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Kein Insolvenz-Entgelt für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft

SANDRAWOLLIGGER (SALZBURG)
  1. Bei der Frage der Einbeziehung in den Schutzbereich des IESG ist stets auf die Zweckbestimmung der IESG-Sicherung Bedacht zu nehmen.

  2. Nach der speziellen IESG-rechtlichen Wertung schließt eine Position im Arbeitsleben, die dem Betroffenen rechtlich oder faktisch die Unternehmer-(AG-)Funktion gegenüber den „normalen“ AN eines Unternehmens zuordnet, den Schutz nach den Bestimmungen des IESG aus.

  3. Ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft ist mangels persönlicher Abhängigkeit keinesfalls AN, sondern allenfalls nur freier DN.

  4. Aus der grundsätzlich unbeschränkten Leitungsgewalt des Vorstands und der Befugnis, in allen Geschäftsbereichen selbständig entscheiden zu können, folgt, dass die Ausübung der AG-Funktion in der Aktiengesellschaft dem Vorstand zukommt. Er gehört damit nicht zum Kreis der nach § 1 Abs 1 IESG geschützten Personen.

Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 10.9.2012 wurde [...] über das Vermögen der M Aktiengesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kl war seit 3.3.2001 Vorstandsvorsitzender der späteren Schuldnerin. Der Vorstand bestand zunächst aus drei Mitgliedern, in den letzten beiden Jahren vor Insolvenzeröffnung nur mehr aus dem Kl. Der Aufsichtsrat setzte44 sich aus drei Mitgliedern zusammen; dazu gehörte die Gattin des Kl. Nach dem Anstellungsvertrag vom 29.1.2001 war der Kl alleine zeichnungsberechtigt. Nach der Geschäftsordnung für den Vorstand bedurften etliche Geschäfte der vorherigen Genehmigung des Aufsichtsrats, darunter etwa der Abschluss und die Auflösung von Anstellungsverträgen mit einem Jahresbruttogehalt von mehr als 60.000 €, der Abschluss von Betriebsvereinbarungen oder die Festlegung von Grundsätzen über die Gewährung von Leistungsprämien oder Bilanzgeldern an leitende Angestellte. Der Kl gewährte Urlaube an die (wenigen) Beschäftigten. In Absprache mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden stellte er neue Mitarbeiter ein. Nach Rücksprache mit dem früher für Personal zuständigen Vorstandsmitglied löste er Dienstverhältnisse durch Kündigungen oder Entlassungen auf. Er gab auch Dienstanweisungen und war „als Chef“ Ansprechpartner in allen arbeits- und dienstrechtlichen Belangen. In diesen Funktionen eines AG gegenüber den AN unterlag er keiner Einwirkung des Aufsichtsratsvorsitzenden. Er war in allen Geschäftsbereichen selbständig und frei in der Entscheidung und trat auch gegenüber den Beschäftigten als AG auf.

Der Kl begehrte Insolvenz-Entgelt für laufendes Entgelt, Sonderzahlungen, Abfertigung, Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung. Seine AN-Eigenschaft ergebe sich daraus, dass er nach dem ASVG sozialversichert und zudem lohnsteuerpflichtig sei. Außerdem habe die spätere Schuldnerin für ihn Insolvenz-Entgeltsicherungsbeiträge abgeführt. Mit Rücksicht auf die Fülle genehmigungspflichtiger Agenden sei er de facto in wichtigen Fragen weisungsgebunden gewesen.

