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Zur Qualifikation plattformbasierter Arbeit

JOHANNESWARTER (SALZBURG)
ArbeitszeitRL 2003/88/EG

Nicht als AN iSd RL 2003/88/EG anzusehen ist, wer mit dem mutmaßlichen AG eine Dienstleistungsvereinbarung getroffen hat, die ihn als selbständigen und unabhängigen Leistungserbringer einstuft und ihm Entscheidungsspielraum durch Ablehnungsund Vertretungsrechte, die Möglichkeit, vergleichbare Dienstleistungen auch für Dritte zu erbringen und seine Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Rahmens frei zu bestimmen, gewährt, vorausgesetzt, dass die Unabhängigkeit nicht fiktiv ist und auch sonst kein Unterordnungsverhältnis zwischen dieser Person und dem mutmaßlichen AG vorliegt.

Sachverhalt*

B ist ein „Nachbarschafts-Paketzusteller“, der seine Tätigkeit seit 2017 exklusiv für die Paketzustellplattform yodel delivery ausübt. Voraussetzung einer Tätigkeit bei der Plattform ist der Abschluss eines „courier services agreement“, das die Kuriere als selbständige, unabhängige Vertragspartner einstuft. Nachbarschaftskuriere von yodel delivery benutzen für die Zustellung der Pakete ihre eigenen Fahrzeuge und Smartphones, um mit der Plattform zu kommunizieren. Für die Ausübung seiner Tätigkeit war es erforderlich, eine bestimmte „Schulung“ zu durchlaufen, um sich an das von der Plattform zur Verfügung gestellte Handgerät zu gewöhnen. Gemäß dem Vertrag mit yodel delivery sind Kuriere nicht verpflichtet, die Lieferungen persönlich durchzuführen. Sie können die Aufträge auch an Subauftragnehmer weitergeben oder Stellvertreter für den gesamten oder einen Teil der Dienstleistung einsetzen. In diesen Fällen haften Nachbarschaftskuriere allerdings für das Handeln und Unterlassen dieser Personen. Darüber hinaus hat die Plattform ein Vetorecht, wenn die gewählte Person nicht über gleichwertige Fähigkeiten und Qualifikationen verfügt. Die Kurierdienstvereinbarung sieht ebenso vor, dass es den Kurieren gestattet ist, auch für andere Paketzusteller tätig zu werden. Vorgesehen ist ebenso, dass die Plattform nicht verpflichtet ist, die Dienste der Kuriere in Anspruch zu nehmen, wie diese ebenso nicht verpflichtet sind, Paketzustellung durchzuführen. Sie können auch eine Höchstzahl an Paketen bestimmen, die sie zuzustellen bereit sind. Hinsichtlich der Arbeitszeiten sieht der Vertrag vor, dass die Kuriere die Pakete von Montag bis Samstag nach Hause geliefert bekommen. Diese sind dann in der Zeit zwischen 7:30 und 21:00 Uhr zuzustellen, wobei Kuriere bei Wahl von Zeit, Route und Reihenfolge frei sind. Ausgenommen davon sind Pakete mit festgelegten Zustellterminen. Die Bezahlung erfolgt in Form eines Pauschalbetrags, der pro Paket nach dem Ort der Zustellung variiert.

B behauptet nun „AN“ iSd Arbeitszeit-RL 2003/88/EG (AZ-RL) zu sein, weshalb das vorlegende Gericht (Watfort Employment Tribunal) den EuGH im Wesentlichen um Beantwortung der nachfolgenden Fragen bittet:

  • Schließt die AZ-RL nationale Regelungen aus, die verlangen, dass eine Person die Leistungen persönlich zu erbringen hat um in den Anwendungsbereich der RL zu fallen?

  • Können Beschäftigte, denen das Recht zusteht, Subauftragnehmer oder Vertreter für Teile oder die gesamte Dienstleistung zu nominieren, als AN iSd Richtlinie angesehen werden? [...] Ist für die Beantwortung dieser Frage relevant, dass der Beschäftigte dieses Recht nicht in Anspruch genommen hat, während andere auf Basis derselben Bestimmung dies schon getan haben?

  • [...] Ist es für die Beantwortung der Frage relevant, dass der potenzielle AG nicht verpflichtet ist, dem Kl tatsächlich Arbeiten anzubieten und dass der Kl auch nicht verpflichtet ist, angebotene Dienste anzunehmen?

  • Ist es relevant, dass der Beschäftigte auch für andere ähnliche Anbieter seine Dienste ausführen darf? Ist es auch relevant, dass er dies nicht getan hat, während andere auf derselben Bestimmung die Möglichkeit in Anspruch genommen haben?

  • Wie muss die Arbeitszeit berechnet werden, wenn der Kl nicht verpflichtet ist, bestimmte Zeiten zu arbeiten, sondern selbst entscheiden kann, wann er innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens von 7:30 bis 21:00 Uhr seine Arbeitsleistung erbringt. [...]

