Arbeiten in der österreichischen Plattformwirtschaft – Ergebnisse der ersten österreichischen Fairwork-Studie* und arbeitsrechtliche Einschätzungen

MARTINGRUBER-RISAK (WIEN)/MARKUSGRIESSER (INNSBRUCK)/LEONHARDPLANK (WIEN)
Die 2021/2022 erstmals für Österreich durchgeführte Fairwork-Studie bietet eine Fülle an interessantem empirisch fundierten Datenmaterial zu den Arbeitsrealitäten bei sechs in Österreich operierenden Arbeitsplattformen aus sehr unterschiedlichen Branchen (Essens- und Warenzustellung, Transport- und Reinigungsdienstleistungen). Neben seiner Bedeutung für die sozialpolitische Diskussion bietet sie auch eine gute Ausgangsbasis für arbeitsrechtliche Überlegungen.
  1. Erstes österreichisches Fairwork-Rating 2022

  2. Grundsätzliches zum Arbeitsrecht in der Plattformwirtschaft

    1. Persönliche Abhängigkeit bei Plattformarbeit

    2. Dauer des Vertragsverhältnisses

    3. Arbeitskräfteüberlassung bei Subauftragnehmer:innenketten

  3. Darstellung und Untersuchung einzelner Plattformen

    1. Essenszustellung: Lieferando

      1. Organisation der Leistungserbringung

      2. Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

    2. Essenszustellung: Mjam

      1. Organisation der Leistungserbringung

      2. Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

    3. Lebensmittelzustellung: Alfies

      1. Organisation der Leistungserbringung

      2. Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

    4. Personentransport: Uber

      1. Organisation der Leistungserbringung

      2. Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

    5. Personentransport: Bolt

      1. Organisation der Leistungserbringung

      2. Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

    6. Reinigungsdienstleistungen: ExtraSauber

      1. Organisation der Leistungserbringung

      2. Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

  4. Fazit

1.
Erstes österreichisches Fairwork-Rating 2022

Bislang war es schwierig, konkrete Aussagen zur arbeitsrechtlichen Bewertung einzelner in Österreich operierender Plattformen* zu treffen, da wenig belastbares Datenmaterial zur konkreten Organisation der Arbeit über diese vorliegt. Zudem 3 kam es bis jetzt auch noch nicht – anders als in anderen europäischen Staaten* – zu einschlägigen Gerichtsverfahren und Entscheidungen, die auch einen entsprechenden Einblick bieten würden.* Diese Lücke schließt nun in einem gewissen Maße eine umfassende Studie zu den Arbeitsbedingungen in der ortsgebundenen österreichischen Plattformwirtschaft, die zwischen Februar 2021 und Jänner 2022 von Forscher:innen der TU Wien sowie der Universität Wien im Rahmen des internationalen Fairwork-Netzwerks durchgeführt wurde. Dieses Netzwerk umfasst aktuell weltweit über 30 Projektpartner:innen und ist am Oxford Internet Institute der Universität Oxford bzw am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung verortet. Das vergleichende Forschungsprojekt zielt iSd Aktionsforschung darauf ab, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bereich der Plattformwirtschaft beizutragen, indem Unternehmen entlang von fünf Prinzipien bewertet werden. Diese Prinzipien sind Faire Bezahlung, Faire Arbeitsbedingungen, Faire Verträge, Faire Management-Prozesse sowie Faire Mitbestimmung.* Das erste Fairwork-Rating für Österreich erschien im Frühjahr 2022 in englischer Sprache,* eine Anfang 2023 publizierte Langversion in deutscher Sprache vertieft die Erkenntnisse aus dem mit dem Rating verbundenen Forschungsprojekt vor allem in sozialwissenschaftlicher Hinsicht.* Der vorliegende Beitrag unternimmt in Ergänzung zu dieser eine kompakte Aufarbeitung des im Zuge der Fairwork-Studie gewonnenen Materials unter arbeitsrechtlichen Aspekten, wobei die Frage der rechtlichen Einordnung der Plattformbeschäftigten und die Verantwortlichkeit der Plattform zentral sind.

Anders als in der Vergangenheit, wo insb auf Zeitungsberichte, anekdotische Evidenz und Beobachtungen der Autor:innen zurückgegriffen wurde,* steht nun erstmals empirisch fundiertes Datenmaterial zu den Arbeitsbedingungen bei ortsgebundener Plattformarbeit, wie sie über sechs konkrete Plattformen (Lieferando, Mjam, Alfies, Uber, Bolt und ExtraSauber) organisiert wird, zur Verfügung. Aus arbeitsrechtlicher Perspektive sind dabei vor allem die Einblicke in die faktische Organisation von Arbeit und die konkrete Leistungsabwicklung von besonderer Bedeutung.

In methodischer Hinsichtbasiert die Studie, wie im Fairwork-Projekt üblich,* auf drei Säulen:

(1) Desk Research mit allen für die Forschung relevanten und öffentlich zugänglichen Informationen zu den einzelnen Plattformen (zB AGB, Firmenbucheinträge, Medienberichte);

(2) Befragung von Plattformmanager:innen; erklärten sich diese zu keinem Interview oder anderweitigem Austausch bereit, beschränkte sich die Forschung in diesem Fall auf die beiden anderen methodischen Säulen;*

(3) Teilstandardisierte Interviews mit Plattformbeschäftigten, wobei sechs bis zwölf Beschäftigte pro Plattformunternehmen interviewt wurden; es wurden zwischen Mai 2021 und Jänner 2022 teilstandardisierte Interviews mit 37 Plattformbeschäftigten geführt.*

2.
Grundsätzliches zum Arbeitsrecht in der Plattformwirtschaft

Der rechtliche Status der Plattformbeschäftigten steht und fällt mit der Beantwortung der Frage, ob ihrer Leistungserbringung ein Arbeitsverhältnis zu Grunde liegt oder nicht.* Dies würde nicht nur bewirken, dass die entsprechenden individualarbeitsrechtlichen Schutznormen greifen, sondern hätte auch darüber hinausgehende kollektivarbeitsrechtliche Konsequenzen, wie die Vertretung durch einen BR und die Anwendung eines KollV. Auch wenn die am 29.10.2022 veröffentlichten Richtlinien der Europäischen Kommission zur Anwendung des Unions-Wettbewerbsrechts auf kollektive Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen* klarstellen, dass diese keine verbotenen Kartelle darstellen, so bestehen derzeit jedoch noch keine derartigen Kollektivverträge für über Plattformen arbeitende Selbstständige in Österreich. Zudem wäre der rechtliche Status solcher kollektiven Vereinbarungen nicht mit KollV nach dem ArbVG vergleichbar.* Damit bleibt der arbeitsrechtliche Status auch in dieser Hinsicht weiterhin der Angelpunkt für gute Arbeitsbedingungen, was letztlich auch das Fairwork-Rating für Österreich 2022 zeigt – die bestgereihte Plattform (Lieferando) ist die einzige, die flächendeckend Arbeitsverträge mit den Personen abschließt, die über sie arbeiten.*4

2.1.
Persönliche Abhängigkeit bei Plattformarbeit

Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses kommt es bekanntlich auf die Art und Weise an, wie die Leistungserbringung organisiert wird, dh auf die „persönliche Abhängigkeit“.*Es geht dabei um die Aufgabe der Gestaltungsfreiheit der Arbeitenden bei Erbringung der Dienstleistung durch die Einordnung in eine fremde Organisation und die Unterwerfung unter die auch das persönliche Verhalten bei der Arbeit betreffenden Weisungen ihrer Vertragspartner:innen.*Dabei sind im Zusammenhang mit der Plattformarbeit zwei Aspekte relevant: Einerseits geht es darum, ob bestimmte Rechte nur deshalb in den Vertrag aufgenommen wurden, um die Qualifikation als Arbeitsvertrag zu vermeiden, oder ob auch tatsächliche Spielräume für die Arbeitenden bestehen. In diesem Sinne hat die Rsp schon in der Vergangenheit berücksichtigt, ob vertragliche Spielräume (zB Ablehnungs- und Vertretungsrechte) in der Praxis auch tatsächlich genutzt werden und, falls nicht, die Umstände es zumindest wahrscheinlich machen, dass sie genutzt werden können.*Dabei ist iSd deutschen BAG zu berücksichtigen, dass in die Plattform implementierte Anreizaspekte den Spielraum der Arbeitenden weiter beschränken können.*Andererseits geht es um eine angemessene Berücksichtigung der virtuellen Dimension der Plattformarbeit, die zu einer hohen Kontrolldichte führt und andere weniger stark ausgeprägte Elemente der persönlichen Abhängigkeit ausgleichen kann.*

Ist die Analyse schon bei herkömmlichen Formen der Leistungserbringung nicht immer einfach, so steht man bei der Plattformarbeit vor zusätzlichen Herausforderungen, da in dem ihr zu Grunde liegenden mehrpersonalen Verhältnis bisweilen nicht immer klar ist, wer mit wem welche Verträge abgeschlossen hat.*

2.2.
Dauer des Vertragsverhältnisses

Wird das Vertragsverhältnis zwischen den Plattformbeschäftigten und der Plattform als Arbeitsverhältnis eingestuft, so stellt sich in der Folge die Frage, von welcher Dauer dieses dann eigentlich ist: Ist es der einzelne Auftrag und somit ein sehr kurzfristiges Verhältnis? Ist es ein Arbeitseinsatz, der mit dem Einloggen auf der Plattform beginnt und mit dem Ausloggen endet, bzw eine vereinbarte Schicht (wie dies bei Zustellplattformen üblich ist)? Oder liegt ein durchgängiges langfristiges Arbeitsverhältnis vor? Hierbei kommt es im Wesentlichen darauf an, inwieweit eine (Mindest-) Arbeitsverpflichtung besteht, dh, ob Schichten oder einzelne Tasks, wenn sie angeboten werden, sanktionslos abgelehnt werden können.*

In diesem Zusammenhang ist auf die erste E des BAG* zur Plattformarbeit zu verweisen, die davon ausgeht, dass eine Herstellung faktischer Verfügbarkeit der Arbeitskräfte für ein durchgängiges Arbeitsverhältnis zur Plattform ausreicht, wie sie auch durch mittelbare Steuerungsprozesse, wie insb durch Anreiz- und Sanktionsmechanismen, die bewusste Herstellung von Konkurrenzsituationen und Gamification-Elementen geschaffen werden können. Das BAG sieht es als ausreichend an, dass durch solche Anreizsysteme wirtschaftlich handelnde Plattformbeschäftigte dazu veranlasst werden, die Angebotssituation ständig zu prüfen und sich dienstbereit zu halten. Wenn Plattformen solche Systeme gezielt einsetzen, um Nutzer:innen zu veranlassen, kontinuierlich Tätigkeiten zu erledigen, so müssen sie die Konsequenz eines durchgängigen Arbeitsvertragsverhältnisses tragen.*

2.3.
Arbeitskräfteüberlassung bei Subauftragnehmer:innenketten

Eine besondere Herausforderung für die rechtliche Analyse stellen Subauftragnehmerketten dar, dh dann, wenn ein Arbeitsverhältnis zu einem Vertragspartner der Plattform besteht und dieses dann durch dessen AN erfüllt wird. Sollten die Plattformen, insb durch algorithmisches Management, über die verwendete App die Arbeitsleistungen intensiv determinieren und auch überwachen, dann spricht vieles dafür, dass hier eine Arbeitskräfteüberlassung an die Plattform vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn das Weisungsrecht von den Vertragspartner:innen der Plattform (zB einem Logistikpartner einer Essenszustellungsplattform) vertraglich abgetreten wird und diese nicht von ihren Vertragspartner:innen, sondern direkt von der Plattform über die App die entsprechenden Arbeitsanweisungen bekommen und auch kontrolliert werden.*

3.
Darstellung und Untersuchung einzelner Plattformen

In der Folge werden nun die wesentlichen Ergebnisse der Fairwork-Studie auszugsweise und verdichtet dargestellt,* sodann wird auf Basis dieser 5 eine kurze arbeitsrechtliche Einschätzung geboten.