Die Bekl entgegnete, dass der Kl als Vorstand einer Aktiengesellschaft nicht nach dem IESG anspruchsberechtigt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gem § 1 Abs 6 Z 2 IESG idF BGBl I 2005/102seien nur mehr Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zustehe, vom Anspruch auf Insolvenz- Entgelt ausgenommen. Die Versagung von Insolvenz- Entgelt könne daher nicht mehr auf die Organstellung eines Vorstandsmitglieds, wohl aber auf das Fehlen der AN-Eigenschaft gestützt werden. Bei unternehmertypischen Handlungen und der Befugnis, in allen Geschäftsbereichen selbständig entscheiden zu können, sei eine AN-Eigenschaft zu verneinen. Der Kl habe als Vorstandsvorsitzender vorwiegend AG-Funktionen ausgeübt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Der Anstellungsvertrag des Vorstands einer Aktiengesellschaft sei kein Arbeitsvertrag, sondern ein freier Dienstvertrag. In die dem Vorstand gem § 70 AktG zustehende Leitungsbefugnis dürfe weder durch die Satzung noch durch den Vorstandsvertrag eingegriffen werden. Der Kl könne nicht als freier DN iSd § 4 Abs 4 ASVG angesehen werden, weil Vorstandsmitglieder von dieser Bestimmung nicht erfasst seien. Dies ergebe sich schon daraus, dass lohnsteuerpflichtige Vorstände nach § 4 Abs 1 Z 1 ASVG und nicht lohnsteuerpflichtige Vorstände nach § 4 Abs 1 Z 6 ASVG pflichtversichert seien. Dem Gesetzgeber könne nicht die Absicht unterstellt werden, auch Vorstände einer Aktiengesellschaft in den Kreis der sicherungsberechtigten Personen einzubeziehen. Auf die Insolvenz-RL könne sich der Kl nicht berufen, weil die RL nur für Ansprüche von AN aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen AG gelte. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Gegen diese E richtet sich die außerordentliche Revision des Kl, die auf eine gänzliche Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer – aus eigenem erstatteten – Revisionsbeantwortung beantragt die Bekl, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil zur Frage, ob ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft in den Schutzbereich des § 1 Abs 1 IESG fällt, eine gesicherte Rsp des OGH fehlt. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1.1 Bis zur Änderung des § 1 Abs 6 IESG durch die Novelle BGBl I 2005/102waren Mitglieder des Organs einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, sowie leitende Angestellte generell vom Anspruch auf Insolvenz-Entgelt ausgeschlossen (8 ObS 8/13d). In Umsetzung der Änderungs-RL 2002/74/EG zur Insolvenz-RL 80/987/EWG (spätere Neukodifikation durch die RL 2008/94/EG) wurde § 1 Abs 6 Z 2 IESG (ab 1.10.2005) dahin geändert, dass nur mehr Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zusteht, vom Anspruch auf Insolvenz-Entgelt ausgenommen werden (8 ObS 27/07i).

Dieser Ausnahmetatbestand ist für jene Fälle von Bedeutung, bei denen die übrigen Anspruchsvoraussetzungen (zB AN-Eigenschaft) erfüllt sind. Aus diesem Grund konnte nach der Rechtslage ab Oktober 2005 die Versagung von Insolvenz-Entgelt nicht mehr für sich allein auf die Organstellung eines Vorstandsmitglieds gestützt werden.

1.2 Nach der neuen Rechtslage ab Jänner 2008 (durch die Novelle BGBl I 2007/104, später idF BGBl I 2010/29) haben (zunächst nach § 2a IESG und nunmehr nach § 1 Abs 1 IESG) folgende Personen Anspruch auf Insolvenz- Entgelt: AN, freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG sowie Heimarbeiter und ihre Hinterbliebenen sowie ihre Rechtsnachfolger von Todes wegen, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis (freien Dienstverhältnis, Auftragsverhältnis) stehen oder gestanden sind. Dabei ist vom innerstaatlichen arbeitsrechtlichen Begriff des AN bzw des freien DN auszugehen. Dementsprechend richtet sich beispielsweise der in § 1 Abs 1 IESG verwendete AN-Begriff nach dem innerstaatlichen Recht und ist mit jenem des Arbeitsvertragsrechts des ABGB ident (RIS Justiz RS0076462; 8 ObS 27/07i).

Die Maßgeblichkeit des innerstaatlichen Rechts steht mit der Insolvenz-RL im Einklang. Der Schutz der RL gilt überhaupt nur für (echte) AN; für die Anspruchsberechtigung freier DN bietet die RL keine Grundlage. Nach Art 2 Abs 2 lässt die RL hinsichtlich der Begriffsbestimmung des AN das nationale Recht unberührt.

2.1 Während nach nationalem Recht der angestellte Fremdgeschäftsführer einer GmbH entweder AN (bei wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit) oder freier DN sein kann (8 ObS 8/13d; vgl auch 8 ObS 8/12b), ist ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft mangels persönlicher Abhängigkeit keinesfalls45 AN, sondern allenfalls nur freier DN (RIS Justiz RS0027993; 8 ObS 27/07i).