Aus den Entscheidungsgründen*

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(21) Under Article 99 of its Rules of Procedure, where, inter alia, the reply to a question referred to the Court for a preliminary ruling may be clearly deduced from existing case-law or where the answer to the question referred admits of no reasonable doubt, the Court may at any time, on a proposal from the Judge-Rapporteur and after hearing the Advocate General, decide to rule by reasoned order.(21) Gem Art 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof ua dann, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rsp abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung einer solchen Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch begründeten Beschluss zu entscheiden.
(22) It is appropriate to apply that provision in the present case.(22) Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.
(23) By its questions, which it is appropriate to consider together, the referring court asks, in essence, whether Directive 2003/88 must be interpreted as precluding a person, engaged by his putative employer under a services agreement stipulating that he is a self-employed independent contractor, from being classified as a ‘worker’ for the purposes of that directive, where that person is afforded discretion:(23) Mit seinen Vorlagefragen, die gemeinsam zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die RL 2003/88/EG so auszulegen ist, dass als AN iSd Richtlinie nicht anzusehen ist, wer mit dem mutmaßlichen AG eine Dienstleistungsvereinbarung getroffen hat, die ihn als selbständigen und unabhängigen Leistungserbringer einstuft und ihm eigenes Ermessen gewährt:
– to use subcontractors or substitutes to perform the service which he has undertaken to provide;– für die von ihr geforderten Dienstleistungen ganz oder teilweise Subunternehmer oder Stellvertreter einzusetzen;
– to fix his own hours of ‘work’ within certain parameters and to tailor his time to suit his personal convenience rather than solely the interests of the putative employer.– seine Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Rahmens selbst frei zu bestimmen und sich seine Zeit entsprechend seinen persönlichen Bedürfnissen einzuteilen und nicht ausschließlich den Interessen des mutmaßlichen AG Rechnung zu tragen.
(24) As a preliminary point, it should be noted that Directive 2003/88 does not define the concept of ‘worker’.(24) Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die RL 2003/88/EG keine eigene Definition des ANBegriffs enthält.
(25) However, the Court has already ruled on that concept.(25) Diesbezüglich hat jedoch der Gerichtshof schon entschieden.
(26) It has thus held, inter alia, that that concept has an autonomous meaning specific to EU law (judgment of 20 November 2018, Sindicatul Familia Constanţa and Others, C-147/17, EU:C:2018:926, paragraph 41).(26) Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der AN-Begriff eine eigenständige unionsrechtliche Bedeutung hat (vgl Urteil vom 20.11.2018, Sindicatul Familia Constanţa ua, C-147/17, EU:C:2018:926, Rn 41).
(27) In that regard, it is for the national court to apply that concept of a ‘worker’ for the purposes of Directive 2003/88, and the national court must, in order to determine to what extent a person carries on his activities under the direction of another, base that classification on objective criteria and make an overall assessment of all the circumstances of the case brought before it, having regard both to the nature of the activities concerned and the relationship of the parties involved (see, to that effect, judgments of 14 October 2010, Union syndicale Solidaires Isère, C-428/09, EU:C:2010:612, paragraph 29, and of 26 March 2015, Fenoll, C-316/13, EU:C:2015:200, paragraph 29).(27) Daher liegt es am nationalen Gericht, den AN-Begriff iSd RL 2003/88/EG anzuwenden, und das nationale Gericht muss im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung, ob und inwieweit eine natürliche Person ihre Tätigkeiten auf Weisung einer anderen ausführt, diese Einstufung auf objektive Kriterien stützen und eine Gesamtwürdigung aller Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache vornehmen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des Verhältnisses zwischen den fraglichen Parteien betreffen (vgl dahingehend die Urteile vom 14.10.2010, Union syndicale Solidaires Isère, C-428/09, EU:C:2010:612, Rn 29, und vom 26.3.2015, Fenoll, C-316/13, EU:C:2015:200, Rn 29). 128
(28) Since an employment relationship implies the existence of a hierarchical relationship between the worker and his employer, the issue whether such a relationship exists must, in each particular case, be assessed on the basis of all the factors and circumstances characterising the relationship between the parties (judgments of 10 September 2015, Holterman Ferho Exploitatie and Others, C-47/14, EU:C:2015:574, paragraph 46, and of 20 November 2018, Sindicatul Familia Constanţa and Others, C-147/17, EU:C:2018:926, paragraph 42).(28) Da ein Arbeitsverhältnis das Bestehen einer hierarchischen Beziehung zwischen AN und AG voraussetzt, muss das Vorliegen eines solchen Unterordnungsverhältnisses in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, geprüft werden (Urteile vom 10.9.2015, Holterman Ferho Exploitatie and Others, C-47/14, EU:C:2015:574, Rn 46, und vom 20.11.2018, Sindicatul Familia Constanţa ua, C-147/17, EU:C:2018:926, Rn 42).
(29) Thus, the essential feature of an employment relationship is that for a certain period of time a person performs services for and under the direction of another person in return for which he receives remuneration (judgments of 26 March 2015, Fenoll, C-316/13, EU:C:2015:200, paragraph 27, and of 21 February 2018, Matzak, C-518/15, EU:C:2018:82, paragraph 28).(29) Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht demnach darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl in diesem Sinne die Urteile vom 26.3.2015, Fenoll, C-316/13, EU:C:2015:200, Rn 27, und vom 21.2.2018, Matzak, C-518/15, EU:C:2018:82, Rn 28).
