Entgrenzte Arbeitszeit: Wunsch, Alptraum oder arbeitsrechtliche Realität?*

MARTINRISAK (WIEN)
Die Entgrenzung der Arbeitszeit, die auch im aktuellen Regierungsprogramm angesprochen ist, entspricht dem generellen Trend zur Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Arbeitszeitregulierung wird für eine differenzierte Sichtweise auf die Arbeitszeitflexibilisierung plädiert, in der nicht nur eine einseitige Erfolgsgeschichte des Gewinns an persönlicher Freiheit erzählt wird, sondern auch die Risiken bei deren Bewertung miteinfließen. Denn was nach mehr Selbstbestimmung klingt, kann in der Realität genau das Gegenteil bedeuten.
  1. Problemstellung

  2. Eine kurze Geschichte der Be- und Entgrenzung der Arbeit

    1. Die Regulierung der täglichen Arbeitszeit

    2. Die Regulierung der wöchentlichen Arbeitszeit

    3. Die Entgrenzung der Arbeitszeit: Flexibilisierung

  3. Die Vorhersehbarkeit der Freizeit als Regelungsziel

  4. Entgrenzte Arbeit: Chancen und Risiken

1.
Problemstellung

Das Arbeitsverhältnis ist bekanntlich dadurch geprägt, das eine Person ihre Arbeit in einer von einer anderen Person geschaffenen und geleiteten Organisation nach deren Weisungen verrichtet.* Im Arbeitsvertrag wird somit privatautonom die Selbstbestimmung in einem gewissen Umfang auf eine andere Person übertragen. Diese, der/die AG, hat nun Verfügungsmacht über die für sie arbeitende Person, den/die AN, und kann sie zu seinen/ihren Zwecken einsetzen. Der ursprünglich den Arbeitenden gänzlich frei zur Verfügung stehende Tag wird damit in eine Zeit der Selbstbestimmung (Freizeit) und eine der Fremdbestimmung (Arbeit) geteilt – wie und in welchem Umfang diese Teilung erfolgt, ist nicht nur Verhandlungssache, sondern hat idR auch faktische, gesellschaftliche und nicht zuletzt auch rechtliche Grenzen.

Marx* unterscheidet derer zwei: Die „Maximalschranke [des Arbeitstages] ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben. So kann ein Pferd tagaus, tagein nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Teils des Tags muß die Kraft ruhen, schlafen, während eines andren Teils hat der Mensch andre physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reinigen, kleiden usw. Außer dieser rein physischen Schranke stößt die Verlängerung des Arbeitstags auf moralische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstags bewegt sich daher innerhalb physischer und sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und erlauben den größten Spielraum“ (Hervorhebungen vom Verfasser).

In diesem Beitrag geht es um diese Elastizität der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit und die Frage, wie diese derzeit gesetzlich gezogen wird. Dafür9 stehen unterschiedliche Regelungstechniken zur Verfügung: Es kann einerseits die Arbeitszeit begrenzt werden oder ein Mindestmaß an Freizeit vorgegeben werden. Während zweiteres eher auf dem Gedanken des Gesundheitsschutzes, den „physischen Schranken“, basiert, hat ersteres neben der Gesundheitsschutzdimension vor allem auch eine emanzipatorische Wirkung in dem Sinne, dass Freizeiträume geschaffen werden sollen, die AN eine Entfaltung auch außerhalb der Arbeitszeit ermöglichen. Darüber hinaus besteht die Erwartung, dass eine Beschränkung der Arbeitszeit zu einer erhöhten Beschäftigung iS einer Umverteilung des knappen Gutes Arbeit auf mehr Personen führt. Nicht vergessen werden darf, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit nicht nur im Kernbereich des Arbeitszeitrechts durch eine Begrenzung des Arbeitstages passiert, sondern dass auch der Urlaub und sonstige Formen der Freizeitgewährung damit in einem Zusammenhang stehen. Nicht von ungefähr regelt die Arbeitszeit-RL 2003/88/EG* nicht nur Arbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten, sondern auch den Jahresurlaub. Dieser Beitrag beschränkt sich jedoch auf die Arbeitszeitregelungen ieS.

Zuerst soll in einem kompakten geschichtlichen Abriss über die Entwicklung der gesetzlichen Arbeitsbegrenzung und -Entgrenzung gezeigt werden, wie sich das Verständnis der Grenzziehung und auch die Begründung dafür verschiebt. Dieses bietet nicht nur die Basis für eine am telos des Gesetzes orientierte Interpretation bestehender Normen, sondern auch für eine ergänzende Rechtsfortbildung, die uU notwendig sein kann, um derzeit ungeregelte Sachverhalte zu erfassen.

In der aktuellen Diskussion geht es in erster Linie um unterschiedliche Formen mehr oder weniger dauernder Erreichbarkeit im Rahmen von Arbeitsverhältnissen, die durch die Entwicklung moderner Kommunikationsmedien möglich geworden sind. Ich habe mich dieser Frage an anderer Stelle schon angenähert, dies soll hier nicht wiederholt werden.* Stattdessen möchte ich die Problematik grundlegender behandeln und vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung des Arbeitszeitrechts der Frage nachgehen, welche Chancen und Risiken die zeitliche Entgrenzung der Arbeit mit sich bringt.

Dass eine solche in näherer Zukunft sehr wahrscheinlich ist, lässt sich dem Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung für die Jahre 2013 bis 2018* entnehmen. Dieses definiert als Herausforderung für das Arbeitsrecht, dass „ArbeitnehmerInnen und Unternehmen [...] sich gleichzeitig sichere und flexible Rahmenbedingungen [wünschen], um die Arbeitswelt nach ihren Bedürfnissen gestalten zu können.“ Dafür wird als Maßnahme, „die die Gestaltung von Freizeit und Arbeitszeit im Interesse der ArbeitnehmerInnen sowie der Unternehmen verbessern“ soll, insb die Anhebung der Höchstarbeitszeitgrenzen angeführt. Arbeitszeiten mit einem Anteil an aktiver Reisezeit sollen bis zu zwölf Stunden unter der Berücksichtigung der für Lenker geltenden Vorschriften ebenso möglich sein* wie bei Gleitzeit unter Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 50 Stunden zur Erreichung größerer Freizeitblöcke.* Dies entspricht, wie sogleich skizziert wird, dem grundsätzlichen Trend der Entwicklung im Arbeitszeitrecht seit den 1990iger-Jahren.

2.
Eine kurze Geschichte der Be- und Entgrenzung der Arbeit
2.1.
Die Regulierung der täglichen Arbeitszeit

Für die Festlegung des Arbeitsinhaltes galt in der Frühzeit des Kapitalismus grundsätzlich die Privatautonomie, dh AG und AN waren in der Vereinbarung frei, was in welchem Umfang wo, gegen welches Entgelt, gearbeitet wurde. Die erste Phase der Industrialisierung und der Zunahme der Bedeutung der lohnabhängigen Beschäftigung war in erster Linie von wirtschaftsliberalen Ideen geprägt, die im Motivenbericht 1869 zur Novellierung der Gewerbeordnung 1859 gut zum Ausdruck kommen und im Einklang mit denen vorerst eine gesetzliche Begrenzung der Arbeitszeit abgelehnt wird:

„Bezüglich der Regelung der Arbeitszeit für erwachsene, eigenberechtigte männliche Arbeiter müssen Eingriffe der Gesetzgebung in die freie Entwicklung dieser Verhältnisse, soweit es sich nicht etwa ganz ausnahmsweise um die Verhinderung staatspolizeilich unzulässiger Mißbräuche handelt, als eine Verletzung der individuellen Freiheit des mündigen Staatsbürgers angesehen werden. Mit der Arbeitsdauer steht übrigens der Arbeitslohn in innigstem Zusammenhang, dieser wird aber durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage naturgemäß geregelt; der Staat kann und darf weder im legislativen noch im administrativen Wege darauf Einfluss nehmen, Leistung und Gegenleistung, Arbeit und Entlohnung regeln sich nach allgemein wirtschaftlichen Gesetzen, denen gegenüber sich jedes staatliche Reglementieren als ohnmächtig erweist.“*

Dieses Aushandeln fand freilich nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf kollektiver statt – zahlreiche Kollektivverträge sahen Begrenzungen der Arbeitszeit vor, wobei die Verhandlungen darüber nicht selten von Arbeitskämpfen begleitet wurden. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kam es dann in der Regierungszeit des konservativen Ministerpräsidenten Taafe zu einem Paket sozialpolitischer Maßnahmen, mit denen unter dem Einfluss christlicher Sozialreformer auf die sich zuspitzende „soziale Frage“ reagiert werden sollte.* Es enthielt auch staatliche Eingriffe in die Vertragsfreiheit, wobei vorrangig die Arbeitsverhältnisse in der Industrie betroffen waren und Gewerbe und Landwirtschaft weitgehend ausgespart wurden. Argumentiert wurde vor allem neben politischen10 (Gefährdung der Militärtauglichkeit, Gefahr für Staat und Gesellschaft durch die erstarkende ArbeiterInnenbewegung) und produktionsbezogenen (Erhaltung der Arbeitskraft) vor allem mit gesundheitlichen und humanitären Gründen (physische Verelendung der LohnarbeiterInnen und überlange Arbeitszeiten).* Im Zuge dessen kam es erstmals zur gesetzlichen Festlegung des Maximalarbeitstages: 1884 wurde für den Bergbau die Schichtdauer mit zwölf Stunden und die effektive Arbeitszeit mit zehn Stunden normiert.* Die Gewerbeordnungsnovelle 1885 führte den Maximalarbeitstag von elf Stunden in Fabriken ein.*