3.1.
Essenszustellung: Lieferando
3.1.1.
Organisation der Leistungserbringung

Medienberichten ebenso wie den FAQs beim Online- Bewerbungsformular auf der Website zufolge sind alle Fahrradbot:innen (Rider) der Essenszustellungsplattform Lieferando in Österreich echte DN und werden nach dem aktuellen KollV für Fahrradbot:innen bzw sogar darüber bezahlt.* Konkret verdienen sie laut Arbeitsvertrag zum Untersuchungszeitpunkt (2021) in Wien einen Stundenlohn von € 10,– brutto, was über dem damaligen kollektivvertraglichen (Mindest-)Lohn von € 8,90 (2021) liegt; das wird auch von den Fahrer:innen in den Interviews so bestätigt.*

Da es sich bei den Lieferando-Fahrer:innen um DN handelt, stehen ihnen diverse Zuschläge und Sonderzahlungen nach dem KollV für Fahrradbot:innen zu. Im Falle der sogenannten Non-Hub-Rider, die mit ihrem eigenen Fahrrad fahren, kommt ein Kilometergeld hinzu, das für die gefahrenen und mittels GPS-Tracking erhobenen Kilometer bezahlt wird, was den Bestimmungen des KollV (€ 0,24/km laut Art XVII KollV) entspricht. Für die Verwendung des Privathandys erhalten die Fahrer:innen einen Kostenersatz im Umfang von € 20,–/Monat bei einer Vollzeittätigkeit (Art XVII KollV) bzw eine aliquote Summe bei Teilzeitbeschäftigten.

Hinzu komme noch das Trinkgeld, das hier an der Wohnungstür übergeben werden muss. Eine Online-Trinkgeld-Option gibt es bei Lieferando in Österreich – anders als in anderen Ländern wie bspw Deutschland – nämlich nicht. Was die Höhe des Trinkgelds anbelangt, besteht unter den interviewten Fahrer:innen Einigkeit lediglich darin, dass dieses stark variiere – von manchen bekomme man viel, von anderen gar nichts. Im Allgemeinen liege es deutlich unter dem Niveau, das in anderen Branchen wie der Gastronomie erzielt werden könne.

Was die Arbeitszeiten betrifft, werden zumeist geringfügige und Teilzeitverträge angeboten. Die monatlichen Arbeitszeiten sind dabei aufgrund der Dienstverträge konstant, wohingegen die täglichen und in geringerem Umfang auch die Wochenarbeitszeiten je nach Schichteinteilung schwanken. Was die Kontrolle der Arbeitszeit anbelangt, sind bei Lieferando zwei Gruppen zu unterscheiden: (a) Hub-Rider müssen zum Dienstantritt in den Lieferando-Hub (bspw in Wien in die Kolingasse im 9. Bezirk) kommen, um dort Rucksack, Fahrrad usw abzuholen. Beim Verlassen des Hubs, ebenso wie nach der Rückkehr, werde dabei – zusätzlich zur An- bzw Abmeldung über die App – der konkrete Zeitpunkt festgehalten. (b) Non-Hub-Fahrer:innen hingegen müssen sich lediglich zu Schichtbeginn über die App an- und nach Schicht ende wieder abmelden. An welchem Ort (im Liefergebiet) sie die Anmeldung vornehmen, ist ihnen überlassen. Als Schichtende gilt der Abschluss der letzten Lieferung, wobei Lieferando ein Ende in der Nähe des Startpunkts in Aussicht stellt, was grob auch zutreffe.

Die Schichten bei Lieferando werden – mit Ausnahme der Vollzeitbeschäftigten mit einem fixen, auf artikulierten Präferenzen basierenden Dienstplan – wöchentlich neu eingeteilt. Konkret müssen Rider über die Lieferando-App (Scoober) jeweils bis Dienstag ihre Verfügbarkeit für die Folgewoche in einem Ausmaß bekanntgeben, das vom jeweiligen Arbeitsvolumen abhängt. Bei geringfügig Beschäftigten mit einer Wochenarbeitszeit von neun bis zehn Stunden gehe es zB um eine Verfügbarkeit von rund 20 Stunden, bei Teilzeitbeschäftigten mit einer Wochenarbeitszeit von 25 Stunden um eine Verfügbarkeit von rund 30 Stunden usw. Aus den verfügbaren Zeiten wähle das Unternehmen alsdann die zu fahrenden Schichten aus – und gibt jeweils am Mittwoch oder Donnerstag den Dienstplan für die Folgewoche bekannt.

Gefragt nach unbezahlten Zeiten, die für die Arbeit aufzuwenden sind, meinen vor allem die Non-Hub-Fahrer:innen, dass es so etwas bei Lieferando nicht gebe. Andere verweisen hingegen auf zwei relevante Punkte: Es werde bei Hub-Fahrer:innen erwartet, ca 5-15 Minuten vor Dienstbeginn zwecks Vorbereitung (Aushebung des Rucksacks, Kontrolle des Fahrrads usw) im Hub zu sein. Im Falle der Non-Hub-Fahrer:innen werden die vertraglich festgehaltene Wartung und Instandhaltung des Fahrrads angesprochen, das Kilometergeld wird dafür als zu gering empfunden.

Länger ist die Liste an arbeitsbedingten Aufwendungen, die laut Interviews für den Job erforderlich seien und die teilweise nicht von Lieferando beigestellt werden: Es gehe dabei um Handyzubehör sowie um mobile Daten, um durchgehend online sein zu können, und Radzubehör bei der Benutzung eigener Räder. Zudem sei bei Lieferando mitunter Arbeitskleidung nicht vorrätig, wie zB Handschuhe (in Art IV KollV sogar vorgesehen). Häufig passe auch die bereit gehaltene Arbeitskleidung, wie bspw die Regenhosen, größenmäßig nicht, diese werden dann selbst gekauft.

3.1.2.
Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

Anders als bei den sonstigen hier untersuchten Unternehmen und in der Plattformwirtschaft eher unüblich, ist der Beschäftigungsstatus im Falle der bei Lieferando tätigen Fahrer:innen klar, da Dienstverträge abgeschlossen werden. Damit liegen auch rechtlich relevante Untergrenzen für das Entgelt durch den KollV für Fahrradbot:innen vor, die offensichtlich eingehalten werden. Dieses Mindestentgelt (2022 bei einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden: € 1.593,33 brutto) ist freilich am unteren Ende des österreichischen Lohnspektrums angesiedelt.

Auch der Aufwandersatz (Handynutzung, Kilometergeld) entspricht den kollektivvertraglichen Vorgaben. Hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass durch das Kilometergeld gem Art XVII B.1. 6„übliche Reparaturen“ abgegolten sind. Darunter fallen wohl die Behebung eines platten Reifens oder Ähnliches; größere Reparaturen, wie insb im Zusammenhang mit einem Unfall, sind damit aber nicht abgedeckt und nach § 1014 ABGB analog von der Plattform zu tragen. Problematisch erscheinen auch notwendige und nützliche Aufwendungen, die Rider offensichtlich vornehmen (Regenkleidung, Fahrrad- und Handyzubehör), auch hier ist mangels anderer Vereinbarung von einem Anspruch auf Kostenersatz nach § 1014 ABGB analog auszugehen.

Bei der Arbeitszeit fällt auf, dass diese zwar formal im Einvernehmen festgelegt wird (Angebot der Arbeitenden durch Bekanntgabe der Verfügbarkeiten und Annahme durch Bekanntgabe des Dienstplanes), jedoch hier ein großer Spielraum der Plattform besteht. Dieser entsteht dadurch, dass die bekannt zu gebenden Verfügbarkeiten die vereinbarte Arbeitszeit erheblich übersteigen und damit Zweifel auftreten, ob es sich bei einer solchen Ungleichgewichtslage nicht eher um eine einseitig durch die AG festgelegte Einteilung der Normalarbeitszeit gem §§ 19c Abs 2, 19d Abs 2 AZG handelt, für die insb als Voraussetzung eine zweiwöchige Vorankündigungsfrist gilt* sowie ein Ablehnungsrecht bei berücksichtigungswürdigen Interessen der Arbeitenden. Es spricht vieles dafür, diese Bestimmung zumindest per analogiam zur Anwendung zu bringen, um – ihrem telos entsprechend – die Vorhersehbarkeit der Lage der Normalarbeitszeit für die Arbeitenden zu sichern. Ebenso problematisch ist die mangelnde Entlohnung der Vorbereitungsarbeiten (Aushebung des Rucksacks, Kontrolle des Fahrrads usw), wenn davon ausgegangen wird, dass diese vor Dienstbeginn zu machen sind. Sie sind nämlich als Dienstvertragserfüllung anzusehen und daher als Arbeitszeit zu werten und entsprechend zu honorieren.*

3.2.
Essenszustellung: Mjam
3.2.1.
Organisation der Leistungserbringung

Der Eigendarstellung*und auch Medienberichten zufolge fahren „[m]ehr als 90 Prozent“ der Fahrer:innen des Essenszustellers Mjam als freie DN und (zu diesem Zeitpunkt) nur die restlichen „gut 50“ an der Zahl als „echte“ DN.* Letztere erhalten dabei nach einer einmonatigen Probezeit einen unbefristeten Vertrag und können den Umfang ihrer Arbeitszeit (inkl präferierter Arbeitstage) selbst wählen. Von den Ridern wird der zentrale Vorteil des freien DN-Status – zumindest auf kurze Sicht – in der damit verbundenen Flexibilität und Freiheit (zB bezüglich Zeiteinteilung) gesehen.*

Aber nicht nur in der Flexibilität hinsichtlich des Arbeitszeitvolumens, sondern auch hinsichtlich der Entgeltbedingungen unterscheiden sich die freien und die echten DN signifikant. Die freien DN beziehen grundsätzlich keinen Zeit-, sondern eine Art Stücklohn. Konkret erhalten sie Medienberichten zufolge bereits seit zirka Jänner 2019 € 4,– pro Auftrag, wobei Mjam (ua in Wien) laut dem Freien Dienstvertrag „mindestens zwei Bestellungen pro Stunde“, also € 8,– als Fixum garantiert.* Konkret zahlt Mjam laut Vertrag € 3,24 brutto pro Auftrag und zusätzlich ein pauschales Kilometergeld („Aufwandsentschädigung für Fahrradverschleiß“). Dieses beträgt € 0,38 im Umfang von maximal zwei Kilometern pro Auftrag und ist entsprechend steuerfrei. Der Stundenlohn schwankt damit je nach Auftragslage; im Durchschnitt seien € 12- – an guten Tagen bis zu € 16,–, an schlechten lediglich das Fixum von € 8,– – brutto üblich.

Die echten DN hingegen werden nach dem geltenden KollV für Fahrradbot:innen entlohnt,* dh sie erhalten (2021) einen Stundenlohn von € 8,90 brutto die Stunde zuzüglich der im KollV verankerten Zuschläge und Sonderzahlungen. Da bei Mjam alle Fahrer:innen mit ihrem eigenen (bzw einem gemieteten) Fahrrad fahren (müssen), erhalten die DN zudem ein Kilometergeld im Umfang von € 0,24/km (Art XVII KollV). Bei den freien DN hingegen ist ein pauschales Kilometergeld bereits im Stücklohn inkludiert.

Bei allen Fahrer:innen kommt zum Entgelt das von Kund:innen entweder bar an der Haustür oder online über die App gegebene Trinkgeld hinzu. Dessen Höhe unterliege starken Schwankungen, laut „Radl-Report 2020“ nahmen DN 2020 durchschnittlich 16 Cents und freie DN 21 Cents Online- Trinkgeld/Stunde ein.*

Der Arbeitsumfang variiert insb unter den interviewten freien DN stark, manche arbeiten geringfügig, andere mit 15 bis 20 Wochenstunden Teilzeit, andere 40 Stunden und mehr. Laut dem „Radl-Report 2020“ arbeiteten freie DN im Jahr 2020 im Durchschnitt 10 Stunden/Woche, DN 19,4 Stunden/Woche. Einer Vollzeittätigkeit (40 Stunden/Woche) seien lediglich rund 6 % der freien DN und 7 % der DN nachgegangen.* Anders als die DN berichten die freien DN, dass die monatlichen Arbeitszeiten variieren, wobei betont wird, dass diese Schwankungen selbstbestimmt seien. Die Kontrolle der Arbeitszeit wiederum läuft bei allen Fahrer:innen über die App, dh Rider loggen sich zu Schichtbeginn ein und nach Schichtende wieder aus, wobei der Start irgendwo im Liefergebiet sein kann und das Ende durch Abschluss der letzten Lieferung bestimmt werde.

