KramerJuristische Methodenlehre

4. Auflage, Stämpfli Verlag, Bern 2013 352 Seiten, broschiert, € 40,–

ROBERTREBHAHN (WIEN)

Das vorliegende, bekannte und in drei deutschsprachigen Staaten gut eingeführte Werk stammt aus der Feder des emeritier-217ten Ordinarius für Zivilrecht der Universität Basel, der (gebürtiger Vorarlberger) auch in Österreich lehrte und Wesentliches auch zum deutschen Recht publizierte. Das Werk ist primär Methodenfragen des einfachen Gesetzesrechts, insb des Privatrechts, gewidmet. Von der Anlage her folgt es der „traditionellen“ Methodenlehre, die bei uns vor allem mit den Namen Larenz/Canaris und F. Bydlinski verbunden wird, auch wenn Ernst A. Kramer laufend eigene Akzente setzt. Zentral ist die Unterscheidung zwischen Auslegung, deren Grenzen durch den noch möglichen Wortsinn (S 183) gezogen sind, und Richterrecht. Dazu unterscheidet Kramer „gebundenes“ Richterrecht, das die Wertungen des Gesetzes (etwa durch Analogie, der ein Sechstel des Buches gewidmet ist) zu Ende denkt, und „gesetzesübersteigendes“ Richterrecht. Daraus ergibt sich ein Drei-Phasen-Modell der richterlichen Rechtsfindung, dem allerdings doch nur „darstellerischstrukturierende Bedeutung“ zukommen soll (S 187).

Innerhalb des so gezogenen Rahmens lässt das Werk in Bezug auf das Arsenal der Methodenlehre keinen Wunsch offen. Die Probleme werden durch eine Fülle von Beispielen aus Entscheidungen (nur) des Schweizer Bundesgerichts verdeutlicht, die Argumente für oder gegen eine bestimmte Auslegungs“regel“ werden meisterhaft dargelegt. Als Beispiel sei etwa die Diskussion genannt, ob ein Gesetz eher subjektiv-entstehungszeitlich oder objektiv-geltungszeitlich ausgelegt werden soll; Kramer plädiert für das Zweite (S 138). Auf Probleme der Auslegung zum Unionsrecht wird nur kurz eingegangen, nämlich soweit es um die Auslegung von Unionsprivatrecht geht, das die Schweiz „autonom nachvollzogen“ hat. Den Abschluss bilden Ausführungen zu „Grundsätzliche Zweifelsfragen zur ‚traditionellen‘ Methodenlehre“, insb Regelskeptizismus und Vorverständnis. Diese ändern nach Kramer jedoch nichts daran, dass es außerhalb einer Bandbreite vertretbarer Auffassungen „einen – weit größeren – Bereich objektiv ‚unvertretbarer‘ Interpretationen“ gibt (S 336). Dem kann man nur voll zustimmen, weil die Methodenlehre nur die „rechtsstaatlichen Postulate der Rationalität und Regelhaftigkeit des richterlichen Geschäftes“ sichern soll (S 338).

Kramer weist zu Beginn treffend darauf hin, dass jede Methodenlehre „jedenfalls teilweise“ durch die jeweilige Rechtsordnung geprägt ist (S 44). Für Österreich und Deutschland als Mitgliedstaaten der EU bedeutet dies, dass die Methodenlehre des Unionsrechts zumindest ebenso bedeutsam ist wie jene zum nationalen Recht. Auch wenn man nicht die radikalskeptische Frage teilt, ob Unionsrecht und EuGH denn überhaupt (schon) eine Methodenlehre hätten (die Frage wird erstaunlicherweise nicht selten von Personen geäußert, die sonst gar nicht unionsskeptisch sind) – die vom EuGH praktizierte Methode der Rechtsfindung unterscheidet sich grundlegend von der bei uns „traditionellen“ Methodenlehre. Der EuGH „agglomeriert“ verschiedene Methodenvorstellungen in oft sehr freier Weise. Insb unterscheidet er weder nach der Wortlautgrenze zwischen Auslegung und Richterrecht/Rechtsfortbildung noch unterscheidet er deutlich zwischen gebundener und „freier“ Rechtsfortbildung. Die Figur der Analogie, welche die Rechtsfindung ja auch begrenzt, spielt in der Judikatur des EuGH zur Norminterpretation kaum eine Rolle. Überdies sind für die Begründungen des EuGH seine früheren Entscheidungen mindestens so wichtig wie der Normtext, und zwar nicht nur als Mittel zur Erhellung des Normtextes und Abkürzung der Argumentation, sondern als gleichberechtigte Rechtserkenntnisquelle. Auch die vorhin zitierte Auffassung Kramers, dass es „außerhalb einer Bandbreite vertretbarer Auffassungen „einen – weit größeren – Bereich objektiv ‚unvertretbarer‘ Interpretationen“ gibt“, hat sich zum Unionsrecht noch nicht wirklich durchgesetzt. Vgl zur Methodenlehre des Unionsrechts zB nun Rebhahn in

Fenyves/Kerschner/Vonkilch
(Hrsg), Klang- Kommentar zum ABGB I3 Nach §§ 6, 7 ABGB (2014).

Staatstheoretisch ist zu bedenken, dass Kramer die Methodenlehre einer Rechtsordnung beschreibt, in der der Gesetzgeber in weiten Bereichen die Ergebnisse von Richterrecht leicht mit einfacher Mehrheit korrigieren kann, wenn er anderes wünscht. In Österreich trifft dies nur mehr für das genuin nationale Recht zu, also jene Regelungen, die weder eine Richtlinie umsetzen noch wesentlich durch primärrechtskonforme Interpretation beeinflusst sind. Im Unionsrecht ist diese Ausgangslage zum Verhältnis von Gesetzgeber – Gerichtsbarkeit heute grundlegend anders, weil auch für das Sekundärrecht neben einem Vorschlag der Kommission zumindest die qualifizierte Mehrheit im Rat erforderlich ist. Schon daher ist fraglich, ob die „traditionelle“ Methodenlehre ohne weiteres auf das Unionsrecht übertragen werden kann, auch wenn die meisten Ausführungen zu Methodenfragen des Unionsrechts auf diesen Unterschied kaum Bedacht nehmen. Geringere Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers könnten aber nahelegen, auf das entstehungszeitliche Verständnis mehr Bedacht zu nehmen.

Die Methodenvorstellungen zum Unionsrecht werden auch die Methodenlehre in Österreich beeinflussen, und zwar nicht nur zu dem hier geltenden oder umgesetzten Unionsrecht, sondern mittelfristig wohl auch zum verbleibenden genuin nationalen Rest. In einem Mitgliedstaat der Union wird man die „traditionelle“ Methodenlehre daher mittelfristig wohl überdenken müssen.