(30) More specifically, the Court has held that the classification of an ‘independent contractor’ under national law does not prevent that person being classified as an employee, within the meaning of EU law, if his independence is merely notional, thereby disguising an employment relationship (judgment of 4 December 2014, FNV Kunsten Informatie en Media, C-413/13, EU:C:2014:2411, paragraph 35 and the case-law cited).(30) Insb hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Einstufung als „selbständiger Leistungserbringer“ nach innerstaatlichem Recht es nicht ausschließt, dass eine Person als „AN“ iSd Unionsrechts einzustufen ist, wenn ihre Selbständigkeit nur fiktiv ist und damit ein tatsächliches Arbeitsverhältnis verschleiert (Urteil vom 4.12.2014, FNV Kunsten Informatie en Media, C-413/13, EU:C:2014:2411, Rn 35 und die dort angeführte Rsp).
(31) That is the case of a person who, although hired as an independent service provider under national law, for tax, administrative or organisational reasons, acts under the direction of his employer as regards, in particular, his freedom to choose the time, place and content of his work, does not share in the employer’s commercial risks and, for the duration of that relationship, forms an integral part of that employer’s undertaking, so forming an economic unit with that undertaking (judgment of 4 December 2014, FNV Kunsten Informatie en Media, C-413/13, EU:C:2014:2411, paragraph 36 and the case-law cited).(31) Daraus folgt, dass die Eigenschaft als „AN“ iSd Unionsrechts nicht dadurch berührt wird, dass eine Person aus steuerlichen, administrativen oder verwaltungstechnischen Gründen nach innerstaatlichem Recht als selbständiger Dienstleis tungserbringer beschäftigt wird, sofern sie nach Weisung ihres AG handelt, insb was ihre Freiheit bei der Wahl von Zeit, Ort und Inhalt ihrer Arbeit angeht und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses in dessen Unternehmen eingegliedert ist und daher mit ihm eine wirtschaftliche Einheit bildet (vgl Urteil vom 4.12.2014, FNV Kunsten Informatie en Media, C-413/13, EU:C:2014:2411, Rn 36 und die dort angeführte Rsp).
(32) On the other hand, more leeway in terms of choice of the type of work and tasks to be executed, of the manner in which that work or those tasks are to be performed, and of the time and place of work, and more freedom in the recruitment of his own staff are the features which are typically associated with the functions of an independent service provider (judgment of 10 September 2014, Haralambidis, C-270/13, EU:C:2014:2185, paragraph 33).(32) Hingegen sind größere Spielräume bezüglich der Art der auszuführenden Arbeiten und Aufgaben, der Modalitäten der Ausführung dieser Aufgaben bzw Arbeiten, der Arbeitszeiten und des Arbeitsorts sowie des Einsatzes eigenen Personals Merkmale, die typischerweise mit dem Bild eines selbständigen Dienstleisters verbunden sind (Urteil vom 10.9.2014, Haralambidis, C-270/13, EU:C:2014:2185, Rn 33).
(33) It is for the referring court to ascertain, in the light of the case-law referred to in paragraphs 27 to 32 of the present judgment, whether a selfemployed independent contractor, such as B, may be classified as a ‘worker’ for the purposes of that case-law, taking account of the circumstances at issue in the main proceedings.(33) Das vorlegende Gericht hat im Lichte der in den Rn 27 bis 32 dargelegten Rsp dieses Beschlusses zu prüfen, ob ein selbständiger und unabhängiger Leistungserbringer, wie B, als AN iS dieser Rsp eingestuft werden kann, unter Würdigung aller im Ausgangsverfahren vorliegenden Umstände. 129
(34) That being so, in order to give a useful answer to the referring court, the following points should be made.(34) Es ist daher, um dem vorlegenden Gericht eine nützliche Antwort zu geben, das Folgende festzustellen.
(35) It follows from the specific features of the file submitted to the Court that a person, such as B, appears to have a great deal of latitude in relation to his putative employer.(35) Es geht aus den spezifischen Merkmalen der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass eine natürliche Person wie B im Verhältnis zu seinem mutmaßlichen AG einen großen Gestaltungsspielraum zu haben scheint.
(36) In those circumstances, it is necessary to examine the consequences of that great deal of latitude on the independence of such a person and, in particular, whether, despite the discretion, referred to by the referring court, afforded to that person, his independence is merely notional.(36) Unter diesen Umständen ist es erforderlich, zu untersuchen, wie sich dieser große Gestaltungsspielraum auf die Unabhängigkeit einer solchen natürlichen Person auswirkt und ob insb, trotz des, wie vom vorlegenden Gericht berichtet, dieser Person gewährten eigenen Ermessens, die Selbständigkeit bloß fiktiv ist.
(37) In addition, it must be ascertained whether it is possible to establish, in the circumstances specific to the case in the main proceedings, the existence of a subordinate relationship between B and Yodel.(37) Außerdem ist zu prüfen, ob unter den im Ausgangsverfahren vorliegenden Umständen die Begründung eines Unterordnungsverhältnisses zwischen B und Yodel festgestellt werden kann.
(38) In that regard, concerning, first, the discretion of a person, such as B, to appoint subcontractors or substitutes to carry out the tasks at issue, it is common ground that the exercise of that discretion is subject only to the condition that the subcontractor or substitute concerned has basic skills and qualifications equivalent to the person with whom the putative employer has concluded a services agreement, such as the person at issue in the main proceedings.(38) Erstens, betreffend die Entscheidungsfreiheit einer Person wie B, für die von ihr geforderten Arbeits- oder Dienstleistungen ganz oder teilweise Subunternehmer oder Stellvertreter einzusetzen, ist unstrittig, dass die Ausübung dieser Entscheidungsfreiheit der Bedingung unterliegt, dass der betroffene Subunternehmer oder Stellvertreter Grundkenntnisse und Qualifikationen haben muss, die jenen der Person entsprechen, mit der der mutmaßliche AG die Dienstleistungsvereinbarung abgeschlossen hat, so wie die Person im betroffenen Ausgangsverfahren.
(39) Thus, the putative employer can exercise only limited control over the choice of subcontractor or substitute by that person, on the basis of a purely objective criterion, and cannot give precedence to any personal choices and preferences.(39) Demzufolge kann der mutmaßliche AG die Wahl eines Subunternehmers oder Stellvertreters durch diese Person nur eingeschränkt kontrollieren, basierend auf rein objektiven Kriterien, und kann nicht persönlichen Optionen und Vorlieben den Vorrang geben.
