Replik zu Jabornegg, Anm zu OGH 9 ObA 133/12t DRdA 2013/53 (Nichtigkeit einer über das ArbVG hinausgehenden Betriebsratsfreistellung

ANDREASGERHARTL (WIEN)

In der E OGH9 ObA 113/12t qualifizierte der OGH die gänzliche Dienstfreistellung eines Betriebsratsmitglieds für die Durchführung von Gewerkschaftsaufgaben „analog § 117 ArbVG“ als gesetzwidrig und daher iSd § 879 ABGB nichtig. Im Folgenden wird kurz zur zustimmenden Besprechung dieser E durch Jabornegg in DRdA 2013/53, 522 Stellung genommen. Dabei wird insb auf die Kritik an meiner Entscheidungsbesprechung in ZAS 2013/37, 228 eingegangen.

Nach § 117 ArbVG ist eine bestimmte (von der Zahl der beschäftigten AN abhängige) Zahl von Betriebsratsmitgliedern auf Antrag des BR unter Fortzahlung des Entgelts zur Gänze von der Arbeitsleistung freizustellen. Der Wortlaut dieser im Übrigen viele Fragen aufwerfenden Bestimmung (zB Zulässigkeit von Teilfreistellungen, Geltung des „Alles-oder-nichts“-Prinzips)* ist zwar insofern eindeutig, als – anders als etwa nach der Rechtslage in Deutschland – ein Anspruch auf Freistellung zusätzlicher Betriebsratsmitglieder (bei Nachweis eines Bedarfes daran) ausgeschlossen wird, besagt aber nichts über die Zulässigkeit einer Vereinbarung zwischen Betriebsinhaber (BI) und BR über die Freistellung einer über § 117 ArbVG hinausgehenden Zahl von Betriebsratsmitgliedern. Aus dem Zweck der Bestimmung, einer Pauschalierung der Amtsfreistellung iSd § 116 ArbVG und (damit verbunden) einer Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten im Einzelfall,* lässt sich ebenfalls kein dahingehendes Verbot ableiten, da bei Vorliegen der Bereitschaft des BI, zusätzliche Freistellungen zu vereinbaren, eine konträre Situation vorliegt: Der BI bestreitet in diesem Fall ja nicht die Notwendigkeit von Freistellungen, sondern räumt – im Gegenteil – die Zweckmäßigkeit zusätzlicher Freistellungen ein. Diese Frage kann also nicht so eindeutig und zweifelsfrei beantwortet werden, dass divergierende Auffassungen a priori ausgeschlossen oder denkunmöglich sind, sondern es handelt sich mE um eine spannende und diffizile rechtsdogmatische Problemstellung.

Für die Ansicht, dass es möglich sei, über § 117 ArbVG hinausgehende Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern wirksam zu vereinbaren,* lässt sich mE etwa der Schutzzweck der Norm ins Treffen168 führen, denn stimmt der BI zunächst der Freistellung zu, beruft sich in Folge aber auf die Unwirksamkeit dieser Vereinbarung, so zeigt dies wohl, dass der BR (anders als möglicherweise vom BI erwartet) seine Tätigkeit (nach wie vor) im Interesse der Belegschaft ausübt. Es erscheint daher zumindest nicht apodiktisch, dass eine über § 117 ArbVG hinausgehende Freistellung von Betriebsratsmitgliedern als nichtig iSd § 879 ABGB (sodass sich auch der BI auf die Nichtigkeit berufen kann) zu qualifizieren ist. Auch aus dem Gebot der Ehrenamtlichkeit der Mandatsausübung lässt sich mE wenig gewinnen. Zum einen setzt eine Verletzung dieses Grundsatzes ja das Vorliegen eines ungebührlichen Vorteils und daher die Unzulässigkeit der zusätzlichen Freistellungen voraus. Zweitens dient die Vereinbarung einer Dienstfreistellung für Betriebsratstätigkeiten der Erleichterung der Wahrnehmung der Aufgaben des BR und entfaltet für das freigestellte Betriebsratsmitglied daher lediglich „Reflexwirkung“.

Im gegenständlichen Fall wurde aber ohnehin keine Dienstfreistellung für Betriebsratszwecke, sondern für Gewerkschaftsaufgaben vereinbart. Unter Zugrundelegung der (offenbar – zumindest prinzipiell – auch von Jabornegg geteilten*) Prämisse, dass Betriebsratsaufgaben ein aliud zu Gewerkschaftsaufgaben darstellen, handelte es sich somit um keine Freistellung iSd § 117 ArbVG. Die Behauptung, meine (kritischen) Überlegungen würden „erst dann Sinn machen, wenn eine Ehrenamtlichkeit der BR-Mitgliedschaft und § 117 ArbVG als dispositiv betrachtet werden“, ist daher unrichtig.* Es verwundert demnach auch nicht, dass das Erstund das Berufungsgericht die Problemstellung unter einem anderen Fokus, nämlich dem Aspekt der Gegnerunabhängigkeit, betrachteten. Dabei gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, durch die Freistellung zweier Gewerkschaftsmitglieder begebe sich die betreffende Teilgewerkschaft oder gar der gesamte ÖGB mit Sicherheit nicht in eine von § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG verpönte finanzielle Abhängigkeit. Das Berufungsgericht befand, es könne nicht ernsthaft vertreten werden, dass die Freistellung von zwei Beschäftigten für Gewerkschaftstätigkeiten, also die Finanzierung zweier Gewerkschaftsfunktionäre, auch nur im Ansatz geeignet sei, die Unabhängigkeit der Willensbildung im ÖGB bzw der einer Teilgewerkschaft zu gefährden.

Aus der Entscheidungsbegründung geht mE nicht klar hervor, welche Position der OGH zu dieser Frage einnimmt.* Unabhängig davon, ob man der E im Ergebnis beipflichtet oder nicht, bleibt daher mE letztlich offen, ob der OGH (zumindest im konkreten Fall) nicht zwischen Betriebsratstätigkeiten und Gewerkschaftsaufgaben differenziert oder diese Unterscheidung zwar vornimmt, aber – anders als das Erst- und Berufungsgericht – eine Verletzung des Prinzips der Gegnerunabhängigkeit verortete. Die Relevanz der Rechtsgrundlage zeigt sich aber schon daran, dass die Argumentation nicht auf die §§ 115 und 117 ArbVG gestützt werden könnte, wäre der freigestellte AN – anders als im konkret zu entscheidenden Fall – kein Betriebsratsmitglied. Erachtet man eine Dienstfreistellung zur Durchführung von Gewerkschaftsaufgaben aber etwa lediglich als zulässig, wenn der freigestellte AN kein Betriebsratsmitglied ist, gerät man jedoch mE in Konflikt mit dem Verbot der Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern.