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(Schlüssige) Rechtswahl bei grenzüberschreitenden Arbeitsverträgen: Auch allgemeiner Kündigungsschutz richtet sich nach dem gewählten Recht

BIRGITSCHRATTBAUER

Eine konkludente Rechtswahl ist dann anzunehmen, wenn mehrere übereinstimmende Vertragsabreden, Parteiäußerungen oder sonstiges Verhalten der Parteien auf ein und dieselbe Rechtsordnung hinweisen. Wesentliche Indizien sind vor allem die direkte Verweisung auf konkrete Vorschriften oder Usancen einer bestimmten Rechtsordnung sowie die Verwendung von dafür typischen Fachausdrücken und Klauseln. Eine schlüssige Rechtswahl kann auch zu einem späteren Zeitpunkt, etwa zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, getroffen werden.

Der allgemeine Kündigungsschutz ist ungeachtet seiner betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung im österreichischen Arbeitsrecht nach dem Arbeitsvertragsstatut anzuknüpfen.

SACHVERHALT

Der Kl war von der Bekl, deren Sitz sich in Deutschland befindet, ab 2004 als einer von sechs Vertriebsrepräsentanten zur Betreuung der österreichischen Kunden angestellt. Eine Tätigkeit des Kl in Deutschland war nicht vorgesehen. Die Bekl hatte weder eine Niederlassung noch eine sonstige Vertretung in Österreich. Der Anstellungsvertrag des Kl enthielt keine ausdrückliche Rechtswahlklausel; in mehreren Punkten wurde allerdings auf den Tarifvertrag des Groß- und Außenhandels Hamburger Wirtschaftsraum verwiesen.

Mit Schreiben vom 26.6.2013 wurde das Dienstverhältnis des Kl zum 30.9.2013 gekündigt. Der am Sitz der Bekl in Deutschland eingerichtete BR hatte mit Stellungnahme vom 25.6.2013 seine vorangegangene Anhörung gem § 102 deutsches Betriebsverfassungsgesetz (dBetrVG) wegen fehlender Informationen für unwirksam erklärt sowie hilfsweise der beabsichtigten Kündigung widersprochen.

Der Kl ging von einer konkludenten Vereinbarung deutschen Arbeitsrechts auf den Anstellungsvertrag aus und begehrte die Feststellung, dass die Kündigung mangels der im deutschen Kündigungsschutzgesetz (dKSchG) normierten Voraussetzungen unwirksam und damit das Arbeitsverhältnis nach wie vor aufrecht sei. In eventu erklärte der Kl, die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 ArbVG anzufechten.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies unter Anwendung österreichischen Rechts sowohl Haupt- als auch Eventualbegehren ab. Eine ausstrahlende Anwendung deutscher Kündigungsschutznormen komme nicht in Betracht, da die Beschäftigung des Kl mangels rechtlicher oder tatsächlicher Nahebeziehung zum deutschen Betriebsstandort nicht der in Deutschland entfalteten Betriebstätigkeit zuzurechnen sei. Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Die Anfechtung nach § 105 ArbVG scheitere am Fehlen eines entsprechenden inländischen Betriebs. Einer Einwirkung des § 102 dBetrVG als Eingriffsnorm stehe der fehlende internationale Geltungswille dieser Bestimmung entgegen. Der OGH folgte dagegen der Rechtsansicht des Kl und ging von einer schlüssigen Wahl deutschen Rechts aus. Er hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Eine konkludente Rechtswahl ist insbesondere dann anzunehmen, wenn mehrere übereinstimmende Vertragsabreden, Parteiäußerungen oder sonstiges Verhalten der Parteien – allenfalls unter Zuhilfenahme von im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen – auf ein und dieselbe Rechtsordnung hinweisen. Es kommt darauf an, dass der objektiv festgestellte Sachverhalt vermuten lässt, die Parteien hätten die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung vorausgesetzt, weil ihre Rechtsbeziehungen privatautonom so ausgestaltet wurden, dass nur der Bezug auf eine bestimmte Rechtsordnung eine sinnvolle Regelung ihrer Rechtsbeziehungen erwarten lässt […].

