Bonus-Malus-Modell“ Neu – Mehr Chancen auf (Wieder-) Beschäftigung für ältere Arbeitnehmer
Bonus-Malus-Modell“ Neu – Mehr Chancen auf (Wieder-) Beschäftigung für ältere Arbeitnehmer
Die derzeitige Bundesregierung verfolgt laut ihrem Arbeitsprogramm eine zentrale sozialpolitische Zielsetzung: Die Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters auf 60,1 Jahre im Jahr 2018. Ob dieses Ziel erreicht wird oder nicht, hat erhebliche Auswirkungen auf andere Politikfelder, insb für die Budget- und Arbeitsmarktpolitik auch kommender Bundesregierungen. Es geht dabei um nichts weniger als um Erhöhung der Beschäftigung älterer, insb ab 55-jähriger Erwerbspersonen bei gleichzeitiger Stabilisierung der Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe. Denn im Ergebnis müssen 2018 rund 155.000 über 55-jährige AN mehr in Beschäftigung sein als 2013, das Ziel eines faktischen Pensionsantrittsalters von 60,1 Jahren soll 2018 erreicht werden.
Die Beschäftigung Älterer muss damit stärker steigen als es die demographische Entwicklung und die bereits gesetzten Reformen in der PV alleine bewirken: Nach Berechnungen der AK, die sich auf Daten des Hauptverbandes stützen, müssen rund 30.000 über 55-Jährige zusätzlich zum „Demographie- Effekt“ und zu den Wirkungen der Änderungen beispielsweise bei der Langzeitversicherten-Regelung und bei der Korridorpension in Beschäftigung* kommen. Und dazu braucht es unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung ganz einfach eines: Einen Arbeitsmarkt, der älteren, arbeitslos gewordenen AN deutlich mehr und bessere Wiedereinstiegsmöglichkeiten bietet.
Das Regierungsübereinkommen sieht dafür eine Reihe von Maßnahmen vor – und keine ist so wichtig und gleichzeitig so umstritten wie die Einführung eines Anreizmodelles, das auf die Erhöhung der Beschäftigung älterer AN in Unternehmen mit mehr als 25 AN im Jahresdurchschnitt abzielt – das Bonus-Malus-Modell neu. Die Sozialpartner sind eingeladen, ein solches Modell gemeinsam zu entwickeln und der Bundesregierung vorzuschlagen.
Bevor auf ein von den AN-Vertretungen entwickeltes und derzeit zwischen den Sozialpartnern verhandeltes Modell näher eingegangen wird, soll ein Blick auf die Arbeitsmarktsituation älterer AN geworfen werden. Denn erst dann wird erkennbar, warum ein Modell zur Erhöhung der Beschäftigung über 55-Jähriger in größeren Unternehmen notwendig ist, warum ein Modell, das Einstellungen „belohnt“ und Kündigungen „bestraft“, wie es das im Jahr 2008 beseitigte Bonus- Malus-Modell getan hat, zu kurz greift.
Zunächst ein jedenfalls auf den ersten Blick erfreulicher Befund: Die Beschäftigung im Alter zwischen dem 50. und dem 64. Lebensjahr steigt. Alles andere wäre allerdings eine Überraschung – die Demographie führt nämlich bereits jetzt zu einer Alterung der Erwerbsbevölkerung: So ist zwischen 2000 und 2013 die Erwerbsbevölkerung im Alter von 25 bis 39 Jahren um rund 830.000 Personen zurückgegangen, während die Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen um rund 230.000 gestiegen ist.* Diese Entwicklung der „Alterung der österreichischen Erwerbsbevölkerung“ wird sich in den nächsten Jahren noch beschleunigen.
