Die Armutskonferenz (Hrsg)Was allen gehört. Commons – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung

Verlag des ÖGB, Wien 2013, 316 Seiten, € 14,90

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Das Thema „Commons“ stand im Mittelpunkt der 9. Österreichischen Armutskonferenz, die vom 22. bis 24.10.2012 in Salzburg stattfand. Unter Commons („Gemeingütern“) versteht man natürliche, kulturelle, technische, wissensbezogene und andere Ressourcen und Güter, die allen Mitgliedern einer Gesellschaft frei zugänglich sind. Sie sind also nicht „privatisiert“. Beispiele sind Luft, Wasser, Wälder, öffentliche Räume, aber auch Wissen, Bildung, Informationen, Kulturgüter, Recht, Sicherheit ua.

Die Bedeutung der Commons für eine faire und gerechte Gesellschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie sind Grundbestandteil und Voraussetzung gesellschaftlichen Wohlstands. Das gilt in besonderer Weise für Zeiten der Krise. Die Commons machen gegenwärtig schwere Zeiten durch. Die allgemein verfügbaren Gemeingüter werden zunehmend „privatisiert“ und aggressiven kapitalistischen Ausbeutungs- und Verwertungsprozessen überantwortet. Die Gier des Kapitals gerade nach den lebensnotwendigen und politisch sensiblen Gemeingütern ist ungebrochen und schafft fatale Abhängigkeiten. Sie geht Hand in Hand mit einer zunehmenden staatlichen Bereitschaft, dieser Maßlosigkeit nachzugeben: Wasser, Gene, Saatgut, Bildung, städtische60 Freiräume, öffentliche Verkehrsmittel, kostengünstige Formen der Heilkunst sollen marktmäßig organisiert werden. Armutspolitisch gesehen ist dies eine Enteignung vor allem der einkommensschwachen Schichten. Andererseits gibt es eine starke Gegenbewegung und zahlreiche erfolgreiche Projekte, von denen dieser Sammelband ausführlich berichtet. Neben der Wertschätzung für die ganz konkreten, auch armutspolitisch positiven Effekte von Commons sind diese inzwischen auch ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen Transformationsdebatte geworden. In der Armutspolitik hat die kollektive Komponente von sozialen Grundsicherungsstrategien bisher (zu) wenig Aufmerksamkeit erfahren. Commons sind aber die zweite Säule jeder erfolgreichen Armutsbekämpfung, ja es kann davon ausgegangen werden, dass eine an Gemeingütern reiche Gesellschaft eine weitgehend auch individuell armutsfreie Gesellschaft ist.

Eine Würdigung der zahlreichen Einzelbeiträge des vorliegenden Bandes ist hier nicht möglich. Die Fragestellungen reichen vom Thema „Betteln“ über „zirkulierende Bücher“, „partizipative Theaterarbeit“, den Wechselwirkungen von Commons und Staatsbürgerschaft bis hin zu Organisationsmodellen für „Commoners“. Der Eingangsabschnitt thematisiert grundlegende Fragen der Commons-Theorie, so die Frage nach dem Verhältnis zu Markt und Staat (Kratzwald), von Commons und Armut (Helfrich), zur Nachhaltigkeit (Vadrot/Pohoryles) und zur Daseinsvorsorge (Knecht). Küblböck stellt dar, wie sich das Finanzsystem, das eigentlich ein öffentliches Gut darstellen sollte, zu einer Spielwiese schmaler Eliten gewandelt hat. Spannend ist die in den sozialpolitischen Debatten eher unterbelichtete Fragestellung, welche Rolle öffentliche Räume spielen, etwa ein „Recht auf die Stadt“ (Hamedinger) oder ein „Raum für Unerwünschte“ (Koller). Einige Beiträge stellen sich der Frage der demokratischen Gestaltung, der Partizipationsförderung und der Aktivierung Betroffener. Eine kritische Beurteilung der „Grünen Ökonomie“ unter Hinweis auf die Gefahr einer weiteren Kommodifizierung der Umwelt und natürlicher Ressourcen liefern Vadrot/Pohoryles.

