Wagner/Bergthaler (Hrsg) Interdisziplinäre Rechtswissenschaft – Schutzansprüche und Schutzaufgaben im Recht (Festschrift Kerschner)

Verlag Österreich, Wien 2013, 813 Seiten, gebunden, € 158,–

PETERMADER (SALZBURG)

Insgesamt 41 AutorInnen haben sich zusammengefunden, um den Linzer Rechtswissenschaftler Ferdinand Kerschner mit einer Festschrift zu seinem 60. Geburtstag zu ehren. Entsprechend dem breitgefächerten wissenschaftlichen Oeuvre des Jubilars ist auch dieser Sammelband breit angelegt. Die Beiträge erfassen neben grundsätzlichen zivilrechtsdogmatischen und methodischen Fragen mehrere Teilbereiche des Zivilrechts, Fragen des Umwelt- und Nachbarrechts (sowohl in privatrechtlichen als auch in öffentlich-rechtlichen Zusammenhängen) bis hin zum Wettbewerbs- und Abgabenrecht. Enthalten ist zudem eine besondere Hommage auf Kerschner, verfasst von seinem langjährigen Freund und Kollegen Robert Rebhahn, der es unternommen hat, den „Spuren“ des Geehrten in der Judikatur nachzugehen und bei diesem Unterfangen fast 200 höchstgerichtliche Entscheidungen aufgefunden hat, die Kerschner nicht nur zitieren, sondern sich mit seinen Thesen näher auseinandersetzen (naturgemäß nicht stets, aber doch in vielen Fällen zustimmend). Auch in der arbeitsrechtlichen Judikatur findet sich eine Vielzahl von Entscheidungen, die sich mit den Thesen Kerschners auseinandersetzen, wie zB zum DN-Anspruch aus § 1014 ABGB analog.

Entsprechend der Vielzahl und auch der Heterogenität der Beiträge kann an dieser Stelle nur wenig in die Diskussion der erörterten Rechtsprobleme eingestiegen werden. Gleichwohl soll ein Überblick geboten werden:

Im Rahmen des Abschnittes „Dogmatik, Methodenlehre und Werte“ findet sich ein Beitrag von Peter Jabornegg mit arbeitsrechtlichem Bezug, nämlich zur Dogmatik der die AN begünstigenden Betriebsübung. Jabornegg folgt hier einem von Kerschner bereits in den 1980er-Jahren verfolgtem Ansatz, nach dem die betriebliche Übung als Verkehrssitte zu verstehen ist, genauer, dass eine konkrete Betriebsübung einen im Weg einer Vertragsergänzung nach der Verkehrssitte in den Einzelarbeitsvertrag eingehenden Vertragsinhalt darstellt. Jabornegg zeigt in diesem Zusammenhang – mE überzeugend – auf, dass die Deutungsversuche der hA, die sich meist auf § 863 ABGB (aber auch zT auf rechtsgeschäftsfremde Ansätze) stützen, nicht wirklich befriedigen können. Sein Ansatz führt meist nicht zu von der bisherigen hA abweichenden Ergebnissen, bietet aber eine deutliche tragfähigere Begründung, wobei der Autor auch die Fälle einer irrtümlich entstandenen Betriebsübung einbezieht. Einen Rückblick auf 200 Jahre ABGB bietet Peter Apathy, der die klare und verständliche Sprache der Kodifikation hervorhebt und sie als Vorbild für die Bestrebungen betreffend gesamteuropäische Kodifikationen empfiehlt. Heribert Franz Köck und Franz Leidenmühler befassen sich mit den Werten der Europäischen Union und wenden sich dabei gegen die Ansicht, dass diese erst gefunden werden müssten. Rudolf Reischauer konstatiert pointiert ein „Versagen“ des auf Walter Wilburg zurückgehenden beweglichen Systems in Theorie und Praxis und bezieht seine Argumente vorwiegend aus schadenersatzrechtlichen Fragestellungen wie etwa der Beurteilung von Schockschäden. Andreas Vonkilch stellt die methodische Figur der richterlichen Vertragsergänzung dem Grundsatz der Vertragstransparenz gegenüber und beleuchtet das gegebene Spannungsverhältnis mit Judikaturbeispielen, etwa aus der Zinsgleitklauseldebatte oder dem Versicherungsrecht. Der Autor plädiert zu Recht dafür, bei der Auflösung dieses Spannungsverhältnisses am Schutzzweck jener Normen anzusetzen, die eine erhöhte Vertragstransparenz zu Wirksamkeitsvoraussetzungen vertraglicher Vereinbarungen machen (wie etwa § 6 Abs 1 Z 5 bzw Abs 3 KSchG).