2.2 Nach § 1 Abs 1 IESG sind (nur) freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG anspruchsberechtigt.

Die Eigenschaft als freier DN iS dieser Bestimmung ist durch die Verpflichtung zur regelmäßig wiederkehrenden (vgl 8 ObS 8/12b), (im Wesentlichen) persönlichen Erbringung von Dienstleistungen aufgrund eines freien Dienstvertrags (ohne persönliche Abhängigkeit, aber im Rahmen einer unselbständigen Tätigkeit) gegenüber einem DG ohne (wesentliche) eigene Betriebsmittel charakterisiert.

In der E 8 ObS 13/12pwurde zur Frage der Erfassung der Ansprüche eines gewerberechtlichen Geschäftsführers ausgeführt, dass die Abgrenzung des freien Dienstvertrags von anderen Vertragstypen, wie etwa dem Werkvertrag, aber auch von einem nicht dem ASVG unterliegenden freien Dienstvertrag, nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfolgen könne und dementsprechend keine erhebliche Rechtsfrage darstelle. In der E 8 ObS 8/13dwurde zu einem geschäftsführenden Gesellschafter ausgesprochen, dass es für die Abgrenzung zwischen einem freien DN und einem Unternehmer nur auf die wirtschaftliche Bestimmungsbefugnis ankommen könne. Wenn dem Geschäftsführer selbst ein erheblicher, selbstbestimmter Einfluss auf die Willensbildung in der Generalversammlung zukomme, sei es durch das Ausmaß eigener Gesellschaftsanteile, die Gestaltung des Gesellschaftsvertrags oder aber rein faktisch, und sich sein Handeln nicht primär als Verwaltung fremden Gesellschaftsvermögens im Interesse der Gesellschafter, sondern als unternehmerische Tätigkeit unter Verfolgung eigener Vorstellungen und wirtschaftlicher Interessen darstelle, sei er weder AN noch freier DN im arbeitsrechtlichen Sinn. Die Übernahme des unternehmerischen Risikos spreche als wesentlicher Aspekt für die AG-Stellung und gegen ein (auch nur freies) Dienstverhältnis.

2.3 Nach den dargestellten Grundsätzen entspricht es bereits der Rsp, dass unternehmerische Tätigkeit iS erheblicher rechtlicher und faktischer Einflussmöglichkeiten auf die Willensbildung eines Unternehmens nicht vom Schutzbereich des IESG erfasst ist.

2.4 Bei der Frage der Einbeziehung in den Schutzbereich des IESG ist stets auf die Zweckbestimmung der IESG-Sicherung Bedacht zu nehmen. Diese besteht in der Abnahme des versicherten Risikos, nämlich der von AN und freien DN iSd § 4 Abs 4 ASVG typischerweise nicht selbst abwendbaren und absicherbaren Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RIS Justiz RS0076409; 8 ObS 12/12s).

Nach dieser speziellen IESG-rechtlichen Wertung schließt eine Position im Arbeitsleben, die dem Betroffenen rechtlich oder faktisch die Unternehmer-(AG-)Funktion gegenüber den „normalen“ AN eines Unternehmens zuordnet, den Schutz nach den Bestimmungen des IESG aus.

Während die Abgrenzung zwischen echtem Arbeitsvertrag, freiem Dienstvertrag und Werkvertrag nach vertragstypologischen Gesichtspunkten anhand der in der Rsp dazu entwickelten Kriterien vorzunehmen ist, muss für die Frage der Einbeziehung von Vorständen einer Aktiengesellschaft in den Schutzbereich des IESG somit auf das Kriterium der Ausübung der Unternehmerfunktion abgestellt werden.

3.1 § 70 Abs 1 AktG weist dem Vorstand die Befugnis und die Pflicht zur Leitung der Aktiengesellschaft und damit zur Vornahme aller Leitungsmaßnahmen zu. Die Leitung umfasst die Geschäftsführung im Innenverhältnis und die Vertretung der Aktiengesellschaft im Außenverhältnis. Nach dem Grundsatz des Vertretungsmonopols ist der Vorstand mit der allumfassenden Vertretungsbefugnis ausgestattet. Der Vorstand hat demnach das Unternehmen unter eigener Verantwortung grundsätzlich selbständig zu leiten. Er ist in allen Leitungsbelangen an keine Weisungen der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats gebunden (Nowotny in

Doralt/Nowotny/Kalss
, AktG2 Vor § 70 Rz 4 sowie § 70 Rz 2 und 6; vgl auch 4 Ob 163/02b).

