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Unzulässige Überwachung durch GPS-Ortungssystem

SUSANNEAUER-MAYER (WIEN)
  1. Bei einem GPS-Ortungssystem handelt es sich um eine Maßnahme zur Kontrolle der AN iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bzw § 10 AVRAG.

  2. Die Beantwortung der Frage, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme auch nur berührt wird, bedarf einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen. Dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kommt hier regulierende Funktion zu.

  3. Die Verwendung eines GPS-Ortungssystems in einem auch zur Privatnutzung zur Verfügung gestellten Dienstwagen ohne Vorliegen einer BV nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bzw ohne Zustimmung der AN nach § 10 AVRAG ist eine erhebliche Verletzung der Privatsphäre iSd § 1328a ABGB.

Der Kl war bei der Bekl von 8.5.2017 bis 31.1.2018 als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug 2.857,14 €. Zusätzlich erhielt der Kl eine Umsatzprovision sowie einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt, den er auch privat – unter Verrechnung eines Sachbezugs – nutzen durfte.

In diesem Dienstfahrzeug hatte die Bekl von Beginn an – ohne Kenntnis des Kl – ein GPS-Ortungssystem eingebaut.

Dieses GPS-Ortungssystem, das die Bekl in jedem Dienstfahrzeug des Vertriebs eingebaut hatte, konnte die GPS-Daten rund um die Uhr übertragen, wodurch diese Fahrzeuge von der Bekl auch in der Freizeit ihrer AN geortet wurden. Zudem konnte das GPS-System auch den Batteriepegel der Fahrzeuge überwachen und erkennen, wann die Zündung eingeschaltet wird. Diese Daten konnten vom Geschäftsführer der Bekl, dem Vertriebsleiter, dem Produktionsleiter und einer Innendienstleiterin jederzeit über das Internet angesehen werden. Die Bekl nutzte das GPS-Ortungssystem nicht zur strategischen Vertriebssteuerung. Eine BV über diese GPS-Ortung gab es bei der Bekl nicht, zumal im Betrieb kein BR existierte.

Nachdem der Kl erstmals am 19.7.2019 zufällig Kenntnis von der ständig erfolgten GPS-Überwachung durch die Bekl erlangte, erklärte er [...], dass er mit der durchgehenden GPS-Ortung, vor allem in der Freizeit, nicht einverstanden sei. Den mehrmaligen schriftlichen und mündlichen Aufforderungen des Kl, die Überwachung zumindest in der Freizeit zu unterlassen, kam die Bekl jedoch nicht nach.

Die GPS-Ortung brachte für den Kl erhebliche Unannehmlichkeiten. Oft wurde er von seinem Vorgesetzten angerufen und gefragt, warum er so spät von daheim weggefahren sei. Da der Kl nicht wollte, dass sein Privatleben durch die GPS-Ortung des Dienstfahrzeugs kontrolliert und überwacht 558 wurde, fuhr er auch nicht mit dem Dienstfahrzeug, sondern mit einem anderen Auto auf Urlaub [...].

Der Kl begehrt von der Bekl – soweit noch revisionsverfangen – gestützt auf § 1328a ABGB einen ideellen Schadenersatz von 6.000 € (ca 1.000 € pro Monat) [...].

Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung [...].

Das Erstgericht sprach dem Kl unter Anwendung des § 273 ZPO einen immateriellen Schadenersatz von 2.400 € (400 € pro Monat) zu [...].

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung [...].

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1.1. § 1328a Abs 1 ABGB lautet:

Wer rechtswidrig und schuldhaft in die Privatsphäre eines Menschen eingreift oder Umstände aus der Privatsphäre eines Menschen offenbart oder verwertet, hat ihm den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Bei erheblichen Verletzungen der Privatsphäre, etwa wenn Umstände daraus in einer Weise verwertet werden, die geeignet ist, den Menschen in der Öffentlichkeit bloßzustellen, umfasst der Ersatzanspruch auch eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung.