(40) Second, it is apparent from the file submitted to the Court that, under the services agreement at issue in the main proceedings, B has an absolute right not to accept the tasks assigned to him. In addition, he may himself set a binding limit on the number of tasks which he is prepared to perform.(40) Zweitens wird aus der dem Gericht vorgelegten Akte deutlich, dass B aufgrund der im Ausgangsverfahren betroffenen Dienstleistungsvereinbarung das absolute Recht hat, die ihm aufgetragenen Aufgaben nicht anzunehmen. Außerdem kann er den Arbeitsaufwand, den er bereit ist zu leisten, verbindlich begrenzen.
(41) Third, as regards the discretion of a person, such as B, to provide similar services to third parties, it appears that that discretion may be exercised for the benefit of any third party, including for the benefit of direct competitors of his putative employer, it being understood that that discretion may be exercised in parallel and simultaneously for the benefit of a number of third parties.(41) Drittens, hinsichtlich der Befugnis einer Person wie B, vergleichbare Dienstleistungen für Dritte zu erbringen, scheint es, dass diese zu Gunsten eines jeden Dritten ausgeübt werden kann, darunter auch direkte Wettbewerber des mutmaßlichen AG, und das auch zur gleichen Zeit und simultan zu Gunsten mehrerer Dritter.
(42) Fourth, as regards ‘working’ time, while it is true that a service, such as that at issue in the main proceedings, must be provided during specific time slots, the fact remains that such a requirement is inherent to the very nature of that service, since compliance with those times slots appears essential in order to ensure the proper performance of that service.(42) Wenn es viertens, im Hinblick auf die Arbeitszeit, auch richtig ist, dass eine Dienstleistung, wie jene im Ausgangsverfahren fragliche, innerhalb bestimmter Zeitfenster erbracht werden muss, so steht doch weiterhin fest, dass eine solche Vorgabe in der Natur dieser Dienstleistung liegt, da die Beachtung dieser Zeitfenster wesentlich scheinen, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Dienstleistung zu gewährleisten. 130
(43) In the light of all those factors, first, the independence of a courier, such as that at issue in the main proceedings, does not appear to be fictitious and, second, there does not appear, a priori, to be a relationship of subordination between him and his putative employer.(43) In Anbetracht dieser Erwägungen scheint erstens die Selbständigkeit eines Kuriers, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nicht fiktiv zu sein und zweitens scheint a priori kein Unterordnungsverhältnis zwischen ihm und seinem mutmaßlichen AG zu bestehen.
(44) That being so, it is for the referring court, taking account of all the relevant factors relating to B and to the economic activity which he carries on, to classify his professional status in accordance with Directive 2003/88, in the light of the criteria laid down in the case-law set out in paragraphs 27 to 32 of the present order.(44) Infolgedessen hat das vorlegende Gericht alle maßgeblichen Faktoren betreffend B und seine fortlaufende wirtschaftliche Betätigung zu berücksichtigen, um seinen beruflichen Status iSd RL 2003/88/EG zu bestimmen, und zwar im Lichte der in den Rn 27 bis 32 dargelegten Kriterien der Rsp des vorliegenden Beschlusses.
(45) It follows from all the foregoing considerations that Directive 2003/88 must be interpreted as precluding a person engaged by his putative employer under a services agreement which stipulates that he is a self-employed independent contractor from being classified as a ‘worker’ for the purposes of that directive, where that person is afforded discretion:(45) Aus alledem folgt, dass die RL 2003/88/EG so auszulegen ist, dass als AN iSd Richtlinie nicht anzusehen ist, wer mit dem mutmaßlichen AG eine Dienstleistungsvereinbarung getroffen hat, die ihn als selbständigen und unabhängigen Leistungserbringer einstuft und ihm Entscheidungsspielraum gewährt:
– to use subcontractors or substitutes to perform the service which he has undertaken to provide;– für die von ihr geforderten Arbeits- oder Dienstleistungen ganz oder teilweise Subunternehmer oder „Stellvertreter“ einzusetzen
– to accept or not accept the various tasks offered by his putative employer, or unilaterally set the maximum number of those tasks;– die vom mutmaßlichen AG angebotene Arbeit anzunehmen oder nicht anzunehmen, oder einseitig den maximalen Arbeitsaufwand festzulegen;
– to provide his services to any third party, including direct competitors of the putative employer, and– gleichzeitig vergleichbare Dienstleistungen für Dritte zu erbringen, darunter auch direkte Wettbewerber des mutmaßlichen AG, und
– to fix his own hours of ‘work’ within certain parameters and to tailor his time to suit his personal convenience rather than solely the interests of the putative employer,– seine Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Rahmens selbst frei zu bestimmen und sich seine Zeit entsprechend seinen persönlichen Bedürfnissen einzuteilen und nicht ausschließlich den Interessen des mutmaßlichen AG Rechnung zu tragen,
provided that, first, the independence of that person does not appear to be fictitious and, second, it is not possible to establish the existence of a relationship of subordination between that person and his putative employer. However, it is for the referring court, taking account of all the relevant factors relating to that person and to the economic activity he carries on, to classify that person’s professional status under Directive 2003/88.vorausgesetzt, dass sich einerseits die Selbständigkeit dieser Person nicht als fiktiv herausstellt und es andererseits nicht möglich ist, die Begründung eines Unterordnungsverhältnisses zwischen dieser Person und dem mutmaßlichen AG festzustellen. Jedoch liegt es beim vorlegenden Gericht, alle maßgeblichen Faktoren betreffend diese Person und seine fortlaufende wirtschaftliche Betätigung zu berücksichtigen, um seinen beruflichen Status iSd RL 2003/88/EG zu bestimmen.

