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Staatsbürger eines EU-Mitgliedstaats können sich nicht unter Berufung auf ihre gleichzeitige türkische Staatsbürgerschaft dem Erfordernis eines Inlandswohnsitzes für Ausgleichszulage entziehen

CHRISTOPHKLEIN
Beschluss Nr 3/80 des Assoziationsrats vom 19.9.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der EG auf die türkischen AN
EuGH 14.1.2015 C-171/13Uitvoeringsinstituut werknemersverzerkeringen (uwv)/ gegen Demirici ua

Ehemalige AN mit türkischer und niederländischer (Doppel-)Staatsbürgerschaft beziehen eine niederländische Berufsunfähigkeitsrente. Diese ist niedriger als der Mindestlohn, weshalb zunächst zusätzlich eine beitragsfreie Zusatzleistung ausgezahlt wurde. Nach Übersiedelung in die Türkei wurde die Zusatzleistung, die einen inländischen Wohnsitz voraussetzt, schrittweise eingestellt. Die AN klagten unter Berufung auf Art 6 des Beschlusses 3/80, wonach ua Invaliditätsleistungen nicht wegen eines Wohnorts in der Türkei entzogen werden dürfen. Der EuGH entschied, dass sich die AN als niederländische Staatsbürger – für die das Wohnsitzerfordernis für den Anspruch auf die Zusatzleistung gilt – diesem Erfordernis nicht mit der Begründung, gleichzeitig türkische Staatsbürger zu sein, entziehen können. Es sei durch nichts gerechtfertigt, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der auch die Staatsangehörigkeit eines EU-Staates erworben hat, von diesem bei solchen Sozialleistungen nicht ausschließlich als Angehöriger ebendieses Staates behandelt wird. Sonst würde der Betreffende einerseits gegenüber anderen Türken bevorzugt (betreffend Aufenthaltsrecht und Freizügigkeit), andererseits gegenüber den Staatsbürgern des Aufnahmestaats bzw anderen Unionsbürgern (betreffend den Wegfall des Wohnsitzerfordernisses für die Ausgleichszulage).

ANMERKUNG DES VERFASSERS
Der EuGH hat sozusagen die Anwendung der „Rosinentheorie“ abgelehnt: Man kann sich nicht gleichzeitig die Rosinen einer EU-Mitgliedsstaatsbürgerschaft (volle Integration) und die Rosinen der türkischen Staatsbürgerschaft iVm dem Beschluss Nr 3 (volle Exportierbarkeit aller Pensionsleistungen in die Türkei) herauspicken.