1.2. [...] Mit § 1328a ABGB wurde das Recht auf Wahrung der Privatsphäre, das sich bis dahin schon aus zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen ableiten ließ, als eigenständiges Persönlichkeitsrecht ausdrücklich im ABGB verankert (RV 173 BlgNR 22. GP 5; Hinteregger in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1328a Rz 1) [...].

1.3. Unter den Begriff der Privatsphäre fällt der (höchst-)persönliche Lebensbereich eines Menschen, der nur einem eingeschränkten Personenkreis bekannt ist und üblicherweise nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird (Reischauer in Rummel, ABGB4 § 1328a Rz 3; Hinteregger in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1328a Rz 2; RV 173 BlgNR 22. GP 19; vgl RS0125721). Einen Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffs „Privatsphäre“ kann der verwandte Begriff des „Privatlebens“ in Art 8 Abs 1 EMRK bieten (Wittwer in Schwimann, ABGB-Takom4 § 1328a Rz 3; Danzl in KBB5 § 1328a ABGB Rz 3; RV 173 BlgNR 22. GP 17).

1.4. Die „persönlichen Rechte“ sind absolute Rechte und genießen als solche Schutz gegen Eingriffe Dritter (RS0008999). Nach herrschender Auffassung sind auch im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeitsrechte der AN zu berücksichtigen. Dies ergibt sich insb aus den §§ 16, 1157 ABGB und § 18 AngG (Grünanger, Videoüberwachung im Betrieb, ARD 6467/5/2015; vgl 9 ObA 109/06d; 9 ObA 95/08y; 9 ObA 82/15x).

2.1. Gem § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bedarf die Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle der AN durch den Betriebsinhaber, sofern diese Maßnahmen (Systeme) die Menschenwürde berühren, zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des BR. Korrespondierend dazu normiert § 10 Abs 1 AVRAG, dass die Einführung und Verwendung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen, welche die Menschenwürde berühren, unzulässig ist, es sei denn, diese Maßnahmen werden durch eine BV iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG geregelt oder erfolgen in Betrieben, in denen kein BR eingerichtet ist, mit Zustimmung des AN.

2.2. Unstrittig liegt hier für die Einführung und Verwendung des GPS-Ortungssystems in bestimmten Dienstfahrzeugen der Bekl (so auch in jenem des Kl) weder eine BV noch eine Zustimmung des Kl vor. Dies wäre aber aus folgenden Gründen erforderlich gewesen:

2.3. Unter einer Kontrollmaßnahme iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG ist die systematische Überwachung von Eigenschaften, Handlungen oder des allgemeinen Verhaltens von AN durch den Betriebsinhaber zu verstehen (9 ObA 109/06d; vgl Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler, ArbVG3 § 96 Rz 44; Reissner in ZellKomm3 § 96 ArbVG Rz 22; Jabornegg in Strasser/Jabornegg/Resch, Komm zum ArbVG, § 96 Rz 129). Es geht dabei auch um von Seiten des Betriebsinhabers veranlasste Regelungen, die insb vorschreiben, wann, unter welchen Umständen und auf welche Weise AN während ihrer Arbeitsleis tung (auch wenn sie außerhalb der Betriebsräumlichkeiten erbracht wird) zu irgendeinem Zweck überprüft werden (Jabornegg in Strasser/Jabornegg/Resch, Komm zum ArbVG, § 96 Rz 129; vgl 9 ObA 109/06d).

2.4. Bei dem von der Bekl veranlassten GPS-Kontrollsystem handelt es sich zweifelsohne um eine auf Dauer angelegte systematische Überwachungsmöglichkeit des Aufenthaltsorts des Dienstfahrzeugs und damit des Kl, der dieses Dienstfahrzeug sowohl beruflich als auch privat nutzte (vgl Goricnik/Grünanger in Grünanger/Goricnik, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle2 Kap 7 Rz 7.87 und 7.93). Damit griff die Bekl in die Privatsphäre des Kl ein.

