14Wenn die Arbeitskleidung für den Heimweg unzumutbar ist
Wenn die Arbeitskleidung für den Heimweg unzumutbar ist
Auch wenn es dem/der AN freisteht, die vorgeschriebene Arbeitskleidung zuhause an- bzw auszuziehen, stellt die innerbetriebliche Umkleidezeit (samt der erforderlichen innerbetrieblichen Wegzeit) Arbeitszeit dar, wenn es objektiv unzumutbar ist, die Dienstkleidung am Weg zur Arbeit zu tragen.
Eine solche objektive Unzumutbarkeit liegt insb dann vor, wenn die Dienstkleidung nach außen durch Embleme, Logos oder sonstige Farben erkennbar einen spezifischen Firmenbezug herstellt oder sonst (besonders) auffällig oder ungewöhnlich ist.
[...] Die im Service des Hotels tätigen AN der Bekl haben zu einer schwarzen Hose und Schuhen, die sie selbst zur Verfügung stellen müssen, eine einreihige Jacke und eine Schürze, die von der Bekl zur Verfügung gestellt werden, zu tragen. Die Schürze wird im Betrieb, der Rest der Kleidung wird von den Mitarbeitern zu Hause gewaschen.
Die Mitarbeiter im Küchen- und Servicebereich der Therme der Bekl, auf die sich das Revisionsverfahren bezieht, sind arbeitsvertraglich verpflichtet, ein kurzes T-Shirt mit einem Aufdruck (Hai und Logo: A* – Die Piratenwelt), eine schwarze Dreiviertel- Hose, eine Schürze und eine Kopfbedeckung mit Piratenaufdruck zu tragen. Diese Arbeitskleidung wird von der Bekl zur Verfügung gestellt, allerdings von den Mitarbeitern selbst gewaschen.
Die Bekl gestattet ihren Mitarbeitern grundsätzlich, die Arbeitskleidung zu Hause anzulegen und damit in den Betrieb zu kommen. Manche Mitarbeiter machen dies auch regelmäßig, andere kleiden sich im Betrieb um. [...]
Die von der Bekl ihren Mitarbeitern zur Verfügung gestellten Spinde sind im Garderobenbereich aufgestellt, wo sich die Mitarbeiter auch umkleiden können. Die Garderobenbereiche sind von den Arbeitsbereichen der Küchen- und Servicemitarbeiter räumlich getrennt. [...]
Der klagende Gemeinsame BR begehrt mit seiner Klage nach § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die Umkleidezeit samt den Wegzeiten zwischen dem Umkleideort und dem jeweiligen Arbeitsplatz hinsichtlich der bei der Bekl beschäftigten AN der Küche sowie im Servicebereich als entgeltpflichtige Arbeitszeit gilt. 146
Die Feststellungsklage wird damit begründet, dass [... das] Verlassen des Arbeitsplatzes mit der Arbeitskleidung [...] den AN auch nicht zumutbar [sei], weil sie zu auffallend sei. Die durchschnittlichen Umkleide- und Wegzeiten von der Garderobe zum Arbeitsplatz und zurück dauern mehrere Minuten pro Umkleide- und Wegvorgang.
Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Arbeitskleidung nicht über eine allgemein übliche berufliche Kleidung hinausgehe. Allen AN sei es freigestellt, die Arbeitskleidung entweder im Betrieb oder zu Hause an- und abzulegen bzw gebrauchte Arbeitskleidung zu Hause zu waschen oder im Betrieb reinigen zu lassen, sodass die Umkleidezeiten [gemeint wohl: Umkleidezeit] nicht als Arbeitszeit anzusehen sei. Die zur Verfügung gestellten Umkleideräume befänden sich in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz. Die für das An- und Ablegen der Dienstkleidung benötigte Zeit sei aufgrund ihrer Kürze vernachlässigbar.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme jener Mitarbeiter, die im Servicebereich des Hotels beschäftigt sind, statt. Das Mehrbegehren (Servicebereich des Hotels) wies es (rechtskräftig) ab. Die AN seien arbeitsvertraglich verpflichtet, eine bestimmte Dienstkleidung zu tragen. [...] Zudem sei es den Mitarbeitern im Service und in der Küche der Therme nicht zumutbar, den Anund Abmarschweg zur und von der Arbeitsstätte in Piratenkleidung zurückzulegen, weshalb auch deren Umkleidezeiten trotz Fehlens einer konkreten Verpflichtung zum Umkleiden im Betrieb und die innerbetrieblichen Wegzeiten vom Umkleideort zum Arbeitsplatz und zurück, als Arbeitszeit zu werten sei. Den im Servicebereich des Hotels beschäftigten Mitarbeitern sei hingegen das Anlegen der Arbeitskleidung zu Hause erlaubt und auch zumutbar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl teilweise Folge. Darin bestätigte es mit Teilurteil die stattgebende Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich der Mitarbeiter im Service und in der Küche der Therme. Aufgrund der besonderen Auffälligkeit der Arbeitskleidung dieser Mitarbeiter sei ihnen der An- und Abmarschweg zur Arbeitsstätte in Piratenkleidung nicht zumutbar. [...]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
I.
[...]
1.3. In der E 9 ObA 29/18g (Pkt 2.) hat der OGH ausführlich den – mit dem innerstaatlichen Recht übereinstimmenden – Begriff der Arbeitszeit nach Art 2 Z 1 der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-RL) [...] erörtert: „[...] Der EuGH hat dazu in der Rs C-266/14 Tyco mwN wiederholt, dass die RL keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsieht (Rn 26). [...]“
2.1. Soweit der OGH in den Entscheidungen 9 ObA 89/02g und 9 ObA 133/02b (Zirkusmusiker: Anziehen der Uniform vor einer Vorstellung im Wohnwagen), [...] festgehalten hat, dass die Zeit, die ein AN [...] zum Anziehen seiner Arbeitskleidung benötigt, im Allgemeinen nicht als Arbeitszeit zu werten ist, hat diese Rsp bereits in der E 9 ObA 29/18g (Pkt 3., 5.) eine Differenzierung erfahren.
2.2. In 9 ObA 29/18g (DRdA 2019/25 [Auer-Mayer]; Geiblinger, Umkleidezeit = Arbeitszeit, ÖZPR 2018/83; Stadler, Das Umkleidezeit-Urteil und seine praktische Umsetzung in den Gesundheitsbetrieben, JMG 2019, 28) wurden Umkleidezeiten von AN in Krankenanstalten und die damit verbundenen innerbetrieblichen Wegzeiten als primär im Interesse des DG gelegene arbeitsleistungsspezifische Tätigkeiten beurteilt, weil die dortigen AN aufgrund einer Anordnung des AG verpflichtet waren, die Dienstkleidung ausschließlich im Krankenhaus zu wechseln. Die Umkleidezeiten wiesen ein solches Maß an Intensität der Fremdbestimmung auf, dass es gerechtfertigt erschien, sie als Arbeitszeit iSd genannten Bestimmungen anzusehen.
3.1. Das Kriterium der Fremdbestimmung durch den AG, wenn der AN in der Gestaltung seiner Zeit nicht autonom im Rahmen seiner Selbstbestimmungsmöglichkeit agiert, sondern für den AG Handlungen setzt, die nicht Ausfluss seiner eigenen Gestaltung sind (vgl 9 ObA 8/18v Pkt. 1.2. ff), kann grundsätzlich als entscheidendes Merkmal herangezogen werden, um den Zeitaufwand für eine bestimmte Tätigkeit des AN als Freizeit oder als Arbeitszeit zu qualifizieren. Demnach können notwendige Umkleidezeiten im Betrieb des AG, die nicht im eigenen – der Privatsphäre zugehörenden – Gestaltungsbereich des AN liegen, sondern darauf zurückzuführen sind, dass der AG den AN zum Tragen einer bestimmten [...] Dienstkleidung arbeitsvertraglich verpflichtet, dann Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG sein, wenn mit diesen Handlungen ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung gegeben ist, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den AG zu bejahen ist (9 ObA 29/18g Pkt 5.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.C.). Der AN erbringt zwar noch nicht seine „Kernarbeitsleistung“, steht dem AG aber in dem Sinn zur Verfügung, dass er seiner Anordnung Folge leistet (vgl 9 ObA 8/18v Pkt 1.4.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.B.).
3.2. Die Dauer des Umkleidens stellt zwar keine eigenständige zusätzliche Voraussetzung für die Wertung der Umkleidezeit als Arbeitszeit dar (vgl 9 ObA 29/18g Pkt 7.; Holouschka, Die arbeitsrechtliche Beurteilung von Umkleidezeiten, Liber Amicorum – Wolfgang Mazal zum 60. Geburtstag, Pkt III.B.), ist aber bei der Gesamtbeurteilung, ob das Umkleiden ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung erreicht, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den AG zu bejahen ist, mit ins Kalkül zu ziehen. 147
3.3. Das für die Qualifikation als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG erforderliche Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung wird auch dann erreicht, wenn der AG dem AN zwar das Umkleiden der vorgeschriebenen Dienstkleidung (im Regelfall) zu Hause erlaubt, es dem AN aber objektiv gesehen nicht zumutbar ist, die vorgeschriebene Dienstkleidung bereits zu Hause anzulegen, um damit den Weg zur Arbeitsstätte anzutreten und nach Arbeitsende mit dieser Dienstkleidung wieder den Heimweg anzutreten (Klein in Heilegger/Klein, AZG4 § 2 Rz 9; Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 Pkt 3.2.; Geiblinger, ÖZPR 2018, 135 [138]; vgl auch BAG 1 ABR 54/08 [Rz 18]; BAG 1 ABR 76/13 Pkt II.1.b; 5 AZR 382/16 Pkt 2). Dabei kann sich die Unzumutbarkeit im Einzelfall etwa daraus ergeben, dass die Dienstkleidung nach außen durch Embleme, Logos oder sonstige Farben erkennbar einen spezifischen Firmenbezug herstellt oder sonst (besonders) auffällig oder ungewöhnlich ist. Je „auffälliger“ eine vom AG vorgeschriebene Dienstkleidung ist, desto intensiver ist das Ausmaß der Fremdbestimmung des AN.
4.1. Die von der Bekl den im Service und in der Küche der Therme beschäftigten AN vorgeschriebene Dienstkleidung („Piratenkostüm“) erreicht jenes Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung durch die Bekl, die es diesen AN objektiv unzumutbar macht, die Dienstkleidung auch am Arbeitsweg zu tragen. Zum einen lässt das am T-Shirt aufgebrachte Logo „A* – Die Piratenwelt“ einen unmittelbaren Bezug zum Betrieb der Bekl erkennen, zum anderen handelt es sich auch beim Tragen dieses T-Shirts und der schwarzen Dreiviertel-Hose (auch schon ohne der Schürze und der Kopfbedeckung mit Piratenaufdruck) um eine (besonders) auffällige Kleidung. Das dadurch objektiv erforderliche Umkleiden im Betrieb der Bekl erfolgt somit nicht mehr eigenbestimmt durch die AN, sondern – in einem das Mindestmaß übersteigenden Intensität – fremdbestimmt durch die Bekl. Das Umkleiden der vom Feststellungsantrag betroffenen AN der Bekl, die im Service und in der Küche der Therme beschäftigt sind, ist daher als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG zu qualifizieren. Eine verpflichtende (arbeitsvertragliche) Anordnung des AG an den AN, diese Dienstkleidung in der Freizeit zu tragen, würde einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre des AN bedeuten (vgl 9 ObA 82/15x).
4.2. In diesem Fall sind auch die innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem jeweiligen Umkleideort im Betrieb (zB Umkleideraum, Garderobe) und dem konkreten Arbeitsplatz als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen (vgl 9 ObA 29/18g Pkt 8; Holouschka, Die arbeitsrechtliche Beurteilung von Umkleidezeiten, Liber Amicorum – Wolfgang Mazal zum 60. Geburtstag, Pkt V.A.).
5. [...] Der Ort der Reinigung der Dienstkleidung wurde bereits in der E 9 ObA 29/18g nicht als maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Arbeitszeit und Freizeit des AN eingestuft. Die Frage, ob es sich bei der von der Bekl den Mitarbeitern im Service und in der Küche der Therme vorgeschriebenen Dienstkleidung um eine in der Gastronomie bzw in einer Therme branchenübliche Kleidung handelt, ist rechtlich nicht relevant, weil es sich bei dieser Art der Dienstkleidung („Piratenkostüm“) um eine besonders auffällige Kleidung handelt, die es den AN objektiv unzumutbar macht, sie am Arbeitsweg zu tragen.