ANMERKUNG

1.
Einleitung

Die vorliegende E ist von besonderem Interesse, da sich der EuGH darin zum ersten Mal zur Statusfrage von Plattformbeschäftigten äußert. Tatsächlich handelt es sich bei der Frage, ob und inwieweit Plattformbeschäftigte als AN zu qualifizieren sind, um die am häufigsten diskutierte Rechtsfrage in Zusammenhang mit dieser neuen Form der Beschäftigung. Gleichzeitig wird von Seiten der Praxis besonders die diesbezüglich fehlende Rechtssicherheit beklagt (vgl etwa Eurofound, New forms of employment: 2020 update, 24). Mit Zunahme an höchstgerichtlichen Entscheidungen sollte diese Rechtsunsicherheit verringert werden. Auf Ebene der Mitgliedstaaten liegen bereits einige höchstgerichtliche Entscheidungen vor. Soweit ersichtlich, handelt es sich dabei um Entscheidungen aus Frankreich (Cour de Cassation, N°19-13.316, ECLI:FR:CCAS:2020:SO00374; N°17- 2079, ECLI:FR:CCASS:2018:SO01737), Italien (Corte di Cassazione, n°1663/2020, ECLI:IT:CASS:2020: 1663CIV), Spanien (Tribunal Supremo, 805/2020, ECLI:ES:TS:2020:2924) und mittlerweile auch Deutschland (BGH 1.12.2020, 9 AZR 102/20). Auch in England wird bald mit einer E des Supreme Courts gerechnet (UKSC 19.2.2021, 2019/0029, Uber131BV vs Aslam), die diesbezüglichen Verhandlungen haben bereits im Juli 2020 stattgefunden. Der OGH musste zur statusbezogenen Qualifikation von Personen in der Plattformarbeit bislang nicht Stellung beziehen. Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch der OGH mit diesem Problem befasst sein wird.

Inhaltlich sind die bisherigen Entscheidungen stets zu den zentralen Bereichen der Plattformwirtschaft, nämlich Kurier- oder Transportdienstleistungen, ergangen. Bei der vorliegenden E geht es um die britische Paketkurierplattform yodel delivery. Während nun aber alle nationalen Höchstgerichte in den unterschiedlichen Einzelfallkonstellationen zum Ergebnis kamen, dass es sich bei Plattformbeschäftigten um AN iSd des jeweiligen nationalen Rechts handelte, entscheidet der EuGH in der vorliegenden E, dass Plattformbeschäftigte, die mit ihrem mutmaßlichen AG eine Dienstleistungsvereinbarung geschlossen haben, die sie als selbständigen Leistungserbringer einstuft und ihnen bestimmte Entscheidungsspielräume gewährt, als Selbständige einzustufen sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Freiheiten nicht fiktiv sind und auch sonst kein Unterordnungsverhältnis zwischen den Beschäftigten und dem mutmaßlichen AG vorliegt.

Bei genauerer Betrachtung hält sich die Erkenntnis und der Mehrwert der zu besprechenden E aber einerseits in Grenzen. Andererseits ist die Argumentation des EuGH – zumindest teilweise – auch nicht überzeugend. Dies möchte die nachfolgende Entscheidungsbesprechung näher aufzeigen.

2.
Verfahrensrechtliches

Von Interesse ist zunächst schon die Form der E. Es handelt sich nämlich nicht um ein „gewöhnliches“ Urteil im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 267 AEUV, sondern lediglich um einen begründeten Beschluss („reasoned order“). Die – mit Bindungswirkung ausgestattete – E durch Beschluss ist gem Art 99 der Geschäftsordnung auf Antrag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts (nur) dann möglich, wenn die Antwort auf die vorgelegte Frage klar aus der bestehenden Rsp abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der Frage keine vernünftigen Zweifel offenlässt.

