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Schwerarbeit durch Überschreitung eines 8-Stunden-Tages

WERNERPLETZENAUER
SchwerarbeitsVO § 1

Eine körperliche Arbeit ist Schwerarbeit, wenn sie die in der SchwerarbeitsVO festgelegte Arbeitskilokaloriengrenze von 2.000 (Männer) bzw 1.400 (Frauen) pro Arbeitstag erreicht bzw überschreitet.

Die Angabe von acht Stunden in § 1 Abs 1 Z 4 der VO stellt lediglich einen Richtwert zur Berechnung der Arbeitskilokalorien pro Arbeitstag dar. Die Versicherten können jedoch nachweisen, dass sie täglich aufgrund längerer Arbeitszeiten oder aufgrund der besonderen Schwere der Tätigkeit auch bei kürzeren Arbeitszeiten den geforderten Arbeitskilokalorienverbrauch erreichen.

SACHVERHALT

Der Kl ist als Maler und Anstreicher bei der Autobahnmeisterei beschäftigt und beantragte bei der PVA die Feststellung von Schwerarbeitszeiten. Seine Tätigkeiten umfassen ua das Ausmalen und Lackieren von Räumen und Hallen im Rahmen der Gebäudeverwaltung der Autobahnmeisterei, aber auch das Instandhalten von Gebäuden, Brücken und Autobahnparkplätzen. Die Normalarbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich und ist so verteilt, dass an vier Tagen pro Woche neun Stunden oder mehr gearbeitet wird, am fünften Tag weniger oder gar nicht. Diese regulären Wochendienstzeiten variierten unregelmäßig durch Mehr- und Minderarbeitszeiten, wobei unter Mehrleistungen auch eine Zahl von nicht durch Zeitausgleich abgegoltenen Überstunden zu verstehen ist. Der Kl verbraucht nach der Art der Tätigkeit an einem achtstündigen Arbeitstag durchschnittlich 1.838 Arbeitskalorien, also knapp unter dem täglichen Richtwert (dazu siehe unten) von 2000 Arbeitskilokalorien. Arbeitete der Kl 8,75 Stunden oder mehr an einem Tag, verbrauchte er also über 2000 Arbeitskilokalorien.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Pensionsversicherungsträger lehnte die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten ab. Das Erstgericht vertrat die Auffassung, es seien für die Berechnung des Arbeitskalorienverbrauchs die tatsächlich geleisteten Überstunden, die über die wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden hinausgehen und denen 96kein Zeitausgleich gegenüberstehe, zu berücksichtigen und stellte das Vorliegen von 97 Schwerarbeitsmonaten fest. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, der Arbeitskilokalorienverbrauch iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO habe sich grundsätzlich an einem (fiktiven) achtstündigen Arbeitstag zu orientieren und die in dieser Bestimmung für das Vorliegen von Schwerarbeit geforderten Arbeitskilokalorien könnten daher nicht durch längere Arbeitszeiten des Kl erreicht werden. Der OGH verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen E an das Erstgericht zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Nach § 3 SchwerarbeitsVO ist nach den in der Anlage zu dieser Verordnung festgeschriebenen Grundsätzen festzustellen, ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 gilt. […] Der Arbeitsenergieumsatz ergibt sich aus dem Gesamtenergieumsatz pro Arbeitstag abzüglich des Grundenergieumsatzes (differiert vor allem in Abhängigkeit vom Körpergewicht), dem Freizeitenergieumsatz (der je nach Freizeit-Aktivität unterschiedlich ist) und einem kleinen Anteil für Energieverluste. Für die Festlegung der Schwerarbeits-Grenze ist die Lage der ‚energetischen Dauerleistungsgrenze‘, die mit dem Tages- Arbeitsenergieumsatz gleichzusetzen ist, von Bedeutung. Sie liegt für Männer bei 8.374 Kilojoule (2.000 Kilokalorien) pro Tag, für Frauen bei 5.862 Kilojoule (1.400 Kilokalorien) pro Tag (gerundete Durchschnittswerte). […]

