informationsverpflichtung von AG (iS einer Informationseinholungspflicht) und AN (iS einer Informationserteilungspflicht) über den Gesundheitszustand aus, ohne die eine Berücksichtigung der Art und der Ursache der Erkrankung im Rahmen der Zukunftsprognose ja nur schwer bis nicht möglich sein wird. Dem AG bzw einem ihn beratenden (Arbeits-)Mediziner wird die ihm offenliegende bloße Kenntnis der Dauer des Krankenstands meist nicht genügen, eine zuverlässige und sorgfältige Prognose zu erstellen. Er wird dafür meist auch Angaben über die Erkrankung(sursache) selbst brauchen, um einen typischen, in der Zukunft erwartbaren Verlauf abschätzen zu können.
Das aus der Fürsorgepflicht des AG und auch aus dem in § 105 Abs 3b ArbVG verankerten erhöhten Schutz älterer und langjährig beschäftigter AN vom OGH abgeleitete Prinzip der sozialen Gestaltungspflicht wird regelmäßig bei Prüfung des Vorliegens betrieblicher Kündigungsgründe, wie beispielsweise der Vornahme von Rationalisierungsmaßnahmen, als „Schutzkorrektiv“ zugunsten der AN angewendet (zB bereits OGH 1.6.1988, 9 ObA 110/88; vgl dazu Wolligger in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 215 ff; Gahleitner in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht 35 § 105 Rz 142). Der AG wird dadurch verhalten, alle möglichen Alternativen zur Kündigung zu untersuchen und dem AN gegebenenfalls auch anzubieten. Erst wenn alle Bemühungen zur Erhaltung des Arbeitsverhältnisses an uU auch anderen Arbeitsplätzen objektiv erfolglos bleiben mussten, darf die Kündigung als letztes Mittel („ultima ratio“) zur Erreichung des Rationalisierungszieles ausgesprochen werden.
Im Bereich der personenbezogenen Kündigungsgründe spielt die soziale Gestaltungspflicht wegen der meist nicht so unmittelbar in der Ingerenz des AG liegenden Umstände in der Person des gekündigten AN in den meisten Fällen (zB Fehlerhaftigkeit der Arbeitsleistung, unleidliches Verhalten am Arbeitsplatz) eine untergeordnete Rolle. Im Falle (unverschuldeter) krankheitsbedingter Ausfälle gesundheitlich eingeschränkter AN weisen jedoch insb Kolross (Soziale Gestaltungspflicht bei krankheitsbedingten Kündigungen, ecolex 2/2010, 177, auf den sich der OGH in seiner rechtlichen Beurteilung zustimmend bezieht), Pircher (Soziale Gestaltung und Prinzipien im allgemeinen Kündigungsschutz, JBl 2001, 695) und Karl (Die sozial ungerechtfertigte Kündigung [1999] 77) darauf hin, dass auch hier die soziale Gestaltungspflicht des AG Anwendung zu finden hat, indem dieser alles zu unternehmen hat, dem AN einen seiner verminderten Leistungsfähigkeit entsprechenden Arbeitsplatz zu Verfügung zu stellen (so auch OGH 24.8.1998, 8 ObA 172/98x).
Voraussetzung sowohl der Erstellung einer objektiven Zukunftsprognose als auch der Beachtung der sozialen Gestaltungspflicht durch den AG ist139 freilich, dass sich dieser ein Bild vom individuellen Leistungsvermögen des AN machen kann, um daraus seine Schlüsse hinsichtlich der vermutlichen zukünftigen Entwicklung des Krankenstands/der Krankenstände und möglicher, mit der eingeschränkten Leistungsfähigkeit kompatibler, alternativer Tätigkeitsbereiche zu ziehen. In der Regel wird dem AG zumindest die bisherige Dauer des Krankenstands bekannt sein, möglicherweise auch die Art und der Grund der Erkrankung, obwohl er nach hA und auch stRsp kein Recht hat, die Diagnose zu erfragen (vgl dazu Drs in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 8 AngG Rz 75; Melzer-Azodanloo in Löschnigg, Angestelltengesetz10 [2016] § 8 Rz 261 f). Zum Zweck der Ausübung der ihm obliegenden sozialen Gestaltungspflicht wird man dem AG freilich zugestehen müssen, Erkundigungen auch über die Art der Erkrankung einzuholen, wenn ihm nur so die Beurteilung einer alternativen Verwendung des AN möglich ist.
