16

Von Rosinentheorien und Aufklärungspflichten

ELISABETHKOHLBACHER (WIEN)
  1. Eine erfolgreiche Anfechtung einer Auflösungsvereinbarung wegen Willensmangels beseitigt auch die damit untrennbar verknüpfte Rücknahme einer Entlassung. Eine Anfechtung bloß desjenigen Teils der Vereinbarung, der dem AN zur Last fällt („Rosinentheorie“), ist nicht möglich.

  2. Ob der AG objektiv der Meinung sein durfte, dass Entlassungsgründe vorliegen, kann nur nach seinem Wissensstand ex ante geprüft werden; es kommt nicht darauf an, ob seine Ansicht ex post aufgrund der Ergebnisse eines förmlichen Beweisverfahrens auch von den befassten Gerichten geteilt wird. Eine generelle Verpflichtung des AG, der leugnenden Verantwortung eines bei einer objektiven Verfehlung betretenen AN Glauben zu schenken, wenn gewichtige Indizien dagegen sprechen, existiert nicht.

  3. Aus der Fürsorgepflicht resultiert keine Verpflichtung, einen entlassenen AN, dem nach Ausspruch einer Entlassung eine gesichtswahrende einvernehmliche Auflösung ermöglicht werden soll, zuvor über mögliche rechtliche Schwachstellen des Entlassungsausspruchs und die Möglichkeiten einer Anfechtung zu beraten. Von einem AG, der objektiv begründet von der Berechtigung einer ausgesprochenen Entlassung ausgeht, kann nicht verlangt werden, gegen die eigene Überzeugung und die eigenen Interessen zu argumentieren und den AN geradezu zur Anfechtung der Entlassung zu drängen.

[...] Die Kl war in der Landesfahrzeugprüfstelle der Bekl als Vertragsbedienstete (VB) nach der Wiener VBO 1995 beschäftigt. [Dort] besteht eine Gleitzeitregelung, die Zeitkarten sind am Beginn und am Ende des Dienstes [...] abzustempeln. Die [...] Zeiten werden in das SAP-System der Bekl übertragen und bilden die Grundlage für die Entgeltabrechnung. Mit den Gleitzeitkarten ist nur ein einmaliges Ein- bzw Ausstempeln pro Arbeitstag möglich. Verlässt ein DN [...] vorübergehend die Dienststelle, sei es aus dienstlichen oder privaten Gründen, bestand [...] die Praxis, dass [...] die weitere Arbeitszeit oder [...] die Unterbrechung händisch auf der Karte eingetragen wurde. Die Gleitzeitkarten wurden am Ende des Monats von den unmittelbaren Vorgesetzten kontrolliert, dabei konnten allfällige vergessene Eintragungen noch korrigiert werden.

Den DN [...] waren Privatarbeiten [...] erlaubt, sofern sie außerhalb der Dienstzeit durchgeführt wurden und der Vorgesetzte zustimmte. Am 21.12.2011 erhielt die Kl [...] vom stv Leiter der Landesprüfstelle, ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, die Erlaubnis zur Durchführung von [privaten] Reparaturarbeiten [...] nach Dienstende.

Sie verrichtete diese [...] am 21.12.2011 ab etwa 16:30 Uhr. In dieser Zeit war der stv Prüfstellenleiter nicht mehr anwesend. Die Kl stempelte um 18:06 Uhr ihre Gleitzeitkarte aus, ohne die Dauer der privaten Reparaturtätigkeit darauf zu vermerken. Aufgrund der Aufzeichnungen der Kl kam es für die Dauer der privaten Tätigkeit zur Verrechnung von zwei Überstunden.

Eine Korrektur der Gleitzeitkarte durch einen Vorgesetzten unterblieb, weil der Leiter der Prüfstelle nichts von der Privatarbeit der Kl wusste und dessen Stellvertreter, der ihr die Erlaubnis dazu erteilt hatte, über die Weihnachtsfeiertage im Urlaub war.

Am 5.1.2012, einem Donnerstag, wurde einem Bereichsleiter der Bekl über einen Kollegen der Kl erstmals der Verdacht zugetragen, dass diese gemeinsam mit einer anderen Mitarbeiterin Manipulationen bei den Arbeitszeitaufzeichnungen vorgenommen hätte. [...]

Nach dem folgenden verlängerten Wochenende, am 10.1.2012, wurde mit dem Anzeiger eine Niederschrift aufgenommen. Da sich ein angegebener Zeuge am 10.1. im Krankenstand befand, ordnete die Bekl eine weitere niederschriftliche Einvernahme für den 17.1.2011 an. Bei diesem Termin sollten auch die Verdächtigen förmlich vernommen werden. In der Zwischenzeit wurde[n] die Kl [...] vom Leiter der Landesprüfstelle, dem aber keine Kompetenz zur Beendigung von Dienstverhältnissen zukam, [...] verwarnt. Die [...] oberste Stelle für Personalangelegenheiten bei der Bekl hatte davon keine Kenntnis. Eine Suspendierung der Kl erfolgte nicht.

