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Insolvenz-Entgelt – Austrittsobliegenheit bei Nichtzahlung des Lohnes nach Berichtstagsatzung

MANFREDTINHOF

Die Austrittsobliegenheit des AN verfolgt den Zweck, dass die Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten und die daraus resultierende Pflicht zur Begleichung der laufenden AN-Ansprüche nicht mehr zu Lasten des Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) gehen soll. Die Verletzung der Austrittspflicht wirkt jedoch nicht anspruchsvernichtend, wenn diese auf den Umfang der Leistungspflicht des IEF keinen Einfluss hat.

SACHVERHALT

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 14.1.2013 wurde über das Vermögen des AG des kl AN das Konkursverfahren eröffnet. Am 21.3.2013 fand die Berichtstagsatzung statt, bei der zunächst die Fortführung des Unternehmens beschlossen wurde. Am 3.7.2013 wurde mangels Zustandekommens eines Sanierungsplans das Unternehmen geschlossen. Mit 11.7.2013 trat der Kl gem § 25 IO berechtigt aus.

Das Entgelt ab Mai 2013 hat der Kl nicht mehr erhalten. Die Fälligkeit des Mai-Lohnes ist am 15.6.2013 eingetreten.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Kl begehrte Insolvenz-Entgelt von 1.5.2013 bis 11.7.2013. Die beklagte IEF-Service GmbH wendete ein, 77dass der Kl spätestens am 30.6.2013 seinen berechtigten vorzeitigen Austritt hätte erklären müssen, um eine Sicherung seiner Ansprüche nach dem IESG zu erreichen. Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Zahlung bis 30.6.2013, das Mehrbegehren bis 11.7.2013 wies es ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese E und ließ die ordentliche Revision zu. Der OGH wies die Revision der Bekl mangels erheblicher Rechtsfrage zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„In der Entscheidung 8 ObS 7/05w hat der Oberste Gerichtshof seine bereits in der Entscheidung zu 8 ObS 14/04y vertretene Auffassung bekräftigt, wo- nach die in § 3a Abs 2 Z 5 bzw § 3a Abs 3 IESG normierte Austrittsobliegenheit vor dem Hintergrund ihrer Zielsetzung keinen Pönalecharakter hat (vgl auch RIS-Justiz RS0119672). Daraus wurde – unter sinngemäßer Heranziehung des im Privatversicherungsrecht für zulässig erachteten Kausalitätsgegenbeweises bei Verletzung von Obliegenheiten (vgl RIS-Justiz RS0116979) – der Schluss gezogen, dass dann, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass die Verletzung der Austrittsobliegenheit ‚auf den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten keinen Einfluss hatte‘, die Verletzung der Austrittsobliegenheit nicht anspruchsvernichtend wirkt. […]

Konkret ausgedrückt bedeutet dies, dass die geltend gemachten Ansprüche insoweit gesichert sind, als sie – für den geltend gemachten Zeitraum betragsmäßig gleich, gegebenenfalls aber aus dem Titel der Kündigungsentschädigung – auch bei rechtzeitigem Austritt zugestanden wären. Die Wendung ‚keinen Einfluss auf den Umfang der Leistungspflicht‘ in den zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs drückt aus, dass sich die Leistungspflicht der Beklagten durch den verspäteten Austritt nicht erhöhen darf. Sie ist aber nicht dahin zu verstehen, dass die Sicherungspflicht zur Gänze entfallen würde, wenn auch nur ein Teil der geltend gemachten Ansprüche im Fall des rechtrechtzeitigen Austritts nicht zustehen würde. Vielmehr ist ein geltend gemachter Entgeltanspruch nur dann nicht gesichert, wenn er bei rechtzeitigem vor- zeitigen Austritt nie (auch nicht aus dem Titel der Kündigungsentschädigung) entstanden wäre (vgl 8 ObS 8/04s).“

ERLÄUTERUNG

Zum Schutz des IEF wurde die Bestimmung des § 3a Abs 2 Z 5 ins IESG aufgenommen, die besagt, dass der AN den vorzeitigen Austritt erklären muss, wenn der Masseverwalter nach der Berichtstagsatzung – diese findet meist ca zwei Monate nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens statt – mit der Entgeltzahlung in Verzug gerät. Der Austritt sollte spätestens an dem Fälligkeitstermin folgenden Monatsletzten erfolgen. Dies deswegen, weil der Fonds durch die Fortführung eines ohnehin maroden Unternehmens nicht noch weiter belastet werden soll. Für den Fall des – wie hier – nicht rechtzeitigen Austritts geht die Sicherung der Ansprüche teilweise verloren.

Fraglich war im vorliegenden Fall, ob der AN dadurch das komplette ausständige Entgelt ab Mai 2013 verliert – so wie es der Fonds begehrt –, oder ob er zumindest so zu stellen ist, wie wenn er ordnungsgemäß ausgetreten wäre. Der OGH hat ganz klar dargelegt, dass der IEF durch den nicht rechtzeitig erklärten Austritt des AN nicht belohnt werden soll, indem er gar nichts bezahlen muss. Da der Kl die Abweisung des Anspruches von 1.7. bis 11.7.2013 durch das Erstgericht nicht bekämpfte, blieb es bei der Verpflichtung des Fonds zur Bezahlung von Insolvenz-Entgelt bis 30.6.2013. Der Kl hätte sogar noch die Kündigungsentschädigung bis 5.7.2013 (Ende der Arbeitswoche, KollV Baugewerbe) lukrieren können, wenn er gegen die erstgerichtliche E in Berufung gegangen wäre, denn die wäre ihm bei rechtzeitigem Austritt am 30.6. ja zugestanden.