Bei den freien DN von Mjam gibt es zudem laut den interviewten Beschäftigten eine Art „Mindestarbeitszeit“, weil die Fahrer:innen mindestens eine 7

Schicht pro Monat fahren müssten, um „aktiv“ zu bleiben. Wird diese Voraussetzung nicht erfüllt, werden Betroffene dem Badge 5 „Nicht aktive:r Fahrer:in“ zugeordnet (zum Bagde-System gleich unten). Sofern Fahrer:innen nicht abgemeldet werden möchten, sei in Fällen längerer Abwesenheit deshalb eine Meldung bei Mjam ratsam. Im Management-Interview wird das bestätigt, wobei eine Abmeldung nicht-aktiver Fahrer:innen im Einklang mit den gesetzlichen Regelungen erst nach drei Monaten erfolge – und nur, wenn keine Information des:der betreffenden freien DN vorliege.

Für die Schichteinteilung stehe laut den Beschäftigten- Interviews eine eigene App namens „Roadrunner“ zur Verfügung, über die die Fahrer:innen Schichten unterschiedlicher Länge buchen können. Neben den Schichten von Mjam („Shifts“) können über diese App zudem auch die von anderen Fahrer:innen abgegebenen Schichten („Swaps“) gebucht werden. Für die Schichteinteilung ist auch das oben schon angesprochene Badgesystem von Relevanz, da Mjam die Schichten der Folgewoche an einem Tag in der Woche freischaltet, wobei die am besten gerateten Fahrer:innen (Badge 1) als erstes wählen können. Während zum Zeitpunkt der Beschäftigteninterviews im Frühjahr 2021 viele Interviewte von einem pandemiebedingt großen Angebot verfügbarer Schichten berichteten, sei das unter normalen Umständen häufig nicht der Fall.

Grundsätzlich besteht auch bei Übernahme einer Schicht durch freie DN die Möglichkeit, innerhalb dieser erteilte Aufträge abzulehnen bzw sie zu „redispatchen“ (bspw, wenn man Pause machen möchte). Letztlich hänge das aber von den (in Berlin sitzenden) Dispatchern ab. Diese verlangen nämlich (in Unkenntnis der österreichischen Rechtslage) mitunter Begründungen für abgelehnte Aufträge oder verhängen gar Sanktionen, indem sie Fahrer:innen nach drei abgelehnten Aufträgen in eine unbezahlte Pause schicken. Im Mjam- Management-Interview wird dabei auf zwei rezente Änderungen verwiesen: Einerseits würden die Dispatcher seit Anfang 2021 in standardisierter Form rechtlich (nach-)geschult, andererseits habe man im Herbst 2021 in der App die technischen Möglichkeiten für Rider erweitert, sodass diese nun selbstständig (ohne Rücksprache mit Dispatchern) Pause machen oÄ können.

Bei Mjam besteht ein fünfstufiges internes Bewertungssystem der Fahrer:innen. Dieses sogenannte Batch-System wird insb für die Zuteilung von Schichten eingesetzt: Wer gut bewertet wird (Batch 1), wird als erstes für die Schichteinteilung freigeschaltet und bekommt die besten Schichten.* Konkret erhalte man ua Pluspunkte, wenn gebuchte Schichten pünktlich angetreten und zu Ende gefahren werden, wenn Wochenend- und Abenddienste übernommen werden, oder wenn jemand bereits länger für das Unternehmen fährt usw. Auch im Management-Interview wird auf das Batch-System eingegangen, das auf Wunsch von Fahrer:innen etabliert worden sei, um besonders loyale Rider im Rahmen der Schichtvergabe symbolisch zu belohnen. Laut den interviewten Fahrer:innen sei das Batch-System zwar hinreichend transparent,

da der eigene Punktestand über das Profil in der App eingesehen werden könne und seitens der vorgesetzten Rider Captains Erklärungen in die WhatsApp-Gruppen gepostet werden; gerade bei schlechter Auftragslage sei eine niedrige Batch-Einstufung aber durchaus problematisch.

In den Beschäftigten-Interviews werden von den freie DN unterschiedliche Formen unbezahlter Arbeitszeit genannt, wobei deren Umfang nicht beziffert werden kann: (a) Grundsätzlich zentral, wenn auch abhängig von der Auftragslage, seien jene unbezahlten Arbeitszeiten, die mit dem Warten auf Aufträge zugebracht werden. (b) Hinzu kommen Wartezeiten bei Kund:innen, wenn diese an der Lieferadresse nicht anzutreffen sind, wobei Rider in solchen Fällen idR darum ersucht werden, 15 Minuten zu warten. (c) Die bedeutendste Wartezeit sei aber jene, die in Restaurants beim Warten auf Speisen zugebracht wird und deren Umfang je nach Restaurant bzw Zeitpunkt variiere. (d) Eine ebenfalls bedeutende Form unbezahlter Arbeitszeit bestehe darin, das eigene Fahrrad zu warten und gegebenenfalls zu reparieren sowie andere Arbeitsmittel (zB den Rucksack) in Stand zu halten und zu reinigen.

Auch was die arbeitsbedingten Aufwendungen betrifft, werden insb von den freien DN verschiedene Punkte genannt, deren Kosten schwer zu beziffern seien: (a) Bei Mjam fährt die große Mehrheit der Rider mit ihren eigenen Fahrrädern (bzw teils auch E-Scootern, Motorrädern oÄ). Das impliziert, dass die Kosten dafür zumindest teilweise seitens der freien DN selbst getragen werden müssen, da das im Lohn inkludierte Kilometergeld dafür (Entschädigung für den Verschleiß bzw für Wartung, Reparatur usw) als unzureichend empfunden wird. (b) Auch das Handy ist von den freien DN als Arbeitsmittel in unentgeltlicher Form einzubringen. Neben dem Handy selbst sei auch Handyzubehör wie bspw eine Handyhalterung oder eine Powerbank durch die Beschäftigten selbst zu finanzieren. Hinzu kommen die Ausgaben für mobile Daten, um während des Arbeitstages permanent verfügund ortbar zu sein.

Ein weiterer Aspekt, der seitens des BR gegenüber Medien kritisiert wurde, ist der, dass Mjam (auch in den Wiener Außenbezirken) mit Sublieferanten (Logistikpartner:innen) kooperiere, die ihre Fahrer:innen zu widrigen Bedingungen beschäftigen würden.* Ein:e solche:r Fahrer:in gibt an, dass in seinem:ihrem Fall etwa – von der Schichteinteilung bis zur Abwicklung der Aufträge – alles über die Roadrunner-App gelaufen und auch die Ausstattung, wie insb der Rucksack, von Mjam gewesen sei, sodass die Fahrer:innen des Subunternehmens für Kund:innen nicht von regulären Mjam-Ridern zu unterscheiden waren. Laut dem Mjam-Management-Interview basieren die Vertragsbeziehungen mit sogenannten „Third Party Contractors“ auf eigenen Subunternehmensverträgen, in deren Rahmen auch der „Verhaltenscodex für Lieferanten“ verankert sei. Auch führe man Gesprä- 8che mit Subunternehmen, bevor solche Verträge eingegangen werden. Ein darüberhinausgehendes Auditing passierte bislang jedoch nicht. Kürzlich hat Mjam jedoch ein Auditing-Verfahren entwickelt, das laut Management-Interview 2022 erstmals umgesetzt und mittels dem die Einhaltung des „Verhaltenscodex für Lieferanten“ überprüft werden soll.* Wie problematisch das bisher fehlende Auditing war, macht das Beispiel des:der ehemaligen Beschäftigten eines solchen Subunternehmens deutlich: Diese:r berichtet davon, dass das Niveau des vereinbarten Fixums bzw Stücklohns nicht bloß um rund die Hälfte geringer als bei direkt bei Mjam angestellten freien DN gewesen sei, auch sei eine falsche Anmeldung zur SV erfolgt und letztlich gar kein Lohn mehr bezahlt worden. Der Konflikt gipfelte in einer Übernahme des Rechtsschutzes durch die AK, was – da der Subunternehmer zwischenzeitlich Insolvenz angemeldet hatte – in der Bezahlung der offenen Ansprüche von acht ehemaligen Ridern über den Insolvenz-Entgeltfonds resultierte.*

3.2.2.
Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

Während der Beschäftigungsstatus bei den (vergleichsweise wenigen) DN klar ist, so ist dies bei den freien DN nicht ganz so eindeutig. In einer ausführlichen Untersuchung hat Dullinger*bereits 2017 darauf hingewiesen, dass auf Grund der sehr hohen Kontrolldichte, der detaillierten Regelung des Arbeitsablaufs, der disziplinären Verantwortlichkeit und der Einbindung in eine betriebliche Organisationsstruktur davon auszugehen ist, dass Arbeitsverhältnisse vorliegen, wobei diese durch die Verwendung der App und der dislozierten Tätigkeit teilweise überlagert bzw verdeckt werden. Fraglich sei sE aber, ob eine durchgängige Arbeitspflicht vorliege oder vielmehr eine Arbeit nach dem Konsensprinzip, dh dass ein Arbeitsvertrag mit Arbeitspflicht nur für die Dauer einer vereinbarten Schicht vorliegt. Letztlich geht Dullinger in seiner Analyse des 2017 bei der Essenszustellplattform Foodora gepflogenen Arbeitsmodells von einer durchgängigen Beschäftigung aus, da dort eine, wenngleich in der Praxis offensichtlich sanktionslose, Mindestarbeitspflicht bestand.*

Die im Zuge der Fairwork-Studie erhobenen Daten unterstützen diese Analyse, wobei an zwei Punkten anzusetzen ist: Wird eine Schicht vereinbart, so besteht zumindest während dieser eine entsprechende Arbeitsverpflichtung. Dies ergibt sich insb aus dem Batch-System, das Pünktlichkeit hinsichtlich des Beginns und der Beendigung einer übernommenen Schicht honoriert. Auch wenn ein zumindest formales Ablehnungsrecht für einzelne Aufträge besteht, so ergibt sich aus den Interviews, dass eine Ablehnung mit einem gewissen Aufwand und Rechtfertigungsdruck verbunden ist. Zudem ist nicht geklärt, wie dies mit den garantierten zwei Bestellungen pro Stunde zusammenspielt – dh, ob Fahrer:innen bei Ablehnung diese Garantie verwirken und damit massiver ökonomischer Druck besteht, das Ablehnungsrecht nicht auszuüben. Auch erscheint es fraglich, ob bei der Schichtplanung eine Ablehnung von Aufträgen mit eingeplant ist, dh die Schichten entsprechend überbucht werden – ist das nicht der Fall, so wird nämlich auch schon vom Plattformdesign her davon ausgegangen, dass eine Ablehnung von Aufträgen faktisch nicht erfolgt. Das legt auch die Garantie einer bestimmten Anzahl von Mindestaufträgen nahe, nämlich dass die Schichteinteilung möglichst nahe am konkreten Bedarf erfolgt und diese Anzahl an Aufträgen auch tatsächlich erfolgen kann – alles andere würde zu bezahlten Stehzeiten führen und ökonomisch für die Plattformbetreiber:innen wenig Sinn machen. Während der Ausführung des Auftrages besteht dann durch die App gesteuert eine hohe Kontrolldichte, die ua auf strengen Zeitvorgaben basiert, sodass hier von persönlicher Abhängigkeit* und damit vom Vorliegen eines Dienstverhältnisses zumindest für die Dauer einer Schicht auszugehen ist. Damit käme der kollektivvertragliche Mindestlohn zur Anwendung.

Es spricht außerdem auch vieles dafür, dass eine durchgängige Arbeitsverpflichtung über die einzelne Schicht hinaus anzunehmen ist, da im Rahmen des Batch-Systems das Fahren zumindest einer Schicht im Monat erforderlich ist, um „aktiv“ zu bleiben und weiterhin für die Vereinbarung von Schichten freigeschaltet zu werden. Gerade dieses als Belohnung für „loyale Fahrer:innen“ vom Management eingeführte Batch-System legt nahe, dass eine durchgängige Beschäftigung erwünscht ist und es auch zu Sanktionen kommt, wenn weniger als die Mindestschicht gefahren wird. ISd BAGRsp* ergibt sich aus diesem sogar mit Sanktionen und nicht nur Belohnungen versehenen Anreizmodell klar, dass den Plattformbetreiber:innen daran gelegen ist, dass registrierte Fahrer:innen auch eine Mindestaktivität aufweisen, was letztlich in einer durchgängigen Arbeitsverpflichtung und sohin auch einem durchgängigen Arbeitsverhältnis resultiert.

Hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Bewertung der Fragen betreffend die Arbeitszeit und den Aufwandersatz wird aus Platzgründen auf die unter Pkt 3.1.2. gemachten Ausführungen verwiesen.

3.3.
Lebensmittelzustellung: Alfies
3.3.1.
Organisation der Leistungserbringung

Alfies operiert aus mehreren Lagern in Wien sowie aus einem Lager in Graz-Puntigam. Dort werden die Waren von Alfies über einen Online-Supermarkt „mit vollem Supermarkt-Sortiment“ (bzw über das „Alfies Weekend-Catering“) an sieben Tagen die Woche feilgeboten. Ausgeliefert werden sie von Fahrer:innen, bei Alfies als „Driver“ bezeichnet, die mit firmeneigenen Autos unterwegs sind. Eine 9 Lieferung wird innerhalb von 60 Minuten versprochen. In Medienberichten ist im Sommer 2021 in dem Zusammenhang für Wien von rund 2.000 Bestellungen pro Tag die Rede.*

Auf der Alfies-Website wird zum Untersuchungszeitpunkt unter der Rubrik „Jobs“ in Wien nach „Drivers“ gesucht, bei denen als „Job-Titel“ das Stichwort „Driver geringfügig“ und als „Art der Stelle“ das Stichwort „Freelancer“ ausgewiesen werden. Konkret bedeutet das – wie auch Medienberichte nahelegen* –, dass bei Alfies (zumindest in Wien) fast alle Fahrer:innen auf geringfügiger Basis beschäftigt und als freie DN klassifiziert sind. In den Beschäftigten-Interviews wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass es in Wien aktuell neben der großen Masse an geringfügigen Drivern auch eine Handvoll Fahrer:innen gebe, die zwar ebenfalls als freie DN eingestuft seien, allerdings Teil- bzw Vollzeitstellen haben.

Gefragt danach, wie adäquat ihnen dieses Vertragsverhältnis für ihren Job in Relation insb zu echten Dienstverträgen erscheint, meint rund die Hälfte der interviewten Driver, der freie Dienstvertrag sei für einen „Studentenjob“* wie diesen sinnvoll. Als zentrale Vorteile werden dabei die Ungebundenheit, die zeitliche Flexibilität sowie die Freiheit für spontane Auszeiten genannt. Letztlich ist man sich entsprechend sicher: „[M]it einem [...] Festanstellungsvertrag hätt ich nicht die Flexibilität, die ich eben so hab“.* Einige andere verweisen zwar auf die Vorteile des freien Dienstvertrags für das Unternehmen, sind zugleich jedoch indifferent, was ihre eigene Perspektive anbelangt; sie ziehen ein echtes Dienstverhältnis aber vor. Als zentrale Vorteile des Dienstvertrags erscheinen ihnen dabei die fixen Verdienstmöglichkeiten, der – aufgrund von Sonderzahlungen usw – höhere Verdienst, die (bessere) soziale Absicherung im Krankheitsfall sowie die Möglichkeit von bezahltem Urlaub.

Die Driver bei Alfies werden mit einem festen Zeitlohn bezahlt. Auf Grund der Einstufung als freie DN kommt jedoch der KollV für das Kleintransportgewerbe Österreichs nicht zur Anwendung, der in Art XVII einen Bruttomindestlohn (bei Betriebszugehörigkeit bis zu fünf Jahren) von € 8,86 pro Stunde zuzüglich Sonderzahlungen und allenfalls diverser Zuschläge vorsieht (Stand zum Interviewzeitpunkt 2021). Konkret war den Beschäftigten-Interviews zufolge bis vor Kurzem ein 9 €-Bruttostundenlohn üblich und vertraglich verankert. Mittlerweile gebe es zwei Lohnsätze, die im aktuellen Dienstvertrag auch so festgehalten seien: Für die ersten rund 25 bzw 26 Stunden im Monat zahle Alfies € 9,47/Stunde und für die restlichen Stunden bis zur Geringfügigkeitsgrenze € 10,47/Stunde. Der Sinn dieser neuen Regelung liege wohl darin, die Driver dazu zu motivieren, möglichst viele Stunden – also nicht bloß eine oder zwei Schichten – im Monat zu fahren. Um ein Einkommen knapp unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze zu erzielen, ist ein Stundenausmaß von rund 50 Stunden im Monat erforderlich, wobei die interviewten Fahrer:innen angeben, sich ihre Arbeitszeiten so einzuteilen, dass sie mit ihrem Einkommen jedes Monat möglichst nahe an die Geringfügigkeitsgrenze kommen.

Zu den dargelegten Stundenlöhnen hinzu kommt für Alfies-Driver noch das an der Wohnungstür übergebene Trinkgeld. In den FAQs auf der Alfies-Website steht unter dem Stichwort „Wird Trinkgeld erwartet?“, dass dieses für Kund:innen „natürlich kein Muss“ sei, die Driver sich aber darüber „freuen“ würden. In der ebenfalls auf der Website abrufbaren Job-Description verspricht Alfies zudem „[g]ute Bezahlung (inkl Trinkgeld von 10-12 EUR pro Stunde)“. Diese Angaben, konkret ein Stundenverdienst von um die € 12,– inkl Trinkgeld, werden in den Interviews von einigen Fahrer:innen bestätigt. Andere hingegen meinen, Trinkgelder in der genannten Höhe seien die Ausnahme: „Die meisten Leute geben überhaupt nichts her.“* Klar sei jedenfalls, dass die Höhe des Trinkgelds in Abhängigkeit von unterschiedlichen Faktoren stark schwanke und dass auch die Zufriedenheit der Fahrer:innen mit dem Trinkgeld entsprechend variiert.

Was die Arbeitszeiten betrifft, gibt es bei Alfies fast ausschließlich geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Dh, das monatliche Arbeitsausmaß ist bei fast allen Drivern, wie es im freien Dienstvertrag heißt, „auf die Geringfügigkeitsgrenze beschränkt“. Diese Maximalarbeitszeit ist insofern auch eine faktische, als laut den interviewten Fahrer:innen die für die Schichteinteilung von Alfies verwendete App vor einer drohenden Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze warne bzw die Buchung einer solchen Schicht verhindere. Die tatsächlichen Monats-, Wochen- und Tagesarbeitszeiten schwanken jedoch in Abhängigkeit von der Schichteinteilung, dh davon, welche Schichten die Fahrer:innen jeweils buchen. Letzteres ist – wie in den Beschäftigten-Interviews bestätigt wird – den Drivern prinzipiell freigestellt, wobei Alfies neben der Maximal- auch eine Art Minimalarbeitszeit festlegt. Im Hinblick darauf ist im freien Dienstverhältnis festgehalten, dass „ein sehr geringes Pensum aus Gründen der Verwaltungsökonomie zu einer Abmeldung bei der Sozialversicherung“ führe. Konkret trifft dies Driver, die in zwei aufeinanderfolgenden Monaten weniger als rund ein Drittel der Geringfügigkeitsgrenze (ca € 150,– bis € 160,–) verdienen. Davon ausgenommen seien laut Vertrag jedoch all jene Fahrer:innen, die Alfies einen bestimmten Betrag – ein Driver berichtet von rund € 15,–/Monat – erstatten und somit selbst die Kosten tragen, welche durch die aufrechte Anmeldung entstehen.

Die Kontrolle der Arbeitszeit läuft bei Alfies über die am Diensthandy installierte App, wobei sie in der App auch dokumentiert und für die Fahrer:innen im Nachhinein entsprechend einsehbar sei. Konkret beginne laut den Interviewten die Zeit zu laufen, sobald Fahrer:innen im jeweiligen Lager erscheinen, dort gegen Pfand (idR die 10 E-Card) die firmeneigenen Arbeitsmittel ausheben (Autoschlüssel, Tankkarte, Sackrodel, Diensthandy) und sich schließlich über das Diensthandy anmelden. Die Arbeitszeit ende, wenn die letzte Lieferung abgeschlossen und man zurück im Lager sei, wobei für den Abschluss selbst (Einparken des Autos, Ausfüllen des Fahrtenbuchs, Abrechnung der Barzahlungen, Rückgabe der Arbeitsmittel) pauschal noch einmal drei Minuten Arbeitszeit hinzugerechnet werden.

Die (rund vier- bis achtstündigen) Schichten selbst werden laut den Beschäftigten-Interviews bei Alfies über eine eigene App (Shyftplan) eingeteilt. Konkret werden darüber zweimal pro Woche Schichten für die übernächste Woche (am Di für Fr-So, am Do für Mo-Do) freigeschaltet (in Wien für alle drei Lager gleichzeitig), die die Fahrer:innen alsdann nach einem „First come, first serve“-Prinzip buchen können. Ist die Schicht somit dann vereinbart, so besteht keine Möglichkeit, Aufträge abzulehnen. Darüber sind sich die interviewten Fahrer:innen einig, dass eine solche Option zumindest bis zum offiziellen Schichtende nicht bestehe (was die entsprechende Formulierung im freien Dienstvertrag auch nahelegt). Dh, der nach Abschluss einer Liefertour und Rückkehr ins Lager zusammengestellte Folgeauftrag müsse angenommen werden. Allenfalls bestehe die Möglichkeit, die Team- bzw Schichtleiter:innen um eine Pause zu bitten, was diese – sofern nicht viel los und andere Driver vor Ort seien, die den Auftrag übernehmen können – mitunter auch erlauben.

Gefragt nach Zeiten, die für die Arbeit aufzuwenden sind, ohne dass das Unternehmen dafür bezahlt, meinen die interviewten Fahrer:innen, dass es so etwas bei Alfies nicht gebe. Jedoch seien die oben erwähnten drei Minuten, die am Ende der jeweiligen Schicht für den Abschluss zur Verfügung stehen, mitunter nicht ausreichend, um alle hierfür erforderlichen Tätigkeiten (Einparken des Autos usw) zu erledigen.

Kritisiert wird auch der Umstand, dass Alfies im freien Dienstvertrag im Zusammenhang mit der Schichtplanung festhält, dass der „Endzeitpunkt einer gewissen Flexibilität unterliegen“ müsse. Konkret bedeutet das, dass die Schicht bis zu 30 Minuten vor dem offiziellen Ende abgeschlossen werden kann und dass bis zum Schichtende selbst weitere Liefertouren angenommen werden müssen. Vor allem Letzteres – dh der Umstand, dass zum Schichtende noch eine Tour hereinkommt – ist den Interviews zufolge nicht unüblich. Während einige Driver positiv hervorheben, dass Alfies solche Zeiten bezahle, kritisieren andere diese Praxis und die dadurch bedingte mangelnde Planungssicherheit den eigenen Alltag betreffend. Ein:e Fahrer:in formuliert es wie folgt: „[W]enn man dann sagt, okay, ich nehme jetzt eine Schicht an und fahre bis 15 Uhr [...], und dann wird dir noch um kurz vor 15 Uhr eine siebzig-Minuten-Tour reingehaut, das ist schwierig. Da haben ein paar Menschen in der Firma ihre Probleme damit. Auch ich, muss ich sagen.“*

3.3.2.
Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

Wie auch bei Mjam (Pkt 3.2.) stellt sich bei Alfies die Frage, ob die Einordnung der Driver als freie DN korrekt ist oder ob diese bei korrekter Beurteilung eigentlich als DN anzusehen sind bzw für welche Dauer dann ein Dienstverhältnis besteht. Es spricht vieles dafür, dass eigentlich DN-Eigenschaft vorliegt, da hinsichtlich der Leistungserbringung keine wirklichen Spielräume bestehen und insb einzelne Aufträge nicht abgelehnt werden können. Anders als im Falle von Mjam liegt hier wohl nicht einmal ein formales Ablehnungsrecht vor. Vielmehr besteht sogar eine Mehrleistungsverpflichtung, wenn gegen Ende der Schicht ein Auftrag hereinkommt, der bis Schichtende nicht erledigbar ist. Aus den Interviews ergeben sich eigentlich keine Ansatzpunkte für Gestaltungsspielräume hinsichtlich der zeitlichen und örtlichen Dimension der Arbeit oder auch was die Arbeitsabläufe betrifft. Geht man so von einem Dienstverhältnis aus, so würde der kollektivvertragliche Mindestlohn zur Anwendung kommen und es würden derartige Mehrleistungen auch gem § 19d Abs 3a AZG mit einem 25 %-Zuschlag belastet sein.*

Es ist jedoch nicht nur von für jeweils eine Schicht befristeten Arbeitsverhältnissen auszugehen, sondern von einem durchgängigen Arbeitsverhältnis. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass eine monatliche Mindestarbeitsverpflichtung vertraglich vereinbart wurde; wird diese unterschritten, so kommt es entweder zu einer Abmeldung von der SV oder zu Kosten für die Driver.

