56Anrechnung einer Beihilfe zur Deckung der Lebenshaltungskosten auf die Kündigungsentschädigung
Anrechnung einer Beihilfe zur Deckung der Lebenshaltungskosten auf die Kündigungsentschädigung
Da das AMSG für Beihilfen keine allgemeine Rückersatzpflicht bei gleichzeitigem Anspruch auf Kündi- gungsentschädigung vorsieht, bestimmt sich die Möglichkeit der Rückforderung der Beihilfe im Fall der nachträglichen Zuerkennung einer Kündigungsentschädigung nach dem Inhalt der Vereinbarung zwischen Arbeitsmarktservice (AMS) und Leistungsempfänger.
Ein Lehrling war bis zu seiner vorzeitigen Entlassung am 30.4.2010 in einer Doppellehre zum Maler, Anstreicher und Bodenleger beschäftigt, seine Lehrzeit hätte bis 8.7.2011 gedauert. Im Mai 2010 schloss er mit dem AMS eine Betreuungsvereinbarung mit dem Ziel, ihm möglichst rasch im Weg einer überbetrieblichen Lehre doch noch den Lehrabschluss zu ermöglichen. Der Lehrling besuchte bis 12.11.2010 die letzte Berufsschulklasse, bestand die Lehrabschlussprüfung im Bereich „Bodenleger“ jedoch nicht. Von 14.2.2011 bis 21.6.2011 absolvierte er im Rahmen des Projektes „Plus Punkt“ einen Qualifizierungskurs mit dem vorrangigen Ziel, die Lehrabschlussprüfungen zu bestehen. Das AMS zahlte ihm während des Kurses eine Aus- und Weiterbildungsbeihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts. Im Juni 2011 legte er die Lehrabschlussprüfung im Bereich „Maler und Anstreicher“ mit Erfolg ab und steht seit 18.7.2011 in einem Beschäftigungsverhältnis.
Die Bundesrichtlinie für Aus- und Weiterbildungsbeihilfen (BGS/AMF/0722/9933/2010) des AMS sieht zwar vor, dass Aus- und Weiterbildungsbeihilfen während des Bezugs von Urlaubsersatzleistung oder Kündigungsentschädigung nicht zu gewähren bzw im Falle deren späte-66ren Zuerkennung rückzuverrechnen sind; ob das AMS aber mit dem jungen Mann eine Rückforderungsvereinbarung gemäß der Richtlinie tatsächlich abgeschlossen hat, haben die Untergerichte nicht festgestellt.
In einem Vorverfahren hat das Erstgericht die Entlassung des Lehrlings für rechtsunwirksam erklärt und den Lehrbetrieb zu Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 1.5.2010 bis 31.1.2011 verpflichtet. Mit der vorliegenden Klage machte der Lehrling weitere Kündigungsentschädigung für die Zeit von 1.2.2011 bis 17.7.2011 geltend.
Die Gerichte erster und zweiter Instanz lehnten die vom Lehrbetrieb geltend gemachte Anrechnung der Beihilfe auf die Kündigungsentschädigung ab.
Der OGH erachtete die Revision der Bekl entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts als zulässig, da keine höchstgerichtliche Rsp zur Frage der Anrechnung einer Beihilfe zur Deckung der Lebenshaltungskosten gem § 35 AMSG als Erwerbseinkommen nach § 1162b ABGB (bzw § 29 Abs 1 AngG) während der Dauer einer mit dem AMS vereinbarten Ausbildungsmaßnahme bestehe, hob die Urteile der Vorinstanzen im angefochtenen Umfang auf und verwies die Rechtssache zwecks Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
„Auf die Beihilfen besteht kein Rechtsanspruch (§ 34 Abs 3 AMSG), die Basis für ihre Gewährung ist eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen dem Teilnehmer und dem Arbeitsmarktservice. […]
Zweck der Kündigungsentschädigung ist es, den Arbeitnehmer finanziell so zu stellen, wie wenn sein Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß aufgelöst worden wäre […], aber nicht, ihn besser zu stellen. Mit den gesetzlichen Anrechnungsvorschriften soll eine Bereicherung des Arbeitnehmers verhindert werden, die eintreten würde, wenn er neben solchen Einkünften, die er bei aufrechtem Arbeitsverhältnis wegen der zu erbringenden Arbeitsleistung nicht erlangen hätte können, auch die ungekürzte Kündigungsentschädigung bekäme.
