15Kein Export von Rehabilitationsgeld bei bloßer Erfüllung der Wartezeit
Kein Export von Rehabilitationsgeld bei bloßer Erfüllung der Wartezeit
Das in Rede stehende Rehabilitationsgeld stellt eine Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 Buchst a der VO (EG) 883/2004 dar.
Der EuGH stellte klar, dass eine nicht erwerbstätige Person, die unter Art 11 Abs 3 lit e der VO 883/2004 fällt, nach dieser Bestimmung ausschließlich den Sozialrechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats unterliegt und nach Einstellung ihrer Erwerbstätigkeit und Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat nicht mehr dem System der sozialen Sicherheit ihres Herkunftsstaats angehörte.
Die am 28.10.1965 geborene Kl ist österreichische Staatsbürgerin, hat den Beruf einer Bürokauffrau erlernt und arbeitete bis 1990 in Österreich. Etwa 1990 zog sie aufgrund der Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen nach Deutschland, wo sie seither wohnt. Ab der Übersiedlung war sie nur noch in Deutschland berufstätig, zuletzt im Jahr 2013 als Bürokauffrau. Sie hat in Österreich 59 Versicherungsmonate (27 Beitragsmonate und 32 Monate Ersatzzeit) und in Deutschland 235 Versicherungsmonate erworben. Seit Ende 1990 unterliegt sie nicht mehr der österreichischen gesetzlichen SV und bezog keine Leistungen aus Österreich.
Mit Bescheid vom 1.4.2016 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag der Kl vom 18.6.2015 auf Gewährung einer Invaliditätspension sowie von Maßnahmen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation ab. Sie stellte weiters fest, dass kein Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation bestehe und Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig seien.
Die Kl begehrte, ihr eine Invaliditätspension, in eventu Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation sowie Rehabilitationsgeld aus der KV, in eventu Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zu gewähren. Sie sei arbeitsunfähig. Es liege ein Naheverhältnis zu Österreich vor, weil sie österreichische Staatsbürgerin sei und Versicherungsmonate in Österreich erworben habe. Sie wohne in der Nähe von Österreich und habe guten Kontakt zu den in Österreich lebenden Eltern und zwei Geschwistern. Die Bekl bestritt das Vorliegen von Invalidität und – sollte vorübergehende Invalidität vorliegen – die Verpflichtung, an die Kl mit Wohnsitz in Deutschland Rehabilitationsgeld zu zahlen. Das Rehabilitationsgeld sei unionsrechtlich eine Leistung bei Krankheit. Sein Export würde zu nicht sachgerechten Lösungen führen. Eine geringe in Österreich erworbene Anzahl von Versicherungsmonaten führe – wegen des Fehlens eines Kürzungsfaktors nach dem Verhältnis der in den einzelnen Mitgliedstaaten erworbenen Versicherungszeiten – zu unverhältnismäßig hohen Leistungen. Der PVA sei es nicht möglich, iSd innerstaatlichen Bestimmungen zum Rehabilitationsgeld Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation im Ausland zu erbringen. Der Kl fehle die Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Gewährung der Invaliditätspension ab. Es stellte fest, dass ab 18.6.2015 für voraussichtlich mindestens sechs Monate vorübergehende Invalidität vorliege und ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation bestehe. Die Kl habe ab diesem Zeitpunkt für die weitere Dauer ihrer vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der KV im gesetzlichen Ausmaß. Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien nicht zweckmäßig.
Das Berufungsgericht gab der von der Bekl nur gegen die Zuerkennung von Rehabilitationsgeld erhobenen Berufung nicht Folge. Wie das Erstgericht bejahte es die Verpflichtung der Bekl, das Rehabilitationsgeld aufgrund dessen Sondercharakters an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität an eine Person mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu zahlen. Das Rehabilitationsgeld sei Gegenleistung zu den in Österreich gezahlten Versicherungsbeiträgen. Die dadurch erworbene Vergünstigung dürfe nicht durch Inanspruchnahme der Freizügigkeitsrechte eines Unionsbürgers verloren gehen. Die Revision sei zur Klärung der Frage des Exports von Rehabilitationsgeld bei lange zurückliegenden österreichischen Versicherungszeiten und einem länger zurückliegenden Aufenthalt in Österreich zulässig. Gegen diese E richtet sich die von der Kl beantwortete Revision der Bekl.