Die nächste wesentliche Wegmarke ist zweifelsohne die Einführung des Achtstundentages, die am 19.12.1918 erfolgte (und die vorerst bis zum Friedensschluss* befristet war).* Freilich war dieser – wie auch schon der Elf-Stunden-Tag zuvor – weiterhin nur auf die „fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmen“ anwendbar (§ 1 Abs 2). Begründet wird die weitere Arbeitszeitreduktion vor allem mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, das knappe Gut „Arbeit“ soll zwischen den Arbeitenden und den Arbeitssuchenden gleichmäßiger aufgeteilt werden. Die „Dauerlösung“ folgt dann 1919 und ist nicht mehr auf die Industriebetriebe beschränkt, sondern betrifft nun auch das Gewerbe; lediglich die Landwirtschaft bleibt weiter ausgenommen. Gerechtfertigt wird die Begrenzung des Arbeitstages nunmehr vor allem mit dem AN-Schutz.*

Das mit Zustimmung der sozialdemokratischen und christlich-sozialen Abgeordneten 1919 eingeführte Gesetz über den Achtstundentag* blieb auch in der Zeit des Austrofaschismus (von einigen Durchlöcherungen abgesehen) zumindest formal die relevante Arbeitszeitnorm.* Der Anschluss Österreichs 1938 hatte zur Folge, dass die deutsche „Verordnung über die Arbeitszeit“ vom 21.12.1923* zur Anwendung kam,* die zwar den Achtstundentag als vermeintliche Norm vorsah, dann aber so viele Ausnahmen und Arbeitszeitverlängerungen vorsah, dass von diesem Grundsatz wenig übrig blieb.* Die „Verordnung zur Abänderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiete des Arbeitsrechts“* vom 1.9.1939 ließ dann für männliche AN alle gesetzlichen Bestimmungen außer Kraft treten, „soweit in ihnen die Dauer der werktäglichen Arbeitszeit der Beschäftigten geregelt wird“ (§ 4). Damit war die Arbeitszeit kurzfristig gar nicht reguliert – bis die „Verordnung über den Arbeitsschutz“ vom 12.12.1939* dann festlegte, dass die tägliche Arbeitszeit zehn Stunden nicht übersteigen dürfe, außer wenn viel „Arbeitsbereitschaft“ in diese Zeit fiel.*

Diese Verordnung ist deshalb bedeutsam, da sie nach Kriegsende nicht außer Kraft gesetzt wurde und in der in den 1950iger-Jahren geführten Diskussion, ob nun in Österreich der Acht- oder der Zehnstundentag gelte, eine Rolle spielte.* Das BM für soziale Verwaltung versuchte dem ein Ende zu setzen, indem es 1956 eine VO* auf Basis der (deutschen) Arbeitszeitordnung 1938 erließ, dernach eine „tägliche Arbeitszeit, die mehr als acht Stunden beträgt [...], nur mit Genehmigung des zuständigen Arbeitsinspektorates zulässig“ ist (§ 1). Damit war der Achtstundentag sozusagen „über die Hintertür“ wieder eingeführt. Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage bietet erst das AZG 1969 (dazu sogleich).

2.2.
Die Regulierung der wöchentlichen Arbeitszeit

Die Reduktion der Wochenarbeitszeit stand schon in der Zwischenkriegszeit auf der politischen Agenda der Sozialdemokratie, die eine generelle Reduktion der Wochenarbeitszeit als wichtiges Mittel zur Hebung der Beschäftigung und zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit ansah.* So begründete Otto Bauer die Forderung der Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden damit, um „einerseits den überbeanspruchten Organismus der beschäftigten Arbeiter zu schonen und andererseits die vorhandene Arbeit auf möglichst viele Arbeiter zu verteilen“.* Zu einer entsprechenden Beschlussfassung kam es jedenfalls nicht – auch das 1935 von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in Genf beschlossene Übereinkommen Nr 47 über die Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden wöchentlich* wurde von Österreich (übrigens bis heute) nicht ratifiziert.*

Die Einführung der 40-Stunden-Woche blieb freilich weiterhin eine Forderung der AN-Seite, wofür neben dem Schutz vor psychischer sowie physischer Belastung und dem Anteil am wirtschaftlichen Fortschritt (nicht nur in Form von Lohnsteigerungen) auch die Möglichkeit zu mehr Zeit für Familien, Kultur und Bildung ins Treffen geführt wurde. Die in der Zwischenkriegszeit tragende beschäftigungspolitische Argumentation trat hingegen wegen der Vollbeschäftigungssituation in den Hintergrund.* Auf parlamentarischer Ebene ließ eine Gesetzwerdung freilich auf sich warten* – das heute noch in Geltung stehende, freilich vielfach novellierte Arbeitszeitgesetz (AZG)* wurde erst 1969 beschlossen.11