Unmittelbare und wesentliche Indizien dafür sind vor allem die direkte Verweisung auf konkrete Vorschriften oder Usancen einer bestimmten Rechtsordnung sowie die Verwendung von dafür typischen Fachausdrücken und Klauseln […]. Der bloßen Lokalisierung einzelner Umstände des Schuldverhältnisses, wie dem vereinbarten Erfüllungsort, dem Abschlussort, dem Wohnsitz bzw Sitz der Parteien, kommt dagegen nur eine indirekte Indizwirkung zu. […]

Gemäß Art 3 Abs 2 EVÜ können die Parteien eines Vertrags jederzeit vereinbaren, dass der Vertrag nach einem 61anderen Recht zu beurteilen ist als dem, das zuvor entweder aufgrund einer früheren Rechtswahl oder aufgrund anderer Vorschriften dieses Übereinkommens für ihn maßgebend war. Die Parteien können das anzuwendende Recht außerdem jederzeit abändern (ua Verschraegen in Rummel3 Art 6 EVÜ Rz 17 ff; Musger in KBB4 Art 3 Rom I-VO Rz 6).

Selbst wenn die dargestellten Umstände des Vertragsabschlusses noch nicht als hinreichend für die Annahme einer konkludenten Wahl deutschen Rechts erachtet würden, wäre wegen der Möglichkeit späterer Rechtswahl daher auf das Verhalten der Vertragsteile während der Vertragslaufzeit Bedacht zu nehmen. Hier fällt ins Gewicht, dass die Beklagte die Kündigung des Klägers ausdrücklich nach § 1a dKSchG (wegen betrieblicher Erfordernisse, mit gesetzlichem Abfindungsanspruch) ausgesprochen und das in Deutschland geltende betriebsverfassungsrechtliche Vorverfahren eingehalten hat. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt kann kein Zweifel mehr an ihrer Überzeugung von der Anwendbarkeit deutschen Rechts auf das Arbeitsverhältnis bestehen. Infolge unstrittiger Zustimmung des Klägers ist von einer im Verfahren beachtlichen Rechtswahl der Streitteile zu Gunsten deutschen Rechts auszugehen.

4. Die Rechtswahl bezieht sich grundsätzlich auf die Sachnormen der gewählten Rechtsordnung einschließlich seiner zwingenden Vorschriften. Geht es um die Beendigung eines Arbeitsvertragsverhältnisses, sind auch die allgemeinen Kündigungsschutznormen der gewählten Rechtsordnung einzuhalten, sofern sie nicht nach Art 8 Abs 1 EVÜ durch für den Arbeitnehmer noch günstigere zwingende Bestimmungen des Rechts des Arbeitsorts verdrängt werden. […]

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 9 ObA 65/11s unter Berufung auf Rebhahn (RdW 1996, 70) und Kühteubl/Kozak (Arbeitnehmerentsendung 87) ausgeführt, dass manches dafür spreche, in Fragen des Bestandschutzes unabhängig von der Ausgestaltung den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem jeweiligen Arbeitsvertragsstatut anzuwenden. Soweit der Entscheidung 9 ObA 12/95entnommen werden kann, dass der deutsche Kündigungsschutz dem Betriebsverfassungsrecht im Sinne des II. Teils des ArbVG zuzuordnen sei und daher das deutsche Kündigungsschutzgesetz aufgrund des für das Betriebsverfassungsrecht kollisionsrechtlich geltenden Territorialitätsprinzips für in Österreich tätige Arbeitnehmer nicht zur Anwendung kommen könne, wird dies nicht aufrecht erhalten.“

ERLÄUTERUNG

Das Recht welchen Staates ist bei (Arbeits-)Verträgen mit Auslandsbezug anzuwenden? Diese Grundfrage des sogenannten Kollisionsrechts steht im Mittelpunkt der vorliegenden E. Da der Dienstvertrag des Kl bereits im Jahr 2004 abgeschlossen worden war, richtete sich die Beantwortung dieser Frage hier konkret nach dem Europäischen Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ); die Überlegungen des OGH sind aber auch für alle nach dem 17.12.2009 abgeschlossenen Arbeitsverträge relevant, auf die bereits die sogenannte Rom I-VO anzuwenden ist.