Dimmel/Meichenitsch entzaubern Konzepte, die unter dem Schlagwort „Social Entrepreneurship“ und Social Entrepreneurs („Sozialunternehmer“) offensiv propagiert und von der EU forciert werden. Damit soll der Wohlfahrtsstaat als Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge dem Zugriff des Kapitals geöffnet werden. Gemeinnützige, bislang noch überwiegend von staatlichen Leistungsentgelten und Subventionen abhängige sozialwirtschaftliche Unternehmen sollen in kompetitive, markt- und gewinnorientierte verwandelt werden. Das Social Entrepreneurship-Modell sehen Dimmel/Meichenitsch als zur Strategie der Vermarktlichung und Privatisierung staatlicher Leistungserbringung komplementäres Management-Instrument. Der Kommission gehe es letztlich um eine Aufspaltung sozialer Risiken und Segmente der Daseinsvorsorge in marktfähige (gewinnträchtige) und solche, die ein Wohlfahrtsstaat notgedrungen zu verwalten hat.

Besonders hervorgehoben sei die Zusammenfassung der Abschlussdiskussion der 9. Armutskonferenz, die Verena Fabris verfasst hat („Let‘s make a Commons World“). Vor allem Ulrich Brand hat hier kritische Akzente gesetzt, die Beachtung verdienen. Für ihn stehen Commons zwar für eine Perspektivenverschiebung mit einem utopischen Element, er warnt aber zu Recht davor, Commons ausschließlich als „dritte Alternative“ jenseits von Staat und Markt zu verorten und den Staat per se abzulehnen. Damit würde man den Fehler linker Staatskritik wiederholen und auf diese Weise „Neoliberalismus von unten“ betreiben. Die ökologische Frage sollte als sozialökologische Frage, als Frage von Armut und Ungleichheit, thematisiert werden und damit als Frage der gesellschaftlichen Veränderung, nicht als Frage, „wie retten wir den Planeten“. Letzteres sei zu abstrakt, mache die Leute passiv und entkoppele soziale Fragen von ökologischen.

Zusammenfassend ist festzustellen: Der Band ist ideenund materialreich und bietet zudem gehaltvolle Anregungen für theoretische Reflexionen. Er geht kontroversen Themen nicht aus dem Weg und er bietet zahlreiche Konzepte und Projektideen, ohne dass die Verbindung zu gesellschaftsverändernden Impulsen vernachlässigt wird. Die Betonung des Aktivierungspotenzials und die Darstellung der Commons als neue Denkweise, als neues ökonomisches Paradigma, wirkt als Brücke zwischen pragmatischen Handlungsfeldern und kapitalismuskritischen Potenzialen. Ein wenig zu kurz kommt aber die Beschreibung der gegenläufigen Tendenzen in der globalen und unionsrechtlichen Arena. Unbestreitbar wirken die globalen und europäischen Impulse derzeit in Richtung einer massiven Erosion, Prekarisierung und Vernichtung von Gemeingütern. Realität ist eben gerade nicht die von Bürgern „konvivial“ genutzte Stadt, sondern die Kommerzialisierung der Innenstädte und die Prekarisierung der peripheren Stadtteile. Realität ist auch die verwertungsorientierte Okkupation von Bildung und Information und nicht die Entwicklung einer demokratischen Wissensgesellschaft. Die Monetarisierung von fast allem, was für das Leben wichtig ist, läuft wie geölt. Auch das nicht gerade common-affine Massenbewusstsein, das im Zeichen von Individualisierung, Verblödung, Entsolidarisierung, Apathie und einer Neoliberalisierung der Alltagswelten steht, gerät kaum ins Blickfeld. So gesehen haben wir es mit einem wirklich bemerkenswerten Buch zur Commons-Debatte zu tun, bei dem lediglich die rosa Brille, mit der die Realität (nicht) wahrgenommen wird, etwas verstört.