Im Ergebnis hat der Vorstand die Aktiengesellschaft unter eigener Verantwortung so zu leiten, wie das Wohl des Unternehmens unter Berücksichtigung der Interessen der Aktionäre und der AN sowie des öffentlichen Interesses dies erfordert; er übt also die Unternehmerfunktion umfassend aus. An dieser Funktion der Vorstandsmitglieder ändert auch der Umstand nichts, dass sie wirtschaftlich betrachtet nicht Unternehmer sind (RIS Justiz RS0049383).

3.2 Zur grundsätzlich unbeschränkten Leitungsgewalt des Vorstands und der Befugnis, in allen Geschäftsbereichen selbständig entscheiden zu können, gehört auch die prinzipielle Kompetenz zum Einstellen von AN zur Entscheidung über die Höhe des Entgelts der Mitarbeiter oder zur Festlegung des Betriebsurlaubs. Daraus folgt, dass unter Berücksichtigung der Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 89 ff ArbVG) die Ausübung der AG-Funktion in der Aktiengesellschaft dem Vorstand zukommt (Strasser in

Jabornegg/Strasser
, AktG5 § 70 Rz 14).

In diesem Sinn hat das Erstgericht auch festgestellt, dass der Kl der Ansprechpartner in allen arbeits- und dienstrechtlichen Belangen war, er in diesen Funktionen eines AG gegenüber den AN keiner Einwirkung des Aufsichtsratsvorsitzenden unterlag und er gegenüber den Beschäftigten auch als AG auftrat.

3.3 Die Vorinstanzen sind daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Kl als Vorstand einer Aktiengesellschaft nicht zum Kreis der nach § 1 Abs 1 IESG geschützten Personen zählt.

4.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Seit der Rechtslage ab BGBl I 2007/104haben auch freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG Anspruch auf Insolvenz- Entgelt. Nach der Zweckbestimmung der IESGSicherung fallen typische unternehmerische Tätigkeiten sowie die besonderen Unternehmer-(AG-)Funktionen von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft aus diesem besonderen Schutzbereich heraus. In einer Aktiengesellschaft kommt dem Vorstand die Ausübung der Unternehmerfunktion zu. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist zwar allenfalls freier DN, er gehört aber nicht zum Kreis der nach § 1 Abs 1 IESG geschützten Personen.

4.2 Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision des Kl war daher der Erfolg zu versagen. [...]46

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Die vorliegende E, der sowohl im Ergebnis als auch in der sehr ausführlichen Begründung vollinhaltlich zuzustimmen ist, enthält dem Grunde nach nichts Neues. ISd hL und Rsp wurde vom OGH bestätigt, dass Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft keine AN iSd Arbeitsvertragsrechts sind.

Neu ist allerdings, dass erstmals, seit Organmitglieder einer juristischen Person nicht mehr generell vom Schutzbereich des IESG ausgenommen sind (Novelle BGBl I 2005/102) und seit auch freie DN in den Geltungsbereich einbezogen wurden (BGBl I 2007/104), die Frage der Anspruchsberechtigung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in einem IESGVerfahren zu prüfen war (vgl auch die Folge-E OGH 28.4.2014, 8 ObS 1/14a).

Interessant ist die E für die Praxis der Personalabrechnung, wie sich nicht zuletzt aus den seit Veröffentlichung der vorliegenden E publizierten Beiträgen in den Fachzeitschriften erkennen lässt (Schuster, ASoK 2014, 263; Shubshizky, ASoK 2014, 233; ders, ASoK 2014, 278; Kurzböck, PVP 2014/48, 178; Kocher, PV-Info 7/2014, 22): Die Sozialversicherungsträger haben bis dato die Rechtsansicht vertreten, dass aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Zuordnung von Vorstandsmitgliedern der IESG-Zuschlag abzuführen ist, auch wenn daraus nie eine „Gegenleistung“ in Form des Insolvenz-Entgelts resultieren kann (zB

OÖGKK
, DGService Dezember 2010, 15). Dieser Standpunkt ist damit nicht länger aufrechtzuerhalten. Aufgrund dieser E wird es in der Praxis zur Rückforderung der zu Unrecht abgeführten IESG-Zuschläge kommen.