Davor kam es jedoch 1959 zum Abschluss eines General-KollV, der eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden vorsah; auf gleiche Weise wurde 1964 der Drei-Wochen-Urlaub eingeführt. 1968 verschärfte der ÖGB den Druck in den Auseinandersetzungen um die Arbeitszeitverkürzungen. Der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen wurde damit beauftragt, die zu erwartenden Effekte einer schrittweisen Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden zu untersuchen. Noch vor dem Vorliegen dieses Gutachtens leitete die SPÖ ein diesbezügliches Volksbegehren* ein, das von 889.659 Personen unterstützt wurde.* Das Gutachten kam dann zum Ergebnis, dass „auf Grund der voraussehbaren Entwicklungstendenzen eine etappenweise Herabsetzung der Normalarbeitszeit auf 40 Stunden bis etwa Mitte der 70iger Jahre möglich zu sein scheint“.* Daraufhin wurde am 29.9.1969 ein General-KollV abgeschlossen, der eine etappenweise Einführung der 40-Stunden-Woche bis 1975 vorsah.

Das Volksbegehren für ein BG betreffend die schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche sowie die Regelung der Arbeitszeit und der Arbeitsruhe (AZG und ARG)* wurde in der Folge als Gesetzesantrag parlamentarisch behandelt. Im Ausschuss* wurde der Entwurf dem Volksbegehren zu Grunde liegende Gesetzesentwurf wesentlich überarbeitet, damit sollte „dem gewerkschaftlichen Anliegen des Arbeitnehmerschutzes ebenso Rechnung getragen werden wie den Problemen der Wirtschaft“. Die Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit kam freilich nicht gänzlich ohne Konzessionen an die AG-Seite aus: Einerseits waren gewisse Durchbrechungen vorgesehen, die heute gemeinhin als Flexibilisierung bezeichnet werden (§ 4 AZG – Andere Verteilung der Normalarbeitszeit): die Wochendurchrechnung (Freitag-Frühschluss bei längerer Arbeit an den anderen Tagen), Einarbeiten von Fenster- oder Zwickeltagen, Schichtarbeit sowie die Durchrechnung über längere Zeiträume.

Eine wesentliche Abweichung des im Ausschuss abgeänderten Entwurfes (der dann Gesetz wurde) vom Volksbegehrenstext ist die massiv gelockerte Möglichkeit der Überstundenanordnung durch den/die AG. Bislang war es – insb nach der VO BGBl 1956/195– nur mit Genehmigung des Arbeitsinspektorates zulässig, über den Achtstundentag hinaus zu arbeiten. Schon der dem Volksbegehren zu Grunde liegende Entwurf war diesbezüglich liberaler, wenn in § 7 Abs 1 AZG vorgesehen war, dass bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedürfnisses gegen nachträgliche Anzeige an das Arbeitsinspektorat an höchstens 30 Tagen pro Kalenderjahr bis zu zwei Stunden täglich über die höchstzulässige Tagesarbeitszeit hinaus gearbeitet werden darf. Die Wochenarbeitszeit darf jedoch maximal um drei Stunden überschritten werden. Der diesbezüglich nicht weiter begründete Antrag des Ausschusses* sieht in § 7 Abs 1 AZG dann vor, dass die Arbeitszeit um fünf Stunden pro Woche und darüber hinaus noch um 60 Stunden im Kalenderjahr verlängert werden darf.* Eine Anzeige an das Arbeitsinspektorat ist nicht mehr vorgesehen. Damit ist der Achtstundentag, wenngleich an ihm im Prinzip als „Normalarbeitszeit“ festgehalten wird, faktisch doch wesentlich durchlöchert, da von da an AG ohne weitere administrative Schwelle bei Vorliegen „erhöhten Arbeitsbedarfs“ unkompliziert Überstunden anordnen können.* Freilich findet sich schon in der Stammfassung die Einschränkung, dass „berücksichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers der Überstundenarbeit nicht entgegenstehen“ dürfen (§ 6 Abs 2 AZG idF BGBl 1969/461).

Die gesetzliche Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit hat damit ihren Abschluss gefunden. Im Bericht Nr 47 des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen „Arbeitszeitentwicklung und Arbeitszeitpolitik“ aus 1984 wurde empfohlen, allfällige Verkürzungen der Wochenarbeitszeit den Kollektivvertragsparteien zu überlassen und der Flexibilisierung der Beschäftigungsund Arbeitszeiten erhöhtes Augenmerk zu schenken.* Dies zeichnet den weiteren Weg zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und zur Dezentralisierung der Arbeitszeitpolitik (dh Verlagerung auf die Branchen- und Betriebsebene), wie sie dann in den 1990iger-Jahren stattfinden sollte,* vor.

