65Keine ungekürzte Kinderzulage für Teilzeitbeschäftigte
Keine ungekürzte Kinderzulage für Teilzeitbeschäftigte
Die im KollV für Banken und Bankiers vorgesehene Kinderzulage steht den teilzeitbeschäftigten AN nicht in ungekürzter Höhe, sondern im Verhältnis des jeweiligen Ausmaßes der Teilzeitbeschäftigung zur Vollzeitbeschäftigung zu.
Nach dem KollV für Angestellte der Banken und Bankiers stehen den AN Familien- und Kinderzulagen zu. Für die Berechnung der Höhe der beiden Zulagen für Teilzeitbeschäftigte enthält § 21 Abs 2 KollV eine ausdrückliche Regelung, nach der nicht die volle Zulage (der Vollzeitbeschäftigten) zusteht, sondern nur deren aliquoter Anteil – also jener Teil, der dem Verhältnis des jeweiligen Ausmaßes der Teilzeitbeschäftigung zu einer Vollzeitbeschäftigung, entspricht.
Der ÖGB begehrte in einem besonderen Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG die Feststellung, dass teilzeitbeschäftigte AN Anspruch auf Auszahlung der ungekürzten, also nicht aliquotierten Kinderzulage haben. In rechtlicher Hinsicht führte der Antragsteller aus, dass durch die Aliquotierung der Kinderzulage die vom Geltungsbereich des KollV erfassten Teilzeitbeschäftigten benachteiligt würden. Es liege damit ua ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art 4 der EU-RL über Teilzeitarbeit bzw § 19d Abs 6 AZG vor.
Sachliche Gründe für die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten bestünden nicht. Der Zweck der Kinderzulage bestehe in der Erleichterung der Lasten aus dem Familienstand bzw aus der Kindererziehung. Diese Lasten seien für Teilzeitbeschäftigte ebenso hoch wie für Vollzeitbeschäftigte. Die aliquotierte Auszahlung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung treffe weiters besonders die Frauen, weil diese die Hauptlast der Kinderbetreuung tragen würden.
Der Antragsgegner, der Verband der österreichischen Banken und Bankiers entgegnete, dass es um Entgelt iSd weiten arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffs gehe. Bei Teilzeitbeschäftigung sei der Entgeltanspruch aufgrund der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung geringer als bei Vollzeitbeschäftigung.
Der OGH hält zunächst fest, dass die Aliquotierungsregelung des § 22 Abs 4 iVm § 21 Abs 2 des Banken-KollV die Minderung des Anspruchs von Teilzeitbeschäftigten auf die Kinderzulage an das Ausmaß der Arbeitszeit knüpft. Da sich der KollV mit der Verknüpfung von Ausmaß der Arbeitszeit und Höhe der Kinderzulage am sogenannten Pro-rata-temporis-Grundsatz iSd § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (Anhang der RL 97/81/EG in der durch die RL 98/23/EG geänderten Fassung) orientiert, legte der OGH die Angelegenheit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Auf der Grundlage des EuGH-Erk wies der OGH die begehrte Feststellung ab.73
„3.1 Aufgrund der unionsrechtlichen Implikation hat der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
‚Ist der Pro-rata-temporis-Grundsatz nach § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 97/81/ EG des Rates vom 15.12.1997 zur Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl L 14/1998 S 9, berichtigt durch ABl L 128/1998 S 71, in der durch die Richtlinie 98/23/ EG, ABl L 131/1998 S 10, geänderten Fassung) auf eine in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag) normierte Kinderzulage, bei der es sich um eine Sozialleistung des Arbeitgebers zum teilweisen Ausgleich der finanziellen Unterhaltslasten der Eltern gegenüber dem Kind, für das die Zulage bezogen wird, handelt, aufgrund der Art dieser Leistung (als angemessen) anzuwenden?‘
3.2 Mit seinem Urteil vom 5. November 2014 zu C-476/12, ÖGB, antwortete der Europäische Gerichtshof auf diese Frage wie folgt:
,Paragraf 4 Nr 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit […] ist dahin auszulegen, dass der Pro-rata-temporis-Grundsatz auf die Berechnung der Höhe einer Kinderzulage anzuwenden ist, die der Arbeitgeber eines Teilzeitbeschäftigten aufgrund eines Kollektivvertrags wie des für Angestellte der österreichischen Banken und Bankiers geltenden zahlt.‘
In der Begründung führte der Europäische Gerichtshof aus, dass die Kinderzulage nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag keine gesetzlich vorgesehene staatliche Leistung und daher keine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinn der Verordnung 883/2004/EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sei, auch wenn mit ihr (soziale) Ziele verfolgt würden, die den Zielen bestimmter in der genannten Verordnung vorgesehener Leistungen entsprechen würden. Vielmehr werde die Kinderzulage vom Arbeitgeber auf Basis des Kollektivvertrags gezahlt und sei daher Entgelt, weshalb sie sich nach den zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbarten Bedingungen des Arbeitsverhältnisses richte. Sei der Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt, so sei die Berechnung der Kinderzulage – so wie beim Ruhegehalt und beim Jahresurlaub – nach dem Pro-rata-temporis-Grundsatz sachlich gerechtfertigt und angemessen.