I. Aus Anlass der Revision der Bekl legte der OGH mit Beschluss vom 19.12.2018, AZ 10 ObS 66/18f, dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
„1. Ist das österreichische Rehabilitationsgeld nach den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
als Leistung bei Krankheit nach Art 3 Abs 1 lit a der Verordnung oder
als Leistung bei Invalidität nach Art 3 Abs 1 lit c der Verordnung oder
als Leistung bei Arbeitslosigkeit nach Art 3 Abs 1 lit h der Verordnung
zu qualifizieren?
2. Ist die Verordnung (EG) 883/2004 im Licht des Primärrechts dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat als ehemaliger Wohnstaat und Beschäftigungsstaat verpflichtet ist, Leistungen wie das österreichische Rehabilitationsgeld an eine Person mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu zahlen, wenn diese Person den Großteil der Versicherungszeiten aus den Zweigen Krankheit und Pension als Beschäftigte in diesem anderen Mitgliedstaat (zeitlich nach der vor Jahren stattgefundenen Verlegung des Wohnsitzes dorthin) erworben hat und seitdem keine Leistungen aus der Kranken- und 152 Pensionsversicherung des ehemaligen Wohn- und Beschäftigungsstaats bezogen hat?“
II. Der EuGH hat diese Fragen in seinem Urteil vom 5. März 2020, C-135/19, Pensionsversicherungsanstalt (Prestation pour la rééducation) wie folgt beantwortet:
„1. Eine Leistung wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Rehabilitationsgeld stellt eine Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 geänderten Fassung dar.
2. Die Verordnung Nr 883/2004 in der durch die Verordnung Nr 465/2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie einer Situation nicht entgegensteht, in der einer Person, die in ihrem Herkunftsmitgliedstaat nicht mehr sozialversichert ist, nachdem sie dort ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben und ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat, in dem sie gearbeitet und den größten Teil ihrer Versicherungszeiten zurückgelegt hat, von der zuständigen Stelle ihres Herkunftsmitgliedstaats die Gewährung einer Leistung wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rehabilitationsgeldes versagt wird, da diese Person nicht den Rechtsvorschriften ihres Herkunftsmitgliedstaats unterliegt, sondern den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Wohnsitz hat.“
III. Der EuGH stellte klar, dass die Kl als nicht erwerbstätige Person unter Art 11 Abs 3 lit e der VO 883/2004 fällt, nach dieser Bestimmung ausschließlich den Sozialrechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats, demnach den deutschen Rechtsvorschriften, unterliegt und nach Einstellung ihrer Erwerbstätigkeit und Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat nicht mehr dem System der sozialen Sicherheit ihres Herkunftsstaats angehörte (Rz 50-52).
IV. Damit ist die im Revisionsverfahren entscheidende Frage des Exports von Rehabilitationsgeld iSd Standpunkts der Bekl beantwortet. Es besteht keine Verpflichtung, das Rehabilitationsgeld an die in Deutschland wohnende Kl zu zahlen. Mit dem erstmals im Rechtsmittelstadium erhobenen Vorbringen zu einer geplanten, aber an den hohen Mietpreisen gescheiterten Übersiedlung nach Österreich und einer dort ausgeübten geringfügigen Beschäftigung verstößt die Kl gegen das auch im Sozialrechtsverfahren ausnahmslos geltende Neuerungsverbot. Schon deshalb ist dieses Vorbringen unbeachtlich.
V. Die Kl hat nur für die Revisionsbeantwortung Kosten verzeichnet. Anhaltspunkte für einen Kostenzuspruch iSd § 77 Abs 1 Z 2 lit b wurden nicht geltend gemacht.