3.4.
Personentransport: Uber
3.4.1.
Organisation der Leistungserbringung

Neben den Essenzustellungsplattformen ist das Geschäftsmodell von Uber mittlerweile sehr gut dokumentiert. Es war schon mehrmals auch vor dem EuGH,*wobei es jedoch nicht um die arbeitsrechtliche Einordnung ging. Als „archetypal platform in the gig economy“* besteht Uber in seinen Nutzungsbedingungen darauf, lediglich „Vermittler und Anbieter einer Vermittlungsdienstleistung“, konkret von „durch Drittanbieter durchzuführende Personenbeförderungen“, zu sein. Durchgeführt werden die genannten Angebote also nicht von Uber selbst, sondern von sogenannten „(Flotten-) Partnern“ iS lokaler Personenbeförderungsunternehmen. Bis zu einer zu Beginn des Jahres 2021 in Kraft getretenen Reform der gesetzlichen Rahmenbedingungen kooperierte Uber in Österreich mit Mietwagenunternehmen. Seit der angesprochenen Reform des Gelegenheitsverkehrsgesetzes,* durch die das Mietwagen- bzw Taxigewerbe zu einem 11 Einheitsgewebe fusioniert wurden („Personenbeförderungsgewerbe mit PKW – Taxi“), fungieren nun in dem Gewerbe tätige Unternehmen als Uber-Partner.* Auf die sich daraus ergebenden gewerberechtlichen, insb auch die Anwendung von Tarifen ergebenden Aspekte kann hier nicht näher eingegangen werden.*

Taxifahrer:innen, die ihre Fahrten (teilweise) über Uber vermittelt bekommen, sind in Österreich entweder selbstständig oder unselbstständig erwerbstätig. In ersterem Fall, also bei den selbstständigen Unternehmer:innen, können wiederum Einpersonenunternehmen (EPU) und Taxiunternehmen mit Beschäftigten unterschieden werden. In letzterem Fall handelt es sich um die unselbstständig Beschäftigten besagter Unternehmen, die dem KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW unterliegen bzw unterliegen sollten.

Den Interviews mit Fahrer:innen zufolge koexistieren in dieser Branche nämlich mehrere Modelle der Beschäftigung. Das Kollektivvertragsmodell selbst sieht dabei (seit 12/2020) einen monatlichen Mindestlohn von € 1.500,– brutto für eine Normalarbeitswoche von idR 55 Stunden plus Zuschlägen und Sonderzahlungen (ua Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration, Überstundenzuschlägen) vor. Daneben finden in den Interviews auch andere Modelle Erwähnung, bei denen die Fahrer:innen zwar regulär zur SV angemeldet werden, mit denen DG aber informell andere Formen der Entlohnung vereinbaren.* Zentral dabei ist das sogenannte Provisionsmodell, bei dem statt des Kollektivvertragslohns bzw (in geringerem Umfang) auch ergänzend dazu eine Umsatzbeteiligung (30 bis 60 % des Brutto- bzw Nettoumsatzes) gezahlt wurde bzw wird, wobei idR Sonderzahlungen und Zuschläge, vielfach auch Ansprüche auf bezahlten Urlaub bzw auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, vorenthalten werden bzw diese als damit abgegolten gelten. Je nach Höhe der vereinbarten Provision sind zudem entweder Unternehmer:innen oder Fahrer:innen für Kosten wie den Sprit zuständig. Von den interviewten unselbstständigen Fahrer:innen gibt rund die Hälfte an, nach einem Provisionsmodell beschäftigt zu sein, die anderen nach dem Kollektivvertragsmodell.

Was die Bezahlung anbelangt, bestätigen die nach Kollektivvertragsmodell (unselbstständig) beschäftigten Fahrer:innen, für eine rund 55-stündige (Normal-) Arbeitswoche rund € 1.500,– brutto im Monat zu verdienen sowie Sonderzahlungen und Zuschläge zu erhalten. Die selbstständigen bzw nach Provisionsmodell arbeitenden Fahrer:innen hingegen können wenig Konkretes zu ihrer Bezahlung sagen. Dies hänge ua mit der Auftragslage zusammen, die in Abhängigkeit von Faktoren wie der Tageszeit stark schwanke. Durchschnittlich verdienen selbstfahrende (Einpersonen-)Unternehmer:innen ihren Schätzungen zufolge jedoch bei einer 55-Stundenwoche € 1.500,– bis € 1.700,–, im Falle längerer Arbeitszeiten, wie sie in der Branche durchaus üblich seien, € 2.000,– bis € 2.500,– netto. Entsprechend lange Arbeitszeiten vorausgesetzt, sei schließlich auch im Rahmen des Provisionsmodells ein Verdienst von € 1.800,– bis € 2.000,– netto möglich.

Hinzu komme Trinkgeld, das – wie in Pkt 7.3.3 der „Uber-Nutzungsbedingungen“ festgehalten ist – in bar oder über die App übermittelt werden kann. Die Angaben der Fahrer:innen unterscheiden sich dabei stark.* Manche der Interviewten beklagen nämlich niedriges (zB 20-30 Cent) bzw gänzlich fehlendes Trinkgeld; anderen zufolge sei Trinkgeld hingegen durchaus üblich, wobei dessen Höhe mit € 1,– bis € 2,– pro Kund:in beziffert wird. Zudem könne der Stand des Trinkgelds über die App eingesehen werden und sei entsprechend transparent.

Für selbstständig Erwerbstätige ebenso wie für unselbstständig Erwerbstätige, die im Rahmen des Provisionsmodells entlohnt werden, ist die Preispolitik von Uber von unmittelbarer Relevanz. Mit der Reform des rechtlichen Rahmens (ua Möglichkeit der Festlegung eines „Preisbandes“) sind dem von Uber praktizierten „Surge Pricing“, bei dem ein Algorithmus ausgehend von der Wegstrecke und der aktuellen Marktlage für die jeweilige Fahrt einen spezifischen Preis errechnet, gesetzliche Grenzen gesetzt. Was die Nutzung des bestehenden Spielraums betrifft, sind sich die interviewten Fahrer:innen darin weitgehend einig, dass dieser von Uber zur systematischen Unterschreitung des Taxitarifs um 20 % genutzt werde. Interviewte sprechen daher von einer „Einbahnstraße“* nach unten bzw davon, dass diese einseitige Abweichung „Standard“* sei. Dies gelte vor allem während der schwächeren Zeiten unter der Woche, komme häufig aber auch abends sowie an Sonn- und Feiertagen vor. Allenfalls steige der Preis dann einmal auf das Niveau des Taxitarifs bzw leicht darüber.*Nur zu besonderen Stoßzeiten, etwa bei Groß events oÄ, gehen die Preise deutlicher nach oben.* Hinzu komme auch, dass der Zuschlag von € 2,– für über einen Kommunikationsdienst bestellte Fahrten bei Uber nicht verrechnet würde, was den Preis weiter drücke. Ein:e Fahrer:in resümiert daher: „Somit verlieren wir die 20 % plus zwei Euro bei jeder Fahrt.“*

Von den solcherart zustande kommenden Fahrpreisen*65) behält Uber aktuell regulär eine sogenannte Servicegebühr von 18 % ein (15 % Gebühr und 3 % Umsatzsteuer). Dies sei aktuell zwar Standard, die meisten interviewten Fahrer:innen verweisen 12 jedoch darauf, dass die Höhe der Servicegebühr bei Uber großen Schwankungen unterliege. So seien in der Vergangenheit – wie auch aus der Literatur hervorgeht* – in Österreich Gebühren bis zu 35 % üblich gewesen. Neben der Standard-Servicegebühr gebe es bei Uber immer wieder zeitlich befristete Aktionen mit Spezialkonditionen, was zuletzt laut den Interviews vermehrt der Fall gewesen sei.

Was die Arbeitszeit anbelangt, sei laut den Interviews bei den nach Kollektivvertragsmodell Beschäftigten eine 55-Stunden-Normalarbeitswoche durchaus üblich, wobei es vereinzelt auch Teilzeitbeschäftigung gebe. Das bestätigen auch die nach diesem Modell unselbstständig Beschäftigten, die etwa von einer Fünf-Tageswoche zu je elf Stunden/Tag berichten. Nur eine:r der Interviewten gibt in diesem Zusammenhang an, mit 20 Stunden/Woche lediglich Teilzeit zu arbeiten. Anders sieht es mit Blick auf die Arbeitszeiten der nach dem Provisionsmodell unselbstständig Beschäftigten sowie der selbstständigen Taxilenker:innen aus.* In Bezug auf erstere Gruppe ist in den Interviews von Fünf- bis Sechs-Tageswochen zu je 14 bis 15 Stunden, dh von einer 70-90 Stundenwoche die Rede. Von den Interviewten äußert sich lediglich ein:e Fahrer:in, der:die nach diesem Modell arbeitet, zu seinen:ihren Arbeitszeiten – und spricht dabei von einer Fünf-Tages- bzw 70-Stundenwoche. Ähnlich verhält es sich bei den Selbstständigen, wo konkret etwa von einer Sechs- bis Sieben-Tages- bzw 66- bis 77-Stundenwoche die Rede ist.*

Was die Kontrolle der Arbeitszeit anbelangt, gibt es laut den Interviews im Verhältnis zwischen Uber und den „Flotten-Partnern“ bzw ihren Fahrer:innen keinerlei Vorgaben. Dh, wann die App aktiviert bzw deaktiviert wird, um einen Dienst zu beginnen bzw zu beenden, obliegt ausschließlich den Fahrer:innen. Im Falle unselbstständig Beschäftigter stimmt das freilich nur insofern, als sie nicht mit ihrem AG fixe Dienstzeiten verabredet haben, was insb bei Fahrer:innen mit einem eigenen Auto nicht der Regel entspricht. Doch auch unselbstständig Beschäftigten mit fixen Dienstzeiten ist es häufig selbst überlassen, ob sie bspw über Uber oder einen Taxistandplatz Kund:innen akquirieren.

Gefragt nach Zeiten, die für die Arbeit aufzuwenden sind, ohne dass man dafür bezahlt werde, meinen einige der nach Kollektivvertragsmodell unselbstständig Beschäftigten, dass es so etwas in ihrem Fall nicht gebe. Bei nach dem Provisionsmodell unselbstständig Beschäftigten bzw selbstständigen Fahrer:innen sind in erster Linie Stehzeiten und Leerfahrten ein großes Thema, wobei diese für die Taxi-Branche allgemein kennzeichnend seien. Von zentraler Bedeutung in dem Zusammenhang ist in den Interviews jedoch die Frage von Staus bzw allgemein von hohem Verkehrsaufkommen, weil solche Zeiten angesichts des Systems von vorab vereinbarten Fixpreisen bei Uber zwangsläufig unbezahlte Arbeitszeit seien. Viele halten vor diesem Hintergrund fest, tagsüber überhaupt nicht über Transportplattformen zu fahren.

Gefragt nach arbeitsbedingten Aufwendungen, die für den Job erforderlich, aber selbst einzubringen sind, verweisen die Interviewten im Allgemeinen darauf, dass von Uber außer der App gar nichts gestellt werde, was viele nicht als weiter problematisch ansehen. Dabei ist freilich klar, dass die App von allen – also selbstständigen wie unselbstständigen – Fahrer:innen auf das Privathandy geladen wird.* Bei selbstständigen Fahrer:innen kommen das Auto sowie Ausgaben für dessen Erhalt (Service usw) bzw die Versicherung hinzu. Außerdem seien die (bei konstantem Tarif steigenden) Kosten für Sprit zu berücksichtigen.