3.1. Bei Maßnahmen oder Systemen, die – wie hier – die objektive Eignung zur Kontrolle der AN erfüllen, ist dann gem § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bzw § 10 Abs 1 AVRAG weiters zu prüfen, ob dadurch die Menschenwürde berührt ist. Zum unbestimmten Wert- und Rechtsbegriff „Menschenwürde“ wurde bereits in der E 9 ObA 109/06d(Fingerprint-Scanner) ausgeführt, dass er aus der Konkretisierung von Generalklauseln des Zivilrechts (insb § 879 ABGB) bzw des Arbeitsrechts (insb Fürsorgepflicht iSd § 18 AngG, § 1157 ABGB) gewonnen werden muss. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang § 16 ABGB zu, wonach jeder Mensch über angeborene natürliche Rechte verfügt. Es handelt sich dabei um eine Zentralnorm der österreichischen Rechtsordnung, die in ihrem Kernbereich die Menschenwürde schützt (9 ObA 23/15w Pkt 3. mwN; RS0008993). Der Gesetzgeber will mit der Anknüpfung an die „Menschenwürde“ in § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG erreichen, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit des AN keinen übermäßigen Eingriffen ausgesetzt ist (9 ObA 23/15w Pkt 3. mwN). Auch die Privatsphäre eines AN ist zu den von § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG geschützten Rechtsgütern zu zählen (9 ObA 23/15w Pkt 3. mwN).

3.2. Die Menschenwürde wird von einer Kontrollmaßnahme oder einem Kontrollsystem dann „berührt“, wenn dadurch die vom AN in den Betrieb 559 miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird. Von der Privatsphäre abgesehen, kann aber auch durch die Kontrollintensität der Arbeitsleis tung und des arbeitsbezogenen Verhaltens des AN eine Berührung der Menschenwürde bewirkt werden, und zwar vor allem dann, wenn diese Kontrolle in übersteigerter Intensität organisiert wird und jenes Maß überschreitet, das für Arbeitsverhältnisse dieser Art typisch und geboten ist (9 ObA 109/06dmwN; 9 ObA 23/15wPkt 5.). Andererseits verlangt das „Berühren“ der Menschenwürde keine solche Eingriffsdichte, die bereits als „Verletzung“ anzusehen wäre. Durch § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers vielmehr der schmale Grenzbereich zwischen den die Menschenwürde verletzenden (und damit ohnehin sittenwidrigen) Maßnahmen und den die Menschenwürde überhaupt nicht tangierenden Maßnahmen des Betriebsinhabers geregelt werden (9 ObA 23/15wPkt 4.).

3.3. Die Beantwortung der Frage, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme auch nur berührt wird, bedarf einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen (9 ObA 109/06d mwN = DRdA 2008/26 [zust Mosler] = ZAS 2007/16 [zust Schrank]; Biometrische Arbeitserfassung durch Fingerscanner, RdW 2007/371 [zust Maurer]; 9 ObA 23/15w Pkt 8. mwN = DRdA 2016/2 [zust Reissner/Schneeberger]; Jabornegg in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 96 Rz 140; Reissner in ZellKomm3 § 96 ArbVG Rz 24 aA Goricnik, Replik zu Reissner/Schneeberger, Anmerkung zu OGH9 ObA 23/15wDRdA 2016/2, Alkoholkontrollen per Alkomat, DRdA 2016, 362 und Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler, ArbVG3 § 96 Rz 54 ua). So sind einerseits die Interessen des AG, der im Arbeitsverhältnis ein grundsätzliches Recht zur Kontrolle der AN hat, aber darüber hinaus zB auch sein Eigentum sichern und schützen will, und andererseits die Interessen des AN an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen. Dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kommt hier regulierende Funktion zu. Persönlichkeitsrechte dürfen nur so weit beschränkt werden, als dies durch ein legitimes Kontrollinteresse des AG geboten ist. Es ist das schonendste – noch zum Ziel führende – Mittel zu wählen (9 ObA 23/15w Pkt 8. mwN; vgl RS0116695).