2.
Geschützter Personenkreis

Vom Schutzbereich des IESG sind nach § 1 Abs 1 IESG AN, freie DN nach § 4 Abs 4 ASVG, Heimarbeiter und ihre Hinterbliebenen sowie ihre Rechtsnachfolger von Todes wegen erfasst.

Das IESG selbst wie auch die Insolvenz-RL 2008/94/EG definieren den Begriff AN nicht. Die Insolvenz-RL verweist auf den innerstaatlichen Begriff des AN (Art 2 Abs 2 RL).

Nach stRsp und Lehre ist der AN-Begriff des Arbeitsvertragsrechts als maßgeblich anerkannt worden, zumal der Arbeitsvertrag jene privatrechtlichen Ansprüche der DN regelt, die im Wesentlichen auch eine Sicherung nach dem IESG genießen (OGH8 ObS 44/95SSV-NF 10/43 = ARD 4815/1/97; RIS-Justiz RS0076462; OGH8 ObS 8/13dinfas 2014 A 54, 145 = ARD 6389/9/2014 = ZIK 2014/158, 114). Der Argumentation des Kl – der sich im Übrigen auch die Sozialversicherungsträger bedien(t)en –, dass der DN-Begriff des ASVG für die Auslegung des IESG heranzuziehen sei, hat das Höchstgericht abermals ein klare Absage erteilt (vgl schon OGH8 ObS 2049/96SSV-NF 10/89 =

).

Seit der IESG-Novelle BGBl I 2007/104sind auch freie DN nach dem IESG anspruchsberechtigt. Allerdings schränkt das Gesetz – vor dem Hintergrund des besonderen Schutzzweckes des IESG – den Personenkreis auf freie (arbeitnehmerähnliche) DN iSd § 4 Abs 4 ASVG ein (siehe zum Begriff Mosler in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm, § 4 ASVG Rz 189 mwN). Nach dieser besonderen Zweckbestimmung soll nur solchen Personen eine Entgeltsicherung zukommen, die mangels rechtlicher oder faktischer Einflussmöglichkeiten auf die Willensbildung des Unternehmens im Falle einer drohenden Insolvenz der Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche ausgesetzt sind, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen sind. Das sind (echte) AN und arbeitnehmerähnliche freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG.

Nicht-arbeitnehmerähnliche Personen bzw generell Personen, die die AG-Funktion wahrnehmen, können idR aufgrund der verstärkten unmittelbaren Einflussnahme und des persönlichen Einblicks in die Finanzlage des Unternehmens vorzeitig entsprechende Dispositionen treffen, um ihre Ansprüche zu wahren. Für sie besteht beispielsweise die Möglichkeit, die offenen Forderungen vor Insolvenzeröffnung gerichtlich geltend zu machen bzw allenfalls in Absprache mit dem AG bzw dessen Vertreter ein Versäumnisurteil zu erwirken. Aufgrund dieser besonderen – unternehmerähnlichen – Position ist ihnen ein Anspruch auf Insolvenzsicherung versagt.

Gem § 1 Abs 6 IESG haben bestimmte AN-Gruppen keinen Anspruch auf Insolvenz-Entgelt, wie beispielsweise Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zusteht (OGH8 ObS 27/07iwbl 2008/128, 282 = ecolex 2008/207, 565 = ARD 5891/7/2008 = RdW 2008/740, 796 = infas 2008 A 57, 134 = Arb 12.734 = DRdA 2009/43, 418 [Stadler] = SSVNF 22/3 = SZ 2008/3).