6. Zusammengefasst sind Zeiten, die ein AN benötigt, um sich im Betrieb die vom AG vorgeschriebene Dienstkleidung an- bzw wieder abzulegen sowie die allenfalls in diesem Zusammenhang stehende innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem jeweiligen Umkleideort im Betrieb (zB Umkleideraum, Garderobe) und dem konkreten Arbeitsplatz dann als Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen, wenn das Umkleiden bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung erreicht, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den AG zu bejahen ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn zwar der AG dem AN erlaubt, die von ihm vorgeschriebene Dienstkleidung zu Hause anbzw abzulegen (und damit auf dem Arbeitsweg zu tragen), es dem AN aber objektiv unzumutbar ist, die Dienstkleidung auch am Arbeitsweg zu tragen.
II.
[...]
3. Aus der Klagserzählung ergibt sich im vorliegenden Fall eindeutig, dass der kl BR nur auf die Umkleidezeit im Betrieb und nicht etwa am Wohnort des AN abstellt und vom Feststellungsbegehren nur die innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem Umkleideort im Betrieb und dem jeweiligen Arbeitsplatz umfasst sein soll. Das Feststellungsbegehren würde daher mit der im Spruch ersichtlichen Maßgabe präzisiert.
[...]
Nach einer anfänglich eher restriktiven Rsp (OGH 4.9.2002, 9 ObA 89/02g und 9 ObA 133/02b) begann der OGH in den letzten Jahren Umkleidezeit zunehmend als Arbeitszeit anzuerkennen (vgl etwa OGH 17.5.2018, 9 ObA 29/18g samt Analyse der Rsp und Literatur [4]; ähnlich bereits OLG Wien9 Ra 149/16x ARD 6593/7/2018). Diese mE zutreffende Judikaturlinie wurde nunmehr erneut bestätigt und konsequent weiterentwickelt.
Um daher Redundanzen so weit als möglich zu vermeiden, wird dieser Beitrag – neben einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung – den Fokus auf ausgewählte Einzelfragen legen.
Für eine Analyse der Rechtsgrundlagen und der bisherigen Literatur(entwicklung) erlaube ich mir hingegen, auf die bereits bestehende umfangreiche Literatur zu verweisen (zur Literatur und Rsp siehe etwa Auer-Mayer in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 2 [Stand 1.3.2019, rdb.at] Rz 23 ff; ebenso Kaya, Umkleidezeit als Arbeitszeit, DRdA-infas 2017, 314 [316 f]; eine breite Palette an Praxisbeispielen bietet Geiblinger, Und täglich grüßt die Umkleidezeit, ASoK 2020, 369; ebenfalls zustimmend 148Klein in Gasteiger/Heilegger/Klein, AZG5 [2019] § 2 Rz 9; im Ergebnis wohl zustimmend, zur Begründung jedoch kritisch Wolf in Mazal/Risak [Hrsg], Das Arbeitsrecht – System und Praxiskommentar [34. Lfg 2019] 23; kritisch hingegen Schrank in Schrank, Arbeitszeit – Kommentar5 [2018] § 2 Rz 6, 11; noch vor der neueren Rsp aA etwa Resch, Umkleidezeit und Beginn der Arbeitszeit, RdW 2015, 109 mwN).
Schon vor der hier gegenständlichen E ging die Rsp davon aus, dass Umkleidezeit als Arbeitszeit iSd § 2 AZG zu qualifizieren ist, wenn das An- bzw Ausziehen der vorgeschriebenen Arbeitskleidung zwingend im Betrieb stattzufinden hat (OGH 17.5.2018, 9 ObA 29/18g). Im hier gegenständlichen Fall stellte es die Arbeitgeberin (AG) den Arbeitnehmerinnen (AN) hingegen frei, ihre Arbeitskleidung auch am Weg von und zur Arbeit zu tragen. Der erkennende Senat qualifizierte die innerbetriebliche Umkleidezeit hier dennoch als Arbeitszeit und stellte dafür folgende Kriterien auf:
Es muss ein Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung der AN durch die AG gegeben sein. Dies stellt bei Umkleidezeiten das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Arbeitszeit und Freizeit dar (I.3.1.).
Erlaubt die AG daher das An- bzw Ausziehen der Dienstkleidung auch außerhalb der Arbeitsstätte, ist zu prüfen, ob es den AN objektiv zumutbar ist, die vorgeschriebene Arbeitskleidung am Weg von der/zur Arbeitsstätte zu tragen (I.3.3.). Ist dies nicht der Fall, stellt die innerbetriebliche Umkleide- und Wegzeit Arbeitszeit dar.