Bei ihrer Einvernahme am 17.1.2011 [berief sich] die Kl [h]insichtlich der ihr vorgeworfenen Privatarbeit während der eingetragenen Dienstzeit [...] darauf [...], auf eine Richtigstellung der Stempelkarte vergessen zu haben. Auf Anweisung der zuständigen Personalservicestelle [...] sprach der Bereichsleiter am 17.1.2012 die Entlassung der Kl mit der Begründung aus, sie habe durch die Vornahme von privaten Tätigkeiten während der Dienstzeit eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung begangen.

Unmittelbar danach wurde der Kl, die sich in einem sehr aufgewühlten Gemütszustand befand, mitgeteilt, dass ihr die MA 2 anbiete, das Dienstverhältnis selbst „mit heutigem Tag einvernehmlich aufzulösen“, wenn sie sofort zustimme. Eine Überlegungsfrist wurde ihr nicht eingeräumt, sie insistierte aber auch nicht darauf. Die anwesende Personalvertreterin riet ihr zur Annahme des Angebots, weil das besser für nachfolgende Bewerbungen wäre. Die Kl unterschrieb daraufhin die [...] von der Bekl vorbereitete [Auflösungs-]Erklärung [...]. Die Kl war aufgrund der Äußerung des Bereichsleiters, sie habe eine schwere Dienstpflichtverletzung begangen, der Überzeugung, dass ein Entlassungsgrund vorliege.

In ihrer Klage begehrt sie, die einvernehmliche Auflösungsvereinbarung für rechtsunwirksam zu erklären. Sie sei bei Unterfertigung unter starkem Druck gestanden und habe unter Existenzängsten gelitten. Durch die Äußerung des Verhandlungsleiters, es liege ein Entlassungsgrund vor, sei sie arglistig in die Irre geführt worden. Tatsächlich sei die Entlassung nämlich unbegründet und überdies verfristet gewesen.

Die Bekl wandte ein, sie habe bei Ausspruch der Entlassung plausible und objektiv ausreichende Gründe gehabt, die Vorwürfe gegen die Kl für wahr zu halten. Die Vorgangsweise der Kl bei der Führung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen habe den geltenden Dienstvorschriften grob widersprochen, ein zweimaliges bloßes Versehen sei nicht nachvollziehbar. [...] Unter Berücksichtigung der zur Aufklärung der Vorwürfe120 erforderlichen Erhebungen sei die Entlassung auch unverzüglich erfolgt. [...] Hätte die Kl nicht unterschrieben, wäre es bei der Entlassung geblieben.

Das Rechtsgestaltungsbegehren sei unzulässig, vielmehr wäre ein Feststellungsbegehren zu erheben. Eine Unwirksamerklärung (nur) der Änderungsvereinbarung könne die Rechtsfolgen der davor ausgesprochenen Entlassung nicht beseitigen.

In Replik auf dieses Vorbringen der Bekl erhob die bereits in erster Instanz anwaltlich vertretene Kl das aus dem Spruch ersichtliche Eventualbegehren, vertrat aber weiterhin ausdrücklich den Standpunkt, die Entlassung könne auf keinen Fall wieder aufleben und müsse daher nicht angefochten werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Entlassung [...] sei nicht gerechtfertigt, weil [...] lediglich ein Versehen bei der Führung der Arbeitszeitaufzeichnungen unterlaufen sei. Durch die Verwarnung [...] wäre ein allfälliges Entlassungsrecht bereits konsumiert worden, außerdem sei der Ausspruch verspätet erfolgt. Die nachträgliche einvernehmliche Auflösung habe gegen die Interessen der Kl verstoßen, weil sie ihr die Möglichkeit einer Anfechtung der Entlassung abgeschnitten habe.

Die Voraussetzungen für eine Anfechtung der Auflösungsvereinbarung nach § 870 ABGB, aber auch § 879 ABGB seien zu bejahen, weil die Kl über das Vorliegen eines Entlassungsgrundes unrichtig informiert worden sei und die Bekl ihr trotz psychischer Belastung in einer existenzbedrohenden Situation keine Beratungsund Überlegungsmöglichkeit eingeräumt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese E [...] und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. [...] Eine mängelfreie Auflösungsvereinbarung hätte auch eine Aufklärung der Kl über die (mangelnde) Berechtigung und Rechtzeitigkeit der Entlassung erfordert. Auf die Ausführungen der Berufungswerberin zum Wiederaufleben der Entlassungsfolgen nach Wegfall der Vereinbarung müsse nicht eingegangen werden, weil dies nicht Verfahrensgegenstand sei.

In ihrer Revision macht die Bekl geltend, das Berufungsgericht habe die Vertretbarkeit der Auffassung der Bekl über das Vorliegen eines Entlassungsgrundes verkannt. Eine bereits ausgesprochene Entlassung könne nicht mehr als Druckmittel zum Abschluss einer einvernehmlichen Auflösung eingesetzt werden. Es bestehe auch keine aus der Fürsorgepflicht ableitbare Verpflichtung des DG, den entlassenen AN über eventuell mögliche rechtliche Mängel der Entlassung aufzuklären.