Die vorliegende E stellt den Schlusspunkt eines Verfahrens dar, in dem es um die Frage ging, ob ein Anspruch auf Export von Rehabilitationsgeld gem § 143a ASVG besteht, wenn zwar in Österreich die Wartezeit erfüllt wird, seitdem aber keinerlei Bezugspunkte mehr zu Österreich bestehen, weil die betreffende Person den größten Teil ihrer Erwerbskarriere in Deutschland verbracht und dort auch ihren Wohnsitz hat. Der OGH sah sich zunächst nicht in der Lage, die Antwort selbst zu geben. Da es sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt, hatte er den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (C-135/19, Pensionsversicherungsanstalt, ECLI:EU:C:2020:177) um die Auslegung des Unionsrechts, konkret der VO 883/2004, ersucht. Das vorliegende Urteil gibt im Wesentlichen die Antworten des EuGH wieder (das gilt insb für die Leitsätze). Im Ergebnis hat der EuGH und diesem folgend der OGH für den konkreten Fall einen Exportanspruch verneint; und zwar zu Recht. Die Begründung des EuGH geht von der zutreffenden Feststellung aus, dass es sich beim Rehabilitationsgeld um eine Leistung bei Krankheit handelt (Rs Pensionsversicherungsanstalt Rz 41). In Bezug auf die Exportfrage ist die Argumentation des EuGH zwar nachvollziehbar, sie ist letztlich aber doch überraschend. In Anbetracht der Vorjudikatur hat es sich der EuGH zu leicht gemacht.
Dass der OGH im konkreten Fall den EuGH um Vorabentscheidung ersucht hat, ist bemerkenswert. Denn der OGH hatte sich bereits zuvor zur Frage des Exports von Rehabilitationsgeld geäußert (OGH10 ObS 133/15dDRdA 2017, 393 [Karl] = DRdA-infas 2017, 105 [Weißensteiner]), freilich ohne in diesem Zusammenhang den EuGH zu bemühen. Den damals zu entscheidenden Fällen lag allerdings ein anderer Sachverhalt zu Grunde. Dort ging es zwar ebenfalls um Personen mit Wohnsitz im EU-Ausland, diese hatten jedoch bis zum Inkrafttreten des SRÄG 2012 (BGBl I 2013/3BGBl I 2013/3) eine befristete Invaliditätspension bezogen (siehe zur Judikatur auch Spiegel in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm Vor § 251a ASVG Rz 8/1). Durch die Abschaffung der befristeten Invaliditätspension hatte sich für diesen Personenkreis die Frage gestellt, ob nunmehr ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht, da ja nach der Logik des SRÄG 2012 das Rehabilitationsgeld funktional die befristete Invaliditätspension ersetzt hat. Im Kern ging es also damals um die Frage, ob eine Systemumstellung, bei der die eine Leistung durch eine andere Leistung ersetzt wird, tatsächlich dazu führen kann, dass man nunmehr keinen Leistungsanspruch mehr hat, weil der Wohnsitz nicht mehr in Österreich, sondern im EU-Ausland liegt.
Dass letzteres zum Verlust des Leistungsanspruches führen kann, liegt an sich am Unionsrecht selbst, konkret an den Regeln der VO 883/2004, die für bestimmte Personengruppen, ua auch PensionistInnen, abhängig von der betroffenen Leis tung bestimmte Zuständigkeiten festlegt. Unterschiedliche Zuständigkeitsregeln bestehen insb für Leistungen 153 bei Invalidität und Leistungen bei Krankheit. Während bei ersteren die Zuständigkeit nicht vom Wohnsitz abhängt, ist dies bei letzteren, jedenfalls bei PensionistInnen, der Fall. Die System umstellung des SRÄG 2012 hat daher bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Frage nach der Zuständigkeit aufgeworfen. Während diese bei der (un-)befristeten Invaliditätspension klar war – die Zuständigkeit Österreichs und damit ein Leistungsanspruch besteht bei Erfüllung der nationalen Tatbestandsvoraussetzungen auch bei einem Wohnsitz im EU-Ausland –, war diese beim Rehabilitationsgeld strittig. Denn bereits nach nationalem Recht stellt sich die Frage, ob es sich beim Rehabilitationsgeld um eine Leistung bei Invalidität oder bei Krankheit handelt. Tatsächlich weist diese „neue“ Geldleistung Bezugspunkte zu beiden Versicherungszweigen auf (ausführlich Felten, SoZi 2018, 494 sowie ZAS 2016, 256). Ungleich dringlicher ist die Klärung dieser Frage freilich, wenn es um grenzüberschreitende Sachverhalte geht. Denn die unionsrechtliche Qualifikation des Rehabilitationsgeldes ist ausschlaggebend für die Zuständigkeit und damit für die Anwendbarkeit der differenzierenden Koordinierungsregeln der VO 883/2004. Für den Fall, dass es sich um eine Leistung bei Krankheit handelt, führt dieses Ergebnis nämlich dazu, dass der Wohnsitzstaat für PensionistInnen zuständig ist.