Dieses Vorgehen ist nicht nachvollziehbar, lagen doch gerade keine einschlägigen Entscheidungen des EuGH zur Statusfrage von Plattformbeschäftigten vor (die Urteile des EuGH zur Plattform Uber [20.12.2017, C-434/15, Elite Taxiund 10.4.2018, C-320/16, Uber France] betrafen nicht die Qualifikation der Beschäftigten, sondern die Einordnung der Plattform unter die E-Commerce-RL [EG] 2000/31) und noch weniger lässt die Beantwortung der Vorlagefragen keinen Platz für vernünftige Zweifel. Tatsächlich gab und gibt es zahlreiche offene Fragen, wie die inhaltliche Analyse unten zeigen wird. Diese Form der E ist umso bedauerlicher, als damit auch bestimmte Rechtsfolgen verbunden sind: So ist der Beschluss selbst nicht besonders detailliert begründet, er wurde nur auf Englisch und Französisch veröffentlicht und es gibt keine Stellungnahme des Generalanwalts.

3.
Der Europäische Arbeitnehmerbegriff der AZ-RL

Die vorliegende E hat den AN-Begriff der AZ-RL 2003/88/EG zum Gegenstand, wobei die AZ-RL selbst keine Definition des AN-Begriffs enthält. Der EuGH verweist deshalb auf seine diesbezügliche Rsp (Rn 24 f, zu den Kriterien siehe unten) und darauf, dass der AN-Begriff der AZ-RL autonom auszulegen ist (Rn 26). Interessanterweise zitiert er hierzu aber nicht nur Entscheidungen, die in Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der AZ-RL getroffen wurden (wie etwa die Entscheidungen EuGH 26.3.2015, C-316/13, Fenoll bzw EuGH 21.2.2018, C-518/15, Matzak; EuGH 4.10.2010, C-428/09, Isère und EuGH 20.11.2018, C-147/17, Sindicatul Familia [vgl Rn 26-29]), sondern auch Entscheidungen zur Auslegung des AN-Begriffs aus anderen Rechtsbereichen wie etwa dem Wettbewerbsrecht (EuGH 4.12.2014, C-413/13, FNV Kunsten [Rn 30]) oder zur gerichtlichen Zuständigkeit (EuGH 10.9.2015, C-47/14, Holterman [Rn 28]). Insofern ist diese E ein weiteres Indiz, dass der EuGH von einem einheitlichen europäischen AN-Begriff auszugehen scheint, auch wenn er in manchen Entscheidungen Gegenteiliges behauptet (vgl etwa EuGH 12.5.1998, C-85/96, Martinez Sala, Rn 31 ff oder EuGH 13.1.2004, C-256/01, Allonby, Rn 63; ausführlich zur Problematik Risak/Dullinger, Der ArbeitnehmerInnen-Begriff im EU-Arbeitsrecht, DRdA 2018, 206 [210]).

4.
Zu den Kriterien im Einzelnen

Das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Rn 29). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Lawrie- Blum-Formel, die der EuGH in Zusammenhang mit der AN-Freizügigkeit entwickelt hat. Vier Kriterien der AN-Eigenschaft werden vom EuGH in der vorliegenden E aufgrund der Vorlagefragen näher angesprochen.

4.1.
Vertretungs- und Weitergaberechte an Subauftragnehmer

Ein wesentliches Kriterium der AN-Eigenschaft ist nach Ansicht des EuGH die persönliche Leistungserbringung (vgl etwa Risak/Dullinger, DRdA 2018, 212). Aus diesem Grund geht der EuGH davon aus, dass Vertretungs- sowie Weitergaberechte an Subauftragnehmer grundsätzlich gegen eine AN-Eigenschaft sprechen (Rn 38).

Dies ist nun aber vor allem dann problematisch, wenn ein generelles Vertretungsrecht zwar vertraglich vereinbart wurde, aber tatsächlich nicht genutzt wird oder genutzt werden kann. Der OGH hat entsprechende Fallgestaltungen auf Basis 132 des österreichischen AN-Begriffs deshalb zutreffend dahingehend gelöst, dass derartige Vertragsklauseln nur dann beachtlich sein sollen, wenn das Vertretungsrecht auch tatsächlich genutzt wird oder bei objektiver Betrachtung eine Nutzung zu erwarten ist (vgl statt vieler RIS-Justiz RS0118332). Ähnliche Überlegungen wären vom EuGH auch beim europäischen AN-Begriff zu erwarten gewesen, zumal gerade in der Plattformwirtschaft die vertraglichen Vereinbarungen oft (deutlich) von der tatsächlichen Lebensrealität abweichen.

