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Verpflichtung, Dienstkleidung am Dienstort anzulegen: Umkleidezeit ist Arbeitszeit

GERDAHEILEGGER
§ 2 Z 1 KA-AZG; § 2 Abs 1 Z 1 AZG; Art 2 Z 1 RL 2003/88/EG
OGH
17
5
2018
, 9 ObA 29/18g

Müssen AN Dienstkleidung tragen, die sie nicht nach Hause mitnehmen dürfen, so handelt es sich beim Umkleiden am Dienstort und dem Zurücklegen der Wegstrecke zwischen der Umkleidestelle und der eigentlichen Arbeitsstelle um primär im Interesse des AG gelegene arbeitsleistungsspezifische Tätigkeiten und damit bereits um Erfüllungshandlungen des arbeitsvertraglich Geschuldeten. Sie weisen ein solches Maß an Fremdbestimmung auf, dass sie als Arbeitszeit anzusehen sind.

SACHVERHALT

Die Bekl betreibt 19 Landeskliniken an 27 Standorten. Der Kl ist der bei der Bekl errichtete Zentralbetriebsrat.

In der jeweiligen Anstaltsordnung ist angeordnet, dass die AN die für ihre Berufsgruppe vorgesehene Dienst- und Schutzkleidung zu tragen haben. Das Anlegen der Dienstkleidung erfolgt im Auftrag und Interesse der Bekl als DG aus hygienischen, organisatorischen und rechtlichen Gründen: Die Dienstkleidung hat eine gewisse Schutzwirkung vor Kontamination mit Keimen und dient außerdem einem „nach außen hin Kenntlich-Machen“ der Krankenhausbediensteten gegenüber Patienten, Besuchern, Rettungs- und Krankentransportdiensten etc. Zum rechtlichen Aspekt steht fest, dass die Aufbereitung der Dienstkleidung (fachgemäße Reinigung und Lagerung) unter Einhaltung validierter Rahmenbedingungen in Wäschereien mit entsprechendem Hygienezertifikat vom AG auf dessen Kosten vorzunehmen ist. Die Dienstkleidung muss vor Arbeitsbeginn angezogen werden. Das Tragen der Dienst- und Schutzkleidung außerhalb des Krankenhausareals ist nicht zulässig. Die gebrauchte Dienstkleidung muss in der Klinik abgelegt werden und darf aus hygienischen und rechtlichen Gründen nicht mit nach Hause genommen werden.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Kl beantragte die Einrechnung der Zeit für das An- und Ausziehen der Dienstkleidung einschließlich der innerbetrieblichen Wegzeiten von der Umkleidestelle oder Wäscheausgabestelle zum dienstlichen Tätigkeitsbereich und umgekehrt in die Dienstzeit.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Der OGH gab der Revision der Bekl keine Folge.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

1. Gemäß § 2 Z 1 Krankenanstalten-ArbeitszeitG (KA-AZG) gilt als Arbeitszeit im Sinne des Bundesgesetzes die Zeit vom Dienstantritt bis zum Dienstende ohne die Ruhepausen.

Gemäß § 32 Abs 1 NÖ L-BG und § 14 Abs 1 Nö LVBG ist Dienstzeit die Zeit der Dienststunden, der Überstunden und des Bereitschaftsdienstes (Abs 6), während derer der Vertragsbedienstete verpflichtet ist, seiner dienstlichen Tätigkeit nachzugehen.

Wenngleich diese Definitionen mit jener der Arbeitszeit in § 2 Abs 1 Z 1 AZG als Zeit ‚vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen‘ nicht deckungsgleich sind, wird damit jeweils im Kern beschrieben, dass die Arbeitszeit beginnt, sobald der AN in Entsprechung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung seine Arbeit aufnimmt oder dem AG zur Aufnahme der Arbeit zur Verfügung steht (s Pfeil in ZellKomm2 § 2 AZG Rz 2; Grillberger in Grillberger, AZG3 § 2 Rz 3). Die Verfügbarkeit des AG über die Arbeitskraft des AN innerhalb eines bestimmten Zeitraums unabhängig von einem bestimmten Arbeitserfolg ist dem Arbeitsvertrag auch wesensimmanent (RIS-Justiz RS0021494; RS0021284).