Bis zur Novelle BGBl I 2005/102waren ua Mitglieder des Organs einer juristischen Person, die zur gesetzlichen Vertretung berufen sind, generell vom Anwendungsbereich des IESG ausgeschlossen (§ 1 Abs 6 Z 2 aF), unabhängig davon, ob diese arbeitsvertragsrechtlich als AN zu qualifizieren waren oder nicht. Aufgrund der Vorgaben durch die Insolvenz-RL 2002/74/EG (nunmehr 2008/94/EG) wurde dieser Ausschlusstatbestand geändert, da grundsätzlich kein AN mehr von der Insolvenzsicherung ausgeschlossen werden kann. Seither haben somit jene Organmitglieder Anspruch auf Insolvenz-Entgelt, die aufgrund des schuldrechtlichen Vertragsverhältnisses als AN iSd Arbeitsvertragsrechts zu qualifizieren sind. Es ist damit in jedem Einzelfall zu prüfen, ob echte AN-Eigenschaft bzw freie DN-Eigenschaft nach § 4 Abs 4 ASVG besteht oder aber, ob die Tätigkeit aufgrund eines freien – nicht arbeitnehmerähnlichen – Dienstvertrages oder Werkvertrages oder sonstigen Auftrags entfaltet wird (Liebeg, IESG3 [2007] § 1 Rz 562). So können beispielsweise Vorstandsmitglieder einer Genossenschaft oder angestellte Fremdgeschäftsführer einer GmbH AN sein, wenn sie regelmäßig und dauerhaft Dienstleistungen in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit erbringen, oder freie DN, die weisungsfrei und ohne persönliche Abhängigkeit tätig werden (Gahleitner in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 [2011] § 1 IESG Rz 14, 16; vgl auch OGH8 ObS 8/12bDRdA 2013, 262 = Arb 13.073 = SSV-NF 26/63 = infas 2013 A18 = wbl 2012,704/267 = ecolex 2013/32, 61 = RdW 2013/164, 157 = ARD 6274/6/1012 [gewerberechtlicher Geschäftsführer]; 8 ObS 8/13dinfas 2014, 145 = ARD 6389/9/2014 = ZIK 2014, 114 = wbl 2014, 219).47

Die dargestellte Rechtlage bedeutet freilich nicht, dass Organmitglieder, die nicht als AN oder freie DN iSd § 4 Abs 4 ASVG zu qualifizieren sind, bei Insolvenz des Unternehmens generell keine Ansprüche gegen den Insolvenz-Entgelt-Fonds – auch nicht aus echten AN-Zeiten – stellen können (siehe 3.).

3.
Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft

Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft sind nach gefestigter Rsp keine AN iSd Arbeitsrechts (OGH9 ObA 2003/96sRdW 1997, 417= SZ 69/103; OGH8 Ob S 16/08ySSV-NF 22/76 = Arb 12.777; OGH8 ObS 27/07iwbl 2008/128, 282 = ecolex 2008/207, 565 = ARD 5891/7/2008 = RdW 2008/740, 796 = infas 2008 A 57, 134 = Arb 12.734 = DRdA 2009/43, 418 [Stadler] = SSVNF 22/3 = SZ 2008/3). Begründet wird dies damit, dass die Unabhängigkeit des Vorstandes einer Aktiengesellschaft in Ausübung seiner Geschäftsführungstätigkeit von den anderen Organen der Gesellschaft, die sich in einer völligen Weisungsfreiheit äußert, ein Wesenszug des österreichischen Aktienrechts sei und daher grundsätzlich die Eigenschaft als AN ausschließe (Löschnigg, Arbeitsrecht11 [2011] 203; OGH2 Ob 356/74Arb 9371; RIS-Justiz RS0027911 ua). In der Regel liegt ein freies Dienstverhältnis vor.

Wie der OGH und das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt haben, sind Vorstandsmitglieder aber keine freien DN iSd § 4 Abs 4 ASVG. § 4 Abs 4 IESG hat arbeitnehmerähnliche freie DN im Fokus. Vorstandsmitglieder üben vielmehr Unternehmensfunktionen weisungsungebunden aus und sind daher mangels ANEigenschaft und mangels AN-Ähnlichkeit (vgl auch die Rsp zu § 51 Abs 3 Z 2 ASGG betreffend „Nicht-Arbeitnehmerähnlichkeit“ von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften OGH9 ObA 2003/96sRdW 1997, 417 = SZ 69/103; OGH 29.5.1996, 9 ObA 2044/96w; OLG Wien9 Ra 4/14wARD 6404/8/2014; bestätigt durch OGH 26.5.2014, 8 ObA 33/14g) nicht vom sozialen Schutzzweck des IESG erfasst.

Im Übrigen sind Vorstandsvertragsverhältnisse generell nicht von § 4 Abs 4 ASVG erfasst. Sie sind bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen entweder nach § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG (lohnsteuerpflichtige Vorstandsmitglieder) bzw § 4 Abs 1 Z 6 ASVG pflichtversichert.