2.3.
Die Entgrenzung der Arbeitszeit: Flexibilisierung

Wie bereits erwähnt, sind in der Stammfassung des AZG 1969 bereits alle Formen der Arbeitszeitflexibilisierung (abgesehen von der Gleitzeit) unter dem Titel „Andere Verteilung der Normalarbeitszeit“ vorgesehen – freilich ohne dies näher zu begründen.* Es geht dabei im Kern um eine Vermeidung von Überstundenzuschlägen dadurch, dass eine ungleichmäßige Verteilung der Normalarbeitszeit auf über acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche ermöglicht wird.

Diese abweichenden Möglichkeiten der Verteilung der Normalarbeitszeit (die „Flexibilisierung“) werden dann in den 1990iger-Jahren in zwei Novellen zum AZG ausgeweitet, wobei die dahinter stehenden Erwägungen kaum offengelegt werden. Die „kleine“ Novelle12 1994* beginnt als Regierungsvorlage,* die eigentlich nur die Arbeitszeitregelungen für LenkerInnen im Gefolge des EWR-Beitritts 1994 zum Gegenstand hat. Im Ausschuss* kommt es dann zu einer Ausweitung der Flexibilisierungsmöglichkeiten sowie der Einführung einer Regelung für Gleitzeit und Dekadenarbeit. Der Bericht hält lapidar fest, dass „in einzelnen Fällen längere Tagesarbeitszeiten zugelassen werden, wenn auf Grund der Art der Tätigkeit und des spezifischen Arbeitsablaufes kein gesundheitlicher Nachteil für die Arbeitnehmer entsteht.“

Die nachfolgende „große“ Novelle 1997* beruht auf einem Initiativantrag von SPÖ- und ÖVP-Abgeordneten,* dem eine Einigung der Sozialpartner über den Ausbau der Gestaltungsmöglichkeiten im Arbeitszeitrecht zu Grunde liegt. Dieser Initiativantrag, der im Ausschussbericht unverändert in voller Länge zitiert wird,* wird folgendermaßen eingeleitet: „Das Arbeitszeitgesetz enthält [...] bereits zahlreiche Möglichkeiten, die Arbeitszeit an die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und des Betriebes anzupassen. [...] Diese Möglichkeiten werden jedoch von vielen Seiten als zu gering angesehen.“

Es werden weitere Ausweitungen der Flexibilisierung der Arbeitszeit vorgesehen, wobei betont wird, dass „diese weitgehenden Gestaltungsmöglichkeiten [...] nicht dazu führen [dürfen], daß sich die betriebliche Arbeitszeit in der Praxis ausschließlich an betrieblichen Bedürfnissen (zB Arbeitsanfall) orientiert und die Arbeitnehmer keine Möglichkeit der Mitgestaltung haben. Der Entwurf sieht daher als Ausgleichsmaßnahmen für die langfristige Durchrechnung der Normalarbeitszeit eine Einschränkung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, Regelungen über die Abgeltung von Zeitguthaben bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses während des Durchrechnungszeitraumes und über den einseitigen Abbau von Zeitguthaben durch den Arbeitnehmer vor.“

Außerdem kommt es zu einer Zurücknahme der behördlichen Zulassung von Abweichungen zu Gunsten autonomer Regelungen auf betrieblicher Ebene.* Die Ausweitungen der Flexibilisierungsmöglichkeiten werden in den Parlamentarischen Materialien kaum begründet, lediglich bei Detailregelungen blitzt die Bezugnahme auf grundlegende Wertungen hervor: so zB, dass „arbeitsintensive Aufträge, deren verspätete Erfüllung einen großen wirtschaftlichen Nachteil zur Folge hätte (zB Pönale, Entgang von Folgeaufträgen)“ zusätzliche Überstunden rechtfertigen können.*

Von einer Einschränkung der Normalarbeitszeit und der tatsächlich gearbeiteten Arbeitszeit ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Rede – der Fokus liegt vielmehr auf der Schaffung weiterer Ausnahmen vom Grundprinzip des Achtstundentages und der 40-Stunden-Woche, die mit den Bedürfnissen der Wirtschaft begründet werden und deren Zulassung mit ausreichenden Vorkehrungen zur Sicherung des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt wird.