[...] Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rsp des OGH abgewichen ist. Sie ist auch berechtigt.

1.

[...] Die einseitige Erklärung der Auflösung eines Dienstverhältnisses kann nur sofort oder mit Zustimmung des durch die Auflösung Betroffenen widerrufen werden. Eine erst nachträgliche einvernehmliche Rücknahme einer [...] einseitigen Auflösung beseitigt diese nicht (RIS-Justiz RS0028711 [T3]). Zwar ist nach der jüngeren Rsp dann von einem ununterbrochenen Dienstverhältnis auszugehen, wenn sich die Vertragsparteien darauf einigen, es [...] so fortzusetzen als ob keine Unterbrechung stattgefunden hätte (RIS-Justiz RS0028711 [T7]), dieser Fall liegt hier aber nicht vor.

Die Bekl hat gegenüber der Kl nicht erklärt oder auch nur den Eindruck erweckt, von einer sofortigen Beendigung [...] abstehen zu wollen. Inhalt der Auflösungsvereinbarung war lediglich, die bereits ausgesprochene Entlassung Zug um Zug gegen eine Austrittserklärung der Kl zurückzunehmen.

Eine erfolgreiche Anfechtung dieser Auflösungsvereinbarung wegen Willensmangels [...] beseitigt auch die damit untrennbar verknüpfte Rücknahme der Entlassung. Eine Anfechtung bloß desjenigen Teils der Vereinbarung, der der Kl zur Last fällt („Rosinentheorie“), ist nicht möglich.

Mit dem Rechtsgestaltungsbegehren allein könnte die Kl ihr erkennbares Rechtsschutzziel, die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses, daher nicht erreichen. Ein Rechtsgestaltungsbegehren, das nur zur Klärung einer Vorfrage für eine später jedenfalls erforderliche weitere Klage dient, ist unzulässig (vgl RIS-Justiz RS0039087: 9 ObA 93/98m).

Die Anfechtung einer unberechtigten Entlassung eines kündigungsgeschützten VB ist [...] mit Klage auf Feststellung des aufrechten Bestehens des Dienstverhältnisses geltend zu machen (RIS-Justiz RS0039019). Eine Umdeutung des [...] Klagebegehrens durch das Gericht in ein solches auf Feststellung des aufrechten Bestehens des [...] Dienstverhältnisses ist möglich, wenn es dem offenkundig [...] angestrebten Rechtsschutzziel entspricht (RIS-Justiz RS0039010); [sie] ist aber dann nicht vorzunehmen, wenn der anwaltlich vertretene Kl [...] auch nach Erörterung der Rechtsfrage auf seinem abweichenden Begehren beharrt (vgl RIS-Justiz RS0039530 [T9] – Berichtigung; 5 Ob 209/07g [...]). [...]

2.

Auch in materiellrechtlicher Hinsicht sind die Revisionsausführungen [...] berechtigt.

Die Bekl verweist zutreffend darauf, dass die Vorinstanzen nicht hinreichend berücksichtigt haben, dass die Kl bereits entlassen war, bevor ihr das Abänderungsangebot unterbreitet wurde. Nach Beendigung [...] stand der Bekl [...] keine weitere Sanktion mehr zur Verfügung, sodass von einer Drohung mit Nachteilen, um die Kl zum Selbstaustritt zu bewegen, hier nicht gesprochen werden konnte.

Schließt ein AN unter dem Eindruck einer bereits ausgesprochenen Entlassung die ihm gleichzeitig angebotene Auflösungsvereinbarung ab, so kommt es für die Redlichkeit des AG darauf an, ob für ihn [...] plausible und objektiv ausreichende Gründe für einen Entlassungsausspruch gegeben waren. Ist dies der Fall, kann nicht von der Ausübung ungerechtfertigten psychologischen Drucks die Rede sein (9 ObA 158/08p, RIS-Justiz RS0014878 [T2]; RS0014873).

Die Beurteilung dieser Voraussetzung durch die Vorinstanzen erfolgte unter Außerachtlassung wesentlicher Sachverhaltselemente. Die Kl hat am 27.12.2011 persönlich ihre auf der Gleitzeitkarte gestempelte Arbeitszeit vom 21.12.2012 [richtig: 2011] in das SAP-System eingetragen. Das Erstgericht hat diesen Umstand zwar in seinen Feststellungen nicht erwähnt, was aber, da es sich um einen zugestandenen und unstrittigen Sachverhalt handelt, seiner Berücksichtigung nicht entgegensteht.

Ebenfalls in den Feststellungen übergangen, aber den jeweils in ihrer Echtheit unbestrittenen Urkundenkopien zu entnehmen, ist, dass auf der Gleitzeitkarte der Kl für den 21.12.2011 lediglich Beginn und Ende der Arbeitszeit gestempelt sind [...], in den SAP-Eintragungen [...] aber nicht nur diese Gesamtarbeitszeit aufscheint [...].121

[...] Es wurde [...] aktiv eine falsche Angabe eingetragen [...].

