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Entgeltfortzahlung bei der Teilnahme an einer Betriebsversammlung

WOLFGANGGORICNIK (SALZBURG)
  1. Ob dem Betriebsinhaber (BI) die Inanspruchnahme von Arbeitszeit für die Durchführung einer Betriebsversammlung zumutbar ist, hat der Einberufer zu prüfen und diese Zumutbarkeitsprüfung obliegt nicht dem einzelnen zur Teilnahme an der Betriebsversammlung berechtigten AN. Auch wenn nach Ansicht des BI die Abhaltung der Versammlung während der Arbeitszeit für ihn unzumutbar ist, ist daher der Anspruch auf Freistellung gegeben, solange nicht ein Gericht die Abhaltung während der Arbeitszeit untersagt oder der Einberufer die Versammlung absagt. Dem einzelnen AN dürfen daraus keine Nachteile für seinen Freistellungsanspruch entstehen. Die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von Arbeitszeit stellt daher keine Vorfrage für die Klärung der Entgeltfortzahlungsansprüche der AN dar.

  2. Ein AN muss für die Frage der Entgeltfortzahlung für die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung nicht nach der Form ihrer Durchführung, sei es als Voll- oder Teilversammlung, unterscheiden.

  3. Wenn § 6 Abs 1 BR-GO die genaue Abgrenzung des Kreises der AN erfordert, die zur Teilnahme an den einzelnen Teilversammlungen und zur Stimmabgabe berechtigt sind, kann die Teleologie der Bestimmung nur darin gesehen werden, dass vorab feststehen soll, welche AN ein Recht zur Teilnahme an einer Teilversammlung haben (und auch auf ihrer Teilnahme bestehen können) und wer von ihnen darüber hinaus zur Stimmabgabe berechtigt ist, womit auch mögliche Probleme bei Abstimmungen (Prüfung der Erfüllung des Anwesenheitsquorums, Stimmberechtigungen) vermieden werden sollen. Die Regelungen des § 6 Abs 1 und 2 BR-GO können damit lediglich als Ordnungsvorschriften für die Durchführung von Teilversammlungen verstanden werden.

  4. Ein Einberufer, der sich nicht auf einen iSd § 6 Abs 1 BR-GO abgegrenzten Teilnehmerkreis berufen kann, mag daher zwar rechtswidrig handeln. Nach der genannten Zwecksetzung der Bestimmung kann aber nicht angenommen werden, dass mit einer nicht ordnungsgemäßen Einberufung auch der Freistellungsanspruch des einzelnen AN entfallen soll, der im Glauben, zur Teilnahme an einer angekündigten Teilversammlung berechtigt zu sein, der (auch) ihn betreffenden Einberufung folgt.

Die Bekl beschäftigt in ihrem Druckzentrum ca 90 Mitarbeiter. Es wird im Dreischichtbetrieb gearbeitet (6:00 bis 14:00 Uhr; 14:00 bis 22:00 Uhr; 22:00 bis 6:00 Uhr). Für die Gruppe der Arbeiter ist ein BR errichtet. Dieser führte eine Betriebsgruppenversammlung in Form von zwei Teilversammlungen durch, die nach Verständigung der Geschäftsleitung am 8.5.2012 von 12:00 bis 14:15 Uhr und am 9.5.2012 von 21:15 bis 23:40 Uhr abgehalten wurden. Als Tagesordnungspunkte waren vorgesehen: Begrüßung, Bericht des Betriebsratsvorsitzenden (BRV), Teilzeitbeschäftigte und fallweise Aushilfen, Referat des Regionalsekretärs der GPA-DJP, Allfälliges.

Am 8.5.2012 nahmen 43, am 9.5.2012 nahmen 33 AN an der jeweiligen Teilversammlung teil. Eine Abgrenzung der Teilnehmerkreise für die jeweilige Teilversammlung war nicht erfolgt. Einige der AN waren in beiden Teilversammlungen anwesend. Der BRV markierte auf seiner Mitarbeiterliste mit Leuchtstift die Anwesenden bzw schrieb sie ergänzend hinzu. Anders als bei allen früheren Betriebsversammlungen lehnte die Bekl, wie von ihr mit Aushang vom 7.5.2012 angekündigt, eine Entgeltfortzahlung für die Teilversammlungen ab.