Dieser Trend setzt sich mit der letzten große Arbeitszeitnovelle 2007* fort, die weitere Möglichkeiten der Ausweitung der Normalarbeitszeit auf zehn Stunden und zusätzliche Möglichkeiten zur Leistung von Überstunden sowie die Vereinfachung von Flexibilisierungsmöglichkeiten vorsah.* Im Gegenzug kam es zur Einführung eines gesetzlichen Zuschlages für die Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten, auf den jedoch hier nicht weiter eingegangen wird.* Das Regierungsprogramm für die 23. GP legt die Intentionen offen: „Flexibilisierung des gesetzlichen Arbeitszeitrechts [...], verbesserte Durchsetzung des Arbeitszeitschutzes zur Förderung des Gesundheitsschutzes und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw Freizeit [...], Vereinfachung solcher flexibler Arbeitszeitmodelle, die im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien liegen.“* Die Novelle enthält nach dem AB* einerseits Maßnahmen zur Erhöhung der Flexibilität von Unternehmen im Hinblick auf schwankende Auslastungen sowie andererseits Regelungen zur Vereinfachung des Arbeitszeitrechts. Damit ist die Richtung klar: Deregulierung im Bereich der Vollzeitbeschäftigung, um die Einsatzmöglichkeiten der AN möglichst flexibel und die daraus resultierenden Mehrkosten möglichst gering zu halten. Die nunmehr im Regierungsprogramm für die laufende 25. GP projektierte Anhebung der Arbeitszeitgrenze auf zwölf Stunden in bestimmten Fällen (aktive Reisezeit, Gleitzeit) passt in diesen Trend und folgt der grundsätzlichen Tendenz zur Entgrenzung der Arbeitszeit.

3.
Die Vorhersehbarkeit der Freizeit als Regelungsziel

Im Zuge der Flexibilisierung von Arbeitszeit, die ja vor allem deren Verteilung über längere Zeiträume betrifft, wird einem bislang noch nicht geschützten Aspekt der Lebensgestaltung von abhängig Beschäftigten gesetzgeberische Beachtung geschenkt: die Vorhersehbarkeit der Freizeit. Diese war bei einer gleichmäßigen Arbeitszeitverteilung unproblematisch, sie wurde aber umso wichtiger, als durch die Flexibilisierungsmöglichkeiten viel weitergehende Eingriffe durch die AG möglich wurden als bislang. Schon Marx* weist auf die Wichtigkeit einer Regelung hin, die „endlich klarmacht, wann die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet und wann die ihm selbst gehörige Zeit beginnt.“ Es wird dabei aus den Berichten der Fabriksinspektoren zitiert, die schon 1859 festhalten: „Einen noch größeren Vorteil bedeutet es, daß endlich klar unterschieden wird zwischen der Zeit, die dem Arbeiter selbst und der, die13 seinem Unternehmer gehört. Der Arbeiter weiß nun, wann die Zeit, die er verkauft, beendet ist und seine eigne beginnt, und da er dies vorher genau weiß, kann er über seine eignen Minuten für seine eignen Zwecke im voraus verfügen.“*

Freilich ging es für Marx noch nicht um die Einschränkung der flexiblen Verteilung der vereinbarten Arbeitszeit, sondern um die Begrenzung des Rechts der AG, den Arbeitstag beliebig auszuweiten und dem durch die Begrenzung der Höchstarbeitszeiten gegenzusteuern. Nunmehr geht es auch um die Einschränkung der Möglichkeit, eine an sich beschränkte Arbeitszeit ungleich zu verteilen, wobei eine Beschränkung der Ausweitungsmöglichkeit unter dem Aspekt der Sicherung vorhersehbarer Freizeit weiterhin Bedeutung besitzt.

Zuerst wurde diese Problematik bei Teilzeitbeschäftigten erkannt: Bis zur Novelle BGBl 1992/833gab es keine besondere arbeitszeitrechtliche Regulierung der Teilzeitarbeit – im Rahmen der Vertragsfreiheit waren somit sehr weitgehende Vereinbarungen möglich. 1992 wurden erstmals Sonderbestimmungen zur Teilzeit in das AZG eingefügt. Während bei der Regulierung der Vollzeitbeschäftigung „im wesentlichen die Begrenzung der Arbeitszeit im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer“ bezwecke, haben die Arbeitszeitregelungen bei Teilzeitbeschäftigten eine andere Stoßrichtung: „Da [sie] wegen des geringeren Ausmaßes der Arbeitszeit sehr flexibel einsetzbar sind und die Praxis von dieser Möglichkeit nicht selten exzessiv Gebrauch gemacht hat, sind auch für Teilzeitbeschäftigte Schutzmaßnahmen erforderlich. Durch diese soll die Verfügbarkeit der Teilzeitbeschäftigten beschränkt und so den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern die ungestörte Inanspruchnahme ihrer Freizeit gewährleistet werden.“ Es geht somit nicht um die Schaffung von (zeitlichen) Freiräumen, sondern um die Festlegung der Lage der hinsichtlich ihres Ausmaßes als unproblematisch angesehenen Arbeitszeit. „Eine exakte Festsetzung von Ausmaß und Lage der Arbeitszeit [...] ist notwendig, um es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, über seine Freizeit zu disponieren. [...] Eine Vereinbarung, die dem Arbeitgeber ermöglicht, das Ausmaß der Arbeitszeit zu variieren oder die Lage der Arbeitszeit nach Belieben einseitig festzusetzen, widerspricht daher dieser – zugunsten des Arbeitnehmers zwingenden – Bestimmung. Abs 3 schränkt daher das [bislang bestehende] Weisungsrecht des Arbeitgebers [...] ein.“*