2. Beim Verständnis von Arbeitszeit ist auch auf Art 2 Z 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-RL) Bedacht zu nehmen. Arbeitszeit ist danach jede Zeitspanne, während der ein AN gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem AG zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Der EuGH hat dazu in der Rs C-266/14, Tyco, mwN wiederholt, dass die RL keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsieht (Rn 26). Dafür, dass der AN während der Arbeitszeit dem AG zur Verfügung stehen muss, ist der Umstand entscheidend, dass der AN verpflichtet ist, sich an einem vom AG bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können (Rn 35). Ein AN steht also nur dann seinem AG zur Verfügung, wenn er sich in einer Lage befindet, in der er rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines AG Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben (Rn 36). Dagegen spricht es dafür, dass der betrachtete Zeitraum keine Arbeitszeit im Sinne der RL ist, wenn die AN ohne größere Zwänge über ihre Zeit verfügen und ihren eigenen Interessen nachgehen können (Rn 37). Auch Fahrzeiten von AN ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort, die für die täglichen Fahrten zwischen Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten vom AG bestimmten Kunden aufzuwenden waren, wurden danach als ‚Arbeitszeit‘ im Sinne der Bestimmung qualifiziert.

3. Der Oberste Gerichtshof hat in zwei Entscheidungen (9 ObA 89/02g; 9 ObA 133/02b [Zirkusmu-298siker: Anziehen der Uniform vor einer Vorstellung im Wohnwagen]) festgehalten, dass die Zeit, die ein AN vor seinem Eintreffen an der Arbeitsstätte zum Anziehen seiner Arbeitskleidung benötigt, im Allgemeinen nicht als Arbeitszeit zu werten ist. Konstellationen, in denen dies allenfalls anders zu sehen wäre – etwa die Notwendigkeit einer großen Zeitaufwand erfordernden Kostümierung –, müssten behauptet und bewiesen werden.

Diese Rechtsprechung indiziert die Notwendigkeit einer Differenzierung.

4. […] Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 (66 ff), führt in Analyse des Arbeitszeitbegriffs der Arbeitszeit-RL aus, die Richtlinie wolle nicht undifferenziert alle Zeiten des Zur-Verfügung-Stehens in die Arbeitszeit einbeziehen; umgekehrt sollten aber Zeiten, in denen der AN eine für den AG relevante Aufgabe erfülle, dem Arbeitszeitbegriff der Richtlinie nicht entzogen sein. Von einer Aufgabenerfüllung könne man nur sprechen, wenn der AN in der Gestaltung der Zeit in einem Mindestmaß an Intensität nicht autonom, sondern für den AG agiere. Es müsse sich um Zeiten handeln, in denen der AN Handlungen setze, die nicht Ausfluss seiner eigenen Gestaltung seien, sondern Ausfluss der Fremdbestimmung durch den AG. Sei der AN in dieser Entscheidung allerdings gebunden, liege jenes Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung vor, das es rechtfertige, von einer Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den AG zu sprechen. Unter dem Blickwinkel der Aufgabenerfüllung erfasse der Arbeitszeitbegriff so gesehen alle Zeiten, bei denen der AN in der Gestaltung seines Tuns in örtlicher oder inhaltlicher Hinsicht eingeschränkt sei. Das Anlegen einer Dienstkleidung in einer Krankenanstalt für Ärzte und Pflegepersonal sei eine Tätigkeit, die im Auftrag und Interesse des AG erfolge. Dieser sei aus hygienischen und organisatorischen Gründen als ordentlicher sorgfältiger Unternehmer verpflichtet, unter seiner Verantwortung gereinigte und für die jeweiligen Berufsgruppen einheitliche Dienstkleidung zur Verfügung zu stellen. Die hygienischen Verpflichtungen des Krankenanstaltenträgers könnten – anders als etwa beim Personal eines Verkehrsunternehmens – nicht bloß durch fachgemäße Reinigung erfüllt werden, sondern setzten auch eine Lagerung der Dienstkleidung bis unmittelbar vor Dienstbeginn voraus, die den üblichen hygienischen Ansprüchen genügten. Darüber hinaus erfolge mit berufsgruppenspezifischer Dienstkleidung ausreichend organisatorische Klarheit in der Zuordnung von Personal bestimmter Kategorien sowohl für Patienten als auch für das Personal selbst. Das Tragen spezifischer Dienstkleidung zähle zum in Österreich vorausgesetzten Organisationsstandard einer Krankenanstalt und sei auch ausnahmslos vorgeschrieben. An- und Auskleiden in Krankenanstalten seien daher dem Arbeitszeitbegriff zuzurechnende Tätigkeiten.