3.4. Die Bekl hat sich im erstinstanzlichen Verfahren ausschließlich darauf berufen, dass die hier vorzunehmende Interessenabwägung deshalb zu ihren Gunsten ausfallen müsste, weil das GPS-Ortungssystem einem effizienten Fuhrparkmanagement und dem Ressourceneinsatz diene. Dies ist nach den bindenden Feststellungen aber nicht der Fall. Soweit die Bekl nun in ihrer Revision erstmals ihr Interesse an der Verwendung des GPS-Ortungssystems mit ihrem Recht als Eigentümerin, das Dienstfahrzeug während der Arbeitszeit des Kl zu lokalisieren, begründet, verstößt sie gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO [...]. Durch die Verwendung des GPS-Ortungssystems im Dienstfahrzeug des Kl während dessen Arbeitszeit (und Freizeit) hat sie rechtswidrig und schuldhaft (vorsätzlich) in die Privatsphäre des Kl, nämlich seinen höchstpersönlichen Lebensbereich, eingegriffen (§ 1328a ABGB Abs 1 1. Fall).

3.5. Ausgehend von diesen Überlegungen berührt die dauernde Ortungsmöglichkeit während der Arbeitszeit des Kl jedenfalls die Menschenwürde (vgl Goricnik/Grünanger in Grünanger/Goricnik, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle2 Kap 7 Rz 7.98; Binder in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz § 96 Rz 74; Rebhahn in Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat, Bd 34, Alles unter Kontrolle?, 144; Halwax, Rechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Telematiklösungen im Güterbeförderungsverkehr, DRdA 2012, 532 [533]; vgl Rauch, Grenzen der Kontrollmaßnahmen, ASoK 2010, 102 [105]). Solche Kontrollen des AG außerhalb der Dienstzeit sind jedenfalls unzulässig (Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 11/116; Rebhahn in Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat, Bd 34, Alles unter Kontrolle?, 144; vgl EGMR Bsw 35623/05 Pkt I.2.a.).

4. Ein immaterieller Schadenersatzanspruch nach § 1328a ABGB steht dem Verletzten nur bei „erheblichen“ Verletzungen der Privatsphäre zu. Die „Erheblichkeitsschwelle“ ist eine allgemeine Schranke für Ansprüche auf Ersatz immaterieller Schäden bei Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte. Bei Beurteilung der Erheblichkeit eines Eingriffs kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an: Je „privater“ ein Umstand ist, in den eingegriffen oder der verwertet wird, je schwerwiegender das Verschulden des Störers ist und je gravierender die Folgen für den betroffenen Menschen sind, desto eher ist an immaterielle Schadenersatzansprüche zu denken (RV 173 BlgNR 22. GP 19). Entscheidend sind daher die Intensität und das Ausmaß der Verletzung (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1328a ABGB Rz 11). Das Maß des Eingriffs darf nicht bloß unbedeutend sein (Hinteregger in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1328a Rz 8). Auch beim Ersatz dieses ideellen Schadens steht der dem österreichischen Haftpflichtrecht immanente Ausgleichsgedanke im Vordergrund [...].

5. Das in der Revision hervorgehobene Argument, der Eingriff in die Privatsphäre des Kl sei hier schon deshalb nicht erheblich gewesen, weil die Bekl keine privaten Umstände des Kl in einer Weise verwertet habe, die geeignet gewesen sei, den Kl in der Öffentlichkeit bloßzustellen, greift zu kurz. Die Bekl übergeht, dass sie an ihrer rechtswidrigen Kontrollmaßnahme festhielt, obwohl sich der Kl mehrmals bei ihr über deren Vorgangsweise beschwerte und diese aufforderte, die Überwachung des Dienstfahrzeugs zu unterlassen. Die Bekl nahm nicht von ihrer rechtswidrigen Vorgangsweise Abstand, was zu beträchtlichen Unannehmlichkeiten für den Kl führte. Nach Lage des Falls [...] liegt eine erhebliche Verletzung der Privatsphäre des Kl iSd § 1328a Abs 1 ABGB vor [...].

ANMERKUNG
1.
Grundsätzliches

Die Digitalisierung bringt neben zahlreichen weiteren Auswirkungen auf die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen auch neue Möglichkeiten des/der AG zur Kontrolle der AN mit sich. Anders als früher sind 560 diverse „Tools“ inzwischen relativ leicht erhältlich, zu günstigen Preisen zugänglich und auch einfach zu bedienen. So lassen sich etwa mittels Keylogger-Software die Eingaben der BenutzerInnen protokollieren, E-Mails können „gespiegelt“ oder „mitgelesen“ werden, mittels „GPS-Tracker“ im Dienstauto oder -handy kann jederzeit der Standort der AN ermittelt werden. Nachdem der OGH bereits vor einigen Jahren über die Zulässigkeit biometrischer Zeiterfassungssysteme entschieden hat (OGH9 ObA 109/06d RdW 2007/371, 348 [Maurer] = DRdA 2008/26, 326 [Mosler]), musste er sich Anfang 2020 erstmals mit einem GPS-Ortungssystem beschäftigen.

Konkret hatte die Bekl in die, auch zur Privatnutzung zur Verfügung gestellten, Dienstwägen ihrer AN GPS-Ortungssysteme mit umfangreichen Überwachungsfunktionen eingebaut. So konnten nicht nur ständig GPS-Daten übertragen und über das Internet eingesehen, sondern auch der Batteriepegel der Fahrzeuge überwacht und das Einschalten der Zündung erkannt werden. Diese Möglichkeiten wurden auch tatsächlich genutzt, womit es sich losgelöst von der Frage des Ausreichens bloßer Kontrolleignung eindeutig um ein technisches System zur Kontrolle der AN handelte. Den Feststellungen zufolge lagen dabei weder spezifische betriebliche Gründe für die Verwendung vor, noch nahm die Bekl zumindest in der Freizeit der AN von einer Verwendung des Systems Abstand. Dies trotz wiederholten Ersuchens des Kl. Dass die Überwachung seitens der Bekl systematisch erfolgte, zeigt sich auch daran, dass es ihr GPS-Ortungssystem trotz Fehlens eines BR innerhalb kürzester Zeit gleich zwei Mal bis vor das Höchstgericht geschafft hat (vgl die Zurückweisungsentscheidung OGH 27.2.2020, 8 ObA 67/19i).

Führt man sich den Sachverhalt vor Augen, hätte es doch sehr überrascht, wenn der OGH von der Zulässigkeit der Vorgangsweise der Bekl ausgegangen wäre. Völlig zu Recht bejaht er daher das „Berühren der Menschenwürde“ iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bzw § 10 AVRAG und nimmt einen rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in die Privatsphäre des Kl iSd § 1328a ABGB an (zust auch Thiele, Schadenersatz fürs GPS-Tracking von Beschäftigten, jusIT 2020/41, 112 [113]). In der Begründung vermag die vorliegende E freilich nicht vollends zu überzeugen. Dies betrifft zum einen die näheren Ausführungen zum „Berühren der Menschenwürde“, zum anderen den Umstand, dass überhaupt ausführlich auf § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bzw § 10 AVRAG Bezug genommen wird.

2.
GPS-Ortungssystem als die Menschenwürde (jedenfalls) berührende Kontrollmaßnahme

Zu folgen ist dem OGH zunächst dahingehend, dass der in § 10 AVRAG bzw § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG verwendete unbestimmte Begriff der „Menschenwürde“ aus der Konkretisierung von Generalklauseln des Zivil- (insb § 879 ABGB) und Arbeitsrechts (insb der Fürsorgepflicht der AG iSd § 18 AngG, § 1157 ABGB) gewonnen werden muss. Besondere Bedeutung kommt dabei auch der – in ihrem Kernbereich die Menschenwürde adressierenden – Generalnorm des § 16 ABGB zu, wonach jeder Mensch über angeborene natürliche Rechte verfügt. Die Konkretisierung der „Menschenwürde“ erweist sich so nach hA als Anwendungsfall der (mittelbaren) Drittwirkung verfassungsrechtlich verankerter Grundrechte, wobei insb auch die Privatsphäre der AN zu den geschützten Rechtsgütern zählt (vgl exemplarisch Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 96 ArbVG [2018] Rz 23; Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 36 [2020] § 96 Rz 52 mwN; OGH9 ObA 23/15w DRdA 2016/2, 30 [Reissner/Schneeberger] = DRdA 2016, 362 [Goricnik] = DRdA 2016, 363 [Reissner/Schneeberger]; OGH9 ObA 109/06d RdW 2007/371, 348 [Maurer] = DRdA 2008/26, 326 [Mosler]).