Interessierte BeobachterInnen der Entwicklungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt wissen aber, dass trotz steigender Beschäftigung die Arbeitslosigkeit unter den älteren AN noch viel schneller und deutlicher steigt. So ist im Vorjahresvergleich die Arbeitslosigkeit bei den 55- bis 59-Jährigen um 19,7 % gestiegen, unter den über 60-Jährigen liegt der Anstieg sogar bei 22,6 %, der Beschäftigungszuwachs von 2013 auf 2014 lag hingegen nur bei 6,6 %, respektive bei 7,6 %. Der111Hauptgrund dafür kann mit einem Satz gekennzeichnet werden: Ältere AN werden zwar weniger häufig arbeitslos als jüngere, wenn sie es aber werden, bleiben sie es überdurchschnittlich lange. Belege dafür finden sich etwa in der einer jüngst veröffentlichten Studie des WIFO zur „Typologie“ der Arbeitslosigkeit in Österreich:* Demnach bleiben fast 37 % der Arbeitslosen über 55 Jahre länger als 2,5 Jahre arbeitslos, weitere fast 16 % bleiben es zwischen einem und 2,5 Jahren. Die Befunde aus dieser Studie werden durch einen anderen statistischen Blick auf das Arbeitsmarktgeschehen bestätigt: Nur knapp 30 % der Arbeitslosen über 55 Jahre schafften 2014 den Einstieg in ein neues Arbeitsverhältnis, über alle Altersgruppen hinweg waren es rund 67 %.
Eine Analyse der Arbeitsmarkt-Daten zeigt jedenfalls: Ein Bonus-Malus-Modell, das mit einer Strafzahlung bei arbeitgeberseitig zu verantwortender Kündigung älterer AN vor allem auf die Stabilisierung von Beschäftigungsverhältnissen zielt, greift zu kurz und geht an der Notwendigkeit einer Steigerung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere vorbei. Denn es setzt keinerlei Anreiz für die Unternehmen, ältere AN zusätzlich zu beschäftigen. Unternehmen über 25 AN, die keine älteren AN beschäftigen, würden von einem auf die Verteuerung von Kündigungen älterer AN ausgerichteten Modell gar nicht erreicht.
Notwendig ist vielmehr ein wirksamer Anreiz zur Erhöhung der Beschäftigung Älterer in den Unternehmen – es geht um einen höheren Gesamtbestand von Arbeitsverhältnissen Älterer und nicht so sehr um eine Beeinflussung des Kündigungsverhaltens der Betriebe.
Dass es bei der Beschäftigung Älterer in größeren Unternehmen noch deutlich „Luft nach oben“ gibt, zeigt eine auf Daten des Hauptverbandes des Jahres 2013 gestützte Analyse der Beschäftigung über 55-Jähriger in Unternehmen ab 25 AN der AK:
Aktuell beträgt der Anteil der Beschäftigten dieser Altersgruppe in diesen Unternehmen rund 11 % bis 14 % wären notwendig, sollen die rund 30.000 zusätzlich Beschäftigten im Alter von über 55 bis 2018 erreicht werden.
Von den rund 15.600 Unternehmen mit jahresdurchschnittlich mehr als 25 AN haben rund 4.600 Unternehmen die Zielquote von 14 % Älterer an der Gesamtbelegschaft erreicht. Bei rund 1.700 Unternehmen wäre die Beschäftigung nur einer zusätzlichen Person über 55 Jahre für die Erfüllung dieser Quote notwendig gewesen. Rund 3.000 Unternehmen haben allerdings keine einzige über 55-jährige Person beschäftigt. Würden nur die zehn Unternehmen mit dem größten Nachholbedarf pro Wirtschaftsklasse die Quote von 14 % erreichen, würde das eine zusätzliche Beschäftigung von knapp 26.000 AN über 55 Jahren bedeuten.
Ein überraschendes Ergebnis dieser Analyse: Die Beschäftigung Älterer in größeren Betrieben hat wenig mit der Branche und damit dem Betriebsgegenstand der Unternehmen zu tun, sondern hängt offensichtlich von der jeweiligen Unternehmenskultur ab. So gibt es zB in der Wirtschaftsklasse „Bau“ Unternehmen mit keinem Beschäftigten über 55 Jahren und Unternehmen, deren Belegschaft zu 16 % aus AN dieser Altersgruppe besteht. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in den Unternehmen der Wirtschaftsklasse „Information und Kommunikation“ – einer Branche, die gemeinhin als „älteren-avers“ angesehen wird.
Wie schon erwähnt, die Sozialpartner verhandeln derzeit über einen von den AN-Interessenvertretungen beim sogenannten „Bad Ischler Dialog 2014“ den AG-Vertretern übermittelten Vorschlag* für ein Bonus- Malus-Modell. Zielsetzung dieses Vorschlages ist die Erhöhung der Beschäftigungsquoten Älterer in Unternehmen, die über 25 AN beschäftigen, auf Basis der Vorgaben des Regierungsübereinkommens.
Diesem Vorschlag zufolge sollen zunächst die in Frage kommenden Unternehmen vom Hauptverband über ihre aktuelle Älteren-Beschäftigungsquote und darüber informiert werden, wie viele ältere Beschäftigte zusätzlich zu beschäftigen wären, damit die Zielquote vom Unternehmen erreicht wird. Die aktuelle Älteren-Beschäftigungsquote soll ohne Berücksichtigung von Lehrlingen festgestellt werden – diese sollen aus der Gesamtzahl der Beschäftigten des Unternehmens herausgerechnet und damit neutral betrachtet werden.
Das Regierungsübereinkommen erfordert eine Berücksichtigung von Branchenunterschieden bei der112Festlegung dieser Zielquoten. Dem wird – ausgehend vom Befund, dass die Unterschiede bei der Älteren- Beschäftigung nicht auf wirtschaftliche Eigentümlichkeiten der jeweiligen Branche, sondern auf die Unternehmenskulturen zurückgehen, zur Sicherung möglichst einfacher Umsetzung durch die Unternehmen und zur Vermeidung unnötiger Administrationsaufwände für die öffentliche Hand – in der Form Genüge getan, dass die Branchen* in drei Cluster eingeteilt werden. Branchen mit einer geringen aktuellen durchschnittlichen Beschäftigungsquote (bis zu 6 %) sollen in einem einjährigen Anpassungszeitraum eine Durchschnittsquote von 7,5 %, diejenigen mit einem mittleren Älteren-Anteil (6 bis 12 %) eine Durchschnittsquote von 13 %, und solche mit einem hohen Älteren-Anteil (über 12 %) eine Steigerung auf 16 % erreichen.
Im Ergebnis bewirkt dieses „clustern“, dass sich die Älteren-Beschäftigung zwar in allen Branchen erhöhen muss, aber die Branchen mit geringem Älteren- Anteil vor einem deutlichen höheren Anpassungserfordernis stehen als solche mit einem mittleren oder hohen Anteil. Dieses System mag auf den ersten Blick sehr komplex erscheinen, ist aber vom Hauptverband relativ einfach zu vollziehen. Vor allem aber ermöglicht es eine einfache und klare Information der betroffenen Unternehmen, wie viele AN über 55 Jahren ihnen auf die Erfüllung der jeweiligen Branchen-Zielquote fehlen.
Zusätzlich zu diesem Erhebungs-, Berechnungs- und Informationsauftrag an den Hauptverband soll eine „Älteren-Beschäftigungsabgabe“ eingeführt werden, die Unternehmen im Nachhinein bei Verfehlen der erwarteten Älteren-Quote für das jeweilige Kalenderjahr gänzlich oder teilweise vorgeschrieben wird. Diese Abgabe – der Malus des neuen Modelles – soll nach den Vorgaben des Regierungsübereinkommens die derzeitige Auflösungsabgabe ersetzen. Das Gesamtaufkommen der „Älteren-Beschäftigungsabgabe“ sollte rund 60 Mio € erreichen – die Summe, die derzeit über die Auflösungsabgabe dem Budget zufließt. Allerdings sollen die Mittel aus der neuen Abgabe ausschließlich für Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen bei der Stabilisierung oder Erhöhung ihrer Älteren-Beschäftigung, namentlich für Maßnahmen der Gesundheitsförderung, eingesetzt werden. Sie würden somit zwischen Unternehmen, die ihre soziale Verantwortung bei der Beschäftigung Älterer nur in geringem Maße wahrnehmen und solchen umverteilt, die sich damit konstruktiv auseinandersetzen und diesen damit einen Bonus für ihr iS einer Bewältigung der Alterung der österreichischen Bevölkerung verantwortungsvolleres Beschäftigungsverhalten gewähren.
Über jährliche Anpassungen der Beschäftigungsquoten im Verordnungsweg könnte auf die tatsächlichen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, in den Unternehmen und beim faktischen Pensionsantrittsalter zeitnahe reagiert werden.