Mit der großen Flexibilisierungsnovelle 1997 wird auch für Vollzeitbeschäftigte das Weisungsrecht des/der AG hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit (und damit auch der Freizeit) eingeschränkt. Damit soll „Arbeit auf Abruf und Arbeit nach Arbeitsanfall“* verhindert werden. Es werden somit – nach Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten – als abschwächende Gegenmaßnahme die soeben beschriebenen Regelungen für Teilzeitbeschäftigte hinsichtlich der Verteilung der Arbeitszeit übernommen.

4.
Entgrenzte Arbeit: Chancen und Risiken

Das Arbeitszeitrecht zeigt sich in seinem derzeitigen Stadium als ein Gemenge zwischen einem grundsätzlich begrenzten Arbeitstag und einer grundsätzlich begrenzten Arbeitswoche einerseits und einer nicht unwesentlichen Anzahl von Möglichkeiten, von diesen Grenzen abzugehen. Unter Aufrechterhaltung des Grundprinzips des Achtstundentages und der 40-Stunden-Woche besteht somit in der Praxis vieler Vollzeitbeschäftigter eine weitaus liberalere Arbeitszeitgestaltung als dies auf den ersten Blick scheint. Dies wird in der Regel nicht nur unter Kostenaspekten diskutiert, sondern häufig auch unter dem Hinweis, dass damit das „patriachalisch-autoritär organisierte Arbeitsverhältnis“* zu einem egalitären, auf Augenhöhe ausgehandelten werden könne. Ende der 1990iger-Jahre wurde die Forderung erhoben, dass der Bürger bzw die Bürgerin auch als AN mündiger werden müsse. Dies bedeute einerseits, dass die Persönlichkeit entsprechend respektiert werde und mehr Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten bei der Arbeitsleistung (und ihrer Organisation) bestehen müssen, andererseits aber auch ein Mehr an Verantwortung. Das Arbeitsverhältnis solle sich einer Rechts- und Wirtschaftsbeziehung zwischen gleichrangigen PartnerInnen annähern.*

Dass die Arbeitsverhältnisse diesem Ideal derzeit nicht gerecht werden, ist aus meiner Sicht evident – weiterhin besteht ein Machtungleichgewicht zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses, das gerade im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Formen der Flexibilisierung zu unerwünschten Effekten führen kann.

Diese sollen hier kurz am Beispiel der Gleitzeit näher analysiert werden. Von ihrem rechtlichen Konzept her erscheint dieses Arbeitszeitmodell bestechend, bietet es doch AN die Möglichkeit, Beginn und Ende der täglichen Normalarbeitszeit innerhalb des vereinbarten Rahmens selbst zu bestimmen (§ 4b AZG). Auf den ersten Blick scheint es allein im Interesse der AN zu liegen.* Die betriebliche Praxis zeigt jedoch, dass nicht nur im AN-Interesse geglitten wird, sondern dass betriebliche Interessen zumindest mitberücksichtigt werden.* Es besteht idR ein Rechtfertigungsdruck für AN, warum sie gerade in Zeiten geringeren Arbeitsbedarfes Zeitguthaben erwerben bzw warum sie diese abbauen, wenn sie benötigt werden.* Im betrieblichen Alltag besteht somit ein nicht unwesentlicher Druck für AN, sich ihre Arbeitszeit „autonom“ so einzuteilen, dass (auch) betriebliche Interessen berücksichtigt werden.

In der Regel kommt es damit bei der Gleitzeit zu einer Verdichtung der Arbeitszeit und – insb bei erstmaliger Einführung dieser Arbeitszeitform – auch zum Wegfall von Überstunden bzw zu einem Entfall der Überstundenzuschläge. In einem größeren Zusammenhang betrachtet, erfolgt damit auch eine Risikoverschiebung14 zu den AN: Nicht mehr die AG sind dafür verantwortlich, ausreichend Arbeit für die AN während der vereinbarten Arbeitszeit zur Verfügung zu haben, sondern die AN sollen ihre Arbeit selbst so einteilen, dass möglichst wenig Lehrläufe anfallen. Gerade unter dem Aspekt der im Regierungsprogramm projektierten Ausweitung der täglichen Arbeitszeitgrenze auf zwölf Stunden drängt sich der Verdacht auf, dass hier vor allem AG-Interessen bedient werden sollen. Es ist nur schwer denkbar, dass dadurch AN nach freiem Ermessen ein Ansparen von Zeitguthaben von bis zu zwölf Stunden täglich auch dann ermöglicht werden soll, wenn kein Arbeitsbedarf besteht.