Ist der AG in Kenntnis von bisheriger Dauer bzw Häufigkeit von Krankenständen und weiß er (ob aus direkter Mitteilung des AN oder durch Zufall) von der Art der Erkrankung, wird ihm als verständigen und sorgfältigen AG von der Rsp (OGH 30.8.2011, 8 ObA 53/11v) abverlangt, eine Zukunftsprognose wie auch eine Einschätzung über kalkülskompatible Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten abzugeben. Dabei wird er – wenn er sich als medizinischer Laie dazu außerstande sieht – wohl oder übel auch (arbeits-)medizinische Expertise zu Rate ziehen müssen. Findet der AG einen geeigneten freien Arbeitsplatz, dessen Anforderungen vom gesundheitlich eingeschränkten AN zumindest durchschnittlich (OGH 19.6.1991, 9 ObA 120/91) erfüllt werden können, hat er ihm diesen anzubieten.
In der E vom 29.4.2014 zu 9 ObA 165/13z erkennt der OGH jedoch keine Verpflichtung des AG, den AN außerhalb seiner vertraglich vereinbarten Tätigkeit weiter zu beschäftigen, wenn er seine dienstvertraglich vereinbarte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Diese Auffassung wurde zurecht von mehreren Autoren kritisiert, die meinen, dass zB auch aus grundrechtlicher Perspektive (Art 21 Abs 1 iVm Art 15 Abs 1 GRC) die Pflicht zur Förderung und Ergreifung zumutbarer Maßnahmen auch die Prüfung außervertraglicher Tätigkeiten umfasst (Mair, Krankheit als Behinderung, wbl 10/2014, 550, FN 78), dass es dabei zumindest einer Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall bedürfe, da etwa auch § 8 Abs 4 lit b BEinstG die Beschäftigung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz nahelegt, deren Unmöglichkeit vom AG nachgewiesen werden müsste (Auer-Mayer, Kündigung wegen langer Krankheit – Diskriminierungsverbot und Verpflichtung zu „angemessenen Maßnahmen“, DRdA 2/2015, 110) oder dass nur ein unzumutbarer Aufwand iS von zeit- oder kostenintensiven Nach- oder Umschulungen eine Verpflichtung des AG, dem AN eine Änderung des Arbeitsvertrages anzubieten, ausschließt (Gerhartl, Arbeitsverhältnis: Beendigung wegen Krankheit, RdW 10/2014, 598). Bemerkenswert stellt sich auch die ein Jahr zuvor vom neunten Senat getroffene OGH-E vom 27.8.2013 zu 9 ObA 43/13hdar. Der OGH verpflichtete dabei den AG, vor Ausspruch einer Kündigung einer nur partiell dienstunfähigen AN wegen Dienstunfähigkeit (§ 42 Abs 2 Z 2 VBO Wien), sich in ausreichendem Maß um alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu bemühen. Angesichts der Größe und der sehr vielfältigen Tätigkeitsbereiche des AG – dessen Personalstand nicht alleine auf den letzten Beschäftigungsbereich beschränkt wäre – habe dieser auch Einsatzmöglichkeiten in anderen Bereichen zu prüfen. Mit dieser Begründung lässt der Gerichtshof sehr wohl mit Zumutbarkeitserwägungen aufhorchen, die eine auch außervertragliche Tätigkeiten miteinschließende Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten – zB bei AG mit sehr hoher Betriebsgröße – gebieten.