In Anbetracht des vorliegenden Urteils, das im Wesentlichen auf den Antworten des EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens beruht, überrascht es, dass damals der OGH keine Notwendigkeit sah, den EuGH zu der Frage zu konsultieren, um welche Art von Leistung es sich im unionsrechtlichen Sinne beim Rehabilitationsgeld handelt und, ob der Umstand, dass dieses an die Stelle der befristeten Invaliditätspension getreten ist, dazu führen kann, dass BezieherInnen einer befristeten Invaliditätspension durch das SRÄG 2012 ihren Leistungsanspruch verloren haben. Während zur unionsrechtlichen Qualifikation als Leistung bei Krankheit in der Literatur noch weitgehend Einigkeit bestand (Beck, SozSi 2014, 266 f; Felten, ZAS 2016, 256 f; Pletzenauer, DRdA 2014, 152; Sonntag, ASoK 2014, 346; Spiegel in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 3 VO 883/2004 Rz 16/2), wurde die Zuständigkeit Österreichs und ein allfälliger Exportanspruch ins EU-Ausland kontrovers diskutiert (ablehnend Beck, SozSi 2014, 267 ff; idS wohl auch Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 2 Rz 11/1; bejahend Sonntag, ASoK 2014, 347; differenzierend Felten, ZAS 2016, 257 ff).
Der OGH ging offenkundig dennoch – und wohl zu Recht – davon aus, dass sich die Antworten auf beide Fragen bereits hinlänglich der bisherigen Judikatur des EuGH entnehmen lassen. Auf Grundlage der bestehenden Rsp des EuGH kam der OGH (10 ObS 133/15dDRdA 2017, 393 [Karl] = DRdAinfas 2017, 105 [Weißensteiner]) zu dem Ergebnis, dass es sich beim Rehabilitationsgeld zwar grundsätzlich um eine Leistung bei Krankheit iSd VO 883/2004 handle, jedoch die starken Bezüge zum Risiko der Invalidität, insb der Umstand, dass eine Wartezeit zu erfüllen ist, nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Denn der EuGH habe in der Rs da Silva Martins (C-388/09, ECLI:EU:C:2011:439) klargestellt, dass ein Wohnsitzwechsel nicht zum Verlust einer Leistung führen dürfe, für die bereits Beiträge bezahlt wurden (idS auch Sonntag, ASoK 2020, 244). Dies verletze den primärrechtlich garantierten Grundsatz der Freizügigkeit. Der OGH (10 ObS 133/15dDRdA 2017, 393 [Karl] = DRdA-infas 2017, 105 [Weißensteiner]) sprach daher in den genannten Fällen den betroffenen Personen Rehabilitationsgeld zu und begründet dies im Wesentlichen damit, dass die erforderliche Wartezeit erfüllt war.
Hält man sich diese Vorjudikatur vor Augen, so mag es auf den ersten Blick tatsächlich schwer nachvollziehbar sein, weshalb der OGH im konkreten Fall nun von der Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens ausgegangen ist. Es hätte nahegelegen, auch hier die Erfüllung der Wartezeit als entscheidend anzusehen und einen Anspruch auf Export des Rehabilitationsgeldes zu bejahen. Offenkundig hatte der OGH aber Zweifel daran, dass dieses schematische Abstellen auf die Erfüllung der Wartezeit tatsächlich den unionsrechtlichen Vorgaben gerecht wird.