Die Erwägung des Berufungsgerichts, dass die Kl ja davon ausgehen habe können, ihr Vorgesetzter werde bei der Kontrolle der Zeitkarten die zu Unrecht verzeichneten Stunden abziehen, überzeugt nicht. Fest steht, dass [dieser] am [...] 21.12.2011 nicht mehr [...] anwesend war, sodass er nicht wahrnehmen konnte, ob und wann die genehmigte Privatreparatur tatsächlich stattgefunden hat; über die Weihnachtsfeiertage war er auf Urlaub. Die Kl konnte daher keineswegs darauf vertrauen, der Vorgesetzte werde die [...] Richtigstellungen vornehmen.

Im Lichte der vollständigen Tatsachengrundlage erweist sich die Ansicht der Vorinstanzen, die Bekl habe keine hinreichend plausiblen und objektiv nachvollziehbaren Gründe für die Entlassung gehabt, als korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

Ob die Bekl objektiv der Meinung sein durfte, dass Entlassungsgründe vorliegen, kann nur nach ihrem Wissensstand ex ante geprüft werden; es kommt aber nicht darauf an, ob ihre Ansicht ex post aufgrund der Ergebnisse eines förmlichen Beweisverfahrens auch von den befassten Gerichten geteilt wird. [...]

Die[se] unstrittigen Tatsachen reichten objektiv aus, um die Annahme einer Manipulation in Täuschungsabsicht zu begründen. Den belastenden Fakten stand nur die subjektive Darstellung der Kl entgegen, die [...] in keiner Weise die SAP-Eintragung zu erklären vermochte. Es besteht keine generelle Verpflichtung des AG, der leugnenden Verantwortung eines bei einer objektiven Verfehlung betretenen DN Glauben zu schenken, wenn gewichtige Indizien dagegen sprechen. Vorsätzlich herbeigeführte Fehleintragungen in der [...] Zeitstempelkarte können nach stRsp eine Entlassung begründen (RIS-Justiz RS0051356; RS0029647).

3.

Ob die Entlassung auch rechtzeitig ausgesprochen wurde, lässt sich nur nach den Umständen des einzelnen Falls beurteilen. Allgemein darf der Grundsatz, dass Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen sind, nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0031587). [...]

Im vorliegenden Fall konnte die Ansicht der Bekl, die Entlassung noch rechtzeitig ausgesprochen zu haben, wegen der [...] begründbaren Verzögerungen der Erhebungen zumindest nicht als unvertretbar angesehen werden.

4.

Der festgestellte Umstand, dass die Kl bereits Anfang Jänner 2011 von einem Vorgesetzten verwarnt wurde, begründete keinen Untergang des Entlassungsrechts, weil feststeht, dass [...] zuständige Organisationseinheit der Bekl davon keine Kenntnis hatte. Aufgrund seiner fehlenden Entscheidungskompetenz [...] konnte der Vorgesetzte nicht wirksam auf ein Entlassungsrecht der Bekl gegenüber der Kl verzichten, und zwar weder ausdrücklich, noch durch schlüssiges Handeln in Form einer Verwarnung.

5.

Letztlich kann den Vorinstanzen auch nicht beigepflichtet werden, dass die Kl vor Unterfertigung der Auflösungsvereinbarung mangels Beratungs- und Überlegungsmöglichkeit in sittenwidriger Weise überrumpelt wurde. Das Dienstverhältnis war zu diesem Zeitpunkt bereits durch Entlassung beendet und das Angebot einer Umwandlung in eine einvernehmliche Auflösung war für die Kl grundsätzlich, mit der einzigen Ausnahme einer erschwerten Anfechtungsmöglichkeit, eindeutig vorteilhafter [...]. Ein längeres Zuwarten mit einem Vergleichsanbot [...] wäre sogar geeignet gewesen, Zweifel an der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu wecken. Es trifft auch nicht zu, dass keine Beratungsmöglichkeit bestand, weil nicht nur eine Personalvertreterin anwesend war, sondern diese auch der Kl gegenüber eine begründete Empfehlung abgegeben hat. [...] eine eingehendere Besprechung wurde zwar nicht aktiv angeboten, aber von der Kl auch nicht nachgefragt.

Die Anforderung des Berufungsgerichts an den AG, einen entlassenen AN, dem er noch eine gesichtswahrende einvernehmliche Auflösung ermöglichen will, zuvor über mögliche rechtliche Schwachstellen des Entlassungsausspruchs und die Möglichkeiten einer Anfechtung zu beraten, lässt sich mit der Fürsorgepflicht nicht begründen. Ist der AG von der Haltbarkeit seiner Rechtsposition nicht überzeugt und will er den AN gerade deswegen zur einvernehmlichen Auflösung drängen, ist die Auflösungsvereinbarung schon aus diesem Grund anfechtbar. Umgekehrt kann aber von einem AG, der objektiv begründet von der Berechtigung einer ausgesprochenen Entlassung ausgeht, nicht verlangt werden, gegen die eigene Überzeugung und die eigenen Interessen zu argumentieren und den AN geradezu zur Anfechtung der Entlassung zu drängen.