Beide Regelungswerke gehen vom Grundsatz der freien Rechtswahl aus, die sowohl ausdrücklich als auch schlüssig erfolgen kann. Mangels einer solchen Rechtswahl ist das Recht jenes Staates anzuwenden, in dem der/die AN in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine/ ihre Arbeit verrichtet. Vor diesem Hintergrund kamen die Unterinstanzen, eine gültige Rechtswahlvereinbarung ablehnend, zum Ergebnis der Anwendbarkeit österreichischen Arbeitsrechts. Der OGH ging dagegen davon aus, dass die Parteien deutsches Recht zur Anwendung bringen wollten. Eine konkludente Rechtswahl ergab sich sE bereits aus der konkreten Ausgestaltung des Anstellungsvertrags des Kl (dynamische Verweise auf die Regelungen eines deutschen Tarifvertrages in zentralen Fragen, Verwendung deutscher Rechtsbegriffe, Vereinbarung von im österreichischen Arbeitsrecht unüblichen bzw sogar unzulässigen Regelungen). Darüber hinaus wies der OGH darauf hin, dass die Parteien des Arbeitsvertrages das auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Recht nach den Regelungen des EVÜ auch jederzeit abändern können. Da sich die Bekl in ihrem Kündigungsschreiben ausdrücklich auf deutsches Recht gestützt bzw sie das nach deutschem Recht vorgesehene Vorverfahren eingehalten hatte, ist nach Ansicht des OGH jedenfalls ab diesem Zeitpunkt unter der Voraussetzung der Zustimmung des/der AN eine schlüssige Rechtswahl anzunehmen.

Da die österreichischen Kündigungsschutzregelungen auch nicht günstiger für den/die AN sind (in diesem Fall würden sie sich sowohl nach dem EVÜ als auch nach der Rom I-VO gegenüber dem gewählten Recht durchsetzen), hat der OGH die Anfechtbarkeit der Kündigung nach deutschem Recht grundsätzlich bejaht. Dabei hat er ausdrücklich klargestellt, dass auch der allgemeine Kündigungsschutz nach dem jeweiligen Arbeitsvertragsstatut anzuknüpfen ist, dh nach jenem Recht zu beurteilen ist, das auch auf den Arbeitsvertrag zur Anwendung kommt. Das ist deshalb bemerkenswert, weil der allgemeine Kündigungsschutz in Österreich als Mitbestimmungsrecht der Belegschaft konzipiert und demnach dem Betriebsverfassungsrecht zuzuordnen ist (§ 105 ArbVG). Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten richtet sich aber das anzuwendende Recht für betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten nach dem Territorialitätsprinzip, so dass nur im Inland gelegene Betriebsstätten – unabhängig von einer getroffenen Rechtswahl im Arbeitsverhältnis – diesen Regelungen unterliegen. Vor diesem Hintergrund hatte der OGH in zwei älteren Judikaten (OGH9 ObA 12/95Arb 11.363; 9 ObA 183/95

) noch vertreten, dass deshalb das deutsche Kündigungsschutzgesetz für in Österreich tätige AN nicht zur Anwendung kommen könne. In jüngerer Zeit hat der OGH bereits ein Abrücken von dieser Linie angedeutet (vgl OGH9 ObA 144/08dDRdA 2011, 252 [Burgstaller/Binder]; OGH9 ObA 65/11s, RdW 2012/117, 97 [Laimer/62Huger]); nun gibt er diese Rsp ausdrücklich auf – der Kündigungsschutz ist damit kollisionsrechtlich als Individualanspruch des/der AN zu behandeln und damit nach dem jeweiligen Arbeitsvertragsstatut anzuknüpfen.