Grundsätzlich besteht nach stRsp und hA kein Anspruch des AG, die Diagnose, dh Angaben über die Art der Erkrankung des AN, zu erfahren (vgl dazu Drs in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 8 AngG Rz 75; Melzer-Azodanloo in Löschnigg, Angestelltengesetz10 § 8 Rz 261 f). Kennt der AG nur die bisherige Dauer, nicht jedoch die Art der Erkrankung oder die Gestaltung des Heilungsverlaufs, ist er auf diesbezügliche Informationen angewiesen, um der sozialen Gestaltungspflicht entsprechen zu können. Diese Informationen kann ihm in erster Linie nur der AN erteilen. Dies betont der OGH in der E und dem wird auch nach Durchführung einer Interessenabwägung nicht widersprochen werden können, dient die vollständige Auskunft über die Art der Erkrankung doch letztendlich dazu, dem AN weitere Beschäftigungsperspektiven zu eröffnen und einen Verlust seines Arbeitsverhältnisses abzuwenden, also seinem eigenen Schutz. Gilt es primär, adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten ausfindig zu machen, muss dies nicht einmal notwendigerweise und in allen Fällen bedeuten, dass der AN seine Diagnose preiszugeben hat. Auskünfte über zB die Beweglichkeit von Armen oder Beinen, Belastungsgrenzen beim Heben oder Stehen usw können als reine Sachinformationen über das Leistungsvermögen durchaus den AG bereits in die Lage versetzen, das Leistungskalkül des AN einzuschätzen, ohne dass dieser ungewollterweise seine Diagnose „outen“ muss.
Im vorliegenden Fall kam es während des Krankenstands zu zwei Gesprächen zwischen AG und AN, bei denen einmal Asthma und Armschmerzen, ein weiteres Mal Asthma, Probleme mit der Schulter und den Nerven in beiden Händen, die Hebetätigkeiten ausschließen, vom AN angegeben wurden. Nach einer kurz danach vorgenommenen Operation kontaktierte der Vorgesetzte den AN. Dieser lehnte jedoch ein Gespräch ab und war in weiterer Folge nicht mehr für den AG erreichbar. Nachdem ein weiteres Gespräch mit dem AN nicht zustande kam, sprach der AG die Kündigung aus. In einem nach Kündigungsausspruch erfolgten140Treffen schlug der AN zwei alternative Tätigkeiten, die er sich vorstellen konnte, vor, für die ihm jedoch die nötige Ausbildung fehlte und die auch mit Hebeleistungen verbunden waren.
Der OGH führt dazu grundsätzlich aus, dass der AG im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Ausfällen, die auf eine allgemeine Minderung des Gesundheitszustands zurückzuführen sind, auf eine gewisse Mitwirkung des AN angewiesen ist, da nur dieser die eigene Leistungsfähigkeit beurteilen kann. Die Leistungsfähigkeit des AN wäre vom AG nach Maßgabe der Angaben und Mitwirkung des AN zu beurteilen. Im Besonderen stößt er sich im vorliegenden Sachverhalt aber letztendlich daran, dass der AG auch nach einer Operation das Gespräch mit dem AN suchte, dieses ihm aber vom AN verweigert wurde. Eine durchgeführte Operation wird wohl nicht ganz zu Unrecht vom OGH (vgl dazu 26.11.2015, 9 ObA 116/15x) als Indikator angesehen, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands erwarten lässt. Umso mehr verübelt er es offenbar dem AN, dass er gerade danach „auf Tauchstation“ geht und ein Gespräch verweigert. Schließlich verlangt der Gerichtshof auch deswegen eine aktive Mitwirkung des AN an der Leistungsfeststellung, da dieser selbst ursprünglich auf bleibende und für die Krankenstände ursächliche Einschränkungen der Hebeleistung und in der Fingerfertigkeit hinwies.
Die Unterstreichung der Mitwirkungspflicht des AN an der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit durch die Entscheidung kann demgegenüber aber nicht die Freistellung des AG von jedweder diesbezüglichen Verantwortung bedeuten. Kommt der AN seiner Mitwirkungspflicht nicht oder nur unzureichend nach, wird es auch am AG liegen müssen, die erforderlichen Informationen einzuholen (zu versuchen).