Logische Konsequenz der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung wäre, dass die Möglichkeit einer gesichtswahrenden einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses an Stelle einer berechtigten Entlassung von den AG aus Gründen der Rechtssicherheit schlicht nicht mehr angeboten werden könnte, was gerade aus Sicht des AN-Schutzes alles andere als wünschenswert wäre.

6.

Der Revision der Bekl war daher Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG

Der vorliegenden E ist voll zuzustimmen. Dies gilt vor allem für die Deutlichkeit, mit der der OGH eine der Fürsorgepflicht entspringende Aufklärungspflicht des AG gegenüber dem AN über allfällige Zweifel am Vorliegen eines Entlassungsgrundes bzw über die Möglichkeiten einer Anfechtung ablehnt. Nach kurzer Besprechung der didaktisch wertvollen Ausführungen zur Ausgestaltung des Klagebegehrens soll die E daher zum Anlass genommen werden, Grenzen der Aufklärungspflichten des AG bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszuloten.

1.
Zur Formulierung von Klagebegehren

Die vorliegende E eignet sich als Beispiel, um in der Lehre verstärkt auf die Unterschiede zwischen Feststellungs- und Leistungsbegehren einzugehen, möchte man vermeiden, dass sich das Höchstgericht mit der (Anfänger-)Frage befassen muss, ob bei Vorliegen eines besonderen Kündigungs- oder Entlassungsschutzes (die richtige) Klage auf Feststellung des aufrechten Bestehens des Dienstverhältnisses erhoben oder aber Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung oder Entlassung begehrt werden soll.122

Diffiziler ist dann schon die Beantwortung der Frage, welches Rechtsschutzziel verfolgt wird – auch nach diesem richtet sich die Wahl der Klage. In concreto war eindeutiges Ziel der Kl die (Weiter-)Beschäftigung bei der Bekl. Deutlich hält der OGH fest, dass es zu keinem Rosinenpicken (ausführlich Kreil, Zur Bedeutung der „Rosinentheorie“ im österreichischen Arbeitsrecht, RdW 2010/104) kommen darf und folglich eine Auflösungsvereinbarung nur zur Gänze wegen Willensmangels angefochten werden kann. Bei Anfechtung wegen wesentlichen Irrtums oder List fällt der Vertrag zur Gänze weg (statt aller P. Bydlinski, Bürgerliches Recht: AT6 Rz 3/10, 8/24). Da im vorliegenden Fall somit auch die Zug-um-Zug-Rücknahme der Entlassungserklärung weggefallen wäre, hätte das Rechtsschutzziel ausschließlich mit Klage auf Feststellung des Fortbestehens des Dienstverhältnisses erreicht werden können.

2.
Aufklärungspflichten des AG bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
2.1.
Aufklärungspflichten als Ausfluss der Fürsorgepflicht

Die Fürsorgepflicht gilt in sämtlichen Arbeitsverhältnissen, und somit auch in jenem der Kl, das der VBO 1995 für Wien unterlag (vgl Marhold in

Marhold/Burgstaller/Preyer
, AngG [2012] § 18 Rz 10; Pfeil in
Schwimann
, ABGB I3 § 1157 Rz 4). Neben dem Schutz der gesamten Persönlichkeit des AN (Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht2 [2012] 238) treffen den AG aus der Fürsorgepflicht auch Aufklärungspflichten (statt aller Binder/Schindler in
Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 178 ff). Grundsätzlich wird das Bestehen erhöhter Aufklärungspflichten im Arbeitsverhältnis im Vergleich zum allgemeinen Zivilrecht verneint. Ausnahmen hiervon sollen nur bei besonderer Rechtfertigung bestehen (Egermann, Gibt es eine generelle Förderungs- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers?ZAS 2005/20 [122]).

Nach hM existiert keine generelle Verpflichtung des AG, den AN über dessen Rechte aufzuklären (statt aller Marhold in

Marhold/Burgstaller/Preyer
, AngG § 18 Rn 76). Eine solche kann auch nicht aus § 1157 ABGB abgeleitet werden (OGH9 ObA 157/07iDRdA 2009/18, 242 [Resch]; vgl auch Egermann, ZAS 2005/20 [120]: Eine umfassende Informations- und Aufklärungspflicht würde unter Außerachtlassung der Eigenverantwortung zu einer „bedenklichen Bevormundung“ des AN führen). Vielmehr wird dem AG zugestanden, auch seine eigenen Interessen zu wahren (Marhold in
Marhold/Burgstaller/Preyer
, AngG § 18 Rz 107).