Der kl BR begehrte iSd § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass 23 (im Einzelnen genannte) AN für die Teilnahme an der Teilversammlung am 8.5.2012 während ihrer Arbeitszeit und 21 (im Einzelnen genannte) AN für die Teilnahme an der Teilversammlung am 9.5.2012 während ihrer Arbeitszeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben. Dafür bestehe eine langjährige betriebliche Übung. Die unterbliebene Abgrenzung der Teilnehmerkreise sei ohne Relevanz, weil keine Beschlussfassungen geplant gewesen seien. § 6 BR-GO sei lediglich eine Ordnungsvorschrift zur Vermeidung von Problemen bei der Abstimmung.115

Die Bekl wandte ua ein, für Teilgruppenversammlungen bestehe keine betriebliche Übung. Sie habe durch Aushang klargestellt, dass für die Versammlungen keine Entgeltfortzahlung gewährt werde. Die Betriebsversammlungen seien auch unzulässig gewesen, weil die Teilnahmeberechtigten für die beiden Termine nicht iSd § 6 Abs 1 Satz 2 BR-GO genau abgegrenzt worden seien und dementsprechend manche AN an beiden Terminen teilgenommen hätten. Der Kl habe bei der Terminwahl auch keine Rücksicht auf AG-Interessen genommen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl keine Folge. Für die Entgeltfortzahlung bestehe eine betriebliche Übung, weil ein redlicher AN für die Frage der Entgeltfortzahlung für die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung nicht nach der Form ihrer Durchführung habe unterscheiden müssen. Ob dem AG (gemeint wohl: BI, Anm des Verf) die Inanspruchnahme von Arbeitszeit für die Durchführung einer Betriebsversammlung zumutbar sei, habe der Einberufer zu prüfen. Da der einzelne AN keinen Einfluss darauf habe, scheide die Zumutbarkeit als Kriterium für die Beurteilung des Entgeltfortzahlungsanspruchs aus. Die unterbliebene Abgrenzung des Teilnehmerkreises iSv § 6 Abs 1 BR-GO könne am Entgeltfortzahlungsanspruch der AN nichts ändern, weil diese Regelung eine Ordnungsvorschrift sei, die vor allem mögliche Abstimmungsprobleme bei der Abhaltung einer Betriebsversammlung in Form von Teilversammlungen hintanhalten solle. Es seien auch keine Beschlussfassungen in den Teilversammlungen vorgesehen gewesen. Soweit Personen an beiden Teilversammlungen teilgenommen hätten, werde die Entgeltfortzahlung nur für die Teilnahme an einer Veranstaltung begehrt.

Die Revision sei zur Frage zulässig, inwieweit eine nach § 6 Abs 1 BR-GO fehlerhafte Einberufung einer Teilbetriebsversammlung den Verlust eines auf betrieblicher Übung beruhenden Entgeltfortzahlungsanspruchs der AN für die Teilnahme an einer derartigen Betriebsversammlung nach sich ziehe.

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Auch in ihrer Revision steht die Bekl zunächst auf dem Standpunkt, dass keine betriebliche Übung für eine Entgeltfortzahlung für Teilversammlungen bestanden habe. Wenn der AG durch regelmäßige, vorbehaltlose Gewährung bestimmter Leistungen an die Gesamtheit seiner AN eine betriebliche Übung begründet, die seinen Willen, sich diesbezüglich auch für die Zukunft zu verpflichten, unzweideutig zum Ausdruck bringt, wird diese Übung durch die – gleichfalls schlüssige (§ 863 ABGB) – Zustimmung der AN zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge (RIS-Justiz RS0014543). Für das Entstehen eines vertraglichen Anspruchs aufgrund einer Betriebsübung ist entscheidend, welchen Eindruck die AN bei sorgfältiger Überlegung von dem schlüssigen Erklärungsverhalten des AG haben durften (RIS-Justiz RS0014489 [T2, T4]).

