Umwandlung der ehemaligen Ersatzzeiten in (Teil-)Pflichtversicherungszeiten
Umwandlung der ehemaligen Ersatzzeiten in (Teil-)Pflichtversicherungszeiten
Mit der Einführung des Pensionskontos im Jahr 2005 hat der Gesetzgeber die Einteilung der Versicherungszeiten in „Beitragszeiten“ und „Ersatzzeiten“ im ASVG und APG aufgegeben. Seit 2005 können grundsätzlich nur noch Beitragszeiten erworben werden. Die ehemaligen Ersatzzeiten wurden in den Katalog der Pflichtversicherungszeiten des § 8 ASVG aufgenommen. Seit der OGH-E 12.9.2014, 10 ObS 109/13x, vertritt der OGH jedoch die Ansicht, dass Pflichtversicherungszeiten gem § 8 ASVG nicht als Beitragszeiten für die „ewige Anwartschaft“ auf eine Alterspension gelten. Diese E ist schwer nachvollziehbar und ohne rechtliche Verwerfungen nicht umsetzbar. Die Pensionsversicherungsträger sind daher in Abstimmung mit dem BMASK übereingekommen, die E vorerst nicht zu vollziehen, sondern die Auswirkungen der E zu evaluieren und eine Klarstellung des Gesetzgebers einzufordern.
Einleitung
Grundsätzliche Kritik an der OGH-E 10 ObS 109/13x
Abgrenzung von spezifischen Beitragszeiten
Kein Systemvergleich, Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung des OGH und VwGH
Eine teleologische Reduktion, deren Voraus setzungen nicht erfüllt sind
Teilpflichtversicherungszeiten und Hacklerregelung
Haftungsfragen
Die systematische Einbettung der (Teil-) Pflichtversicherungszeiten ins ASVG
Die Absicht des Gesetzgebers
Ergänzungen des Melde-, Versicherungsund Beitragsrechts
Einbettung in das Leistungsrecht
Die Reihung für die Erfüllung der Wartezeit gem § 233 ASVG
Unterschiede bei den Mindestwartezeiten im ASVG und APG im Hinblick auf die Umwandlung der Ersatzzeiten in Teilpflichtversicherungszeiten?
Vergleich Mindestwartezeiten Alterspension
Vergleich Mindestwartezeiten Invaliditätspension
Zusammenfassung
Im ASVG wird grundsätzlich zwischen zwei Kategorien von Versicherungszeiten unterschieden. Zum einen gibt es Beitragszeiten, für die der Versicherte – verpflichtet oder freiwillig – Beiträge entrichtet und zum anderen sogenannte Ersatzzeiten (Kindererziehungszeiten, Krankengeld, Bundesheer, Arbeitslosengeldbezug, etc), die aus sozialpolitischen Gründen als Versicherungszeiten anerkannt werden, obwohl keine Beiträge entrichtet werden.* Mit der Einführung des Pensionskontos im Jahr 2005 hat der Gesetzgeber die Einteilung der Versicherungszeiten in „Beitragszeiten“ und „Ersatzzeiten“ im ASVG und APG aufgegeben. Seit 2005 können grundsätzlich nur noch Beitragszeiten erworben werden. Die ehemaligen Ersatzzeiten wurden in den Katalog der Pflichtversicherungszeiten des § 8 ASVG aufgenommen. Einzig für Personen, die vor 1955 geboren sind, also von der Umstellung auf das Pensionskonto nicht betroffen sind, gelten die Ersatzzeiten weiter.
Als Grundvoraussetzung für einen Pensionsanspruch sind idR Mindestwartezeiten zu erfüllen, für die im ASVG „Beitragszeiten“ und „Ersatzzeiten“ unterschiedlich gewichtet werden. Hat jemand 15 Beitragsjahre erworben, ist die Wartezeit für eine Alterspension unabhängig von der zeitlichen Lagerung dieser Beitragszeiten jedenfalls erfüllt, weshalb die Anforderung von 15 Beitragsjahren auch147als „ewige Anwartschaft“* bezeichnet wird. Die Umwidmung der „Ersatzzeiten“ in Beitragszeiten hat daher zur Folge, dass die „ewige Anwartschaft“ im ASVG in bestimmten Konstellationen leichter erfüllt werden kann. Diese Wirkung war vom Gesetzgeber auch beabsichtigt (vgl 3.1.).