Dem steht nicht die Ansicht entgegen, der AG habe dafür zu sorgen, dass sich der AN im Klaren über Inhalt, Umfang und konkrete Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses befindet. Die Unklarheitenregel des § 915 zweiter Halbsatz ABGB sei dabei insofern differenziert anzuwenden, als auf die betriebliche Position des AN, dessen Bildungsstand und die Begleitumstände der AN-Erklärung abzustellen sei (Binder/Schindler in

Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 178). Eine allgemeine Aufklärungspflicht des AG über unklare AN-Äußerungen ist jedoch nicht von § 915 zweiter Halbsatz ABGB gedeckt und kann auch nicht aus der Fürsorgepflicht des AG abgeleitet werden. Ein AG hat sich bei arbeitnehmerseitiger Beendigung eines Arbeitsverhältnisses keinesfalls stets zu vergewissern, dass der Wille tatsächlich mit dem Erklärten übereinstimmt; dies würde zu einer „unerträglichen“ Belastung des rechtsgeschäftlichen Verkehrs im Arbeitsrecht führen (OGH8 ObA 2134/96yARD 4824/30/97).

2.2.
Aufklärungspflichten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Judikatur

Einen einheitlichen Tenor der Judikatur iZm Aufklärungspflichten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu finden, erweist sich als diffizil. Dies resultiert auch daraus, dass die Fürsorgepflicht des AG stets einer Konkretisierung entsprechend den Begleitumständen bedarf (Binder/Schindler in

Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 1). So finden sich Entscheidungen (Nachweise bei Binder/Schindler in
Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 186 f), wonach keine Verpflichtung des AG besteht, den AN über seine Beratungsrechte nach § 104a ArbVG zu informieren (OGH9 ObA 157/07iDRdA 2009/18, 242 [Resch]), der AG jedoch sehr wohl dazu verpflichtet sein soll, den AN bei entsprechendem Bemühen, sich über Kündigungsfristen zu informieren, aufklärend zu unterstützen (ASG Wien1 Cga 9/01aARD 5382/11/2003). Auch treffe den AG eine Aufklärungspflicht darüber, dass dem AN bei Erfüllen der Voraussetzungen eine (Pensions-)Abfertigung nach § 23a Abs 1 AngG zustehe (ASG Wien1 Cga 84/90ARD 4334/4/92). Setzt der AN ein Verhalten, das eine Entlassung rechtfertigen würde, so soll eine plötzliche Entlassung bei zunächst widerspruchsloser Hinnahme des Verhaltens unzulässig sein; vielmehr müsste der AG den AN zu vertragsgemäßem Verhalten auffordern bzw ihn zuvor ermahnen (etwa OGH9 ObA 162/92ARD 4471/27/93). Ist sich der AN jedoch seines vertragswidrigen Verhaltens bewusst und hat sich der AG auch bereits mehrfach um Korrektur bemüht, so bedarf es keiner Ermahnung/Aufklärung, bevor eine Entlassung ausgesprochen wird (OGH9 ObA 211/98iASoK 1999, 175; OGH8 ObA 23/03wRdW 2003, 724). Eine Verpflichtung des AG, den ehemaligen AN auf den bevorstehenden Ablauf der Verjährungsfrist betreffend Beendigungsansprüche hinzuweisen, besteht ebenfalls nicht – hierdurch würde die Fürsorgepflicht eindeutig überspannt (etwa Marhold in
Marhold/Burgstaller/Preyer
, AngG § 18 Rz 22; OGH8 ObA 340/97a).

Der AG ist auch nicht dazu verpflichtet, bei AN-Kündigung über die allenfalls widrigen Folgen aufzuklären (OGH8 ObA 2134/96yARD 4824/30/97). Umso mehr muss dies für den vorliegenden Fall gelten. Die einvernehmliche Auflösung stellte – abgesehen von der bloß eingeschränkten Anfechtungsmöglichkeit – im Vergleich zur Entlassung für die Kl sogar die günstigere Beendigungsvariante dar. Der Kl sollte auch keine für sie nachteilige Vereinbarung untergeschoben werden, weshalb die Fürsorgepflicht nicht verletzt war (vgl OGH9 ObA 103/87

; Marhold in
Marhold/Burgstaller/Preyer
, AngG § 18 Rz 108).

Durchaus denkbar ist, dass sich die Unterinstanzen in der vorliegenden E von zwei OGH-Urteilen leiten ließen, wonach einerseits eine vom AG vorbereitete AN-Selbstkündigung dann unwirksam sein soll, wenn der AN ohne Einräumung einer Überlegungsfrist durch Androhung mit der Entlassung zur Unterfertigung des123 Kündigungsschreibens veranlasst wurde (OGH8 ObA 329/94RdW 1995, 271), andererseits Unwirksamkeit einer einvernehmlichen Auflösung vorliegen soll, wenn der AN über den zulässigen Inhalt eines Arbeitszeugnisses in die Irre geführt bzw nicht informiert wurde oder eine Information über den Entlassungsschutz schwangerer AN nicht erfolgte (OGH9 ObA 31/00zwbl 2000, 474). Im vorliegenden Fall hatte der AG jedoch nicht mit der Entlassung gedroht, sondern diese vielmehr bereits ausgesprochen; das Arbeitsverhältnis war daher bereits beendet. Eine Irreführung über das Vorliegen eines Entlassungsgrundes, das die AN zur einvernehmlichen Auflösung bewegte, lag ebenfalls nicht vor: Hierzu hätte der AG in der AN eine Fehlvorstellung von der Wirklichkeit hervorrufen müssen. Wie der OGH festgehalten hat, können vorsätzlich herbeigeführte Fehleintragungen in der Zeitstempelkarte eine Entlassung begründen. Da nach den unstrittigen Tatsachen aus Sicht des AG die Möglichkeit derartiger Manipulationen objektiv begründet war, war es ihm objektiv nicht möglich, einen Irrtum bei der AN hervorzurufen.