In den zunächst zu beurteilenden Fällen, in denen es um Personen ging, die in einem befristeten Pensionsbezug standen und die auf Grund der Umstellung auf das Rehabilitationsgeld jedweder sozialen Absicherung verlustig gegangen wären, ist es durchaus nachvollziehbar und im Ergebnis auch richtig, dass der OGH den Exportanspruch bejaht hat. Der Grund dafür bestand aber weniger in der Erfüllung der Wartezeit selbst. Entscheidend war vielmehr der Umstand, dass auf Grund des aktuellen Pensionsbezuges eine eindeutige Nahebeziehung zu Österreich gegeben und der Wegfall des Leistungsanspruches letztlich primär auf den Umstand zurückzuführen war, dass die betreffenden PensionistInnen ihren Wohnsitz ins EU-Ausland verlegt hatten. Dieser Umstand und die damit verbundene diskriminierende Wirkung der Systemumstellung von der befristeten Invaliditätspension auf das Rehabilitationsgeld vermitteln letztlich – trotz eigentlicher Unzuständigkeit Österreichs nach den Regeln der VO 883/2004 – einen Exportanspruch auf Grundlage des Primärrechts (ausführlich bereits Felten, ZAS 2014, 257 ff). Dafür spricht vor allem auch der hybride Charakter des Rehabilitationsgeldes, das Bezugspunkte zu zwei Risken der sozialen Sicherheit aufweist (Invalidität und Krankheit). Die schematischen Regeln der VO 883/2004 können in solchen Fällen zu unsachgemäßen Ergebnissen führen, weshalb gegebenenfalls auf primärrechtliche Prinzipien zurückzugreifen ist, wie der EuGH in der Rs da Silva Martins in Bezug auf das ebenfalls nur schwer einzuordnende Pflegegeld klargestellt hat.
Die Erfüllung der Wartezeit ist demnach nicht viel mehr als ein bloßer „Reflex“ einer möglicherweise bestehenden Nahebeziehung. Dass gerade beim Rehabilitationsgeld der Nachweis einer solchen 154Nahebeziehung geboten ist und die Erfüllung der Wartezeit alleine dafür nicht ausreicht, ergibt sich daraus, dass es sich dabei – anders als bei einer Invaliditätspension oder auch bei Pflegegeldleistungen – gerade nicht um eine passive, bloße alimentierende Geldleistung handelt. Die Judikatur des EuGH in der Rs da Silva Martins ist deshalb in diesem Punkt auch nicht auf das österreichische Rehabilitationsgeld übertragbar (aA Sonntag, ASoK 2020, 252 f); dort ging es um das deutsche Pflegegeld. Die Verknüpfung des Rehabilitationsgeldes gem § 143a ASVG mit dem „Case-Management“ gem § 143b ASVG bezeugt, dass dieser Leistung auch ein „aktivierendes Element“ innewohnt. Das manifestiert sich daran, dass die Weigerung der anspruchsberechtigten Person, am Case-Management teilzunehmen, gem § 99 Abs 1a ASVG zum Entzug des Rehabilitationsgeldes berechtigt. Mit der Erfüllung der Wartezeit ist es also beim Rehabilitationsgeld gerade nicht getan (aA Födermayr, ZESAR 2020, 497). Der/die Anspruchsberechtigte muss mehr leisten: Er/sie muss im Rahmen des Case-Managements aktiv mitwirken. Gerade das Case-Management ist aber wiederum stark in den nationalen Kontext eingebettet, wie sich aus der institutionellen Verflechtung gem § 143b ASVG ergibt. Die Krankenversicherungsträger haben sich mit dem Arbeitsmarktservice und dem zuständigen Pensionsversicherungsträger abzustimmen. Darin unterscheidet sich das Rehabilitationsgeld substantiell von der Invaliditätspension, auch wenn zweifelsfrei funktionale Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Leistungen bestehen.
Deshalb ist es nicht überzeugend, entgegen den Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004, für einen Exportanspruch alleine auf die Erfüllung der Wartezeit abzustellen. Dies wird weder der Funktionsweise noch der Zielsetzung des Rehabilitationsgeldes gerecht. Die Nichtberücksichtigung der Wartezeit hat als solche hier auch, anders als beim Pflegegeld, das der Rs da Silva Martins zu Grunde lag, keine diskriminierende Wirkung. Es wäre daher sinnvoll gewesen, wenn der OGH in den zunächst zu beurteilenden Fällen auf diesen Aspekt stärker hingewiesen und den Exportanspruch nicht allein mit der Erfüllung der Wartezeit begründet hätte. In Anbetracht der zu entscheidenden Sachverhalte bestand dafür, zugegebenermaßen, zwar keine Notwendigkeit (so auch Spiegel in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm Vor § 251a ASVG Rz 8/2). Allerdings war wohl schon damals abzusehen, dass es Fälle geben wird, in denen Personen einen Anspruch auf Rehabilitationsgeld geltend machen werden, die aus einer Zufälligkeit in ihrer Erwerbsbiographie die Wartezeit erfüllen, an sich aber alle Brücken zu Österreich abgebrochen haben. Gerade in solchen Sachverhaltskonstellationen erweist sich die ursprüngliche Argumentation des OGH (10 ObS 133/15dDRdA 2017, 393 [Karl] = DRdA-infas 2017, 105 [Weißensteiner]), dass das Rehabilitationsgeld die Gegenleistung zu den in Österreich gezahlten Versicherungsbeiträgen ist, als verkürzt (so auch Beck, ZAS 2017, 250). Sie klammert den aktivierenden Charakter dieser Leistung gänzlich aus.