4.2.
Ablehnungsrechte – Leistungspflicht

Ähnlich verhält es sich mit dem Merkmal der Leistungspflicht, weshalb das Recht, Arbeitsaufträge abzulehnen, ebenfalls gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses spricht (Rn 40). Auch gegen diese allgemeine Aussage ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Problematisch ist hier aber vor allem die Tatsache, dass Plattformbeschäftigte typischerweise Arbeitsaufträge nicht ohne Nachteile ablehnen können. Plattformen sehen hier regelmäßig Inaktivitätsstrafen oder andere systematische Benachteiligungen und Sanktionen vor. So etwa, dass bei einem Absinken unter ein bestimmtes Mindestausmaß an Arbeitsleistung eine Herabstufung im Scoringmodell der Plattform erfolgt und Beschäftigte dadurch keine oder keine attraktiven Aufträge mehr zugeteilt bekommen. Im Extremfall wird der Account gar gänzlich deaktiviert. Ebenso ist denkbar, dass Plattformen im Rahmen ihrer Scoringmodelle kürzlich erfolgte Bewertungen von geleisteten Arbeitsaufträgen höher bewerten als länger zurückliegende. Beschäftigte sind durch derartige Modelle nicht nur angehalten, möglichst gute Arbeit zu leisten, sondern auch stets „aktiv“ zu bleiben. Diese Formen kommen einer Leistungspflicht mE gleich bzw jedenfalls sehr nahe (vgl hierzu näher Warter, Crowdwork, Eine erste arbeitsrechtliche Beurteilung, in Reichel/Pfeil/Urnik, Crowdinvesting und Crowdworking: Herausforderungen und Chancen [2018] 137 [149]).

Die Frage der (fehlenden) Leistungspflicht ließe sich aber sogar noch weiter spinnen: Gilt das oben Gesagte auch für Systeme, die ausschließlich mit Anreizen und völlig ohne Sanktionen arbeiten? Wenn also Plattformbetreiber hunderte Psychologie-, Verhaltens-, und Sozialwissenschaftler beschäftigen, um herauszufinden, wie sich Menschen mit bloßen Anreizsystemen steuern und manipulieren lassen, sodass es gar keiner rechtlichen „Verpflichtungen“ mehr bedarf (siehe hierzu etwa New York Times vom 2.4.2017, How Uber Uses Psychological Tricks to Push Its Driver‘s Buttons), können diese Beziehungen trotz des Mangels einer Leistungspflicht bei Vorliegen einer organisatorischen Eingliederung als Arbeitsverhältnisse qualifiziert werden?

4.3.
Nebenbeschäftigungs- und Wettbewerbsverbote

Nicht überzeugend sind die kurzen Ausführungen des EuGH, wonach die Möglichkeit, ähnliche Dienste auch für andere Parteien bzw fehlende Nebenbeschäftigungs- oder Wettbewerbsverbote gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen (Rn 41). Wie Gruber-Risak (Anm zum EuGH – Arbeitnehmer*innen-Begriff in der Gig-Economy [C-692/19, Yodel Delivery Network], HSI-Report zum Europäischen Arbeits- und Sozialrecht 2020/2, 4 [9] bzw RdA 2020, 524 [527]) bereits zutreffend ausführt, kann dieses Merkmal schon aufgrund der RL (EU) 2019/1152 keine Gültigkeit für sich beanspruchen, ist doch die Mehrfachbeschäftigung nach dieser Richtlinie ausdrücklich erlaubt und ein entsprechendes Verbot überhaupt nur aus objektiven Gründen (zB Gesundheitsschutz) zulässig (vgl Art 9 leg cit).

4.4.
Natur der Sache und Arbeitszeitautonomie

Das vierte und letzte angesprochene Kriterium überzeugt nicht, es ist sogar problematisch. Zunächst spricht der EuGH in Rn 45 letzte Aufzählung davon, dass die freie Arbeitseinteilung gegen ein Arbeitsverhältnis spricht. Hierzu hat Gruber-Risak bereits zutreffend festgehalten, dass die AZ-RL in Art 17 Abs 1 diesbezüglich sogar eine eigene Ausnahme für AN vorsieht, die ihre Arbeitszeit selbst festlegen können. Selbst ein hohes Maß an Arbeitszeitautonomie spricht deshalb zumindest für sich alleine noch nicht gegen eine AN-Eigenschaft (Gruber-Risak, HSI-Report 2020/02, 9 bzw AuR 2020, 527 f).

Der EuGH führt in seiner Begründung zuvor zusätzlich noch aus, dass die Verpflichtung zur Leistungserbringung innerhalb eines bestimmten Zeitraums (in concreto musste eine Zustellung zwischen 7:30 und 21:00 Uhr erfolgen [Rn 12]) nicht für ein Arbeitsverhältnis spricht, da sich derartige Zeitfenster, innerhalb welcher die Dienstleistungen erbracht werden müssen, schon aus der Natur der Dienstleistung ergeben (Rn 42).

Derartige Argumentation kennen wir auch aus der österreichischen Rechtsordnung (vgl nur Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 101 ff [Stand 1.1.2018, rdb.at], mwN). Demnach sollen relevante Faktoren, die sich aus der Natur der Sache ergeben, bei der Qualifikation unberücksichtigt bleiben. Dies kann aber freilich in beide Richtungen geschehen. Insofern spricht das genannte Kriterium weder für noch gegen eine bestimmte Qualifikation, es ist per se neutral.