2.3.
Grenzen der Aufklärungspflicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Weder in Rsp noch in Literatur existiert ein Konsens über die Reichweite der Fürsorgepflicht (Pacic, Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Lichte der Rechtsprechung, ZAS 2010/26 [144]). Dies gilt auch für die der Fürsorgepflicht entspringenden Aufklärungspflichten des AG (vgl Egermann, ZAS 2005/20 [120]). Nach den Materialien zu § 1157 ABGB (78 BlgHH 21. GP zu § 1157) soll Grenze der Fürsorgepflicht das „nach der Natur der Dienstleistung mögliche“ sein (Pacic, ZAS 2010/26 [150]). Dem OGH (4 Ob 194/55Arb 6428) folgend führt Tomandl (Entwicklungstendenzen der Treue- und Fürsorgepflicht in Österreich, ZAS 1974, 129 [136]) aus, dass die Fürsorgepflicht als Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben den AG nur zu ihm billigerweise „zumutbarem Verhalten“ verpflichtet.

Zu den Aufklärungspflichten im allgemeinen Zivilrecht wird vertreten, dass keine allgemeine Rechtspflicht bestehe, den Geschäftspartner über jegliche Umstände aufzuklären, die für seine Entscheidung zum Vertragsschluss relevant sein könnten. Generelle Aussagen zum Bestehen einer Aufklärungspflicht (iZm Vertragsschluss und Verschulden bei Vertragsschluss [culpa in contrahendo]) könnten jedoch kaum getätigt werden, vielmehr komme es auf die Übung des redlichen Verkehrs an (Reischauer in

Rummel
, ABGB I3 vor §§ 918-933 Rz 15 mwN).

Denkbar wäre es, für das Arbeitsrecht aus dessen Schutzcharakter (verstärkte) Aufklärungspflichten zu fordern. Nach der zuvor dargestellten Rsp kann jedoch aus der Fürsorgepflicht nicht die Verpflichtung des AG abgeleitet werden, den AN gegenüber dessen eigenen Erklärungen zu schützen oder ihn auf nachteilige Konsequenzen hinzuweisen. Auf das Schutzprinzip sollte nur dann rekurriert werden, wenn es erforderlich ist, um ein tatsächliches Ungleichgewicht zu mildern oder auszugleichen (F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts [1996] 550). Bei der Bestimmung der Grenzen der Aufklärungspflichten ist daher danach zu fragen, ob die Position des AN aufgrund realer Benachteiligungen schutzwürdiger ist, etwa weil ein Informationsungleichgewicht besteht (vgl auch den sogenannten Übereilungsschutz in § 10 Abs 7 MSchG, § 7 Abs 3 VKG, § 16 APSG sowie § 15 Abs 5 BAG; mangels besonderer Schutzwürdigkeit und daher mangels ähnlichen Sachverhalts können diese Wertungen jedoch nicht analog auf nicht besonders kündigungsgeschützte AN angewendet werden: Resch, Anm zu OGH9 ObA 157/07iDRdA 2009/18 [244]).

Ob das Abhängigkeitsverhältnis in der Beendigungsphase hingegen tatsächlich geringer als während aufrechten Arbeitsverhältnisses ist (vgl OGH 27.6.1996, 8 ObA 2134/96y), ist zweifelhaft. Gerade in der Beendigungsphase hat der AG gewisse Druckmittel in der Hand (etwa Verweigerung der Auszahlung von Ansprüchen), um den AN zu für ihn, den AG, günstigen Erklärungen zu bewegen (man denke an Verzichts- oder Verschwiegenheitserklärungen). Nach der Drucktheorie ist allgemein anerkannt, dass die Drucksituation auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch fortbestehen kann (statt aller Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht2 182 ff). Eine generelle Behauptung, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestünden nur verminderte Aufklärungspflichten, kann daher nicht aufgestellt werden.