Auch Klein in Heilegger/Klein, AZG4 § 2 Rz 9 differenziert, in wessen Interesse die Durchführung von Tätigkeiten bzw Wahrnehmung von Funktionen durch den AN erfolge. Vollends deutlich werde die Zuordnung, wenn der AG nicht nur eine spezifische Arbeitskleidung vorschreibe, sondern zugleich anordne, dass diese jedenfalls im Betrieb zu verbleiben habe und dort an- und auszuziehen sei. Diese ausschließlich vom AG veranlassten Tätigkeiten am Arbeitsort hätten keinen erkennbaren Bezug zur Interessensphäre des AN und fielen daher sicher nicht in die Ruhezeit, in der die AN über ihre Zeit verfügen und ihren eigenen Interessen nachgehen könnten.

Das Berufungsgericht folgte schon in einer früheren rechtskräftigen Entscheidung unter ausführlicher Analyse auch der deutschen Lehre und Rechtsprechung der Ansicht Mazals (9 Ra 149/16x mwN zur Rechtsprechung des BAG). Die Entscheidung wurde zustimmend besprochen (Kaya, Umkleidezeit als Arbeitszeit, DRdA-infas 2017, 314).

5. Auch der erkennende Senat schließt sich im vorliegenden Fall insbesondere den Erwägungen von Mazal an. Hervorzuheben ist, dass die AN hier nicht nur arbeitsvertraglich verpflichtet sind, Dienstkleidung zu tragen, sondern auch, dass sich diese Verpflichtung – anders als in den den Entscheidungen 9 ObA 89/02g und 9 ObA 133/02b zugrunde liegenden Fällen – aufgrund einer Anordnung des AG darauf erstreckt, die Dienstkleidung ausschließlich im Krankenhaus zu wechseln. Damit ist nicht nur das An- und Ablegen der Dienstkleidung als solches vorgegeben. Der AN kann auch nicht mehr entscheiden, ob er die Dienstkleidung zuhause oder im Betrieb an- und ablegt, sondern hat dafür eine von ihm einzuhaltende konkrete räumliche Vorgabe des AG. Dass der Weisung des AG eine öffentlich-rechtliche Rechtsvorschrift zugrunde liegt, unterstreicht dabei nur, dass der Umkleidevorgang vor Ort primär in seinem Interesse liegt. Die arbeitsvertragliche Verpflichtung des AN zum Umkleiden vor Ort geht hier weiter mit der Verpflichtung zum Abholen und Zurückgeben der Dienstkleidung im Betrieb einher, sie umfasst daher auch die damit verbundenen Wegstrecken zwischen den Umkleidestellen, Wäscheautomaten und der eigentlichen Arbeitsstelle. All das geht über die bloße Möglichkeit des Umkleidens im Betrieb hinaus. Ist ein AN aber so weit gebunden, dass er bei einer solchen Handlung auch über seinen Aufenthaltsort nicht selbst entscheiden kann, ist ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung gegeben, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den AG zu bejahen ist.