Da das AMSG für die Beihilfen keine dem § 25 Abs 1 AlVG vergleichbare allgemeine Rückersatzpflicht des Leistungsempfängers bei zeitlich kongruentem Anspruch auf Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung vorsieht, ist es entscheidend zu klären, ob der Kläger dennoch im Fall der nachträglichen Zuerkennung einer Kündigungsentschädigung verpflichtet werden kann, die für den kongruenten Zeitraum erhaltene Aus- und Weiterbildungsbeihilfe zurückzuzahlen.
Die Möglichkeit der Rückforderung einer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags vom Arbeitsmarktservice gewährten Beihilfe oder Förderung bestimmt sich nach dem Inhalt der Vereinbarung […].
Für den Fall, dass eine solche Regelung nicht besteht, wäre auch noch zu klären, ob in dem vom Arbeitsmarktservice ausbezahlten Tagessatz […] nach § 35 Abs 2 AMSG auf die Aus- und Weiterbildungsbeihilfe angerechnete Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung enthalten waren, da für diesen Anteil eine Rückersatzpflicht bereits aus § 25 Abs 1 AlVG abzuleiten wäre. […]“
Wenn ein AG ein Arbeitsverhältnis rechtswidrig vorzeitig beendet, steht dem AN ein Schadenersatzanspruch („Kündigungsentschädigung“) in Höhe des Entgelts bis zu jenem Zeitpunkt zu, zu dem das Arbeitsverhältnis frühestens korrekt beendet hätte werden können (in diesem Fall bis zum Ende der Lehrzeit plus Weiterverwendungszeit). Der AN muss sich allerdings anderweitig während dieser Zeit verdientes Einkommen anrechnen lassen (§ 1162b ABGB bzw § 29 Abs 1 AngG). Der OGH setzt sich in dieser Entscheidung erstmals mit der Frage auseinander, ob eine Beihilfe zur Deckung der Lebenshaltungskosten nach § 35 AMSG während der Dauer einer mit dem AMS vereinbarten Ausbildungsmaßnahme als ein solches Einkommen gilt.
Der OGH weist in diesem Zusammenhang auf die ständige und einhellige höchstgerichtliche Rsp hin, nach der Pflichtleistungen aus der AlV (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) nicht anzurechnen sind, da der/die EmpfängerIn der Leistung bei gleichzeitiger Kündigungsentschädigung ohnehin zur Zurückzahlung der Bezüge verpflichtet wird und eine Entlastung des ehemaligen AG nicht auf Kosten der BeitragszahlerInnen stattfinden soll.
In diesem Sinne hängt für den OGH mangels einer gesetzlichen Regelung über die Rückersatzpflicht die Anrechnung der Beihilfe davon ab, ob eine vertragliche Verpflichtung des Kl besteht, bei Erlangung einer Kündigungsentschädigung, die für den gegenständlichen Zeitraum erhaltene Aus- und Weiterbildungsbeihilfe zurückzubezahlen. Der AG kann also die Kündigungsentschädigung nur dann um die erhaltene Beihilfe reduzieren, wenn die Vereinbarung keine derartige Rückzahlungsverpflichtung enthält.
Da im Verfahren allerdings keine Feststellungen darüber getroffen worden waren, ob die AMS-Geschäftsstelle entsprechend der Richtlinie die Rückzahlung vereinbart hat, verwies der OGH die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
Erwähnung verdient noch, dass der AG der Meinung war, weil der Lehrling die Lehre im Rahmen des AMS ja abbrechen und sich als Hilfsarbeiter verdingen hätte können, müsse er sich den versäumten Hilfsarbeiterlohn anrechnen lassen. Das wies der OGH freilich als unzumutbar zurück.67