3.3 Nach der im Anlassfall eingeholten Vorabentscheidung erachtet der Europäische Gerichtshof die Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes somit auf sämtliche vom Arbeitgeber bezahlten Entgeltbestandteile (im weiteren Sinn) als gerechtfertigt. Auf die (allenfalls sozialpolitische) Zweckbestimmung und die Rechtsnatur der Entgeltleistung kommt es nicht an. Der Begriff des ‚Entgelts‘ umfasst alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Beschäftigung dem Arbeitnehmer gewährt. In der Berücksichtigung einer im Verhältnis zum vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer reduzierten Arbeitszeit erblickt der Europäische Gerichtshof ein objektives Kriterium, das eine proportionale Kürzung aller Entgeltansprüche der betroffenen Arbeitnehmer erlaubt.
3.4 Nach diesen unionsrechtlichen Grundsätzen kann sich der Antragsteller hinsichtlich der Aliquotierung der Kinderzulage bei Teilzeitbeschäftigung nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag nicht auf das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten berufen.
4. Auch eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts liegt nicht vor. Beim Pro-rata-temporis- Grundsatz handelt es sich in Bezug auf Entgeltbestandteile von Teilzeitbeschäftigten um einen sachlichen arbeitszeitbezogenen Grund. Die Aliquotierungsregelung des anzuwendenden Kollektivvertrags ist daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.“
Mit dieser E wurde eine schon seit längerem bestehende arbeitsrechtliche Diskussion geklärt. Nämlich ob die in einigen Kollektivverträgen wie auch im öffentlichen Dienstrecht vorgesehene Kinderzulage tatsächlich nur „aliquot“, also im Verhältnis zu der im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigen verminderten Arbeitszeit zusteht oder ob die aliquotiert ausgezahlte Kinderzulage einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten darstellt, da ja jedes Kind „gleich viel wert ist“. Damit ist gemeint: Dient die Kinderzulage zum Ausgleich der zusätzlichen Ausgaben für Kinder, dann sind diese Ausgaben für Voll- und Teilzeitbeschäftigte gleich hoch. Auf der anderen Seite ist jedoch der „Entgeltcharakter“ der kollektivvertraglich verankerten Kinderzulage evident und für das Entgelt gilt im Allgemeinen der in der E mehrfach erwähnte „Pro-rata-temporis-Grundsatz“ – bedeutet: im Verhältnis der verringerten Arbeitszeit zur Vollzeit. Wir befinden uns daher mitten im Spannungsfeld des „Benachteiligungsverbots“ für Teilzeitbeschäftigte einerseits versus des Grundsatzes der arbeitszeitanteiligen Leistungsgewährung andererseits, die beide im § 19d Abs 6 AZG geregelt sind. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass aber der im § 4 GehG für Bundesbeamte geregelte „Kinderzuschuss“ für Voll- und Teilzeitbeschäftigte in gleicher Höhe zusteht.
Die jeweils vom Antragsteller und vom Antragsgegner vorgebrachten Pro- und Contra-Argumente sind jeweils für sich betrachtet durchaus stichhaltig. Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass der OGH diese Frage an den EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Denn die österreichische Bestimmung des § 19d Abs 6 AZG, in der das Diskriminierungsverbot sowie die Leistungsgewährung nach dem Pro-Rata-Temporis- Grundsatz für Teilzeitbeschäftigte verankert ist, wurde in Umsetzung der „EU-Teilzeitarbeitsrichtlinie“ (97/81/ EG) geschaffen. Man kann daher für das Verständnis des § 19d Abs 6 AZG unmittelbar auf die Auslegung der EU-TeilzeitarbeitsRL durch den EuGH zurückgreifen.
Die für die nationalen Behörden und somit auch für den OGH bindende Antwort des EuGH war eindeutig: Bei der Kinderzulage handelt es sich um Entgelt iwS, so dass es sachlich gerechtfertigt ist, diese im Verhältnis der reduzierten Arbeitszeit zur Vollzeitbeschäftigung zu kür-74zen. Die gegebenenfalls damit auch verfolgte Zweckbestimmung des Ausgleichs der finanziellen Unterhaltslasten für Kinder tritt in den Hintergrund.
Auch wenn es nicht Inhalt des gegenständlichen Verfahrens war, so ist dennoch an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass gem § 19d Abs 4 AZG bei den nach dem Ausmaß der Arbeitszeit bemessenen kollektivvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Ansprüchen von Teilzeitbeschäftigten die regelmäßig geleistete Mehrarbeit zu berücksichtigen ist. Denn der Text des Banken- KollV stellt auf die Anzahl der mit dem teilzeitbeschäftigten AN „vereinbarten“ Wochenarbeitsstunden ab. Aber nicht nur die vereinbarte, sondern auch die vom AG einseitig angeordnete regelmäßige Mehrarbeit – wobei diese Anordnung bei AN in Elternteilzeit gem § 19d Abs 8 AZG unzulässig wäre – sind daher bei der konkreten Bemessung der Kinderzulage zu berücksichtigen.