Die bloße Organstellung für sich allein kann jedoch allfällige Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt aus anderen Zeiträumen nicht verwirken (Gahleitner in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 [2011] § 1 IESG Rz 13): So wurde vom OGH in der E 8 ObS 27/07i (wbl 2008/128, 282 = ecolex 2008/207, 565 = ARD 5891/7/2008 = RdW 2008/740, 796 = infas 2008 A 57, 134 = Arb 12.734 = DRdA 2009/43, 418 [Stadler] = SSV-NF 22/3 = SZ 2008/3) klargestellt, dass ehemalige Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft für die Zeit nach der Organtätigkeit dann den Schutz des IESG genießen, wenn die ausgeübte Tätigkeit als echtes Arbeitsverhältnis oder freies Dienstverhältnis nach § 4 Abs 4 ASVG zu qualifizieren ist und keine missbräuchliche Gestaltung vorliegt. Eine Fortwirkung der „Nichtarbeitnehmereigenschaft“, wie sie von der Rsp zu § 1 Abs 6 Z 2 aF bejaht wurde, scheide im Geltungsbereich der IESG-Novelle 2005 grundsätzlich aus. Dies entbehre jeglicher gesetzlicher Grundlage und sei auch nicht mit der Insolvenz-RL vereinbar.

4.
Beitragspflicht

Die Finanzierung des Insolvenz-Entgelts erfolgt ua aus einem vom AG zu tragenden Zuschlag zum Arbeitslosenversicherungsbeitrag (§ 12 Abs 1 Z 4 IESG; im Folgenden kurz IESG-Zuschlag). Dieser für den vom IESG erfassten Personenkreis zu leistende Zuschlag, dessen Höhe entsprechend den finanziellen Erfordernissen (§ 12 Abs 2 und 3 IESG) jährlich durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz festgesetzt wird, ist gem § 12 Abs 4 IESG iVm § 5 AMPFG durch die Träger der gesetzlichen KV einzuheben und auf das Konto des Insolvenz-Entgelt-Fonds abzuführen. § 12 Abs 2 IESG stellt klar, dass für Personen nach § 1 Abs 6 IESG kein Zuschlag abzuführen ist und schließt die Beitragspflicht für Lehrlinge sowie Personen, die das 63. Lebensjahr vollendet haben, aus. Für Personen, die vom Schutzbereich des Gesetzes mangels AN-Eigenschaft generell ausgeschlossen sind, ist konsequenterweise ebenfalls kein IESG-Zuschlag abzuführen.

Für das Beitragsjahr 2015 wurde der Zuschlag mit 0,45 % der nach dem ASVG geltenden allgemeinen Beitragsgrundlage bis zur Höhe der gem § 45 ASVG in der PV festgelegten Höchstbeitragsgrundlage sowie der Beitragsgrundlage für Sonderzahlungen festgesetzt.

5.
Auswirkungen für die Praxis – Beitragspflicht trotz Leistungsausschluss?

Aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Qualifikation von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft als DN wurde von den Krankenversicherungsträgern bis dato die Ansicht vertreten, dass auch der IESG-Zuschlag für diese abzuführen sei. In der für Vorstandsmitglieder anzuwendenden Beitragsgruppe (D1p für lohnsteuerpflichtige Vorstandsmitglieder) wurde und wird nach wie vor der IESG-Zuschlag eingehoben. Nun haben die Gebietskrankenkassen kürzlich bestätigt, dass für Vorstände keine IESG-Zuschläge mehr abzuführen seien. Eine Umstellung der Beitragsgruppe wird Anfang Jänner 2015 erwartet.

In der Praxis wird die vorliegende E von vielen AG zum Anlass genommen werden, die in der Vergangenheit zu Unrecht abgeführten IESG-Zuschläge rückzufordern. Gem § 69 ASVG iVm § 5 AMPFG können ungebührlich entrichtete Beiträge, die innerhalb der letzten fünf Jahre entrichtet wurden, zurückgefordert werden. Dazu ist ein Antrag beim jeweiligen Krankenversicherungsträger zu stellen. Neben dem zu Unrecht entrichteten IESG-Zuschlag können auch die gesetzlichen Verzugszinsen gem § 1000 ABGB in Höhe von 4 % geltend gemacht werden.