Überzeugend ist auch, dass die Menschenwürde von einer Kontrollmaßnahme einerseits dann „berührt“ wird, wenn dadurch die von den AN in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird, andererseits aber auch durch Kontrolle der Arbeitsleistung und des arbeitsbezogenen Verhaltens eine Berührung der Menschenwürde bewirkt werden kann, wenn diese Kontrolle in übersteigerter Intensität organisiert wird. Das streitgegenständliche GPS-System berührte im Lichte dieser Grundsätze jedenfalls die „Menschenwürde“ und durfte ohne Zustimmung des Kl nicht verwendet werden.

Der OGH lässt es freilich mit den Ausführungen zur Intensität der Kontrolle nicht bewenden. Er hält vielmehr an seiner – inzwischen gefestigten und auch in der Literatur vielfach geteilten (vgl nur die in der E zitierten Nachweise) – Rsp fest, wonach das „Berühren“ der Menschenwürde anhand einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen zu beurteilen sei. Es seien demnach die Interessen des/der AG an der Kontrolle und jene der betroffenen AN an der Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen. Eine – insb das Mitbestimmungsrecht des BR nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG auslösende – Kontrollmaßnahme, die die Menschenwürde „berührt“, liegt nach dieser Ansicht somit nur dann vor, wenn der dadurch bewirkte Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der AN nicht durch überwiegende betriebliche Inte ressen gerechtfertigt und daher unverhältnismäßig ist.

Im konkreten Fall konnte auch diese Sichtweise zu keinem anderen Ergebnis führen, als dass die Menschenwürde berührt und daher die Verwendung des GPS-Systems ohne Zustimmung des Kl unzulässig war. Hätte ein BR bestanden, wäre die Maßnahme schon mangels dessen Zustimmung nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG unzulässig gewesen. Richtig hält der OGH ferner fest, dass die dauernde Ortungsmöglichkeit bei zulässiger Privatnutzung in der Freizeit jedenfalls (somit unabhängig von allfälligen betrieblichen Kontrollinteressen) unzulässig ist.

3.
Interessenabwägung hinsichtlich der Eröffnung des Mitbestimmungsrechtes nicht adäquat

Das bisher Gesagte ändert jedoch nichts daran, dass das Abhängigmachen des Mitbestimmungsrechts 561 nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG von einer Inte ressenabwägung dogmatisch verfehlt ist (vgl bereits ausführlich S. Mayer, Videoüberwachung auch ohne Zustimmung des Betriebsrates? wbl 2009, 217 ff; Auer-Mayer, Datenschutzrecht als Ende der notwendigen Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung? wbl 2019, 425 ff). Die Sichtweise des OGH hat zur Folge, dass dem BR ein Mitbestimmungsrecht de facto nur dann zukommt, wenn entweder

  • von vornherein kein legitimes betriebliches Interesse vorliegt oder

  • die Maßnahme in der bestehenden Form nicht geeignet oder wegen Bestehens gelinderer Mittel nicht erforderlich ist oder

  • die geschützten Interessen der betroffenen AN wegen der Intensität des Eingriffs so stark tangiert werden, dass sie bei einer Abwägung dennoch gegenüber den betrieblichen Interessen durchschlagen.