Eines der ausschlaggebenden Kriterien für eine Aufklärungspflicht sollte daher ein zwischen den Parteien bestehendes Informationsungleichgewicht sein (vgl Egermann, ZAS 2005/20 [120]). Wendet man idZ unter ökonomischen Gesichtspunkten den „cheapestcost- avoider-Gedanken“ an (vgl hierzu Pletzer, Aufklärungspflichtverletzung und Vertragsaufhebung, JBl 2002, 545 [555 f] mwN), so sollten die vielfältigen Möglichkeiten des AN, kostenlos bzw -günstig Rechtsberatung einzuholen (vgl auch § 104a ArbVG), nicht unberücksichtigt bleiben (vgl Egermann, ZAS 2005/20 [121 f]). Auch der OGH führt aus, dass für AG und AN grundsätzlich gleichwertige Informationsmöglichkeiten über die Bedingungen einer rechtmäßigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses existieren (OGH8 ObA 2134/96yARD 4824/30/97). Im vorliegenden Fall war bei Abschluss der Auflösungsvereinbarung die Personalvertreterin anwesend, die der Kl auch beratend zur Seite stand. Hinzu kam, dass die Kl nicht auf einer Überlegungsfrist insistierte, ja sogar eine solche nicht einmal ansprach. Ein vom AG auszugleichendes Informationsungleichgewicht lag daher nicht vor, mag auch in der Praxis ein expliziter und dokumentierter Hinweis des AG auf die Möglichkeit der (kostenlosen) Rechtsberatung sowie die Einräumung einer Überlegungsfrist durchaus ratsam sein (vgl Egermann, ZAS 2005/20 [121]). Ist es für den AG allerdings erkennbar, dass der AN einem Gespräch über eine einvernehmliche Auflösung nicht folgen kann, ist hierbei insofern von einer verstärkten Aufklärungspflicht des AG auszugehen, als das Arbeitsverhältnis als fortbestehend erachtet wird, wenn der AG den AN trotz dessen offensichtlichen Unvermögens, die Situation sinnerfassend zu begreifen, zur Unterzeichnung verhält (Binder/Schindler in

Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 248 unter Verweis auf OGH9 ObA 103/87). Zu weit gehen hingegen Kerschner (Anm zu OGH4 Ob 1/82) und ihm folgend Binder/Schindler (in
Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 186), die vertreten, dass den AG eine Aufklärungspflicht treffe, wenn der AN eindeutig die rechtmäßige Kündigungsfrist „verfehlt“.124

Greift man den Gedanken der Zumutbarkeit der Fürsorgepflicht auf, so ist im Anschluss an jene, die eine gewisse Interdependenz zwischen Fürsorge- und Treuepflicht bejahen (vgl die Nachweise bei Risak, Anm zu OGH8 ObA 2113/96ZAS 1997/8), festzuhalten, dass die Fürsorgepflicht in einer Treuepflichtverletzung durch den AN ihre Grenze findet. MaW: Ein AN, der seine Treuepflicht verletzt, kann sich nicht auf die Einhaltung der Fürsorgepflicht des AG berufen. Mag dies auch nicht explizit in der vorliegenden E erwähnt werden, so dürfte ihr dennoch dieser Gedanke zugrunde liegen: Der AG war objektiv begründet von der Berechtigung der Entlassung ausgegangen, die Kl hatte daher durch das bei ex ante-Betrachtung zur Entlassung berechtigende Verhalten ihren Treuepflichten zuwider gehandelt. Konsequenterweise kann vom AG gerade nicht verlangt werden, die AN über allfällige Zweifel am Vorliegen eines Entlassungsgrundes zu informieren und über ihre Rechte aufzuklären.

Die Fürsorgepflicht verhält den AG auch nicht dazu, Eigenschäden hinzunehmen und somit eigene schutzwürdige Interessen zu vernachlässigen oder auf bestimmte eigene Rechte zu verzichten (Binder/Schindler in

Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 11 mwN; vgl auch Resch, Anm zu OGH9 ObA 90/07mDRdA 2009/3 [32]). Die genannten AG-Interessen können auch bei der Grenzziehung von Aufklärungspflichten fruchtbar gemacht werden. IdS ist auch die E in OGH9 ObA 231/02iARD 5412/3/2003 zu verstehen, wonach der AG den AN nicht gesondert auf die Nichtverlängerung des befristeten Arbeitsvertrags hinzuweisen hat, insb dann nicht, wenn für den AN die Unzufriedenheit des AG mit seiner Arbeitsleistung (objektiv) erkennbar ist. Im Gegensatz dazu werden bei relativer Unbestimmtheit des Ablauftermins des Arbeitsverhältnisses Aufklärungspflichten des AG wohl zu Recht bejaht (Binder/ Schindler in
Löschnigg
, AngG II9 § 18 Rz 239).

Zusammengefasst ist von keiner generellen Aufklärungspflicht des AG iZm der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Nur in Ausnahmefällen, etwa zur Aufhebung eines Informationsungleichgewichts, das auch nicht durch Auskunftseinholung bei Dritten beseitigt werden kann, treffen den AG Aufklärungspflichten. Verletzt der AN seine Treuepflicht, kann vom AG keine der Fürsorgepflicht entspringende Aufklärung des AN erwartet werden. Dies ist ebenso wenig zumutbar wie etwa eine Verpflichtung zur Aufklärung, wenn der AG sich dadurch Eigenschäden zufügen, eigene schutzwürdige Interessen vernachlässigen oder auf bestimmte eigene Rechte verzichten würde.