Es wurde somit in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO bei der Festlegung der Energieumsatzgrenze der Bezug auf 8 Stunden pro Arbeitstag als gesetzliche Normalarbeitszeit gewählt, da es insbesondere für unselbständig Beschäftigte unrealistisch (und vielfach auch gesetzeswidrig) erschien, ständig von längeren Arbeitszeiten auszugehen. Wenn jedoch tatsächlich längere Arbeitszeiten vorliegen, so sind diese bei der Berechnung des Energieumsatzes entsprechend zu berücksichtigen. Die verhältnismäßige ‚Einkürzung‘ einer tatsächlich längeren täglichen Arbeitszeit auf einen achtstündigen Arbeitstag – und damit die Streichung von Zeiten mit beruflicher, körperlicher Belastung – war daher nicht intendiert. […] Die Angabe von 8 Stunden in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO stellt daher nach zutreffender Rechtsansicht des Revisionswerbers lediglich einen Richtwert zur Berechnung der Arbeitskilokalorien pro Arbeitstag dar. Die Versicherten können jedoch nachweisen, dass sie täglich aufgrund längerer Arbeitszeiten oder aufgrund der besonderen Schwere der Tätigkeit auch bei kürzeren Arbeitszeiten den geforderten Arbeitskilojoule- bzw Arbeitskilokalorienverbrauch erreichen. […] Nach den Feststellungen hat der Kläger im Rahmen seiner Regelarbeitszeit an vier Tagen pro Woche jeweils 9 Stunden gearbeitet, dabei jeweils 2.067,75 Arbeitskilokalorien verbraucht und damit Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO geleistet. Unter der Voraussetzung, dass der Kläger an mindestens 15 Arbeitstagen im Monat Schwerarbeit geleistet hat, liegt für den betreffenden Zeitraum ein Schwerarbeitsmonat vor (vgl § 4 SchwerarbeitsVO). Da das Erstgericht keine ausreichenden Feststellungen darüber getroffen hat, in welchem konkreten Ausmaß der Kläger in welchen Monaten im klagsgegenständlichen Zeitraum an mindestens 15 Tagen im Kalendermonat 9 Stunden und mehr gearbeitet und damit Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO verrichtet hat, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.“

ERLÄUTERUNG

Mit der gegenständlichen E hat der OGH dargelegt, dass körperliche Schwerarbeit iSd SchwerarbeitsVO dann vorliegt, wenn die in der SchwerarbeitsVO festgelegte Dauerleistungsgrenze für Männer bei 8.374 Kilojoule (2.000 Kilokalorien), für Frauen bei 5.862 Kilojoule (1.400 Kilokalorien) pro Arbeitstag erreicht bzw überschritten wird. Dabei ist es unerheblich, ob der geforderte Arbeitskilokalorienverbrauch aufgrund längerer Arbeitszeiten oder aufgrund der besonderen Schwere der Tätigkeit auch bei kürzeren Arbeits- zeiten erreicht wird. Wesentlich ist, dass der OGH – auch anders als das Erstgericht – nicht auf die durchschnittliche Tagesarbeitszeit abstellt, sondern jeden einzelnen Tag zählt, an dem 8,75 Stunden oder mehr erreicht wurden – gleichgültig, ob diese Überschreitung des 8-Stunden-Tages an anderen Tagen durch geringere Arbeitszeiten wieder ausgeglichen wird! Dadurch wird all jenen Personen, die bei einer achtstündigen Arbeitszeit die Schwerarbeitsgrenze knapp nicht erreichen, der Erwerb von Schwerarbeitstagen durch eine entsprechende Umverteilung der Normalarbeitszeit oder durch Überstunden – auch wenn diese durch Zeitausgleich abgegolten werden – ermöglicht.

Allerdings findet sich in der E kein Hinweis, dass neben der energetischen Belastung eine Prüfung der ebenfalls in der Anlage zur SchwerarbeitsVO angeführten Kriterien wie die Herz- und Kreislaufbelastung sowie die Belastung des passiven und aktiven Stütz- und Bewegungsapparates stattgefunden hat (vgl Panhölzl, Vollziehungsprobleme bei der Schwerarbeit, DRdA 2009, 106). Dies ist insofern bemerkenswert, weil auf Grund des Berufsanforderungsprofils des Malers und Anstreichers und der ausgeübten Tätigkeit des Kl von einer Belastung des Stütz- und Bewegungsapparates auszugehen ist.

Ergänzend ist auf die arbeitsmedizinische Einordnung des Arbeitsenergieumsatzes hinzuweisen. Ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung spricht man bei einem Mann bei einem Arbeitsenergieumsatz von 6.300 bis 8.400 Kilojoule pro Tag von „schwerer Arbeit“. Damit ist die Dauerleistungsgrenze erreicht. Belastungen über dieser Dauerleistungsgrenze werden der Rubrik „Schwerstarbeit“ zugeordnet. Aufgrund der im Durchschnitt geringeren Leistungsfähigkeit der Frauen reduziert sich dieser zumutbare Grenzbereich auf etwa zwei Drittel der Werte für Männer. Die zumutbare energeti-97sche Belastungsgrenze der Frau liegt demnach bei rund 5.300 bis 5.750 Kilojoule pro Tag (vgl Spitzer/Hettinger/ Kaminsky, Tafeln für den Energieumsatz bei körperlicher Arbeit6 [1982] 28 und 150). Nach § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO liegt aber erst dann „schwere körperliche Arbeit“ vor, wenn Männer einen Arbeitsenergieumsatz von mindestens 8.374 Kilojoule (2.000 Kilokalorien) bzw Frauen bei 5.862 Kilojoule (1.400 Kilokalorien) pro Arbeitstag erreichen. Während der Verordnungsgeber, ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung, bei Männern das Vorliegen von „schwerer körperlicher Arbeit“ knapp unterhalb der Dauerleistungsgrenze definiert, wird hingegen bei Frauen für das Vorliegen von „schwerer körperliche Arbeit“ ein Überschreiten der Dauerleistungsgrenze und somit anders als bei Männern „Schwerstarbeit“ gefordert, weshalb mE in diesem Zusammenhang eine unmittelbare Diskriminierung von Frauen vorliegt.