Anders als die oben beschriebenen Lieferplattformen erfolgt bei Uber eine Bewertung der Fahrer:innen im Wege eines 5-Sterne-Systems durch die Fahrgäste und umgekehrt (Pkt 3.5 der „Uber-Nutzungsbedingungen“). Gemäß „Community- Richtlinien“ dürfen Fahrer:innen dabei eine gewisse Mindestbewertung nicht unterschreiten bzw werden andernfalls sanktioniert. Laut Website werden für die Berechnung des aktuellen Ratings die letzten 500 Bewertungen herangezogen. Auf der Uber-Website wird daneben auf das Prämienprogramm „Uber Pro“ verwiesen, in dessen Rahmen an „gute Fahrer:innen“ Punkte vergeben werden, um ihnen solcherart einen besonderen (zB Gold oder Diamond-)Status zu verleihen und sie mittels Prämien zu belohnen. In Bezug darauf ist neben dem Kund:innen-Rating auch eine sogenannte „Stornierungsrate“ sowie die Annahme (bestimmter) Fahrten von Relevanz. Uber behält sich in Pkt 5.6 der „Nutzungsbedingungen“ das Recht vor, unter bestimmten Voraussetzungen den Zugang zur App „vorübergehend oder dauerhaft ein[zu]schränken oder [zu] sperren“. Mehrere Interviewte erzählen, selbst bereits (mehrfach) Erfahrungen mit temporären Sperren durch Uber gehabt zu haben, wobei der Grund überwiegend (zu) niedrige Ratings gewesen seien. Gefragt danach, was neben niedrigen Kund:innenbewertungen noch eine Sperre bedingen könne, meinen manche, das nicht zu wissen, während andere auf zu hohe Stornierungsquoten verweisen. Bezüglich der Dauer der verhängten Sperren verweisen Fahrer:innen und Managementvertreter:innen gleichermaßen auf ein kumulatives Modell, in dessen Rahmen die Sperre mit jedem Mal verlängert werde. Letztlich werden genaue Gründe für Dauer oder Anlass einer Sperre aber nicht an die betroffenen Fahrer:innen kommuniziert, weshalb diese „bei Uber [...] überhaupt nicht transparent“* seien.

Ein anderer damit zusammenhängender Punkt, der von vielen kritisiert wird, betrifft die Frage, inwiefern die Möglichkeit besteht, Aufträge abzulehnen. In den „Uber-Nutzungsbedingungen“ ist in 13 Pkt 3.3 explizit festgehalten, dass Drittanbieter sich „frei entscheiden“ können, „eine Anfrage anzunehmen oder abzulehnen“. In Pkt 8.2 ist zudem festgehalten, dass unter bestimmten Bedingungen auch Stornierungen möglich seien. Im Falle von Uber sind sich die Interviewten so auch einig, dass es möglich ist, Aufträge nicht anzunehmen, und dass das nicht mit negativen Konsequenzen verbunden ist. Auch die Möglichkeit einer Stornierung bereits zugesagter Aufträge sei bei Uber gegeben, was in begründeten Fällen und bei einer entsprechenden Begründung (bei aggressivem Verhalten oder bei der Weigerung, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen) auch keine negativen Folgen habe. Mehrere der Interviewten meinen jedoch (mit Verweis auf eigene Erfahrungen), dass zu viele und vor allem unbegründete Stornierungen bei Uber eine temporäre Sperre zur Folge haben. Berichtet wird zudem davon, dass im Falle der wiederholten Nicht-Annahme von Aufträgen sich die App automatisch deaktiviere, was iS einer erzwungenen Pausierung von manchen als Sanktionierung erlebt wird. Während die Notwendigkeit von Letzterem im Management-Interview mit Verweis auf ein effizientes Dispatching bestätigt wird, stellt man die Möglichkeit einer dauerhaften Sperre aufgrund von Stornierungen in Abrede. Zugleich wird darauf verwiesen, dass es „Flotten-Partnern“ offenstehe, ihre Fahrer:innen nach eigenem Ermessen, gegebenenfalls also auch für Stornierungen, temporär zu sperren.

3.4.2.
Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

Bei der arbeitsrechtlichen Bewertung von Uber ist zwischen zwei Gruppen von Fahrer:innen zu unterscheiden, einerseits solche, die in einem Dienstverhältnis zu Flottenpartner:innen stehen, und andererseits solchen, die als selbstständige EPU tätig sind.

Bei den Solo-Selbstständigen stellt sich die Frage, ob diese wegen der starken Determinierung der Leistungserbringung durch die App nicht eigentlich als AN der App angesehen werden können. Dazu finden sich in den Interviews jedoch nur wenige Ausführungen, sodass auf Basis dessen keine fundierten Aussagen getroffen werden können. In der bestehenden Literatur finden sich gute Argumente, dass dies der Fall sein könnte.* Auch die Rsp in anderen europäischen Staaten ist zu einem solchen Ergebnis gekommen.*

Bei den bei Flottenpartner:innen angestellten Fahrer:innen zeigt sich, dass nicht erst durch die Plattformisierung rechtlich problematische Geschäftspraktiken in der Taxibranche üblich sind, sondern diese offensichtlich unabhängig von der Plattformbeschäftigung bestehen. Konkret geht es um das „Provisionsmodell“, das eine eingehende Untersuchung verdienen würde und das hier nur kurz bewertet werden kann. Bei Anwendbarkeit eines KollV stellt dessen Mindestentgelt die Untergrenze für jegliche flexible Entlohnung (hier die Erfolgsbeteiligung am Fuhrlohn) dar. Zudem sind auch alle Arbeitszeiten (so auch Warte- und Stehzeiten) zumindest mit dem kollektivvertraglichen Mindestlohn zu entlohnen. Das führt letztlich dazu, dass durch das „Provisionsmodell“ nur eine Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestlohnes erfolgen kann.*

Wenn bei den angestellten Fahrer:innen zwar zumindest der Vertragsstatus klar ist, so stellt sich doch die Frage, ob im Falle der Annahme und Ausführung eines Auftrages über die Transportplattform diese nicht AG-Befugnisse in einem Ausmaß ausübt, dass sie als Beschäftigerin iSd AÜG angesehen werden kann und sie damit bestimmte Verantwortlichkeiten treffen.* Dies wurde bereits vom OLG Wien* in Bestätigung einer unterinstanzlichen Entscheidung zumindest indirekt angenommen, da offensichtlich der gesamte Arbeitsablauf über Uber organisiert und abgewickelt wurde. Es spricht jedenfalls vieles dafür, dass das der Fall ist und dass Uber somit die Pflichten eines Beschäftigers für die Dauer der Abwicklung einzelner über die Plattform vermittelter Aufträge nach dem AÜG treffen. Dies ist deshalb der Fall, da diesfalls die Kommunikation überwiegend direkt über die App mit den einzelnen Fahrer:innen abgewickelt wird und somit ein direkter Weisungszusammenhang besteht.

3.5.
Personentransport: Bolt
3.5.1.
Organisation der Leistungserbringung

Ähnlich Uber (Pkt 3.4.1.) fasst auch Bolt seine eigene Rolle im Dreieck zwischen Plattform, sogenannten „Flotten-Partnern“ und Kund:innen, gleich einleitend zu den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Flottenpartner/Fahrer“ als das Anbieten einer „Plattform, auf der sich Fahrgäste mit den Flottenpartnern verbinden können, um die Bereitstellung von Taxidiensten anzufordern“, zusammen.* Durchgeführt werden die über die App bestellten Fahrten also auch im Falle von Bolt von Drittanbieter:innen, wobei – analog zu Uber – in Österreich lange Zeit mit Mietwagenunternehmen kooperiert wurde und nun eine Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem neuen „Personenbeförderungsgewerbe mit PKW – Taxi“ erfolgt. Wie bei Uber ist es auch bei Bolt üblich – wie ein:e Fahrer:in es formuliert – „mischmasch“*77) zu fahren, dh über diverse Kanäle (verschiedene Apps, Taxistandplatz usw) gleichzeitig Aufträge zu lukrieren.

Ebenso wie bei Uber gilt auch im Falle von Bolt, dass darüber vermittelte Taxifahrer:innen entweder selbstständig oder unselbstständig erwerbstätig sind. Bei den Selbstständigen können wiederum EPU und Taxiunternehmen mit Beschäftigten unterschieden werden. In letzterem Fall handelt es 14 sich um die unselbstständig Beschäftigten besagter Unternehmen, die dem Bundes-Kollektivvertrag (KollV) für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW unterliegen (sollten). Wie oben (Pkt 3.4.1.) beschrieben, bestehen in der Praxis bei den angestellten Fahrer:innen unterschiedliche Entlohnungsmodelle, wie insb auch eine Bezahlung mit Anteilen aus den eingefahrenen Fahrtpreisen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird für die Plattform Bolt im Wesentlichen sinngemäß auf die Ausführungen zu Uber verwiesen, und es wird lediglich auf grundlegende Unterschiede bei der Arbeitsabwicklung eingegangen. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen ergibt sich ein Gleichlauf in vielen Aspekten auch daraus, dass die meisten der interviewten Fahrer:innen beide Plattformen nutzen.

Auch Bolt behalte aktuell eine Servicegebühr von 18 % ein (15 % Gebühr plus 3 % Umsatzsteuer), wobei die meisten interviewten Fahrer:innen betonen, dass die Höhe der Servicegebühr bei Bolt keinen großen Schwankungen unterliege. Was es aber sehr wohl gebe, seien auf einem Bonus-System basierende, temporäre Aktionen, in deren Rahmen für bestimmte Leistungen (bspw Anzahl erledigter Aufträge) bessere Konditionen (bspw Reduktion der Servicegebühren) in Aussicht gestellt werden. Der Grund für solche Aktionen liege darin, dass man angesichts der aktuellen Situation versuche, „die Fahrer ein bisschen an[zu]locken“.*

Diesen positiven Aspekten, die Bolt offensichtlich gegenüber anderen Transport-Plattformen auszeichnen, steht ein zentraler Nachteil gegenüber, der in allen Fahrer:innen-Interviews Erwähnung findet. Diesen zufolge wird von der Bolt-App nämlich bei einem angebotenen Auftrag lediglich der Abholort von Kund:innen angezeigt. Wohin die Fahrt geht und welcher Fixpreis vereinbart wurde, wird erst nach Abholung der Kund:innen sichtbar – und mithin zu einem Zeitpunkt, wo die Fahrt kaum noch abgelehnt werden könne. Eine:r der interviewten Fahrer:innen formuliert es metaphorisch: „Bolt ist so wie ein dunkler Keller. Wir wissen nicht, wo wir hingehen. Wir wissen nicht, was wir bekommen.“* Bei Bolt kaufe man sozusagen also die „Katze im Sack“ – und nahezu alle Fahrer:innen berichten von Erlebnissen, wo ihnen „zu einem absurden Preis [...] eine irrsinnige Fahrt“* vermittelt worden sei; oder wo für eine Kurzstrecke lange Anfahrtszeiten in Kauf genommen werden mussten. In Bezug darauf werde seit Kurzem in der App zwar angezeigt, wenn es sich um eine sogenannte „Langstreckenfahrt“ handle, wobei auch das zu wenig konkret sei, um eine informierte Entscheidung fällen zu können.