Umso auffälliger oder ungewöhnlicher die Dienstkleidung ist, umso eher ist diese für den Arbeitsweg als objektiv unzumutbar zu qualifizieren. Besonders hervorgehoben werden dabei Embleme, Logos oder sonstige Farben, die erkennbar einen spezifischen Firmenbezug herstellen (I.3.3.). Eine Verpflichtung, diese Arbeitskleidung in der Freizeit zu tragen, wäre ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre der AN (I.4.1.).
Im vorliegenden Fall war das Tragen der Arbeitskleidung („Piratenkostüm“) außerhalb des Betriebes objektiv unzumutbar, weshalb die innerbetriebliche Umkleidezeit sowie die dazu notwendige innerbetriebliche Wegzeit vom OGH als Arbeitszeit bewertet wurde.
Ein aus meiner Sicht höchst interessanter Aspekt dieses Urteils betrifft Arbeitskleidung mit erkennbarem Firmenbezug. Der OGH erwähnt diese explizit als Beispiel für eine (außerhalb der Arbeit) objektiv unzumutbare Arbeitskleidung. Beachtlich erscheint dabei, dass in diesen Fällen die Arbeitskleidung gar nicht auffällig oder ungewöhnlich sein muss (arg: „oder“ in I.3.3. vorletzter Satz sowie gesonderte Erwähnung in I.4.1. zweiter Satz). Damit stellt sich jedoch die Frage, ob jedes nach außen erkennbare Firmenlogo (etwa eine bekannte Modemarke) die Arbeitskleidung bereits objektiv unzumutbar macht.
In der Literatur wird dies etwa von Rauch (Ist Umkleidezeit als Arbeitszeit anzusehen? PV-Info 11/2020, 13) verneint. Solange es sich um „öffentlichkeitstaugliche“ Kleidung handle, sei es zumutbar, diese am Arbeitsweg zu tragen. Die Gegenmeinung wird hingegen etwa von Auer-Mayer (DRdA 2019, 256 [261]) und Geiblinger (ASoK 2020, 369 [372 ff]) vertreten, welche unter Verweis auf das fehlende Eigeninteresse der AN die Unzumutbarkeit bejahen. Letzteren ist mE im Ergebnis zuzustimmen:
Die AG ist zweifellos berechtigt, während der Arbeitszeit einen spezifischen Kleidungsstil vorzugeben (RIS-Justiz RS0111424). Jedoch ist die Bekleidung insb außerhalb der Arbeit ein Teil der durch § 16 ABGB und Art 8 EMRK vor Eingriffen geschützten Privatsphäre der AN (OGH 24.9.2015, 9 ObA 82/15x). Hinzu kommt, dass Arbeitskleidung mit erkennbarem Firmenbezug eine Werbefläche für die AG darstellt. Wie wertvoll dies sein kann, zeigt sich schon daran, dass diese Werbewirkung in anderen Situationen die alleinige, wirtschaftlich relevante Gegenleistung darstellt (vgl dazu etwa Thiele, Sponsoring im österreichischen Recht, ecolex-Script 1999/15, 1.c). Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass es objektiv unzumutbar ist, AN vor die Wahl zu stellen, entweder unentgeltlich Werbeleistungen zu erbringen oder täglich ihre Freizeit für zwei zusätzliche Umkleidezeiten (unmittelbar vor und nach Arbeitsbeginn) aufwenden zu müssen.
Wie so oft im Leben kommt es also auch beim Thema der Umkleidezeiten auf den Kontext an. Im Fall der Arbeitskleidung ist dies der Arbeitsweg. Es stellt sich daher die Frage, ob die Zumutbarkeit anhand eines abstrakten oder des individuellen Arbeitsweges zu prüfen ist.
ME weist bereits die hier gegenständliche E in die Richtung eines abstrakten Arbeitsweges. Da es sich um ein Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG handelt, enthält der Feststellungsantrag des BR zwar konkrete Sachverhaltsangaben (vgl Neumayr in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 54 ASGG [Stand 1.1.2018, rdb.at] Rz 8, 18), aber keine Details zu den Arbeitswegen der betroffenen AN. Der OGH hat dies jedoch nicht thematisiert, sondern entschieden, dass die Umkleidezeit im Betrieb Arbeitszeit ist.