Der erkennende Senat teilt die Ansicht des Berufungsgerichts, dass ein AN aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers für die Frage der Entgeltfortzahlung für die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung nicht nach der Form ihrer Durchführung, sei es als Voll- oder Teilversammlung, unterscheiden musste: Die Bekl hatte den AN stets das Entgelt für die Zeit an der Teilnahme an einer Betriebsversammlung ausbezahlt, dies auch für die Teilnahme an einer für den 12.11.2009 für 13:00 Uhr und für den 15.11.2009 für 21:00 Uhr angekündigten bloßen – so die Bekl – „Informationsveranstaltung“ sowie an einer für den 8.2.2010 um 13:00 und 21:00 Uhr angekündigten Betriebsversammlung „bzw Weiterführung einer unterbrochenen Betriebsversammlung“ . Die Entgeltfortzahlungsansprüche werden allein durch die Aufspaltung in Teilversammlungen prinzipiell auch nicht vergrößert. Da die Entscheidung über die Abhaltung einer Volloder Teilversammlung ausschließlich dem BR obliegt und weder der BI noch die AN Einfluss darauf haben (§§ 44 Abs 1, 45 Abs 1 ArbVG iVm § 6 BR-GO; RIS-Justiz RS0107224), musste ein AN in der Form der Durchführung der Versammlungen auch kein Unterscheidungskriterium sehen. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Praxis der Entgeltfortzahlung danach nicht ausschließlich auf Vollversammlungen zu beziehen war, ist danach nicht zu beanstanden.

Soweit die Bekl in der Revision erstmals meint, die betriebliche Übung einer Entgeltfortzahlung sei als Auslobung zu deuten, die sie mit ihrem Aushang vom 7.5.2012 widerrufen bzw eingeschränkt habe, übersieht sie, dass eine Auslobung der öffentlichen Bekanntmachung bedarf (§ 860 ABGB), für die jedoch keine Feststellungen vorliegen. Sie wurden von der Bekl auch nicht begehrt.

Die Bekl richtet sich in der Folge gegen einen – erst die Entgeltfortzahlung begründenden – Anspruch der AN auf Dienstfreistellung, weil ihr die Abhaltung der Teilversammlungen während der Arbeitszeit nicht zumutbar gewesen sei. Wie bereits vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, obliegt die Zumutbarkeitsprüfung dem Einberufer und nicht dem einzelnen zur Teilnahme an der Betriebsversammlung berechtigten AN (RV 840 BlgNR 13. GP 73). Auch wenn nach Ansicht des BI die Abhaltung der Versammlung während der Arbeitszeit für ihn unzumutbar ist, ist daher der Anspruch auf Freistellung gegeben, solange nicht ein Gericht die Abhaltung während der Arbeitszeit untersagt oder der Einberufer die Versammlung absagt. Dem einzelnen AN dürfen daraus keine Nachteile für seinen Freistellungsanspruch entstehen (siehe Kallab in ZellKomm II2 § 47 ArbVG Rz 2; Schneller in

Cerny ua
, Arbeitsverfassungsrecht Bd 2 § 47 Erl 1 S 389; Löschnigg in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 47 Rz 17). Entgegen der Ansicht der Bekl stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von Arbeitszeit in der vorliegenden Konstellation daher keine Vorfrage für die Klärung der Entgeltfortzahlungsansprüche der AN dar.

Ungeachtet dessen hat bereits das Erstgericht ausführlich und überzeugend begründet, warum die Festlegung der Termine unter Abwägung der Interessen der Bekl an einem möglichst störungsarmen Betriebsablauf und der Arbeitnehmerschaft an der Teilnahme möglichst vieler AN der Bekl hier zumutbar und auch sachgerecht war (ua produktionsschwächerer Dienstag; Verschiebung der zweiten Teilversammlung, um noch für die Auslieferung benötigte Exemplare drucken zu können; Verfügbarkeit der AN am Beginn/Ende eines Schichtwechsels; Unzumutbarkeit der Teilnahme in der Freizeit bei Nachtschichten und dem dadurch bedingten Ruhebedarf).

Die Bekl meint sodann, dass sich die Teilnehmer aufgrund der unterbliebenen Abgrenzung der Teilnehmerkreise unerlaubt Zutritt zu den Teilversammlungen116 verschafft hätten. Ein die Entgeltfortzahlung begründender Anspruch auf Dienstfreistellung bestehe nur bei erlaubtem Zutritt zu einer Versammlung.

Gem § 44 Abs 1 ArbVG können dann, wenn nach Zahl der AN, Arbeitsweise oder Art des Betriebs die Abhaltung von Betriebs-(Gruppen-, Betriebshaupt-)versammlungen oder die Teilnahme der AN an diesen nicht oder nur schwer möglich ist, Betriebs-(Gruppen-, Betriebshaupt-) versammlungen in Form von Teilversammlungen durchgeführt werden. Die Entscheidung über die Abhaltung von Teilversammlungen obliegt dem BR (Betriebsausschuss).

