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Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gültigkeitsdauer von Verschreibungen

MONIKAWEISSENSTEINER

Die Krankenordnung, die im Rang einer Verordnung steht, ist nicht gesetzwidrig, wenn sie die Gültigkeitsdauer der Verschreibungen von Heilmitteln, Heilbehelfen und Hilfsmitteln beschränkt.

SACHVERHALT

Ein Arzt für Allgemeinmedizin verschrieb dem Kl, einem insulinabhängigen Diabetiker, mit Verordnungen vom 11.7. 2008 ua 23 Packungen Teststreifen zur Blutzuckerkontrolle, mehrere Packungen Lanzetten und mehrere Packungen Zellstofftupfer. Die GKK bewilligte im Oktober 2008 jeweils nur einen Teil der Packungen. Über ein halbes Jahr später, im Mai 2009 bezog der Kl weitere Packungen der Verschreibung auf eigene Rechnung von einer Apotheke und beantragte dafür Kostenerstattung von der Krankenkasse.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom April 2012 wurde der Antrag abgelehnt. Die E über die dagegen erhobene Klage war in allen Instanzen negativ; die Revision wurde zugelassen, weil eine Judikatur zur Frage des Ablaufs der Gültigkeitsdauer von Rezepten bzw Verordnungsscheinen fehle. Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Diesen Ausführungen (Anmerkung: in der Revision) ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung kein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Gewährung von Sachleistungen in der Krankenversicherung besteht (RIS-Justiz RS0111541). Die Krankenversicherungsträger sind nur dazu verpflichtet, die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Versicherten die benötigten Gesundheitsleistungen auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers erhalten können (10 ObS 36/09f, SSV-NF 23/23 mwN). Der Versicherte kann aber Kostenerstattung verlangen, wenn er eine einzelne Leistung nicht auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers erhält. Eine Leistungsklage auf Kostenerstattung setzt allerdings voraus, dass die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen worden sind (10 ObS 36/09f, SSV-NF 23/23 mwN). […]

Nach den maßgebenden Bestimmungen der Krankenordnung der beklagten Partei verlieren Rezepte bzw Verordnungsscheine ihre Gültigkeit, wenn sie nicht innerhalb von einem Monat bzw 14 Tagen nach dem Ausstellungstag oder Tag der Bewilligung durch die Kasse eingelöst werden.[…] Es muss somit ein zeitlicher Konnex zwischen der Verschreibung von Heilmitteln, Heilbehelfen und Hilfsmitteln und deren Bezug sowie Einnahme bzw Anwendung bestehen. Gegen diese zeitliche Beschränkung der Gültigkeitsdauer von Kassenrezepten bzw Verordnungsscheinen bestehen beim erkennenden Senat keine Bedenken, sodass der vom Kläger in diesem Zusammenhang angeregten Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht beizutreten ist.“

ERLÄUTERUNG

In Österreich gewähren die Krankenversicherungsträger die Sachleistungen (Krankenbehandlung, Heilmittel, Heilbehelfe, usw) nicht direkt, sondern sie schließen Verträge mit den Leistungserbringern (zB ÄrztInnen, Apotheken) ab; diese erbringen die Leistung auf Rechnung der KV. Wenn Versicherte eine Leistung nicht auf Kosten der KV beziehen, sondern selbst bezahlen, können sie Kostenerstattung beantragen. In diesem Fall muss die Rechnung zuerst bezahlt werden und die saldierte Rechnung dann dem Krankenversicherungsträger zu Erstattung vorgelegt werden. Wird der Antrag abgelehnt, besteht die Möglichkeit einer Leistungsklage beim Sozialgericht. Wurde aber etwa ein Heilmittel noch nicht bezogen und ist somit eine Leistungsklage nicht möglich, ist ein Feststellungsbegehren und eine entsprechende Feststellungsklage auf Kostenübernahme möglich (zB OGH 23.3.2010, 10 ObS 21/10a, OGH 12.4.2011, 10 ObS 165/10b). Damit ist sichergestellt, dass die Beschreitung des Rechtsweges auch ohne Vorfinanzierung – oft sehr teurer Leistungen – möglich ist.

Im vorliegenden Fall sind aber zusätzlich § 456 Abs 1 ASVG iVm §§ 20 ff der Krankenordnung zu beachten: Rezepte bzw Verordnungsscheine verlieren ihre Gültigkeit, wenn sie nicht innerhalb von einem Monat bzw 14 Tagen eingelöst werden. Im vorliegenden Fall stammen die Rezepte bzw Verordnungen aus dem Jahr 2008, die Rechnung der Apotheke war aus dem Jahr 2009. In der Revision wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Beschränkung der Gültigkeitsdauer vorgebracht, weil sie den Versicherten bloß ein Kostenersatzrecht anstelle der notwendigen und zweckmäßigen Heilmittel und Heilbehelfe einräumen.

Diese Bedenken werden vom OGH im Hinblick auf die oben angeführten Rechtsschutzmöglichkeiten aus nachvollziehbaren Gründen nicht geteilt. Wenn Versicherte vom behandelnden Arzt Heilmittel (oder auch Heilbehelfe und Hilfsmittel) verordnet erhalten, ist davon auszugehen, dass die (Kranken-)Behandlung notwendig und zweckmäßig ist. Eine Inanspruchnahme wird daher in der Regel sinnvollerweise zeitnahe zur Verschreibung erfolgen. Im Fall der Ablehnung kann der Bescheid mittels Klage bekämpft werden; nach stRsp ist ein Feststellungsbegehren zulässig, so dass auch für Fälle, in denen eine Vorfinanzierung nicht möglich ist, der Rechtsschutz gewährleistet ist.93