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Gescheiterter Sanierungsversuch bei der Anrechnung von Vordienstzeiten

WOLFGANGKOZAK
Art 2 Abs 1 u 2 lit a, Art 6 RL 2000/78/EG

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichtes soll die in Rede stehende Regelung vor allem ein diskriminierungsfreies Besoldungs- und Vorrückungssystem schaffen. Die österreichische Regierung hebt außerdem hervor, dass dem Reformgesetz Haushaltserwägungen zugrunde lagen. Diese Ziele können es jedoch nicht rechtfertigen, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig durch die Reform eines diskriminierenden Systems festgeschrieben wird und ist nicht geeignet für die vom früheren System benachteiligten Beamten, ein diskriminierungsfreies System zu schaffen.

SACHVERHALT

Herr Schmitzer beantragte als Bundesbeamter die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr. Diese wurden Herrn Schmitzer auch anerkannt, jedoch ergab sich für ihn durch die Korrektur des Vorrückungsstichtages keine Verbesserung, weil gleichzeitig durch die durch die EuGH-Rsp notwendig gewordene Besoldungsreform die Vorrückungsdauer von der ersten in die zweite Stufe von zwei auf fünf Jahre verlängert und so die Anrechnung kompensiert wurde. Herr Schmitzer verlangte die Beachtung der Vorrückung entsprechend der ursprünglichen Rechtslage. Dieser Antrag wurde jedoch abschlägig beschieden, so dass Herr Schmitzer Beschwerde an den VwGH erhob, der eine Vorlage an den EuGH vornahm.

Der EuGH sah in der Besoldungsreform die Prolongierung der ursprünglichen Altersdiskriminierung und entschied, dass die vorgenommene Sanierung ebenfalls EU-rechtswidrig ist.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Dazu ist festzustellen, dass die vom früheren System benachteiligten Beamten, die unter Berufung auf § 113 Abs. 10 GehG in der durch das Reformgesetz geänderten Fassung die Berücksichtigung der vor Vollendung ihres 18. Lebensjahrs erworbenen Zeiten beantragen, § 8 Abs. 1 GehG in der durch das Reformgesetz geänderten Fassung unterliegen, der eine Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erst nach fünf Jahren vorsieht, während das vor dem Reformgesetz geltende System diese Vorrückung nach Ablauf von zwei Jahren vorsah.

Hingegen wird der Vorrückungsstichtag der vom früheren System begünstigten Beamten nach § 113 Abs. 11 GehG in der durch das Reformgesetz geänderten Fassung nur auf Antrag geändert, zu dessen Stellung diese Beamten aber – wie das vorlegende Gericht ausführt – keinerlei Veranlassung haben. Für sie gilt daher im Gegensatz zu den vom früheren System benachteiligten Beamten, die einen solchen Antrag gestellt haben, die Verlängerung des für die Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erforderlichen Zeitraums um drei Jahre nicht.

Somit hat der österreichische Gesetzgeber durch den Erlass von § 8 Abs. 1 GehG in der durch das Reformgesetz geänderten Fassung eine Bestimmung eingeführt, nach der die vom früheren System benachteiligten Beamten und die von diesem System begünstigten Beamten in Bezug auf ihre besoldungsrechtliche Stellung und das entsprechende Gehalt weiterhin unterschiedlich behandelt werden.

Dadurch neutralisiert die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung nicht nur den Vorteil, der sich aus der Berücksichtigung der vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung ergibt, sondern benachteiligt auch allein die vom früheren System benachteiligten Beamten, da die Verlängerung des Vorrückungszeitraums nur für sie gelten kann. Somit wurden die nachteiligen Folgen des vor dem Reformgesetz geltenden Systems in Bezug auf diese Beamten nicht vollständig beseitigt.