Der OGH hat bereits in seiner E vom OGH27.3.2002 (9 ObA 68/02v)dem sich auf den Entlassungsgrund der Dienstunfähigkeit gem § 27 Z 2 AngG berufenden AG auferlegt, „sich über den zu erwartenden Heilungsverlauf ausreichend zu informieren, widrigenfalls er das Risiko eingeht, dass sich die Entlassung als unberechtigt erweist
“. Nach dem dieser E zugrundeliegenden Sachverhalt brach sich die AN im Zuge eines Arbeitsunfalls einen Halswirbel und erlitt Faserrisse an der Schulter, wonach der AG sie zwei Monate später wegen Dienstunfähigkeit fristlos entließ. Es erschien dem Gerichtshof dabei „denkunmöglich, einen Entlassungsgrund schon bei jedem längeren Krankenstand immer dann anzunehmen, wenn der Dienstgeber nur die subjektive Fehlvorstellung hat, dass der Arbeitnehmer in absehbarer Zeit nicht wieder arbeitsfähig wird
“. Eine Erkundigungspflicht des AG iS einer Obliegenheit, Informationen über den Heilungsverlauf und das (erwartbare) Leistungsvermögen des AN einzuholen, ergibt sich auch aus der ihm auferlegten Behauptungs- und Beweislast. Beruft er sich auf eine längerdauernde Erkrankung als Entlassungs- oder Kündigungsgrund, hat er auch die negative Zukunftsprognose und die Nichtverwertbarkeit der eingeschränkten Arbeitskraft darzutun. Gelingt es ihm nicht, Informationen für eine valide Zukunftsprognose oder ein Leistungskalkül einzuholen, wird er den Nachweis aufgrund der ihn treffenden Beweislast nicht erbringen können und mit dem Prozessverlust bestraft werden.
In diesem Zusammenhang gibt auch die E des EuGH in der Rs Daouidi (EuGH 1.12.2016, C-395/15), in der die Erkennbarkeit der für den Behindertenbegiff konstitutiven „Langfristigkeit“ einer Arbeitsunfähigkeit Thema war, eine gewisse Orientierung. Der EuGH spricht dabei aus, dass sich das (nationale) Gericht bei der Überprüfung, ob eine Einschränkung der Fähigkeit des Betroffenen „langfristig“ ist, „auf alle objektiven Gesichtspunkte, insbesondere auf Unterlagen und Bescheinigungen über den Zustand des Betroffenen, die auf aktuellen medizinischen und wissenschaftlichen Daten beruhen
“, stützen muss. Kallab (in DRdA-infas 2/2017, 92) münzt diese Vorgabe auch auf den wegen eines Krankenstands kündigenden AG, der zumutbare Nachforschungen anstellen müsse, um ausschließen zu können, dass eine Behinderung iSd der Antidiskriminierungs-RL 2000/78 vorliegt.
Auch Kozak (in DRdA 5/2015, 316) spricht sich im Rahmen einer Besprechung der E des EuGH in der Rs Kaltoft (EuGH 18.12.2014, C-354/13), mit der die Auswirkungen der Krankheit Adipositas am Arbeitsmarkt als prinzipiell geeignet, eine Behinderung iSd RL 2000/78 darzustellen, qualifiziert werden, für die Annahme einer Überprüfungspflicht für AG, ob eine Krankheit bzw sonstige Einschränkung mit einer zeitlichen Ausdehnung die volle und wirksame Teilhabe am allgemeinen Berufsleben hindert, aus.
Die im gegenständlichen Verfahren eigentlich naheliegende Frage, ob auf Seiten des AN nicht vielleicht auch eine Behinderung iSd § 3 BEinstG bzw iSd RL 2000/78 vorliegt und der AG nicht wegen einer Behinderung – und damit diskriminierend – gekündigt hat, hat im Prozess offenbar keine Rolle gespielt.