Gem § 6 Abs 1 der BR-GO kann der BR (Betriebsausschuss) bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs 1 ArbVG die Abhaltung einer Betriebs-(Gruppen-, Betriebshaupt-)versammlung in Form von Teilversammlungen beschließen. Der Beschluss hat die Termine der Teilversammlungen so festzulegen, dass diese in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, und den Kreis der AN, die zur Teilnahme an den einzelnen Teilversammlungen und zur Stimmabgabe berechtigt sind, genau abzugrenzen. Der Beschluss hat ferner geeignete Maßnahmen (wie Ausgabe von Stimmkarten, Stimmlisten) festzulegen, die sicherstellen, dass jeder stimmberechtigte AN nur einmal sein Stimmrecht ausüben kann. Die Abgrenzung der Teilnahme- und Stimmberechtigung in Teilversammlungen kann auch für künftige Betriebs- (Gruppen-, Betriebshaupt-)versammlungen beschlossen oder durch die autonome Geschäftsordnung des BR (Betriebsausschusses) gem §§ 19 und 24 BR-GO geregelt werden. Die Einberufung hat die durch Beschluss oder Geschäftsordnung getroffene Regelung zu enthalten. Eine namentliche Nennung der AN ist bei der Abgrenzung nicht erforderlich. Es genügt, wenn zB nach organisatorischen Kriterien eindeutig feststellbar ist, wer in welcher Teilversammlung als AN zuzulassen ist (Kallab in ZellKomm II2 § 44 ArbVG Rz 8).

Gem § 6 Abs 2 BR-GO haben Zutritt zu einer Teilversammlung unbeschadet des § 9 Abs 2 und Abs 3 BR-GO nur jene AN, für die nach dem Beschluss des BR (Betriebsausschusses) oder nach der Geschäftsordnung diese Teilversammlung vorgesehen ist. Die Betriebsratsmitglieder können an jeder Teilversammlung teilnehmen. Ihr Stimmrecht können sie jedoch nur in jener Teilversammlung ausüben, die für sie vorgesehen ist. Ebenso sind sie nur auf die Zahl der Anwesenden jener Teilversammlung anzurechnen, der sie angehören.

Genereller Zweck der BR-GO ist es, die Geschäftsführung der Betriebs-(Gruppen-, Betriebshaupt-)versammlung, des BR, des Betriebsausschusses, der Betriebsräteversammlung, des Zentralbetriebsrates, der Jugendversammlung und des Jugendvertrauensrats zu regeln (siehe § 161 Abs 1 Z 3 ArbVG). Vor diesem Hintergrund ist § 6 BR-GO zunächst als an den BR gerichtete Bestimmung zur korrekten Einberufung und Abhaltung einer Teilversammlung zu sehen. Sie gilt daher unabhängig davon, ob eine Teilversammlung in der Arbeitszeit oder in der Freizeit der AN anberaumt werden soll. Ihre Anwendung hängt folglich auch nicht davon ab, ob die Teilnahme eines AN an einer Teilversammlung mit einer Arbeitsfreistellung iSd § 47 Abs 1 ArbVG (und einem allfälligen daran anknüpfenden Entgeltfortzahlungsanspruch) verbunden ist oder aber durch ihre zeitliche und örtliche Lagerung keine Interessen des AG zu berühren vermag. Wenn § 6 Abs 1 BR-GO die genaue Abgrenzung des Kreises der AN erfordert, die zur Teilnahme an den einzelnen Teilversammlungen und zur Stimmabgabe berechtigt sind, kann die Teleologie der Bestimmung danach nur darin gesehen werden, dass vorab feststehen soll, welche AN ein Recht zur Teilnahme an einer Teilversammlung haben (und auch auf ihre Teilnahme bestehen können) und wer von ihnen darüber hinaus zur Stimmabgabe berechtigt ist, womit auch mögliche Probleme bei Abstimmungen (Prüfung der Erfüllung des Anwesenheitsquorums, Stimmberechtigungen) vermieden werden sollen. Die Regelungen des § 6 Abs 1 und 2 BR-GO können damit lediglich als Ordnungsvorschriften für die Durchführung von Teilversammlungen verstanden werden.