Bedenkt man weiters, dass die Wegzeit nach hM nicht nur klar in die geschützte Privatsphäre, sondern auch in die Ruhezeit der AN fällt (vgl Klein149 in Gasteiger/Heilegger/Klein, AZG5 §12 Rz 3), erscheint klar, dass den AN die Wahl des Verkehrsmittels von und zum Arbeitsplatz zusteht (idS wohl auch Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 [261]). Diese Wahlfreiheit der AN deckt sich auch mit der hM zum Versicherungsschutz von Wegunfällen (vgl R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 ASVG [Stand 1.7.2020, rdb.at] Rz 169 ff). Auer-Mayer (aaO) weist nun zutreffend darauf hin, dass etwa ein kurzer Rock die Anreise mit dem Fahrrad verhindern könnte. Gerade im Hinblick auf das erforderliche Maß an fehlender Fremdbestimmung ist jedoch die Handlungsfreiheit der AN während deren Freizeit weitestgehend abzusichern. Daher muss zumutbare Arbeitskleidung die potentielle Nutzung sämtlicher verkehrsüblicher Transportmittel erlauben. Welches Verkehrsmittel der/die konkrete AN am jeweiligen Tag tatsächlich in Anspruch nimmt, ist somit irrelevant. Außer Acht bleiben mE nur jene Verkehrsmittel oder Routen, deren Benützung nicht aufgrund der zu tragenden Arbeitskleidung, sondern etwa aufgrund einer erforderlichen Spezialkleidung ausgeschlossen sind (insb reine Sportgeräte).
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass selbstverständlich fast jeder Arbeitsweg auch einen Aufenthalt außerhalb des Verkehrsmittels sowie des privaten Wohnbereichs voraussetzt. Auch hier gelten die obigen Überlegungen. Daher setzt die Zumutbarkeit der Arbeitskleidung, ergänzend zur freien Wahl des Verkehrsmittels und der fehlenden Werbewirkung, auch noch eine (objektive) Öffentlichkeitstauglichkeit voraus.
In diesem Kapitel soll abschließend noch eine Frage untersucht werden, deren Bedeutung für die Praxis mE kaum überschätzt werden kann: Welche Folgen hat es, wenn AN ihre Arbeitskleidung nicht im Betrieb an-/ bzw ausziehen, obwohl diese objektiv gesehen für den Arbeitsweg unzumutbar war? Bei diesem Thema ist es mMn erforderlich, klar zwischen den einzelnen Prüfungsebenen zu unterscheiden. Dies erfordert es, die Folgen der Arbeitszeitgestaltung, des Ortes („innerbetrieblich“) und der subjektiven Entscheidung der AN getrennt zu analysieren.
Nehmen wir an, die AG verlangt von den AN das Tragen einer für den Arbeitsweg unzumutbaren Arbeitskleidung. Um sich nun rechtskonform zu verhalten, wird die AG innerhalb der Normalarbeitszeit (idR an Beginn und Ende des Arbeitstages) entsprechende Umkleidezeiten vorsehen. Das Umziehen entspricht in dieser Zeit daher schlicht der Arbeitsanweisung. Leisten AN dieser Weisung nicht Folge, etwa indem sie bereits in Arbeitskleidung im Betrieb erscheinen, verstoßen sie schlicht gegen die Arbeitsanweisung der AG (auch wenn dies idR keine disziplinären Folgen haben wird).
So die Entscheidung der AN frei getroffen wurde (vgl dazu Kap 4.3.), ist es mE daher in diesem Fall ausgeschlossen, dass die (zuhause erbrachte) Umkleidezeit oder gar die außerbetriebliche Wegzeit Arbeitszeit darstellen können.
Variieren wir nun jedoch den Fall dahingehend, dass die AG von ihren AN verlangt, dass diese die Normalarbeitszeit bereits in der für den Arbeitsweg unzumutbaren Arbeitskleidung beginnen. Eine Umkleidezeit ist nicht vorgesehen. In dieser Form ist die Weisung – wie sich aus der hier besprochenen E klar ergibt – entweder unzulässig oder unvollständig. Es stellt sich daher die Frage, ob AN nun berechtigt sind, die Arbeitskleidung außerhalb der Normalarbeitszeit anzulegen, oder ob sie berechtigt (bzw sogar verpflichtet) sind, die Arbeitsanweisung der AG zunächst zu verweigern, um sich während der Normalarbeitszeit umzuziehen.