Das Bewertungsmodell von Bolt ist ähnlich jenem von Uber ausgestaltet, wobei jedoch kleine Unterschiede bestehen. Laut Pkt 8 der AGB gibt es bei

Bolt zwei unterschiedliche Bewertungssysteme, die sogenannte „Bewertung“, die von Kund:innen durchgeführt wird und die „Aktivitätswertung“, die „auf dem Akzeptieren, Ablehnen, Nichtreagieren und Abschließen von Taxidiensten basier[t]“ (Pkt 8.2). Aus den FAQs auf der Website geht dabei hervor, dass erstere jeweils anhand der letzten 40 bewerteten Fahrten, letztere anhand der letzten 80 angebotenen Fahrten berechnet wird. Unterschreitet eines der beiden Ratings einen gewissen Grenzwert, drohen Sanktionen. Damit im Zusammenhang steht die Frage, ob bzw unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, Aufträge abzulehnen. In den FAQs auf der Bolt-Website wird explizit darauf hingewiesen, dass Bestellungen nicht angenommen bzw auch noch nach Annahme von den Fahrer:innen storniert werden können, wobei negative Konsequenzen nicht ausgeschlossen werden. In den Beschäftigten-Interviews wird bestätigt, dass es im Falle von Bolt möglich sei, Aufträge abzulehnen bzw auch zu stornieren. Beides wirke sich idR jedoch negativ auf die Aktivitätswertung aus und könne so eine temporäre Sperre zur Folge haben, was von vielen als „unfair“* wahrgenommen wird. Solche (temporären) Sperren des Zugangs zur App sind in Pkt 13 der Bolt-AGB vorgesehen. In Pkt 8.3 wird zwar darauf verwiesen, dass unterdurchschnittliche Bewertungen alleine nicht Grund für eine Kündigung sein können, unterschreiten die Ratings von Fahrer:innen aber regional festgelegte Grenzwerte, kann es laut Website aber zu einer temporären Sperre des Accounts kommen.* Mehrere der interviewten Fahrer:innen erzählen, selbst bereits (mehrfach) Erfahrungen mit temporären Sperren durch Bolt gehabt zu haben, wobei der Grund überwiegend (zu) niedrige Kund:innen- bzw Aktivitätswertungen gewesen seien. In Zusammenhang mit letztgenannter Wertung gebe es bei Bolt auch Sperren dafür, zu viele Fahrten zu stornieren.* Was die Länge der verhängten Sperren anbelangt, handle es sich laut den interviewten Fahrer:innen auch bei Bolt um ein kumulatives Sanktionsmodell, in dessen Rahmen die Sperre mit jedem Mal um ein paar Tage verlängert werde, wobei freilich auch der jeweilige Grund der Sperre in Rechnung zu stellen sei. Letztlich werden die genauen Gründe für die Dauer oder den Anlass einer Sperre aber nicht an die betroffenen Fahrer:innen kommuniziert, wobei es bei Bolt zumindest möglich sei, sich nach dem Anlass und der Dauer einer Sperre zu informieren und darauf eine Antwort zu erhalten.

3.5.2.
Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

Auch wenn sich die Funktionalität von Bolt für die Fahrer:innen in Details unterschiedlich gestaltet, so entspricht die Leistungsorganisation im Wesentlichen der in Pkt 3.4. dargestellten Plattform Uber. Aus Platzgründen sei daher auf die unter Pkt 3.4.2. getätigten Aussagen zu verweisen. Dabei ist hervorzuheben, dass bei Bolt offensichtlich noch intensivere Bindungen bestehen,– was die Verpflichtung bei aktiver App betrifft – Aufträge anzunehmen, da 15 im Ablehnungsfall Sanktionen drohen. Das ist insb im Zusammenhang damit zu sehen, dass bei Aufträgen erst bei Annahme relevante Informationen über Abhol- und Zielort erteilt werden.

3.6.
Reinigungsdienstleistungen: ExtraSauber
3.6.1.
Organisation der Leistungserbringung

ExtraSauber ist eine Plattform für die Vermittlung von Reinigungsdienstleistungen, die 2014 vom Wiener Start-up extrafrei GmbH gegründet wurde und die mittlerweile in sechs österreichischen Städten bzw Regionen präsent ist. Zudem erfolgte im Jahr 2019 eine Expansion nach Deutschland und 2021 in die Schweiz. In den Partner-AGB („Über uns“) ist explizit festgehalten, dass ExtraSauber selbst keine Reinigungsdienste anbietet, sondern „ein Marktplatz [ist], auf dem sich unabhängige Auftragnehmer für Dienstleistungen (,Dienstleister‘) mit Auftraggebern (,Nutzer‘) zusammenfinden“. Laut dem ExtraSauber-Management-Interview setzen sich die „Auftragnehmer:innen“ (sogenannte „Partnerunternehmen“) dabei aktuell – bezogen auf das Auftragsvolumen – zu rund einem Drittel aus EPU und zu rund zwei Dritteln aus Reinigungsunternehmen mit Beschäftigten zusammen. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, geben die meisten Interviewten an, nicht exklusiv via ExtraSauber zu arbeiten, sondern neben den über die Plattform vermittelten Kund:innen insb auch Privatkund:innen zu haben. Vor allem bei Klein- und Kleinstunternehmen dominieren jedoch die über ExtraSauber akquirierten Aufträge. „Auftraggeber:innen“ wiederum, die die Plattform nutzen, sind laut Management- Interview überwiegend Privat- und nur zum kleineren Teil Geschäftskund:innen. Dabei sei der Anteil letzterer, die sich ua dadurch auszeichnen, dass sie für gewöhnlich – iS eines Abos – regelmäßige Reinigungstermine bspw für ihre Büro- oder Geschäftsräumlichkeiten buchen, zuletzt jedoch im Steigen begriffen gewesen.

Im Allgemeinen wird über die Plattform Extra- Sauber eine breite Palette unterschiedlichster Reinigungsdienstleistungen angeboten.* In Bezug auf Privatkund:innen gibt es dabei neben der sogenannten „Standardreinigung“ eine Vielzahl von Spezialreinigungen (zB sogenannte „Messie- Reinigung“ für stark verunreinigte Wohnungen). In letzterem Fall werden zwischen dem Extra- Sauber-Support Team und den Kund:innen individuelle Preise vereinbart und die Reinigungsaufträge in der Folge in einem internen Pool vergeben.* Im Falle der „Standardreinigung“ können Kund:innen eine Reinigung zu einem vorab fixierten Preis über die App oder Website bestellen. Zu diesem Zweck müssen sie Informationen zur Wohnung bekanntgeben (zB Größe, Anzahl der Zimmer). Auf der Basis dieser Informationen errechnet der ExtraSauber-Algorithmus für die zum jeweiligen Wunschtermin verfügbaren Reinigungsarbeiter: innenpreise.* Mit Blick auf diese Preise sowie die Profile der Reinigungskräfte (Informationen zur Person, Foto, Kund:innenbewertung) können die Kund:innen alsdann einen konkreten Reinigungsauftrag buchen. Damit der ExtraSauber-Algorithmus für die „Standardreinigung“ mit Blick auf die verfügbaren Reinigungskräfte einen Preis errechnen kann, müssen „Partnerfirmen“ im Zuge des Registrierungsprozesses für sich (im Falle von EPUs) bzw für ihre Beschäftigten eine Reihe von Informationen bekanntgeben. Konkret geht es um (a) die zeitliche Verfügbarkeit (dh die Zeiten, zu denen Reinigungsdienste gebucht werden können); (b) den Mindestbestellwert (dh den Preis, den eine Bestellung mindestens haben muss, um akzeptiert zu werden);* und (c) Stundenkalkulationssätze (dh den Satz, der für die Kalkulation des Preises pro Stunde für die jeweilige Reinigungskraft zu berücksichtigen ist).

Reinigungskräfte, die ihre Aufträge (teilweise) über ExtraSauber vermittelt bekommen, sind entweder selbstständig oder unselbstständig erwerbstätig. In ersterem Fall können wiederum EPU und Reinigungsunternehmen mit Beschäftigten unterschieden werden. In letzterem Fall handelt es sich um die unselbstständig Beschäftigten dieser (Sub-)Unternehmen, die dem Rahmen-KollV für Arbeiter:innen/Arbeiter in der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung, im sonstigen Reinigungsgewerbe und in Hausbetreuungstätigkeiten unterliegen (sollten). Die Frage, ob – trotz des häufigen Verweises auf die große Bedeutung informeller Beschäftigungsverhältnisse in der Reinigungsbranche – die existierenden formellen Beschäftigungsverhältnisse in (arbeits-)rechtlicher und kollektivvertraglicher Hinsicht (überwiegend) bestehenden Normen entsprechen, kann auf der Basis der erhobenen Daten nicht beantwortet werden. In einigen Interviews gab es jedoch Hinweise auf Bedingungen (zB stark schwankende Arbeitszeiten an bis zu sieben Tagen die Woche ohne Ruhetag; Arbeit auf Abruf ohne längerfristige Perspektiven; fehlendes Wissen über Zuschläge und Sonderzahlungen oÄ), die an der Rechtskonformität mancher Beschäftigungsverhältnisse zweifeln lassen.

Selbstständige Reinigungskräfte haben durch den erwähnten, im Zuge der Registrierung zu definierenden Stundenkalkulationssatz direkten Einfluss auf ihren Stundenverdienst. ExtraSauber definiert diesbezüglich eine Art „Mindestsatz“, wobei dieser in Reaktion auf das Fairwork-Feedback von € 15,– auf € 20,– brutto die Stunde erhöht wurde. Im Management- und in mehreren Beschäftigten-Interviews wurde zugleich darauf verwiesen, dass die von den selbstständigen Reinigungskräften 16 gewählten Sätze vielfach über dem genannten Mindestsatz – konkret bei rund € 22,– bis € 27,– – liegen.

Anders stellt sich die Situation im Falle von unselbstständig beschäftigten Reinigungskräften von sogenannten „Partnerunternehmen“ dar, weil deren Stundenkalkulationssätze durch die AG bestimmt werden und keine notwendige Beziehung zwischen diesen Sätzen und dem tatsächlichen Verdienst der Reinigungskräfte besteht. In den „Partner-AGB“ findet sich jedoch ua die Verpflichtung, „Mindestlohnvorgaben“ einzuhalten, dh dass Beschäftigte entsprechend den Vorgaben des KollV entlohnt werden müssen. Der anwendbare Reinigungs-KollV definiert dabei (seit 1/2021) eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden (§ 6 Abs 1) sowie (Mindest-)Stundenlöhne für sechs Lohngruppen zwischen € 9,38 und € 11,43 brutto. Hinzu kommen Zuschläge und Sonderzahlungen (§§ 10 und 13 des KollV). Bis vor Kurzem gab es bei ExtraSauber jedoch abgesehen von der erwähnten Verpflichtung in den AGB kein Auditing-Verfahren, mit dessen Hilfe überprüft worden wäre, inwiefern „Partnerunternehmen“ sich an diese halten. Zwischenzeitlich wurde ein solches Verfahren jedoch implementiert.

Vom Bruttowert aller über die Plattform vermittelten Aufträge behält ExtraSauber, wie seitens des Managements bestätigt wird, 20 % als Plattformgebühr ein. In den Interviews mit den Reinigungskräften wird diese Gebühr von den meisten eigenständig angesprochen, was auf die Bedeutung des Themas verweist. Anders als etwa im Bereich des Personentransports wird die Höhe der Gebühr dabei jedoch nur vereinzelt – und auch in diesen Fällen nur sehr verhalten – kritisch kommentiert. Andere verteidigen sie sogar mit Verweis bspw auf die dadurch eingesparten Service- und Werbekosten, weshalb gelte: „[E]s tut weh, aber es ist ein Ding der Notwendigkeit.“*88) Neben der als eine Art Provision anfallenden Plattformgebühr gibt es bei ExtraSauber auch sogenannte PRO-Lizenzen, über die mehrere der Interviewten verfügen. Gegen eine monatliche Gebühr von zuletzt € 59,– erhalten Reinigungsunternehmen im Rahmen dieser Lizenz verschiedene Leistungen (ua einen ergonomischen Transportrucksack sowie Reinigungsmittel), vor allem jedoch eine bessere Reihung am Portal (unabhängig von den Kund:innenratings).

Was die Arbeitszeit anbelangt, berichten sowohl selbstständige als auch unselbstständige Reinigungskräfte von rund 20 bis 30 Wochenstunden, die alleine für die über ExtraSauber vermittelten Aufträge aufgewandt werden. Die meisten verweisen dabei jedoch auf – je nach Auftragslage – mehr oder weniger stark schwankende Arbeitszeiten sowie im Falle der selbstständigen EPU auch auf bis zu zehn zusätzliche Wochenstunden für Privatkund:innen. Zumindest für die interviewten Selbstständigen ist die Entscheidung für Teilzeit dabei auch insofern selbstbestimmt, als aktuell aus persönlichen Gründen (zB aufgrund von Betreuungspflichten) nicht mehr möglich sei, wenngleich über ExtraSauber durchaus die Option einer Aufstockung auf Vollzeit bestehe.