Im Abschnitt „Zivilrecht – Allgemeiner Teil und Schuldrecht“ befasst sich zunächst Michael Bydlinski mit materiellrechtlichen Fragen der Klageausdehnung, insb der Wirkung einer Prozessvollmacht auch für die materiellrechtliche Vertretungsbefugnis sowie der Frage, ob eine Klageausdehnung im Verfahren die nach § 904 ABGB erforderliche Fälligstellung131 bewirkt – eine bisher erstaunlich dürftig untersuchte Fragestellung, die andererseits aber ein hohes Risikopotential in sich birgt. Peter Bydlinski untersucht das Verhältnis und die Abgrenzung des Anwendungsbereiches von Gewährleistungsund Annahmeverzugsregeln im Kontext mit der Frage des Fristbeginns der Vermutungsfrist des § 924 Satz 2 ABGB (und aus Anlass der OGH-E vom 15.2.2011, 4 Ob 147/10m). Silvia Dullinger knüpft an die Judikaturlinien in Zusammenhang mit der Kausalitätsbeweislastverteilung bei Verletzung von Aufklärungspflichten an, die nicht widerspruchsfrei sind, wobei die Autorin besonders auf den Haftpflichtprozess (unter Einbeziehung der besonderen Lage bei Arzthaftungsfällen), den Anfechtungsprozess und die Beweislastsituation in den Fällen einer „hypothetischen Alternativanlage“ eingeht. Attila Fenyves befasst sich mit den Rechtsfiguren des „Anscheinsagenten“ und des „Pseudomaklers“ im Versicherungsvertragsrecht, Martin Karollus mit der Verjährung von Schadenersatzansprüchen nach § 1489 ABGB und hier besonders mit der schwierigen Frage des Verjährungsbeginns sogenannter Folgeschäden, die zwar durch die OGH-E vom 19.12.1995, 1 Ob 621/95 (verstärkter Senat) grundsätzlich geklärt erscheint, aber eine Vielzahl von Einzelproblemen offen lässt (besonders bei der Abhängigkeit eines Schadens vom Ausgang eines präjudiziellen Vorprozesses). Meinhard Lukas stellt die Situation der Vertretung der Bundesländer bei Handeln im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung dar, für die das Organisationsrecht der Länder maßgeblich ist, das aber erhebliche Auslegungsfragen aufwirft. Andreas Riedler bietet Miszellen zur „geschriebenen Form“, die durch das Vers- RÄG 2012 im VersVG als neue Formart eingeführt worden ist und befürwortet eine Übernahme auch für bestimmte Bereiche des allgemeinen Zivilrechts. „Anmerkungen eines Zweiflers“ hat Rudolf Welser zur sogenannten Parallelschuld (Parallel Debt) verfasst, in denen er die aus dem angloamerikanischen Recht übernommene Konstruktion für das österreichische Zivilrecht mit beachtenswerten Gründen generell in Frage stellt.

Im Abschnitt „Sachenrecht“ finden sich zwei Arbeiten: Christian Holzner behandelt die auflösend bedingte oder befristete Übereignung beweglicher Sachen, besonders in Zusammenhang mit dem Sicherungseigentum, aber auch in anderen Konstellationen und stellt dabei ua die Rechtsfolgen für Exekution und Insolvenz dar. Georg Kodek referiert in seinem Beitrag zwei Entscheidungen des OGH zu sachenrechtlichen Fragestellungen betreffend Sachen, die unter das Regime des öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzes fallen und befasst sich mit dem Verhältnis zwischen privatem Sachenrecht und öffentlichem Recht in dieser besonderen Konstellation. Betroffen sind einerseits die Beurteilung der Zubehöreigenschaft bei denkmalrechtlich geschützten Gütern und andererseits die Regeln der internationalen Kulturgüterrückgabe in ihrem Verhältnis zu den Regeln über den gutgläubigen Eigentumserwerb.

Im Abschnitt „Ehe und Familie, Generationengerechtigkeit“ stellt Astrid Deixler-Hübner die neuen verfahrensrechtlichen Regeln des KindNamRÄG 2013 vor (und bewertet sie überwiegend positiv). Constanze Fischer-Czermak behandelt die (auch nach geltendem Recht relevante) Frage, wann eine nichteheliche Lebensgemeinschaft vorliegt und formuliert in ihrem Beitrag die entscheidenden Wesensmerkmale. Herbert Kalb bietet Anmerkungen zur religiös motivierten Beschneidung Minderjähriger aus religionsrechtlicher, strafrechtlicher, familienrechtlicher und grundrechtlicher Sicht. Georg Kofler befasst sich mit der Berücksichtigung von „Kinderlasten“ im Steuerrecht, also dem österreichischen System der Familienbesteuerung, konstatiert dabei erhebliche Defizite und nennt mögliche Reformalternativen. Matthias Neumayer und Marco Nademleinsky widmen ihren gemeinsamen Beitrag der Behandlung vermögensrechtlicher Scheidungsfolgen im Internationalen Privatrecht und stellen dabei besonders die Auswirkungen der Verordnungsvorschläge der Europäischen Kommission „Rom IVa“ und „Rom IVb“ für das österreichische Recht dar. Reinhard Resch betrachtet § 16 Abs 1 BPG und die Frage der Anrechnung der gesetzlichen Pension auf eine Leistung nach dem BPG. Martin Schauer stellt – ausgehend von der Fragestellung, ob alternative Instrumente zur Privatstiftung geschaffen werden sollten – neue Gestaltungsformen für die „generationenübergreifende Vermögensplanung“ vor und untersucht dabei den patto di famiglia (Familienvertrag) des italienischen Rechts, die Testamentsvollstreckung des deutschen Rechts sowie den Trust des angloamerikanischen Rechts (wobei er sich für eine Übernahme der beiden letzteren Institute ausspricht).