Schon ganz grundsätzlich überzeugt dieses Argument aber nicht. Es ist überdies gefährlich. Eine systematische Ausblendung oder nur Geringergewichtung von Aspekten, die sich aus der Natur der Tätigkeit ergeben, würde zu einer drastischen Verringerung des Anwendungsbereichs des Arbeitsrechts führen. Würde man diese Faktoren nicht berücksichtigen, gerade weil sie in der Natur der Sache liegen, ja so wären selbst die typischen Fabrikarbeiter aus 1916 keine AN gewesen, weil ihre Arbeit „nach den Sachgegebenheiten“ eben nur in der Fabrik und zusammen mit den anderen zu einheitlicher Arbeitszeit möglich war (Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 102). 133

5.
Stellenwert vertraglicher Vereinbarungen bei der Qualifikation von Beschäftigungsverhältnissen

Insgesamt hat sich der EuGH in der vorliegenden E mit einer kurzen und oberflächlichen Beurteilung der vertraglichen Ausgestaltung begnügt und lediglich die im Leitsatz zitierte E mit der Beschränkung versehen, dass die vertraglichen Freiheiten nicht fiktiv sein dürfen und darüber hinaus keine Unterordnung vorliegen darf (Rn 45).

Im Wesentlichen geht es bei Sachverhalten zur Statusfrage von Plattformbeschäftigten ganz entscheidend um die Frage, welcher Stellenwert vertraglichen Vereinbarungen bei der Beurteilung der AN-Eigenschaft zukommen soll. Zutreffend gehen bislang alle nationalen Höchstgerichte in den zu Beginn zitierten Entscheidungen davon aus, was Kommentatoren als „Primacy of facts“ bezeichnen. Das Primat der Realität gegenüber vertraglichen Vereinbarungen (vgl nur Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 62 ff) ist ein essentielles Prinzip des Arbeitsrechts, welches auch für den europäischen AN-Begriff gelten muss. Es ist bedauerlich, dass sich der EuGH mit den faktischen Gegebenheiten und Problemen der Plattformarbeit überhaupt nicht auseinandersetzt.

6.
Conclusio und Abschluss

Die Auswirkungen und möglichen Ableitungen der vorliegenden E halten sich mE in Grenzen. Dies liegt zunächst schon an der Form der E als begründeten Beschluss, mit dem ja gerade keine Weiterentwicklung der Rsp vorgenommen werden soll.

Auch inhaltlich hilft der vorliegende Beschluss nicht wirklich weiter. Während bei den ersten beiden vom EuGH angesprochenen Kriterien offen bleibt, wie diese konkret anzuwenden sind, überzeugen die Kriterien drei und vier schon inhaltlich nicht. Zu wenig Beachtung findet darüber hinaus die im Sachverhalt erwähnte Tatsache, dass der Plattformbetreiber das Entgelt der Beschäftigten einseitig bestimmt und vorgibt (Rn 13)

Für die Rsp des OGH schließt die vorliegende E Qualifikationen Plattformbeschäftigter als AN jedenfalls nicht aus, insb wenn die Selbständigkeit fiktiv ist oder ein Unterordnungsverhältnis besteht (so etwa das spanische Tribunal Supremo, das in seinem Urteil ausdrücklich auf die vorliegende EuGH-E eingeht und die Kuriere von glovo dennoch als AN nach spanischem Recht einstuft; siehe hierzu Todolí, Notes on the Spanish Surpreme Court Ruling that considers Riders to be employees, in CLLPJ, in Druck).

Letzten Endes zeigt sich anhand dieser E wiederum die grundlegende Problematik der arbeitsrechtlichen Qualifikation plattformbasierter Arbeit: Das Ergebnis der Qualifikation hängt in Wahrheit stark vom Zugang und der Auslegungsmethode ab. Wird ein (allzu) formaler Weg gewählt und dem ausformulierten Vertrag große Bedeutung zugemessen, so wird man vielfach – wie auch im vorliegenden Fall – zum Ergebnis kommen, dass es sich um selbstbestimmte Arbeitsleistungen handelt, weil Plattformbeschäftigte nach den Buchstaben des Vertrags frei entscheiden können, wo, wann und wie lange sie arbeiten wollen und welche Tätigkeiten sie annehmen oder ablehnen möchten.

Je stärker man aber informelle und indirekte Steuerungselemente sowie strukturell bedingte Einschränkungen der Selbstbestimmung in die Betrachtung miteinbezieht, desto öfter sind Konstellationen denkbar, in denen von Selbstbestimmung keine Rede mehr sein kann. Der vermeintliche Zugewinn an Autonomie wird durch granulare inhaltliche Determination und kleinteiligste und ubiquitäre Überwachung, diverse Anreiz- und Sanktionsmechanismen sowie durch strukturelle Beschränkungen neutralisiert, sodass auch Leistungen in der Plattformökonomie – und zwar häufiger als gedacht – als fremdbestimmt qualifiziert werden müssen.

In Anbetracht der obigen Ausführungen und aller bisherigen Entscheidungen der nationalen Höchstgerichte ist es umso enttäuschender, dass sich der EuGH auf Basis einer oberflächlichen Prüfung der vertraglichen Ausgestaltung und ohne tiefergreifende Begründung zu der Aussage hinreißen lässt, dass „a priori“ weder die Freiheiten der Plattformbeschäftigten fiktiv noch ein Unterordnungsverhältnis zu bestehen scheinen (Rn 43). Es bleibt zu hoffen, dass der OGH – sollte er in Zukunft mit der statusbezogenen Qualifikation von Personen in der Plattformwirtschaft befasst sein – anders als der EuGH auch den zweiten Schritt geht und sich „a posteriori“ mit den tatsächlichen Lebensrealitäten der Beschäftigten auseinandersetzt. 134