Ein Einberufer, der sich nicht auf einen iSd § 6 Abs 1 BR-GO abgegrenzten Teilnehmerkreis berufen kann, mag daher zwar rechtswidrig handeln. Nach der genannten Zwecksetzung der Bestimmung kann aber nicht angenommen werden, dass mit einer nicht ordnungsgemäßen Einberufung auch der Freistellungsanspruch des einzelnen AN entfallen soll, der im Glauben, zur Teilnahme an einer angekündigten Teilversammlung berechtigt zu sein, der (auch) ihn betreffenden Einberufung folgt. Ebenso wenig, wie einem AN die Prüfung der Zumutbarkeit der Abhaltung einer (Teil-)Versammlung in der Arbeitszeit obliegt, ist ihm daher eine nicht ordnungsgemäße Einberufung zur Last zu legen.

Ob dies im Fall einer untolerierbaren Verzerrung des Wahlergebnisses (vgl 8 ObA 2303/96a) einer Einschränkung bedarf, ist hier schon mangels einer Abstimmung in den Teilversammlungen nicht näher zu prüfen.

Allenfalls erforderliche Nachweise, welche der in ihrer Arbeitszeit nicht arbeitenden AN einen allfälligen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen der Teilnahme an einer Betriebsversammlung haben, sind nicht anders als bei Abhaltung einer Vollversammlung zu erbringen. Insgesamt kann sich die Bekl für eine Aussetzung der Entgeltfortzahlung daher nicht darauf berufen, dass die Teilversammlungen ohne Abgrenzung der Kreise der jeweils teilnahme- und stimmberechtigten AN erfolgten. Auf den von ihr in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmangel kommt es danach nicht mehr an.

Die Bekl bringt weiter vor, ein Anspruch auf Arbeitsfreistellung iSd § 47 Abs 1 Satz 2 ArbVG bestehe nur für den „erforderlichen Zeitraum“. Bei zahlreichen AN wäre aber der nicht in Anspruch genommene jeweils andere Termin zur Gänze oder in größerem Ausmaß in ihre Freizeit gefallen. Dass ein Ersatzmitglied des BR in seiner Freizeit auch an der zweiten Teilversammlung teilnahm, beseitigt seinen Entgeltanspruch für die Teilnahme an der ersten Teilversammlung nicht, weil davor nicht absehbar war, dass das Referat des Gewerkschaftssekretärs beim ersten Termin entfallen würde. Da die Bekl sonst nicht darlegt, auf welche AN ihr Vorwurf im Einzelnen zutreffen soll, kann in diesem Punkt nur auf die Feststellungen des Erstgerichts verwiesen werden, das im Detail darstellte, warum sich AN für die an den Rand ihrer Arbeitsschicht fallende Teilversammlung entschieden hatten. Bedenkt man, dass bei Betriebsversammlungen auch auf die betriebliche Verfügbarkeit der AN Bedacht zu nehmen ist (Löschnigg, aaO § 44 Rz 27), die mitten in der Freizeitphase nicht gegeben ist, so ist hier umso weniger ein Grund zur Beanstandung gegeben.117

ANMERKUNG

Soweit ersichtlich hatte sich der OGH in dieser E erst zum zweiten Mal mit den Voraussetzungen einer Entgeltfortzahlung für an einer Betriebsversammlung teilnehmende AN zu beschäftigen. Voranzustellen ist, dass die E des OGH sowohl vom Ergebnis als auch von der Begründung her überzeugt. Lediglich eine Detailausführung des OGH zur von diesem angesprochenen Gutgläubigkeit des AN (zumindest könnte der OGH so verstanden werden) soll näher hinterfragt werden.

Die Bedeutung der E liegt vor allem darin, dass sie die praktische Betriebsratsarbeit bei der Durchführung von Versammlungen erleichtert, da sie zum einen den einzelnen AN grundsätzlich von der Obliegenheit enthebt, die Einberufung auf allfällige Mängel hin prüfen zu müssen. Zum anderen stellt der OGH die Betriebsübung als mögliche Anspruchsgrundlage der Entgeltfortzahlung für die Teilnahme an der Versammlung klar (in den seltensten Fällen wird sich ein solcher Anspruch in einem schriftlichen Arbeitsvertrag finden).

1.
Allgemeines

Die Betriebsversammlung, die hier als Oberbegriff einer Betriebsversammlung ieS (§ 40 Abs 3 Z 1 ArbVG), einer Gruppen- und einer Betriebshauptversammlung (§ 40 Abs 2 Z 2 und Z 1 ArbVG) verstanden wird, ist ein gesetzlich institutionalisiertes basisdemokratisches Forum zur kollektiven Wahrnehmung der spezifischen Interessen der Belegschaftsangehörigen, das im Rahmen seiner rechtlichen Privilegierung auch vom BI zu respektieren ist und sowohl dessen Weisungsrecht als auch dessen sonstige arbeitsvertragsrechtliche Position zu beschränken vermag (vgl Jabornegg, Zur Abgrenzung von Betriebsversammlung und Streik, in FS Bauer/Maier/Petrag [2004] 3 [9]).