Dem BR wird damit nur in jenen Fällen ein Mitbestimmungsrecht zugestanden, in denen der durch die konkrete Maßnahme bewirkte Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der AN unverhältnismäßig ist. Schon eine individualrechtliche Beurteilung führt hier folglich – wohl auch nach Ansicht des OGH – zum Ergebnis, dass dieser Eingriff nicht gerechtfertigt und daher die konkrete Maßnahme (jedenfalls ohne Zustimmung der AN) unzulässig ist. So ist der/die AG etwa auch aufgrund seiner/ ihrer Fürsorgepflicht gehalten, die AN vor unverhältnismäßigen Eingriffen in ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen – und damit umso mehr selbst keine solchen vorzunehmen. Ebenso weisen die Materialien zu § 1328a ABGB überzeugend darauf hin, dass sich die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in die Privatsphäre auch bei nicht ausdrücklich gesetzlich oder vertraglich verbotenem Verhalten aus einer Abwägung der wechselseitigen Interessen ergeben kann. Dies dann, wenn keine Rechtfertigung durch höherwertige Interessen anderer Personen (oder der Allgemeinheit) gegeben ist (ErläutRV 173 BlgNR 22. GP 15 f).

Schon vor diesem Hintergrund kann auch die bloß mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsverhältnis nichts daran ändern, dass Eingriffe in die Privatsphäre der AN, die nicht durch höherwertige (insb betriebliche) Interessen gerechtfertigt sind, unabhängig von einem allfälligen Mitbestimmungsrecht des BR unzulässig sind. Darüber hinaus liegt in einem solchen Fall wegen Fehlens eines Erlaubnistatbestandes nach Art 6 Abs 1 lit f bzw Art 9 Abs 2 lit b Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO) regelmäßig auch ein Verstoß gegen – unmittelbar anwendbares – EUDatenschutzrecht bzw gegen das mit unmittelbarer Drittwirkung versehene Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 DSG) vor (vgl näher Auer-Mayer, wbl 2019, 428 ff).

Die Sichtweise des OGH führt somit dazu, dass der BR entweder wegen überwiegender betrieblicher Interessen noch gar kein Mitbestimmungsrecht nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG hat, oder ein solches zwar wegen Überwiegens der Interessen der AN zu bejahen ist, letztlich aber nur iSd Verweigerung der Zustimmung ausgeübt werden kann. Andernfalls würden unverhältnismäßige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte bzw datenschutzwidrige Maßnahmen des/der AG zugelassen. Eine allfällige zur Kontrolle ermächtigende BV wäre nach § 879 ABGB als nichtig (bzw wegen Verstoßes gegen die DSGVO als unanwendbar) anzusehen. Entgegen Reissner/Schneeberger (Duplik zu Goricniks Replik zu Reissner/Schneeberger, Anmerkung zu OGH9 ObA 23/15wDRdA 2016/2, DRdA 2016, 364) geht es somit auch nicht darum, die Grundrechtsprüfung bzw deren Strukturen unmittelbar in die Auslegung des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG „hineinzuverarbeiten“, sondern schlicht darum, § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG dogmatisch richtig so auszulegen, dass Raum für eine Zustimmung des BR bleibt.

Nun mag man noch einwenden, dass der BR seiner Interessenvertretungsaufgaben gerade auch durch Verweigerung der Zustimmung und Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen gegen überschießende Kontrollmaßnahmen gerecht werden kann. Abgesehen davon, dass das Bestehen solcher Ansprüche bei per se unzulässigen Maßnahmen nicht unumstritten ist (dagegen etwa Tomandl, ZAS 1982, 163 [169]; Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3 [2016] 685), wird eine solche Auslegung aber dem explizit von der „Zustimmung“ des BR sprechenden § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG nicht gerecht. Schlussendlich kann es gar nicht zu relevanten Verhandlungen zwischen AG und BR kommen, wenn man dem BR im Fall zulässiger Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte von vornherein ein Mitbestimmungsrecht abspricht. Es ist daher daran festzuhalten, dass das „Berühren der Menschenwürde“ nicht von einer Interessenabwägung im geschilderten Sinn, sondern nur von der – losgelöst vom Gewicht der betrieblichen Interessen objektiv festzustellenden – Eingriffsintensität abhängen kann. Das schließt keineswegs aus, hier angesichts des Erfordernisses eines Berührens der „Menschenwürde“ einen vergleichsweise hohen Maßstab anzulegen. Es ist daher unzutreffend, wenn Reissner/Schneeberger (DRdA 2016, 363) annehmen, die Abstandnahme von einer Interessenabwägung hätte gleichsam notwendigerweise zur Folge, dass jede Kontrollmaßnahme im Betrieb, die Persönlichkeitsrechte in irgendeiner Weise tangiere, der Zustimmung des BR bedürfe.