Da die Verlängerung des für die Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erforderlichen Zeitraums um drei Jahre nur für Beamte gilt, die Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegt haben, ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 enthält. […]

Zum Ziel der budgetären Ausgeglichenheit der im Aus-82gangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, neben politischen, sozialen oder demografischen Erwägungen auch Haushaltserwägungen zu berücksichtigen, sofern sie dabei insbesondere das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters beachten. Insoweit können Haushaltserwägungen zwar den sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zugrunde liegen und die Art oder das Ausmaß der von ihm zu treffenden sozialen Schutzmaßnahmen beeinflussen, für sich allein aber kein legitimes Ziel im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellen (Urteil Fuchs und Köhler, C‑159/10 und C‑160/10, EU:C:2011:508, Rn. 73 und 74). Das Gleiche gilt für die vom vorlegenden Gericht angeführten administrativen Erwägungen. […]

Diese Ziele können jedoch eine Maßnahme nicht rechtfertigen, mit der – sei es auch nur für bestimmte Personen – eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festgeschrieben wird, die durch die Reform eines diskriminierenden Systems, zu der diese Maßnahme gehört, beseitigt werden soll. Eine solche Maßnahme ist, auch wenn sie die Wahrung des Besitzstands und den Schutz des berechtigten Vertrauens der vom früheren System begünstigten Beamten sicherzustellen vermag, nicht geeignet, für die vom früheren System benachteiligten Beamten ein diskriminierungsfreies System zu schaffen. […]“

ERLÄUTERUNG

Der Ausgangspunkt vorliegenden Trauerspiels liegt bereits lange Zeit zurück, nämlich im Jahr 2009. Damals entschied der EuGHim Fall Hütter (C-88/08, EU:C:2009.381), dass der Ausschluss jener (Vor-)Dienstzeiten, die vor dem 18. Lebensjahr erworben wurden, altersdiskriminierend ist. Hauptsächlich betroffen davon waren die Dienstrechte von Bund, Ländern und Gemeinden, in einigen Kollektivverträgen finden sich altersdiskriminierende Normen ähnlicher Art. Bei der auf dieses Urteil folgenden Sanierung im Bereich der Dienstrechte des Bundes war der Fokus auf Kostenneutralität gelegt. Die diskriminierende Rechtslage sollte ohne Mehrkosten beseitigt werden. Dies führte im Ergebnis dazu, dassjene Personengruppe, die durch die Rechtsordnung benachteiligt wurde, formell diese Benachteiligung beseitigen lassen konnte, eine Angleichung auf das Niveau der nicht diskriminierten Personengruppe aber nicht erfolgte: Die Zeiten wurden angerechnet, die aktuelle Vorrückungsstufe veränderte sich jedoch nicht, so dass der Bezug sich nicht veränderte. Dass ein solch – lediglich – formeller Zugang bei der Behebung einer Diskriminierung nicht die Zustimmung des EuGH finden würde, war bereits nach In-Kraft-Treten der Reform abzusehen. Nichtsdestotrotz wurde diese Art der Sanierung auch im Dienstrecht der ÖBB statuiert, in welchem der Gesetzgeber durch gesetzliche Anordnung rückwirkend in Einzelverträge eingriff, was auch für österreichische Verhältnisse bemerkenswert genug war. Die Sanierung wurde in der Folge in gegenständlichem Verfahren und für das ÖBB-Dienstrecht durch Herrn Starjakob (C-417/13, ECLI:EU:C:2015:38) vor dem EuGH erfolgreich bekämpft. In einem weiteren Sanierungsversuch kopiert nun der österreichische Bundesgesetzgeber Teile der aufgrund derselben Problematik der Altersdiskriminierung durchgeführten deutschen Besoldungsreform, die vom EuGH im Fall Specht (C-501/12, ECLI:EU:C:2014:2005)als EU-rechtskonform qualifiziert wurde. Es ist also davon auszugehen, dass für die Zukunft ein in diesem Punkt diskriminierungsfreies Dienstrecht geschaffen wurde. Für Ansprüche aus der Vergangenheit wurde jedoch in der neuerlichen Besoldungsreform keine Regelung getroffen. Die diskriminierten Personen können daher immer noch im Rahmen des Verjährungszeitraumes bzw im Geltungsbereich eines Verjährungsverzichtes Differenzansprüche, die sich aus einer diskriminierungsfreien Einstufung nach dem Besoldungsrecht alt ergeben, im Rechtsweg geltend machen, wie der EuGH im Fall Starjakob festhielt.

Die Bedeutung für gleichartige Bestimmungen in Kollektivverträgen: Diese sind ebenfalls als diskriminierend und unzulässig anzusehen. Personen, deren (Vor-) Dienstzeiten daher nicht angerechnet wurden, weil diese vor dem vollendeten 18. Lebensjahr lagen, haben daher Anrecht auf diskriminierungsfreie Einstufung und Nachzahlung der Differenz im Verjährungszeitraum.