Wenn es dem BI unter Berücksichtigung der betrieblichen Verhältnisse zumutbar ist, können Betriebs-(Gruppen-, Betriebshaupt-)versammlungen in diesem Sinne gem § 47 Abs 1 ArbVG auch während der Arbeitszeit abgehalten werden. Ist dies der Fall, so entsteht den AN für den erforderlichen Zeitraum kraft gesetzlicher Anordnung ein Anspruch auf Arbeitsfreistellung.

Dieser Anspruch auf Arbeitsfreistellung umfasst sowohl die Zeit der Versammlung selbst als auch die notwendigen Weg- und Vorbereitungszeiten, wie Waschzeiten und Aufräumzeiten (Schneller, ArbVR II4 [2010] § 47 Erl 2).

Ein gesetzlicher Anspruch auf ein Entgelt für diesen Zeitraum besteht jedoch grundsätzlich nicht (zB OGH9 ObA 347/89ZAS 1994/1 [zust Aigner]). § 47 Abs 1 ArbVG verweist bezüglich dieser Entgeltfortzahlung und der damit in Zusammenhang stehenden Vergütung von Fahrtkosten auf eine Regelungsmöglichkeit in der BV, soweit dies nicht im KollV geregelt ist; die Ermächtigung zum Abschluss einer solchen freiwilligen BV findet sich parallel (aber unbedingt in Bezug auf eine Regelung im KollV) auch in § 97 Abs 1 Z 11 ArbVG, wobei die (bedingte) Ermächtigung des § 47 Abs 1 ArbVG als speziellere anzusehen ist (Floretta im ArbVG-HK [1975] 288; aM Holzer, Strukturfragen des Betriebsvereinbarungsrechts [1982] 109). Auf Grund der genannten Abhängigkeit der BV vom KollV kann von bedingt freiwilliger Mitbestimmung gesprochen werden (Löschnigg, Arbeitsrecht11 [2011] Rz 9/195). Im Hinblick auf diese gesetzgeberische Wertung wird die Teilnahme an Belegschaftsversammlungen sohin auch keinen wichtigen Grund in der Person des AN iSd § 1154b Abs 5 ABGB bzw des § 8 Abs 3 AngG darstellen (OGH9 ObA 347/89ZAS 1994/1 [zust Aigner]; Löschnigg, Arbeitsrecht11 Rz 8/030). Im Gegensatz zu den sonstigen AN haben die Mitglieder des BR gem § 116 ArbVG einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem AG (und gem § 115 Abs 1 ArbVG einen Anspruch auf die Vergütung von Fahrtkosten und sonstigen Auslagen gegenüber dem Betriebsratsfonds), falls sie an einer Versammlung während der Arbeitszeit teilnehmen (OGH9 ObA 347/89ZAS 1994/1 [zust Aigner]; Kallab in ZellKomm2 § 47 ArbVG Rz 4), da die Teilnahme an Belegschaftsversammlungen zu den Obliegenheiten der Betriebsratsmitglieder gehört.

Der Charakter einer solchen Betriebsversammlung bleibt im Übrigen auch dann gewahrt, wenn Verfahrensmängel im Zuge der Einberufung und/oder ihrer Abhaltung auftreten; erst, wenn elementare Grundvoraussetzungen für eine Betriebsversammlung außer Acht gelassen werden, sodass nicht einmal vom äußeren Anschein her von einer gesetzmäßigen Betriebsversammlung gesprochen werden kann, wäre nicht nur von einer Fehlerhaftigkeit (mit der Rechtsfolge einer Anfechtbarkeit dort gefasster Beschlüsse), sondern von einer absoluten Nichtigkeit dieser „Betriebsversammlung“ auszugehen, maW läge eine betriebsverfassungsrechtliche „Nicht- Betriebsversammlung“ vor (vgl Aigner, Komm zu OGH9 ObA 347/89ZAS 1994/1, 22; ihm folgend Jabornegg in FS Bauer/Maier/Petrag 12); bspw wäre eine rein als Kurzstreik geplante und durchgeführte „Protestversammlung“ keine Betriebsversammlung iSd § 40 ArbVG (OGH9 ObA 347/89ZAS 1994/1 [zust Aigner]).