Im Abschnitt „Nachbarschutz und Bürgerbeteiligung“ setzt sich zunächst Wilhelm Bergthaler mit der Dispositionsfreiheit des Nachbarn (und ihren Grenzen) auseinander. Bernhard Raschauer untersucht grenzüberschreitende Einwirkungen im Umweltverwaltungsrecht sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Nicolas Raschauer und Florian Stangl behandeln den sogenannten „Schienenbonus“ bei der Beurteilung lärmmäßiger Auswirkungen von Eisenbahnanlagen und äußern Bedenken gegen diese Regelung nicht zuletzt auf verfassungsrechtlicher Ebene. Eva Schulev-Steindl formuliert Gedanken zur elektronischen Bürgerbeteiligung (E-Participation) besonders im Verwaltungsverfahren und stellt in diesem Zusammenhang auch Überlegungen de lege ferenda an. Harald Stolzlechner und Michaela Lütte bieten einen Überblick über die aktuelle Judikatur des VwGH zum gewerblichen Betriebsanlagenrecht. Letztlich stellt Erika Wagner in ihrem umfassenden Beitrag die Frage, ob sich die Atomkraft an den „Grenzen des Rechts“ befindet (was nicht bloß geografisch, sondern etwa auch in Hinsicht auf die Leistungsfähigkeit einer Rechtsordnung gemeint ist) und bezieht dabei die völkerrechtliche, europarechtliche und nationale Ebene mit ein.

Im Abschnitt „Wasser- und Naturschutzrecht“ befasst sich Franz Oberleitner mit Übereinkommen und Zwangsrechten im Wasserrecht, namentlich der Rolle der zivilrechtlichen Verhältnisse bei wasserrechtlichen Bewilligungen. Herbert Rössler behandelt den Schutz von Wasserversorgungsanlagen im Widerstreit zwischen öffentlichen Interessen und Privatrechten etwa betroffener Grundeigentümer, wobei auch Erfahrungen mit Modellen eines „Vertragswasserschutzes“ berichtet werden. Rainer Weiß thematisiert die Problematik landesrechtlicher Nutzungseinschränkungen in „Natura 2000“-Schutzgebieten, verbunden mit den einschlägigen Entschädigungsregelungen, die ihren Niederschlag bereits in der höchstgerichtlichen Judikatur gefunden haben.

Im Abschnitt „Wettbewerbs- und Abgabenrecht“ setzt sich Markus Achatz mit den finanzverfassungsrechtlichen Grundlagen von Landesumweltabgaben und den Spielräumen der Länder auseinander, dies am Beispiel einer Abgabe auf Sendeanlagen. Eveline Artmann bietet eine Bestandsaufnahme betreffend die Beurteilung umweltbezogener Werbung seit der UWG-Novelle 2007. Franz Zehetner behandelt schließlich Verkehrslenkungs- und Umweltlenkungsgebühren im Rahmen der EU-Wegekosten-RL, also die europarechtlichen Rahmenbedingungen dieses Bereiches.

Abgerundet wird der vorliegende Festschriftenband letztlich durch den Abschnitt „Recht im internationalen Kontext“, er ist besonders dem tschechischen Recht gewidmet: Milan Damohorsky berichtet über umweltschutzbezogene Regeln im neuen tschechischen BGB, Vojtech Stejskal über die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Umweltschutzes im tschechischen Recht.

Eine Festschrift ist stets – im Einzelnen mehr oder weniger – ein Spiegelbild der wissenschaftlichen Tätigkeitsbereiche des jeweils Geehrten. Für die vorliegende trifft dies in sehr hohem Ausmaß zu. Sie ist indes nicht nur aus diesem Grund lesenswert: Die Beiträge sind nicht nur thematisch breit gestreut, sondern in ihrer Mehrzahl von hoher Qualität und in vielen Fällen so originell und innovativ, wie das dieser besonderen Kategorie juristischer Literatur angemessen ist.