WehrleBin ich hier der Depp? – Wie Sie dem Arbeitswahn nicht länger zur Verfügung stehen

Mosaik-Verlag (Verlagsgruppe Random House) München 2013, 232 Seiten, € 15,50

BARBARATROST (LINZ)

Spät abends – ich glaube, es war um 22:30 Uhr – begann ich mit der Lektüre dieses Buches. Bis Mitternacht hatte ich mich selbst davon überzeugt, dass es nicht „Arbeit“ war, was hier stattfand, sondern genussvoller Konsum von Unterhaltung. Anders hätte ich mir nämlich ohne lange Überlegung die Antwort auf Martin Wehrles Titelfrage selbst gegeben und mich in die Reihe jener zahlreichen InterviewpartnerInnen des Autors eingereiht, deren beklemmende Beichten aus dem Arbeitsleben den Inhalt des ersten Teils des Buches bestimmen. Die Geschichten – die Namen der UrheberInnen wurden zu deren Schutz verändert (384 FN 14) – handeln von exorbitanten Arbeitszeitüberschreitungen, unbezahlten Überstunden, unterschlagenenen Urlaubstagen und einer geringschätzenden und abwertenden Behandlung, die mit Recht die Bezeichnung Psychoterror verdient. Die Berichte sind glaubwürdig, so absurd sie auch auf den ersten Blick scheinen mögen, und fast wäre man geneigt, gleich selbst ein paar zusätzliche Episoden dieser Art in Gedanken anzufügen, wenn man das Arbeitsleben (zB als BelegschaftsvertreterIn) auch aus der Sicht der Leidenden kennt. Dies war es auch, warum ich nach den ersten Kapiteln aufgehört habe, das Buch vor dem Einschlafen zu lesen: Albtraumgefahr!135

Was also zunächst dem Anschein nach als Geschichtenbuch daherkommt, entpuppt sich schnell als bitterböses Bild einer noch böseren Realität jener Menschen, die, um zu überleben, oder aber auch, um einem praktisch kaum jemals erreichbarem, großartigem Karrieresprung ein kleines Stück näher zu kommen, zulassen, dass ihnen AG Freizeit, Lebensqualität, Menschenwürde und Gesundheit rauben.

Manch faszinierende Erkenntnisse untermauert der Autor durchaus auch mit wissenschaftlichem Beweis. Einer Studie des Henley Management Colleges zufolge vergeudet etwa eine Führungskraft im Schnitt dreieinhalb Jahre ihres Lebens mit unwichtigen oder überflüssigen Mails (FN 69). Es beruhigt, dass es sich hierbei um einen Durchschnittswert handelt – aus eigener Anschauung hätte ich bei manchen Zeitgenossen aus meinem Umfeld glatt gefühlte fünf Jahre angenommen. „Arbeitest du schon oder mailst du noch?“ ist nur eine der Fragen, die im Unterkapitel „Depp im Web“ erörtert werden. Auch der Chef als Facebook-Freund wird kritisch beleuchtet. Das Kapitel über „Momo“ (46 ff), die Abkürzung für „Motivationsmord“ begeistert ebenso durch Praxisnähe wie diverse präzise Beschreibungen psychologischer Tricks (111 ff) zur Manifestierung der Selbstausbeutung.

Eine Zäsur in der Mitte der tragikomischen Ausführungen bildet der „Depp-Faktor-Test“. Niemand, der dieses Buch liest, wird der Versuchung widerstehen können, diesen Test an sich selbst auszuprobieren. Und ich wage die Vermutung, dass die meisten anhand des Ergebnisses sodann mit Spannung den letzten Teil des Buches lesen werden, in dem der Autor auf der „Glücksfährte“ Wege heraus aus dem Hamsterrad aufzeigt. Er tut dies wieder teilweise anhand von Beispielen aber unterlegt mit brauchbarem psychologischem Fachwissen. Details darüber sollen an dieser Stelle aber gar nicht verraten werden, denn ein Rest an Überraschung soll bleiben, wenn man sich an die Lektüre dieses überaus lesenswerten Buches macht.