Was die Kontrolle der Arbeitszeit betrifft, sind – wie oben bereits angesprochen – von „Partnerunternehmen“ bereits im Zuge des Registrierungsprozesses Verfügbarkeiten auszuweisen. Jenseits dieser Zeiten, die im Falle der selbstständigen Reinigungskräfte weitgehend selbstbestimmt festgelegt werden können, ist die Buchung eines Reinigungsauftrags nicht möglich. Im Falle unselbstständiger Reinigungskräfte definieren die AG die Verfügbarkeit ihrer Beschäftigten, weshalb diese mit den vereinbarten Dienstzeiten übereinstimmen (sollten). Während der mit „verfügbar“ ausgewiesenen Zeiten hingegen haben (auch selbstständige) Reinigungskräfte wenig Einflussmöglichkeiten, weil sie hier zur Verfügung stehen müssen – und zwar insofern auch relativ kurzfristig, als (je nach Einstellung) vielfach noch am Vorabend bis 19 Uhr Aufträge für den Folgetag hereinkommen können. Eine Ablehnung von Aufträgen während der Verfügbarkeit ist im Regelfall nämlich nicht (kostenfrei) möglich (dazu unten).

Gefragt nach Zeiten, die für die Arbeit aufzuwenden sind, ohne dafür bezahlt zu werden, meinen die meisten Interviewten, dass es so etwas bei ExtraSauber grundsätzlich nicht gebe. Ein spezielles Thema sind jedoch die Fahrtzeiten: Laut dem Management-Interview werde bei der Berechnung des Preises für einen Auftrag über ExtraSauber nämlich neben der für die Reinigung selbst erforderlichen Zeit auch die für die An- bzw Rückfahrt notwendige Zeit berücksichtigt (konkret bspw in der Stadt eine Stunde pro Auftrag). Seitens der interviewten Reinigungskräfte wird das überwiegend so bestätigt, wohingegen Einzelne davon nichts wissen und das entsprechend als unbezahlte Arbeitszeit wahrnehmen.

Gefragt nach arbeitsbedingten Aufwendungen, die für den Job erforderlich, aber selbst einzubringen sind, verweisen die Interviewten auf eine Reihe von Aspekten: (1) Zum ersten wird bereits auf der Website von ExtraSauber darauf hingewiesen, dass „Reinigungsmittel oder Reinigungsgeräte“ von den Reinigungskräften zu stellen sind. Explizit von dieser Regelung ausgenommen ist lediglich der Staubsauger im Rahmen der Standardreinigung. Den müssen Kund:innen zur Verfügung stellen, was idR auch passiere. Alle übrigen Reinigungsutensilien – vom Wischmobb über den Putzkübel bis zu den Putzlappen – sind von den Reinigungskräften einzubringen. Dasselbe gilt in Bezug auf die Reinigungsmittel, wobei es hier für „Partnerunternehmen“ möglich ist, im 2020 etablierten Online-Shop von ExtraSauber – als „umweltschonend“ ausgewiesene – Mittel zu reduzierten Preisen zu erstehen, wovon auch viele der Interviewten Gebrauch machen. Eine Bezifferung der damit verbundenen Kosten sei jedoch schwer. (2) Hinzu kommen zum zweiten die Kosten für den Transport, sei es mittels öffentlicher Verkehrsmittel oder – was aufgrund des Umfangs der zu transportierenden Reinigungsgeräte und -mittel die Regel zu sein scheint – mittels eigenem Auto. (3) Zum dritten ist es auch in *88) der Reinigungsbranche üblich, dass die Plattform- 17 arbeitenden die App als zentrales Werkzeug auf ihr privates Smartphone laden und dieses ebenso wie zentrales Zubehör (zB mobile Daten) mithin unentgeltlich für ihre Lohnarbeit nutzen. (4) Und viertens ist in den Partner-AGB von ExtraSauber („I. Allgemeines“) explizit festgehalten, dass gegenüber der Plattform „eine Haftpflichtversicherung mit einer dauerhaften Mindestdeckungssumme von 1 Million EUR je Schadensfall nachzuweisen“ ist. Laut Management-Interview seien damit je nach Unternehmen Kosten im Umfang von ca € 25,– bis € 40,–/Monat verbunden.

Was die Reihung der Angebote am Portal durch einen Algorithmus betrifft, so sind dafür nach Wahrnehmung der Interviewten zwei Faktoren von Relevanz: Von zentraler Bedeutung sind die Kund:innen-Ratings, es spielt aber auch eine Rolle, ob eine Pro-Lizenz erworben wurde oder nicht. Abgesehen davon artikulieren einige die Einschätzung, das Funktionieren des Algorithmus bzw dessen Ergebnisse seien (zu) wenig nachvollziehbar bzw für sie nicht im Detail verständlich.

Letzteres gilt mehr noch für die Kund:innen-Bewertungen selbst. Manche der Interviewten schildern in diesem Zusammenhang den allgemeinen Eindruck, nicht korrekt bewertet zu werden; andere verweisen lediglich auf einzelne Ratings, die aus ihrer Perspektive nicht nachvollziehbar waren. In Bezug auf solche aus Beschäftigten-Perspektive fragwürdige Bewertungen gebe es zwar grundsätzlich die Möglichkeit, sich zu beschweren, was zur Folge habe, dass ExtraSauber dem nachgehe (dh die verschiedenen Perspektiven einhole usw). Gegenüber der Wirkmächtigkeit bzw Effektivität solcher Beschwerden werden – zT unter Verweis auf entsprechende Erfahrungen – jedoch Zweifel artikuliert.

Ein anderer, in den Beschäftigten-Interviews problematisierter Punkt betrifft die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen. Es ist während der als „verfügbar“ ausgewiesenen Zeit zwar grundsätzlich möglich, über die Funktion „Auftrag ablehnen“ einlangende Buchungen abzulehnen, in den Partner-AGB („I. Allgemeines“) ist dazu jedoch explizit festgehalten: „Die Kosten einer Ablehnung betragen 15,00 EUR und steigen, je näher der Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung rückt, bis maximal 45,0 EUR an.“ Im Management- wie auch in Beschäftigten-Interview(s) wird diesbezüglich zwar betont, dass das in der Praxis insofern weniger streng gehandhabt und häufig mit Kulanz reagiert werde, was vom Zeitpunkt der Ablehnung und der Begründung dafür abhänge. Grundsätzlich kann in solchen Fällen jedoch die dargelegte Ablehnungsgebühr verhängt werden, was auch passiere. Ein konkreter Aspekt dieser Problematik wurde in Reaktion auf Anregungen aus dem Fairwork-Netzwerk zwischenzeitlich jedoch entschärft: Konnten bislang nämlich auch im Falle krankheitsbedingter Ablehnungen bzw Absagen die erwähnten Gebühren anfallen, ist nunmehr in den Partner-AGB explizit geregelt, dass dies unter der Bedingung einer zeitnahen Übermittlung ärztlicher Atteste zukünftig nicht mehr passiere.

3.6.2.
Arbeitsrechtliche Einordnung und Bewertung

Reinigungsplattformen wurden in der Vergangenheit, abseits eines Beitrags von Warter* zu einer nicht mehr in Österreich aktiven Plattform, arbeitsrechtlich noch wenig untersucht, weshalb hier kaum auf Vorüberlegungen zurückgegriffen werden kann. Auf den ersten Blick jedenfalls erscheint hier die Plattform weniger kleinteilig auf die Leistungserbringung Einfluss zu nehmen und sich tatsächlich auf die Vermittlung einzelner Reinigungsaufträge und die Zahlungsabwicklung zu beschränken. Es spricht daher vieles dafür, dass hier die Verträge tatsächlich zwischen den Dienstleistungsempfänger:innen (Kund:innen) und den Reinigungsunternehmen zu Stande kommen.

Ob im Falle von EPU dann mit den Kund:innen Dienstverträge, freie Dienstverträge oder Werkverträge abgeschlossen werden, kann auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen nicht bewertet werden. Letztlich kommt es darauf an, inwieweit die Kund:innen die Leistungserbringung durch Weisungen näher gestalten oder ob diese davon unabhängig erbracht wird, dh ob hier Spielräume für die Reinigungskräfte bestehen.* Im Falle der Erledigung des Reinigungsauftrages durch DN eines Reinigungsunternehmens stellt sich dieselbe Frage unter etwas anderen Vorzeichen: Werden von diesen Weisungen das persönliche Verhalten bei der Arbeit direkt an die Reinigungskräfte betreffend gegeben, so liegt Arbeitskräfteüberlassung und keine bloße Werkvertragserbringung durch AN des Werknehmers vor – diesbezüglich bestehen Parallelen zu den Transportplattformen (siehe oben Pkt 3.3.2.), wobei hier aber nicht die Plattform, sondern die :innen als Beschäftiger:innen auftreten würden.*

Was sich aber durch die Interviews zeigt, ist der doch große Einfluss, den auch Vermittlungsplattformen auf die Arbeitsbedingungen der über sie vermittelten und abgewickelten Aufträge faktisch haben. Dies betrifft insb die „Mindestsätze“, die Kontrolle der Einhaltung von kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen durch Partnerunternehmen sowie auch den, hier aus Platzgründen nicht dargestellten, Umgang mit Diskriminierung und Belästigung der Reinigungskräfte durch Kund:innen.* Gerade dabei haben sich die positiven Effekte des Fairwork-Projektes als Aktionsforschung (dazu oben Pkt 1.) gezeigt, nämlich, dass durch den Austausch mit dem Management konkrete Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Plattformbeschäftigten erfolgt sind, wie insb eine Anhebung der Mindestsätze.

4.
Fazit

Die Fairwork-Studie für Österreich 2022 hat gezeigt, dass die ortsgebundene Plattformarbeit in Österreich vor allem durch ihre große Heterogenität 18 gekennzeichnet ist und dass sich diese nicht nur in den unterschiedlichen Geschäftsmodellen, sondern auch in der Einordnung der der Leistungserbringung zu Grunde liegenden Verträge widerspiegelt. Es lässt sich aber doch grundsätzlich beobachten, dass bei digitalen Arbeitsplattformen die allgemeine Tendenz herrscht, Fixkosten und damit verbundene unternehmerische Risiken und Verantwortlichkeiten möglichst auf die Plattformarbeitenden abzuwälzen.* Dies soll vor allem dadurch bewerkstelligt werden, dass maximale Flexibilität für die Plattformen hergestellt werden soll, dh dass das unternehmerische Risiko der Unterauslastung oder gar von Stehzeiten auf die Plattformbeschäftigten verlagert werden soll. Die dabei verwendeten Techniken sind bei den untersuchten Plattformen weniger die sehr kleinteilige Zerlegung der Arbeit,* sondern vielmehr Teilzeitbeschäftigungen, kurzfristig festgelegte Schichtpläne, Ausweitungen der vereinbarten Arbeitszeiten nach Bedarf und der Einsatz von (Schein-)Selbstständigkeit. Lediglich im Fall der Transportplattformen Uber und Bolt findet sich eine derartige Aufteilung betreffend die einzelnen Fahrten, wobei auch hier Anreiz-/Sanktionsmechanismen zum Einsatz kommen, die die Kurzfristigkeit der Verträge in Frage stellen.

Es hat sich zudem manifestiert, dass gerade die von zahlreichen Plattformen vorgenommene Einordnung der Plattformbeschäftigten als Selbstständige in vielen Fällen nicht unproblematisch ist, da hinsichtlich der Abwicklung der konkreten Leistungserbringung idR wenig Spielräume bestehen und eine engmaschige automatisierte Kontrolle insb über die App und Kundenbewertungen erfolgt. Wenn überhaupt besteht nur ein Spielraum hinsichtlich des Arbeitsvolumens bzw der Lage der Arbeitszeit, wobei aber auch hier häufig Mindestvorgaben bestehen, die eine Kontinuität des Vertragsverhältnisses nahelegen.

Ein weiterer in der Fairwork-Studie hervorgetretener Aspekt ist die Frage der Überlassung von bei Subauftragnehmer:innen angestellten Plattformbeschäftigten an die Plattform. Dass eine solche vorliegen kann, legt die unmittelbare Auftragserteilung und Kontrolle durch die App nahe und würde zu Verantwortlichkeit der Plattform als Überlasserin nach dem AÜG führen.

Der Entwurf der Europäischen Kommission für eine Plattformarbeitsrichtlinie,* sollte dieser angenommen werden, würde für die Plattformbeschäftigten hinsichtlich der hier untersuchten arbeitsrechtlichen Aspekte Verbesserungen bringen. Er würde nämlich eine widerlegliche Vermutung für ein Arbeitsverhältnis einführen und so die Durchsetzung des AN-Status erleichtern. 19