ME stellt ein solches Abgabensystem keinen Eingriff in die verfassungsrechtlich verankerten unternehmerischen Freiheiten dar – es hat jedes Unternehmen die Wahl zwischen Abgabenentrichtung oder einem eine solche vermeidenden Beschäftigungsverhalten. Längerfristig denkende Unternehmen reagieren ja bereits auf die aus der Alterung der Erwerbsbevölkerung resultierenden Anforderungen. Unternehmen, die sich mit solchen Fragen bislang noch nicht auseinandergesetzt haben, erhalten wichtige Grundinformationen und einen materiellen Anreiz, ihre bisherige Personalpolitik iS eines altersgerechteren Verhaltens zu überdenken und ganz einfach mehr ältere AN zu beschäftigen.
Wie oben dargestellt, ist der wichtigste Unterschied zwischen einem „Quoten-Modell“ wie es das Regierungsübereinkommen vorsieht und einem Modell, das Kündigungen älterer AN verteuert, die Tatsache, dass mit einem „Quotenmodell“ alle Unternehmen erreicht werden und ein Anreiz für mehr Beschäftigung Älterer gesetzt wird. Unternehmen, die sich am gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernis einer Ausweitung von Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere AN nicht oder nur in sehr geringem Ausmaß beteiligen, können sich einem „Quoten-Modell“ nicht entziehen und würden angeregt, ihr sozialpolitisch – und im Hinblick auf die demographischen Veränderungen jedenfalls mittelfristig auch betriebswirtschaftlich – problematisches Verhalten bei der Beschäftigung Älterer zu überdenken. Unternehmen, die sich aus der Nichtbeschäftigung Älterer einen wie auch immer gearteten Wettbewerbsvorteil erwarten, können nur mit einem Bonus-Malus-Modell zum Umdenken bewegt werden, das auf eine Erhöhung des Anteils Älterer an den Belegschaften aller Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung ausgerichtet ist.113
Die Einführung eines Anreiz-Modelles zur Erhöhung der Beschäftigung Älterer hat aber auch Vorteile für die Bewältigung von Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt, die über die rein demographischen Gegebenheiten hinausgehen. So erfordern etwa die mittelfristig zu erwartenden Wirkungen der Reform der Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspension mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) deutlich mehr adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere AN nach ihrer medizinischen und/oder beruflichen Rehabilitation. Ebenso verlangen die Veränderungen bei der Langzeitversichertenregelung und bei der Korridorpension mehr Arbeitsmöglichkeiten für Ältere. Ohne eine wirksame arbeitsmarktpolitische Intervention bestünde die reale Gefahr, dass all diese Reformen zu einem zynischen Verweis älterer AN auf einen mittelfristig von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Arbeitsmarkt mit der hohen Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit ausarten, anstelle den Betroffenen tatsächlich eine ihnen angemessene Beschäftigung bis zum (späteren) Pensionsantritt zu ermöglichen.
Erste Auswertungen der vom Arbeitsmarktservice Österreich (idF AMS) im Rahmen des „Beschäftigungsprogrammes für Ältere“ eingesetzten sogenannten Eingliederungsbeihilfe* im Gesamtausmaß von 220 Mio € in den Jahren 2014 bis 2016 zeigen klar: Nur Geldzuwendungen veranlassen zu wenige Unternehmen dazu, älteren Arbeitslosen eine Chance auf Beschäftigung zu geben. Die Ergebnisse dieses Programmes liegen zur Mitte seiner Laufzeit weit unter den Erwartungen, die verfolgten Beschäftigungsziele dürften deutlich verfehlt werden.
Es braucht daher auch auf Unternehmerseite ein System des „Förderns und Forderns“, sollen die massiven Nachteile älterer Arbeit Suchender im Wettbewerb um freie Arbeitsplätze ausgeglichen und ihre Benachteiligung durch die Unternehmen bei der Stellenbesetzung verringert werden. Mit einem auf die Erhöhung der Beschäftigungsquoten Älterer ausgelegten „Bonus- Malus-Modell“ würde ein wichtiger Schritt zu einem zwischen AN- und AG-Seite ausgewogenem System des Helfens und auch Verlangens gesetzt.114