Gem § 3 BEinstG liegt eine Behinderung dann vor, wenn die Auswirkungen einer voraussichtlich mehr als sechs Monate dauernden körperlichen Funktionsbeeinträchtigung die Teilhabe am Arbeitsleben erschweren. Dies trifft nach dem vorliegenden Sachverhalt auf den klagenden AN zu. Seine Krankenstandsdauer übersteigt die Dauer von sechs Monaten, die sie bedingenden Funktionseinschränkungen verunmöglichen dem AN die Ausübung seiner vertraglichen Tätigkeit. § 7b Z 7 BEinstG verbietet, aufgrund einer Behinderung bei der Beendigung eines Dienstverhältnisses diskriminiert zu werden. Der bekl AG beruft sich aber vielmehr sogar ausdrücklich auf diesen Umstand, nämlich auf den langen Krankenstand des AN, um seine Kündigung zu rechtfertigen. Er macht sich offenkundig einen Diskriminierungstatbestand als141 Kündigungsgrund zunutze, da der lange Krankenstand zur Behinderung im rechtserheblichen Sinn „geworden“ ist.
Wäre diese Problematik vom AN im Verfahren eingewendet worden, hätte ihm aber vermutlich seine vom OGH bemängelte mangelnde Mitwirkung an der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit ebenso zum Nachteil gereicht. Dem nachfragenden AG hätte vom AN wohl zumindest gleichermaßen Auskunft über sein Leistungskalkül erteilt werden müssen, um ihn in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu setzen und Hindernisse zu beseitigen, die dem AN die Arbeitsleistung erschweren.
Der durch die E in der Rs HK Danmark (11.4.2013, C-335/11 und C-337/11, auch bekannt unter den Namen der Klägerinnen Ring/Werge) vom EuGH in Richtung der sozialen Auswirkung langer Erkrankungen auf die Teilhabe am Arbeitsleben inhaltlich zugeschärfte, im Anwendungsbereich erweiterte Behinderungsbegriff ist nämlich nicht schon alleine durch das Vorliegen längerfristiger Erkrankung erfüllt. Dadurch wird erst einmal eine mittelbare Diskriminierung indiziert, die wiederum durch Ergreifung geeigneter, erforderlicher und verhältnismäßiger Maßnahmen gerechtfertigt werden kann (§ 6 Abs 1a BEinstG). Erst, wenn der AG zumutbare Maßnahmen, die dem in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkten AN die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit ermöglichen würden, nicht ergreift (und er damit „Barrieren“ iSd UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die den erkrankten AN an der Arbeitsleistung hindern, nicht beseitigt), wird der lange Krankenstand zur Behinderung, wegen der eine darauf abgestellte Beendigung des Arbeitsvertrages diskriminierend wäre.
Aus diesem Grund setzt die Berufung auf den Diskriminierungstatbestand der Behinderung iSd § 3 BEinstG bzw der RL 2000/78 um nichts weniger die Mitwirkung des AN voraus, dem AG Informationen über seinen Gesundheitszustand zu erteilen, da er ohne diese keine in seinem Einflussbereich liegende und auf die Leistungsfähigkeit des AN abgestimmte Maßnahmen setzen wird können, die diesem die Weiterbeschäftigung ermöglichen.
Die E des OGH steht im Einklang mit seiner langjährigen Judikatur und ist aufgrund der unterbliebenen Reaktion des AN auf Informationsersuchen und Gesprächseinladungen des AG wohl auch gerechtfertigt. Sie sollte zukünftig länger arbeitsunfähige AN erinnern, ihren AG nach Möglichkeit über den Heilungsverlauf und ihr (eingeschränktes) Leistungsvermögen auf dem Laufenden zu halten und sich insb dessen diesbezüglichen Gesprächseinladungen nicht zu verweigern. Gleichzeitig sollte von AG-Seite aber nicht der voreilige Schluss gezogen werden, es bei Nichtwirkung durch die AN damit bewenden lassen zu können. Liegen Informationen nicht vor, wird auch eine aktive Nachforschungs- und Informationseinholungspflicht von AG anzunehmen sein.