Unter diesem Blickwinkel betrachtet, verschwimmt die Grenze der Gleitzeit zu den Durchrechnungsmodellen gem § 4 Abs 4-7 AZG zusehends.* Bei letzteren erfolgt zwar die Arbeitszeiteinteilung einseitig durch die AG innerhalb der Grenzen des § 19c AZG; diese haben dabei insb die entgegenstehenden AN-Interessen zu berücksichtigen. Sollen nun AN bei der Gleitzeit auch die AG-Interessen berücksichtigen, was in gar nicht so wenigen Vertrags- und Betriebsvereinbarungsmustern auch vorgeschlagen wird,* so wird die Trennlinie immer unschärfer. Trotzdem hat die Unterscheidung zwischen angeordneter und selbstbestimmter Arbeitszeiteinteilung massive finanzielle Konsequenzen: Bei der Gleitzeit ist keine „Vorankündigungsfrist“ von zumindest zwei Wochen (§ 19c Abs 2 Z 2 AZG) einzuhalten, womit der Anfall von Überstundenzuschlägen eher vermieden wird.

Am Beispiel der Gleitzeit wird die Schattenseite der AN im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eingeräumten Selbstbestimmung deutlich, die häufig erwartungsgemäß im Interesse der AG ausgeübt wird. Die hier wirksam werdende Machtechnik ist freilich subtil, da sie sich nicht direkt an die Person der AN zB in Form direkter Weisungen richtet, sondern dafür sorgt, dass diese so auf sich selbst einwirken, dass der Herrschaftszusammenhang in sich selbst abgebildet wird, der aber als Freiheit interpretiert wird. „Selbstoptimierung und Unterwerfung, Freiheit und Ausbeutung fallen hier in eins.“*

AN haben im Rahmen der ihnen durch eine Entgrenzung und Flexibilisierung der Arbeitszeit gebotenen Freiheiten vor allem die Möglichkeit, sich als flexibel, leistungsbereit und dauernd verfügbar zu zeigen, was bei Kündigungsentscheidungen ebenso eine Rolle spielen kann wie beim beruflichen Aufstieg oder der Gewährung zusätzlicher Prämien. Damit geraten jene Personen ins Hintertreffen, die über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus aus verschiedensten Gründen nicht dauernd zur Verfügung stehen. Diese können die (idR unbezahlte) Sorgearbeit in Form von Kinderbetreuung oder Pflege Alter und Kranker ebenso betreffen wie eine weitere Erwerbstätigkeit oder parteipolitisches oder zivilgesellschaftliches Engagement. Die Entgrenzung der Arbeit betrifft so unterschiedliche Personengruppen in unterschiedlicher Weise und verschlechtert tendenziell die Situation von Personen, die ohnehin schon Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben.*

Damit ist an den Anfang der Überlegungen zurückzukehren, warum Arbeitszeit überhaupt reguliert wird, insb welche „moralischen Grenzen“ für die Verwertung der Arbeitskraft im Rahmen von Arbeitsverhältnissen gezogen werden sollen. Ob lediglich der Gesundheitsschutz eine Einschränkung der Privatautonomie rechtfertigen kann oder darüber hinaus noch andere Gründe, wie insb die Beschäftigungspolitik oder die Bewertung von Freizeit als Möglichkeit der Selbstverwirklichung, eine Rolle spielen, bestimmt wesentlich die Antwort auf die Frage der Grenzziehung und die Bewertung, ob entgrenzt zu arbeiten als Alptraum oder Wunsch bewertet wird. Wesentlich ist dabei mE, dass die Entgrenzung der Arbeitszeit nicht nur als eine einseitige Erfolgsgeschichte des Gewinns an persönlicher Freiheit erzählt wird, sondern auch die damit verbundenen Risiken in die Einschätzung mit einfließen. Es sollte nicht darauf vergessen werden, dass die Begrenzung des Arbeitstages und der Arbeitswoche ursprünglich auch als emanzipatorisches Projekt gesehen wurde, das Arbeitenden erst den Freiraum geboten hat, sich ohne ökonomischen Verwertungszwang zu entfalten. Wird dies angemessen berücksichtigt, so ergibt sich eine weitaus differenziertere Bewertung der aktuellen Trends zur Arbeitszeitflexibilisierung.*15