Dass der OGH vor diesem Hintergrund nunmehr es als geboten angesehen hat, den EuGH anzurufen, um Klarheit in diesem Punkt zu schaffen, ist daher nachvollziehbar und richtig gewesen. Das Ergebnis des EuGH (Rs Pensionsversicherungsanstalt), im konkreten Fall den Exportanspruch zu verneinen, überzeugt ebenfalls. Einigermaßen erstaunlich ist freilich seine Begründung. Das gilt weniger für die Qualifikation des Rehabilitationsgeldes als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO 883/2004. Diese Einordnung hatte ja auch der OGH bereits auf Grund der bestehenden Rsp des EuGH getroffen (siehe OGH10 ObS 133/15dDRdA 2017, 393 [Karl] = DRdA-infas 2017, 105 [Weißensteiner]). Wirklich bemerkenswert ist vielmehr, dass der EuGH die Frage nach dem Exportanspruch ausschließlich auf Grundlage des Sekundärrechts, konkret der Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004, beantwortet hat (ebenso Sonntag, ASoK 2020, 252). Das ist an sich durchaus zu begrüßen. Man hätte sich freilich gewünscht und auch erwartet, dass der EuGH diese Konsequenz bereits zuvor in vergleichbaren Fällen an den Tag gelegt hätte. Denn an sich wiederholt zwar der EuGH „gebetsmühlenartig“ und vollkommen korrekt, dass es sich bei den Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 um ein geschlossenes und einheitliches System von Kollisionsregeln handelt (vgl bloß wiederum Rs Pensionsversicherungsanstalt, Rz 46). Tatsächlich war es aber er selbst, der sich in einer Vielzahl an Verfahren über die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 hinweggesetzt und entgegen den sekundärrechtlichen Vorgaben unter Verweis auf das Primärrecht, einen Exportanspruch zunächst angedeutet (EuGHC-452/06, Bosmann, ECLI:EU:C:2008:290), dann ausdrücklich bejaht hatte (verb Rs C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak, ECLI:EU:C:2012:339). Diese Judikatur, die deshalb auch zu Recht auf viel Kritik gestoßen ist, wird in der Antwort des EuGH auf das gegenständliche Vorabentscheidungsersuchen mit keinem Wort erwähnt; so als ob es sie nicht gäbe.
Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob der EuGH seine Vorjudikatur bloß „übersehen“ oder bewusst nicht auf diese Bezug genommen hat. Bei einem Höchstgericht muss man aber wohl von letzterem ausgehen, da ersteres ungleich problematischer wäre. Die Rs Pensionsversicherungsanstalt könnte demnach der Beginn einer „neuen Zurückhaltung“ des EuGH sein, die uU eine Reaktion auf den Brexit darstellt. Gerade im Bereich der sozialen Sicherheit hatte der Gerichtshof nämlich den Motor der sozialen Integration durch seine forsche Rechtsprechungspraxis in der Vergangenheit vielfach überdreht. Eine solche „neue Zurückhaltung“ wäre daher prinzipiell sehr zu begrüßen. Denn zuweilen fragt man sich, weshalb man in langwierigen politischen Verhandlungen Vereinbarungen über sekundärrechtliche 155 Regelungen, wie jene der VO 883/2004, treffen soll, wenn der EuGH diese im Bedarfsfall mit einem „Federwisch“ beiseite fegt. Letztlich ist dieses selektive Vorgehen des EuGH bei der Begründung seines Urteils aber äußerst problematisch. Es beeinträchtigt nicht nur die Vorhersehbarkeit seiner Entscheidungen stark, sondern unterminiert auch das Vertrauen in den Gerichtshof selbst. Auch wenn das Ergebnis im konkreten Fall korrekt ist, ist der dadurch verursachte Kollateralschaden groß.