Nach der stRsp muss sich die AG Überstundenarbeit immer dann zurechnen lassen, wenn sie Arbeitsleistungen entgegennimmt, von denen sie weiß oder wissen musste, dass diese nicht in der normalen Arbeitszeit erledigt werden können (RISJustiz RS0051431 und RS0051447). Wenn die AN nun angewiesen werden, während der gesamten Normalarbeitszeit die Arbeitskleidung zu tragen, kann dies offensichtlich nur dadurch erreicht werden, dass diese vor und nach der Normalarbeitszeit an- bzw ausgezogen wird. Ziehen sich AN im obigen Beispiel daher außerhalb der Normalarbeitszeit im Betrieb um, stellt diese Umkleidezeit jedenfalls zurechenbare Überstundenarbeit dar. ME kann daher auch dahingestellt bleiben, ob hier allenfalls zusätzlich ein Verweigerungsrecht besteht.
Denken wir nun das zuletzt besprochene Beispiel noch einen Schritt weiter und nehmen an, dass die AN ihre Arbeitskleidung nicht im Betrieb, sondern außerhalb davon an- bzw ausziehen.
Die vorliegende E gibt über die möglichen Folgen mE keinen Aufschluss. Zwar enthielt der Feststellungsantrag des BR keine ausdrückliche Einschränkung auf „innerbetriebliche“ Umkleidezeiten. Der OGH ging jedoch (ebenso wie bereits die 1. Instanz) davon aus, dass sich diese Einschränkung aus der Klagserzählung des BR eindeutig ergebe und präzisierte das Feststellungsbegehren entsprechend (siehe insb Pkt II.3.). Die Begründung stützt sich also nur auf die Klagserzählung und nicht auf rechtliche Überlegungen.
Das deutsche BAG hatte die gegenständliche Frage hingegen bereits zu entscheiden. Es kam zu dem Schluss, dass es sich nicht um Arbeitszeit handle, wenn die AN die Arbeitskleidung nicht im Betrieb an- bzw ablegen, selbst wenn diese für den Arbeitsweg unzumutbar war (BAG 12.11.2013, 1 ABR 59/12 Rn 33; BAG 17.11.2015, 1 ABR 76/13 Rn 25 f). Das BAG betont jedoch, dass es sich um eine selbstbestimmte Entscheidung der AN handeln müsse, welche dazu führe, dass die ausschließliche Fremdnützigkeit nicht mehr gegeben sei (1 ABR 150 76/13, Rn 33). Die Bedeutung der deutschen Rsp für die österreichische Rsp ist mE jedoch nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Rechtsordnungen begrenzt, sondern auch deshalb, weil die Fremd- bzw Eigennützigkeit des Umkleidevorgangs in der Rsp des OGH gar nicht das entscheidende Kriterium bildet (sondern die Intensität der Fremdbestimmung).
Meiner Meinung nach bildet der Ort des Umkleidens nur ein – wenn auch wesentliches – Indiz für die Intensität der Fremdbestimmung. Es kann sich dabei jedoch keinesfalls um ein absolutes Ausschlusskriterium für Arbeitszeit handeln (ebenso Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 [260 f]; Geiblinger, ASoK 2020, 369 [371]). Dies ergibt sich schon aus dem grundlegenden Gedanken, dass eine derartige geographische Einschränkung auch für keine andere Art von Arbeitsleistung besteht und manche AN auch gar nicht regelmäßig in den Betrieb kommen (zB AußendienstmitarbeiterInnen). Würde man dies anders beurteilen, wäre sogar das Anlegen von Schutzkleidungen (Industrietaucher, Schweißer) nur im Betrieb, nicht jedoch beim Kunden, als Arbeitszeit zu qualifizieren.
Die obigen Ausführungen zeigen also, dass es nicht zwingend erforderlich ist, dass die Umkleidehandlung im Betrieb stattfindet (siehe 4.2.). Damit drängt sich jedoch die Frage auf, unter welchen Umständen das außerbetriebliche (zB in der Privatwohnung vorgenommene) An- bzw Ausziehen von objektiv für den Arbeitsweg unzumutbarer Arbeitskleidung als Arbeitszeit zu qualifizieren ist.