Neben KollV und BV könnte sich ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für AN auch aus einzelvertraglichen Vereinbarungen oder kraft Betriebsübung ergeben (vgl Löschnigg in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 47 Rz 25 [Stand Juni 2008, rdb.at]; Kallab in ZellKomm2 § 47 ArbVG Rz 4). Die regelmäßige und vorbehaltlose Entgeltfortzahlung durch den AG kann somit die Arbeitsverträge der einzelnen AN (gem § 863 ABGB) ergänzen, wobei auch Neueintretende von dieser Betriebsübung erfasst sind (vgl Risak in
Tomandl
, ArbVG § 47 Rz 13), sofern diesen gegenüber nicht deutlich anderes zum Ausdruck gebracht wird (vgl Schneller, ArbVR II4 § 47 Erl 3); im Fall einer Betriebsübung als Anspruchsgrundlage wird natürlich interpretativ auszumessen sein, wie weit der entsprechende Bindungswille des AG reicht: Wurde zB bislang nur für eine ordentliche Betriebsversammlung pro Halbjahr eine Entgeltfortzahlung gewährt, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass eine solche Entgeltfortzahlung auch für außerordentliche Versammlungen gebührt (so Risak in
Tomandl
, ArbVG § 47 Rz 13).

2.
Betriebsübung als Anspruchsgrundlage

Auch fallgegenständlich hatte sich der OGH mit der Anspruchsgrundlage einer behaupteten Betriebsübung für die Entgeltfortzahlung der an einer Betriebsversammlung teilnehmenden AN auseinanderzusetzen.

Der BR der Gruppe der Arbeiter führte an aufeinanderfolgenden Tagen zwei Teilversammlungen gem § 44 ArbVG durch, wobei aber entgegen § 6 Abs 1118 BR-GO keine Abgrenzung der Teilnehmerkreise für die jeweilige Teilversammlung erfolgte, sodass einige AN an beiden Teilversammlungen teilnahmen (wohl deshalb, da das Referat des Gewerkschaftssekretärs beim ersten Termin entfiel). Nach den Feststellungen gewährte der AG bei allen früheren Betriebsversammlungen die Entgeltfortzahlung für die teilnehmenden AN, was er für die gegenständlichen Teilversammlungen (mit Aushang vom Vortag angekündigt) ablehnte.

Der klagende BR begehrte iSd § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass 23 (im Einzelnen genannte) AN für die Teilnahme an der ersten Teilversammlung und 21 (im Einzelnen genannte) AN für die Teilnahme an der zweiten Teilversammlung jeweils während ihrer Arbeitszeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben, wobei die Entgeltfortzahlung nur für die Teilnahme an einer Teilversammlung begehrt wurde.

Alle drei angerufenen Instanzen gaben dem Klagebegehren des BR letztlich recht.

Das Berufungsgericht sprach aber aus, dass die ordentliche Revision wegen der Rechtsfrage zulässig sei, inwieweit eine nach § 6 Abs 1 BR-GO fehlerhafte Einberufung einer Teilbetriebsversammlung den Verlust eines auf betrieblicher Übung beruhenden Entgeltfortzahlungsanspruchs der AN für die Teilnahme an einer derartigen Betriebsversammlung nach sich ziehe.

3.
Falllösung des OGH
3.1.
Form und Zeitpunkt der Abhaltung der Betriebsversammlung

Zunächst einmal sprach der OGH aus, dass ein AN aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers für die Frage der Entgeltfortzahlung für die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung nicht nach der Form ihrer Durchführung, sei es als Voll- oder Teilversammlung, unterscheiden müsse, zumal die Entgeltfortzahlungsansprüche allein durch die Aufspaltung in Teilversammlungen prinzipiell auch nicht vergrößert werden.

Weiters sprach der OGH aus, dass die Frage der Zumutbarkeit der Abhaltung der Teilversammlungen während der Arbeitszeit keine Vorfrage für die Klärung der Entgeltfortzahlungsansprüche der AN darstellt (ungeachtet dessen beurteilte er die Festlegung der konkreten Termine gegenständlich als dem BI zumutbar).

