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Eventualkündigung: Keine verpönte Motivkündigung iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG

MANFREDTINHOF

Eine AN focht eine Kündigung wegen Sozialwidrigkeit gem § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG an. Während des laufenden Verfahrens und noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses versuchte die AG erfolglos, in Entsprechung ihrer sozialen Gestaltungspflicht, einen adäquaten Ersatzarbeitsplatz für die AN zu finden und sprach deswegen eine Eventualkündigung aus, welcher auch der BR zustimmte. Der Grund sowohl für die erste als auch die zweite Kündigung war die Schließung eines Instituts und der Wegfall des Arbeitsplatzes der AN. Gegen die Eventualkündigung brachte die AN daraufhin Klage wegen Motivanfechtung gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ein, behauptete also, wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom AG in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gekündigt worden zu sein.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage der AN ab, der OGH wies ihre Revision zurück.

Es entspricht der gefestigten Rsp des OGH, dass eine Eventualkündigung durch den AG während der Dauer des Kündigungsanfechtungsverfahrens iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG zulässig ist. Eine solche Eventualkündigung ist als Kündigung unter einer Rechtsbedingung aufzufassen, sodass dies zu keiner unzumutbaren Ungewissheit für den gekündigten AN führt. Unter diesem Gesichtspunkt begegnet es beim OGH keinen Bedenken, dass die AG die Anlass dieses Verfahrens bildende Kündigung im Laufe des ersten Kündigungsanfechtungsverfahrens „aus Vorsichtsgründen“ ausgesprochen hat.

Zu 8 ObA 63/12s (vgl infas 2013 A 27) hat der OGH klargestellt, dass das Bestreben des AN, nicht gekündigt zu werden, angesichts der im österreichischen Arbeitsrecht geltenden Kündigungsfreiheit keinen durch § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geschützten Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis darstellt. Der AG stellt daher mit einer Eventualkündigung für den Fall des Erfolgs der Anfechtung der ersten Kündigung nicht einen offenbar nicht unberechtigten Anspruch des AN aus dem Arbeitsverhältnis in Frage. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Eventualkündigung (nur) in Reaktion auf die Anfechtung der ersten Kündigung sei kein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG, steht mit dieser E in Einklang. Schon in Anbetracht der Änderung der Verhältnisse zwischen der Kündigung und der Folgekündigung (Bemühungen der AG um Ersatzarbeitsplatz, Zustimmung des BR) vermag die AN ein zu missbilligendes Motiv nicht zur Darstellung zu bringen.294