6. Zählt das Umkleiden einschließlich der Wegzeiten damit aber bereits zu den Erfüllungshandlungen des arbeitsvertraglich Geschuldeten, trifft es entgegen der Revision der Bekl nicht zu, dass die AN während des Umkleidens und der Wegzeiten nicht in der Lage wären, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Sollte dem die Erwägung299zugrunde liegen, dass die vertraglichen Verpflichtungen auf die ‚Kernarbeit‘ im eigentlichen Sinne einzuschränken seien, würde der Begriff der Arbeitszeit unzureichend erfasst.

7. Angesichts der festgestellten Weg- und Umkleidezeiten ist auch keine Atomisierung des Arbeitszeitbegriffs (vgl Resch, Umkleidezeit und Beginn der Arbeitszeit, RdW 2015, 109 ff, 111 ff) zu befürchten. Auch die vermeintliche Beliebigkeit der Dauer des Umkleidens spricht nicht gegen die Wertung als Arbeitszeit, weil das Tempo einer Arbeitsleistung idR eine individuelle Komponente hat und ‚Trödeln‘ grundsätzlich nicht mit der Disqualifikation der geleisteten Zeit als Arbeitszeit zu sanktionieren ist. Ob sich AN dann gegen ein Drängen des AG auf rasches Umkleiden wehren würden, ist hier ebenso wenig zu beurteilen wie allfällige Unterbrechungen der Arbeitszeit (Rauchpausen oä) vor Aufnahme oder nach Beendigung der Arbeit auf den Stationen.

8. Zusammenfassend sind die Umkleidezeiten und die damit verbundenen innerbetrieblichen Wegzeiten im vorliegenden Fall primär im Interesse des AG gelegene arbeitsleistungsspezifische Tätigkeiten. Sie weisen ein solches Maß an Fremdbestimmung auf, dass es gerechtfertigt ist, sie als Arbeitszeit iSd genannten Bestimmungen anzusehen.“

ERLÄUTERUNG

Die Frage, wie Umkleidezeiten arbeitszeitrechtlich zu werten sind, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt (allerdings können Kollektivverträge Bestimmungen dazu enthalten). Klar ist, dass Ankleidezeiten zu Hause ebenso wie die Wegzeit in die Arbeit grundsätzlich in die Privatsphäre der AN fallen und somit nicht zur Arbeitszeit zählen. In diesem Sinne entschied der OGH im Fall von Zirkusmusikern (OGH9 ObA 89/02gDRdA 2001, 177 und 9 ObA 133/02bDRdA 2003, 66), dass die Zeit, die die AN vor ihrem Eintreffen an der Arbeitsstätte zum Anziehen der Uniform benötigen, im Allgemeinen nicht als Arbeitszeit zu werten ist. Konstellationen, in denen dies allenfalls anders zu sehen wäre – etwa die Notwendigkeit einer einen größeren Zeitaufwand erfordernden Kostümierung – müssten behauptet und bewiesen werden.

Ganz anders sind Umkleidezeiten allerdings zu bewerten, wenn AN sich nicht zu Hause, sondern im Betrieb umziehen müssen. So hat das OLG Wien bereits in der rechtskräftigen E 9 Ra 149/16x (DRdA-infas 2017, 314) im Fall von Gastronomiemitarbeitern festgehalten, dass Umkleidezeiten als Arbeitszeit zu werten sind, wenn die AN dazu verpflichtet sind, sich im Betrieb umzuziehen und die Arbeitskleidung nicht schon zu Hause anlegen dürfen. Mit der vorliegenden E bekräftigt der OGH diese Auffassung und schafft damit die klare Rechtsprechungslinie, dass bei Verpflichtung, die Dienstkleidung ausschließlich am Dienstort zu wechseln, eine solche Intensität an Fremdbestimmung gegeben ist, dass schon im Umkleiden eine Aufgabenerfüllung für den AG zu sehen ist und daher Umkleide- und damit verbundene betriebsinterne Wegzeiten zur Arbeitszeit zählen.