3.2.
Mängel bei der Einberufung

Zur Rechtsfrage der einschlägigen Folgen des Verfahrensmangels der nicht ordnungsgemäß einberufenen Teilversammlungen führte der OGH aus, dass die Teleologie der Bestimmung des § 6 Abs 1 BR-GO nur darin gesehen werden könne, dass vorab feststehen solle, welche AN ein Recht zur Teilnahme an einer Teilversammlung haben (und auch auf ihrer Teilnahme bestehen können) und wer von ihnen darüber hinaus zur Stimmabgabe berechtigt ist, womit auch mögliche Probleme bei Abstimmungen (Prüfung der Erfüllung des Anwesenheitsquorums, Stimmberechtigungen) vermieden werden sollen. Die Regelungen des § 6 Abs 1 und 2 BR-GO könnten damit lediglich als Ordnungsvorschriften für die Durchführung von Teilversammlungen verstanden werden; nach der genannten Zwecksetzung der Bestimmung könne aber nicht angenommen werden, dass mit einer nicht ordnungsgemäßen Einberufung auch der Freistellungsanspruch des einzelnen AN entfallen soll, der im Glauben, zur Teilnahme an einer angekündigten Teilversammlung berechtigt zu sein, der (auch) ihn betreffenden Einberufung folgt.

Unter Zugrundelegung dieser auch mE zutreffenden Rechtsansicht ist also davon auszugehen, dass auch fehlerhafte Betriebsversammlungen grundsätzlich nichts an einem (auf Grund welcher Anspruchsgrundlage immer zustehenden) Entgeltfortzahlungsanspruch für teilnehmende AN zu ändern vermögen, solange nur keine absolut nichtige Betriebsversammlung iSd Ausführungen zu Pkt 1. vorliegt.

In diesem Zusammenhang ist aber auch noch näher auf die diesbezügliche (zumindest so verstanden werden könnende) Einschränkung des OGH einzugehen, der anscheinend auch noch einen entsprechenden „guten Glauben“ des teilnehmenden AN verlangt: Offen bleibt, auf was genau sich diese Gutgläubigkeit beziehen muss; der OGH spricht zwar vom (guten) Glauben, zur Teilnahme berechtigt zu sein, würde das dann aber nicht auch bedeuten, bei einer erkennbaren Rechtswidrigkeit der Einberufung (gegenständlich des eindeutigen Verstoßes gegen § 6 Abs 1 BR-GO) – entgegen der vorgenommenen Wertung des OGH – nicht doch schlechtgläubig zu sein (tatsächlich waren ja einige AN bei beiden Teilversammlungen anwesend, was zumindest Zweifel an einer korrekten Einberufung hätte erwecken können)? Oder hat im vorliegenden Fall nach Ansicht des OGH der (gute) Glauben ausgereicht, zur Teilnahme an (jedenfalls) einer Teilversammlung berechtigt zu sein?

Bei eindeutigen Rechtswidrigkeiten vermag auch die wertungsmäßige Gleichsetzung mit der Beurteilung von Ermessensentscheidungen des BR seitens des AN (gegenständlich der Zumutbarkeit der Abhaltung der Teilversammlungen in der Arbeitszeit) nicht wirklich zu überzeugen.

4.
Schlussfolgerung

Resümierend folgt deshalb aus Sicht des Rezensenten (auch aus Aspekten der Rechtssicherheit), dass als einschränkendes subjektives Kriterium eines Entgeltfortzahlungsanspruches nur der Rechtsmissbrauch eines AN iSd § 1295 Abs 2 ABGB gelten sollte, der in (mit dem BR gemeinsamer) Schädigungsabsicht an einer Betriebsversammlung teilnimmt, die zwar den Anschein einer Gesetzmäßigkeit erwecken soll, tatsächlich aber den primären und weit überwiegenden Zweck hat, dem BI Schaden zuzufügen, zB bei einer ohne Notwendigkeit zur Zeit höchsten Arbeitsanfalles angesetzten Betriebsversammlung. Auch die Ausführungen des OGH zur Teilnahmeberechtigung an der ersten oder zweiten Teilversammlung, die mangels entsprechenden Vorbringens des BI nicht weiter in die kasuistische Tiefe gehen mussten, lassen erahnen, welche einzelpersonenbezogene Kasuistik drohen würde, würde man tatsächlich eine Gutgläubigkeit des einzelnen AN in Bezug auf die ordnungsgemäße Einberufung und/oder Abhaltung einer Betriebsversammlung als Voraussetzung eines Anspruches auf Entgeltfortzahlung fordern.119