Unstrittig dürfte zunächst sein, dass es sich um Arbeitszeit handelt, wenn eine ausdrückliche Weisung der AG vorliegt (so auch Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 [261]). Dazu würde es im obigen Beispiel mE bereits ausreichen, dass die AG das Umkleiden im Betrieb verbietet. Dementsprechend wird die außerbetriebliche Umkleidezeit wohl auch beim Fehlen von angemessenen Umkleidemöglichkeiten im Betrieb (insb unter Verstoß gegen §§ 27, 29 ASchG) als Arbeitszeit zu werten sein (Unzumutbarkeit der Arbeitskleidung natürlich vorausgesetzt).
ME wird man jedoch noch einen Schritt weiter gehen müssen und prüfen, ob die bestehenden Umkleidemöglichkeiten entweder tatsächlich genutzt wurden oder bei objektiver Betrachtung zu erwarten war, dass eine solche Nutzung erfolgt (in Anlehnung an die stRsp zur Unterscheidung von Arbeitsverhältnissen und freien Dienstverhältnissen; vgl RIS-Justiz RS0021518 [T29]). Ist etwa bekannt, dass AN, welche sich (erst) im Betrieb umziehen, benachteiligt werden, ist dies wohl dem Fehlen einer angemessenen Umkleidemöglichkeit gleichzuhalten. Andernfalls würde ein solches Verhalten auch noch zu einem doppelten Vorteil für die AG führen (Wegfall der Bezahlung und Werbewirkung am Arbeitsweg).
Sogar noch weiter geht etwa Geiblinger (ASoK 2020, 369 [371]), welcher vertritt, dass auch AN, welche freiwillig die objektiv unzumutbare Arbeitskleidung am Arbeitsweg tragen, die fiktive innerbetriebliche Umkleidezeit zusteht.
Nachdem nun in Kap 4.1.-4.3. die Voraussetzungen analysiert wurden, wann außerbetriebliche Umkleidezeit als Arbeitszeit zu qualifizieren ist, bleibt noch die Frage nach den daran anschließenden Wegzeiten.
Innerbetriebliche Wegzeiten (vom Umkleide- zum Arbeitsort) und innerbetriebliche Umkleidezeiten wurden vom OGH in der hier gegenständlichen E unter derselben Voraussetzung als Arbeitszeit qualifiziert. ME läge es dementsprechend nahe, die oben zu außerbetrieblichen Umkleidezeiten angestellten Überlegungen auch auf außerbetriebliche Wegzeiten anzuwenden (ähnlich auch Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 [261]; für einen Anspruch auf fiktive Wegzeit: vgl hingegen Geiblinger, ASoK 2020, 369 [371]).
Allerdings existiert bereits eine umfangreiche Rsp des OGH, sowie auch des EuGH, die sich eingehend mit Wegzeit als Arbeitszeit auseinandersetzt (vgl etwa zuletzt OGH 24.7.2018, 9 ObA 8/18v, wonach das Ausmaß der Verfügungsmöglichkeit, Vorgaben zur Route, die Dauer der Vorankündigungsfrist und die Wahl des Übernachtungsortes wesentliche Kriterien für die Abgrenzung der Arbeitszeit waren; vgl auch EuGH 10.9.2015, C-266/14, Tyco). Da überdies Wegzeiten im Unterschied zur Umkleidezeit auch noch stärker individuell variieren können (Route, Zwischenstopps, Verkehrsmittel, Entfernung des Wohnortes etc) bleibt mE abzuwarten, wie sich die Rsp in diesem Punkt entwickeln wird.
Zusammengefasst zeigt sich, dass der OGH seine Judikaturlinie zu Umkleidezeiten überzeugend weiterentwickelt hat. Objektiv für den Arbeitsweg unzumutbare Arbeitskleidung führt daher dazu, dass jedenfalls die innerbetriebliche Umkleideund Wegzeit Arbeitszeit darstellt. Dies ist insb bei auffälliger oder ungewöhnlicher Arbeitskleidung sowie bei Kleidung mit erkennbarem Firmenbezug der Fall.
ME ist jedoch auch das außerbetriebliche An- bzw Ausziehen derartiger Arbeitskleidung als Arbeitsleistung zu werten, wenn die innerbetrieblichen Umkleidemöglichkeiten den AN nicht zumutbar sind. 151