4.
Heranziehung der richtigen Rechtsgrundlage(n)?

Bei näherer Betrachtung stellt sich nicht zuletzt die Frage, warum der Entscheidungsfokus überhaupt auf § 10 AVRAG (bzw den mangels Bestehens eines BR von vornherein nicht einschlägigen § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG) gelegt wurde. Denn der Kl machte (nur) einen Schadenersatzanspruch nach § 1328a ABGB geltend. Letzterer sieht bei erheblichen Verletzungen der Privatsphäre – sohin rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffen – auch einen ideellen Schadenersatzanspruch der geschädigten Person vor. Wie dargelegt, folgt die Rechtswidrigkeit eines 562 solchen Eingriffs mangels expliziter Verbotsnorm insb aus einer Interessenabwägung. Im konkreten Fall lag damit völlig unabhängig von § 10 AVRAG oder § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG eine Verletzung der Privatsphäre vor. IdS hält auch der OGH überzeugend fest, dass die Bekl rechtswidrig und schuldhaft (vorsätzlich) in die Privatsphäre des Kl, nämlich seinen höchstpersönlichen Lebensbereich, eingegriffen habe, weil der Bekl der Beweis nicht gelungen sei, dass sie in Verfolgung eines (überwiegenden) berechtigten Interesses gehandelt habe. Die anschließende Feststellung, wonach die dauernde Ortungsmöglichkeit während der Arbeitszeit jedenfalls die Menschenwürde berühre (und solche Kontrollen außerhalb der Dienstzeit jedenfalls unzulässig seien), ist damit zwar als arbeitsrechtliche Klarstellung erfreulich, wäre letztlich aber ebenso wenig notwendig gewesen wie die Auseinandersetzung mit § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bzw § 10 AVRAG als solche.

Hingewiesen sei schließlich darauf, dass § 1328a ABGB nach dessen Abs 2 nicht anzuwenden ist, sofern eine Verletzung der Privatsphäre nach besonderen Bestimmungen zu beurteilen ist. Auch den ErläutRV (173 BlgNR 22. GP 19 f) zufolge sollte § 1328a ABGB nur dann greifen, wenn das geltende Recht den Betroffenen keinen immateriellen Ersatzanspruch bietet. Damit scheint die Anwendbarkeit des § 1328a ABGB gerade in der gegebenen Konstellation zweifelhaft. Denn nach dem Gesagten lag mangels Rechtfertigung der Datenverarbeitung auch eine Datenschutzverletzung vor. Nach § 29 Abs 1 Satz 1 DSG hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO oder (ua) gegen § 1 DSG ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen (oder Auftragsverarbeiter) nach Art 82 DSGVO (vgl näher dazu etwa Spitzer, Schadenersatz für Datenschutzverletzungen, ÖJZ 2019/76 ff; Mertinz/Held, Wenn die Datenverarbeitung Schmerzen bereitet, ecolex 2020, 572 ff; Fritz/Hofer, Immaterieller Schadenersatz nach der DSGVO, Anm zu OLG Innsbruck 13.2.2020, 1 R 182/19b, MR 2020, 81). Im Einzelnen gelten für diesen Schadenersatzanspruch gem § 29 Abs 1 Satz 2 DSG wiederum die allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Angesichts der Subsidiaritätsanordnung des § 1328a ABGB (vgl auch Hinteregger in Kletečka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON1.04 § 1328a Rz 9 [Stand 1.8.2019, rdb.at]) ist allerdings davon auszugehen, dass dies gerade nicht auch für letzteren gilt. Damit ist insb auch die in § 1328a ABGB ausdrücklich vorgesehene Beschränkung des Ersatzes ideeller Schäden (so solche tatsächlich eingetreten sind) auf „erhebliche“ Rechtsverletzungen nicht unmittelbar maßgeblich.