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Kein Ausbildungskostenrückersatz bei Austritt wegen Mutterschaft

SUSANNEGITTENBERGER

Der in § 2d Abs 4 AVRAG festgelegte Ausschluss des Ausbildungskostenrückersatzes stellt in den Z 2 und 3 auf die unbegründete Entlassung bzw den begründeten vorzeitigen Austritt iSd traditionellen arbeitsrechtlichen Terminologie ab. Z 3 leg cit ist aufgrund eines Analogieschlusses (jedenfalls) um das sondergesetzlich vorgesehene besondere Austrittsrecht der AN wegen Mutterschaft nach § 15r MSchG zu erweitern.

SACHVERHALT

Die Kl unterschrieb eine Vereinbarung zum Ausbildungskostenrückersatz mit folgender Bestimmung: „Die/Der Dienstnehmer/in verpflichtet sich für den Fall, dass er innerhalb von drei Jahren nach Abschluss der Ausbildung aus dem Dienst der Firma ausscheidet – und zwar durch Selbstkündigung, unberechtigten vorzeitigen Austritt oder begründete Entlassung – die oben genannte Summe mit dem Tag des Ausscheidens in einem zurückzuzahlen. Der zurückerstattete Betrag vermindert sich vom Zeitpunkt des Endes der Ausbildung um 1/36 für jeden Monat.

Sie nahm an der Ausbildung „Fachweiterbildung für FrühförderInnen von Kindern mit Sehbehinderung oder Blindheit“ teil. Diese Ausbildung besteht aus zwölf Modulen, ein Abschluss kann nur bei einer durchgehenden Teilnahme an allen Seminaren, dem Verfassen einer schriftlichen Arbeit und dem Ablegen einer kommissionellen Prüfung, erzielt werden. Die Kl absolvierte vor ihrem vorzeitigen Austritt aus Gründen der Mutterschaft zehn Module, das elfte Modul absolvierte sie nach ihrem Austritt.

Die Kl begehrte die Bezahlung von Mehrstunden und Urlaubsersatzleistung; zum von der Bekl als Gegenforderung begehrten Ausbildungskostenrückersatz brachte sie ua vor, dass bei begründetem vorzeitigen Austritt kein Rückersatzanspruch bestehe. Die Bekl entgegnete, dass ein Anspruch des AG auf Ausbildungskosten-70rückersatz auch bei einem Austritt aus Gründen der Mutterschaft gem § 15r MSchG bestehe.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die beiden unteren Instanzen gaben der Klageforderung statt und stellten die von der Bekl eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest. Der OGH gab der Revision der Bekl nicht Folge, der Anspruch auf Rückersatz der Ausbildungskosten bestehe nicht.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Eine Analyse der Tatbestände, die die Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Ausbildungskosten ausschließen, zeigt, dass eine solche Verpflichtung […] grundsätzlich nur dann in Frage kommt, wenn das Arbeitsverhältnis auf Initiative des Arbeitnehmers aufgelöst wird oder das Arbeitsverhältnis zwar auf Initiative des Arbeitgebers aufgelöst wird, den Arbeitnehmer aber ein gewichtiger Verschuldensvorwurf oder dauernde Arbeitsunfähigkeit trifft.

ANMERKUNG
Dass der OGH hier die Entlassung wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit als Tatbestand der Rückforderung von Ausbildungskosten nennt, kann nur einem Versehen zuzuschreiben sein, da § 2d Abs 4 Z 4 AVRAG gerade für diesen Fall die Rückforderung ausdrücklich ausschließt.

§ 2d Abs 4 Z 1 AVRAG nennt für den Ausschluss der Rückzahlungsverpflichtung allerdings auch einen Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Initiative des Arbeitnehmers, nämlich bei Auflösung während der Probezeit iSd § 19 Abs 2 AngG oder gleichlautender sonstiger gesetzlicher Regelungen. Daraus lässt sich im Prinzip die Zielsetzung des Abs 4 leg cit ableiten, dass eine Rückzahlungsverpflichtung dann ausgeschlossen sein soll, wenn nach einer sondergesetzlichen Bestimmung in einer besonders schutzwürdigen Sonderkonstellation ein besonderes Auflösungsrecht für den Arbeitnehmer vorgesehen ist. Nach § 15r MSchG kann die Dienstnehmerin während des Mutterschutzes oder während der Elternkarenz ihren vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis erklären. […] Dabei handelt es sich um ein besonderes gesetzliches Auflösungsrecht (sui generis) im Sinn eines gesetzlich anerkannten und damit berechtigen vorzeitigen Austritts. […]

Überträgt man die dargestellte Zielsetzung und Wertung des § 2d Abs 4 AVRAG auf den sondergesetzlich berechtigten Austritt iSd § 15r MSchG, so ergibt sich, dass der Gesetzgeber, hätte er an dieses besondere Auflösungsrecht gedacht, auch dazu die Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Ausbildungskosten ausgeschlossen hätte.“

ERLÄUTERUNG

Der OGH setzt sich im vorliegenden Fall mit der Frage auseinander, ob ein Austritt aus Gründen des Mutterschutzes zu jenen Beendigungsarten zählt, die nach der einschlägigen Regelung im AVRAG einen Anspruch des AG auf den Rückersatz der Ausbildungskosten ausschließen.

Die Liste der Ausschlussgründe in § 2d Abs 4 AVRAG ist abschließend (taxativ) formuliert. Dh, dass nicht nur Beispiele aufgezählt werden, sondern die Liste eigentlich komplett sein sollte. Der Gesetzgeber hat sich aber bei Erstellung dieser Liste auf typische Begriffe aus der traditionellen arbeitsrechtlichen Terminologie beschränkt und damit hinsichtlich des begründeten vorzeitigen Austritts ausschließlich auf die entsprechenden Bestimmungen des AngG und der GewO abgestellt. Austrittsrechte in sondergesetzlichen Bestimmungen wie zB im MSchG hat er einfach nicht bedacht. Der OGH hat daher eine planwidrige Gesetzeslücke festgestellt: Hätte der Gesetzgeber an den Austritt aus Gründen des Mutterschutzes nach § 15r MSchG gedacht, hätte er ihn wegen dessen Ähnlichkeit mit ausdrücklich geregelten Ausschlussgründen auch in die Liste aufgenommen. Die Lücke muss daher durch analoge Anwendung von § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG geschlossen werden.