Seit der OGH-E 12.9.2014, 10 ObS 109/13x, vertritt der OGH jedoch die Ansicht, dass Pflichtversicherungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g ASVG nicht als Beitragszeiten für die „ewige Anwartschaft“ gelten. Diese E ist zum einen systematisch und terminologisch in zentralen Punkten mangelhaft und basiert zudem auf einer teleologischen Reduktion, deren Voraussetzungen nicht gegeben erscheinen. Zum anderen erfordert ihre Umsetzung weitreichende gesetzliche Anpassungen, weil die E grundsätzlich in die fragile Systematik der Versicherungszeiten und in das komplexe Übergangsrecht vom ASVG zum Pensionskonto eingreift.* Die Pensionsversicherungsträger sind daher in Abstimmung mit dem BMASK übereingekommen, die E vorerst nicht zu vollziehen, sondern die Auswirkungen der E zu evaluieren und eine Klarstellung des Gesetzgebers einzufordern.*
Nicht ganz nachvollziehbar ist, dass Födermayr in ihrer Besprechung* resümiert, dass die E „sowohl vor dem Lichte des Gesetzeszweckes der Wartezeitbestimmungen als auch aus dem Blickpunkt der Systematik der ‚Pensionszeiten‘ im ASVG und APG und damit der bisher dazu ergangenen Rsp völlig konsequent und schlüssig
“ sei.
Ziel dieses Beitrages ist es, einen historisch-systematischen Überblick zur Umwandlung der Ersatzzeiten in (Teil-)Pflichtversicherungszeiten zu bieten, die Mängel der E aufzuzeigen, die Schwierigkeiten ihrer Umsetzung zu erörtern und eine legistische Lösung der Problematik anzuregen.
In der E 10 ObS 109/13xkommt der OGH zum Schluss, dass Pflichtversicherungszeiten in der PV gem § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g nicht als Beitragszeiten für die „ewige Anwartschaft“ gem § 236 Abs 4 zählen. Die Begründung des OGH lautet im Wesentlichen, dass andernfalls eine sachlich nicht rechtfertigbare Differenzierung zu den vor dem 1.1.1955 geborenen Versicherten bestünde, für die weiterhin gem § 617 Abs 3 ASVG die Ersatzzeitenregelung der §§ 227, 227a ASVG Anwendung findet und die daher auch nach dem 1.1.2005 nur Ersatzmonate, aber keine Beitragsmonate iSd § 236 ASVG erwerben können. Diese Versicherten wären allein aufgrund ihres Geburtsdatums vor dem 1.1.1955 gegenüber den nach diesem Datum geborenen Versicherten erheblich benachteiligt. Eine derartige, sachlich nicht begründbare Ungleichbehandlung aufgrund des Alters kann dem Gesetzgeber aber nicht zugesonnen werden. Vielmehr muss die Absicht des Gesetzgebers gefolgert werden, dass Zeiten der neuen Teilversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g ASVG in der PV leistungsrechtlich nicht die Wirkung von Beitragsmonaten iSd § 236 Abs 4 Z 1 ASVG haben sollen.
Zum Sachverhalt der E ist festzuhalten, dass die Kl insgesamt 274 Versicherungsmonate erworben hat, davon 160 Erwerbsmonate, 94 Ersatzmonate und 20 Monate der Teilpflichtversicherung. Dies ist für die Beurteilung der Absicht des Gesetzgebers relevant, weil mit einem solchem Versicherungsverlauf die Mindestwartezeit im APG bei weitem erfüllt ist (siehe ausführlich 4.).
Vorweg ist klarzustellen, dass sich die kritische Ausei nandersetzung nur mit der Anspruchswirksamkeit der Teilpflichtversicherungszeiten als Beitragszeiten für die ewige Anwartschaft gem § 236 Abs 4 ASVG und am Rande mit der für die besondere Anspruchsvoraussetzung der sogenannten „Hacklerregelung“ befasst. Nicht in Zweifel gezogen wird, dass Teilpflichtversicherungszeiten keine Ausübungszeiten zum Erwerb des Berufsschutzes gem § 255 Abs 2 ASVG* und keine Erwerbs zeiten iSd § 255 Abs 7 ASVG* sind, wie dies der OGH auch festgestellt hat. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass § 236 Abs 4 keine spezifischen Beitragszeiten fordert, sondern alle Beitragszeiten zu berücksichtigen sind, die sich aus der Systematik des ASVG für § 236 Abs 4 erschließen. Selbstverständlich gelten nach § 236 Abs 4 auch alle freiwilligen Beitragszeiten und ebenso selbstverständlich können freiwillige Zeiten für den Erwerb des Berufsschutzes oder für die besondere Honorierung des § 255 Abs 7 (trotz Beeinträchtigung am Erwerbsleben teilgenommen zu haben) nicht herangezogen werden. Die Argumentation des OGH baut auch aus gutem Grund nicht auf der besonderen Qualität der Beitragszeiten gem § 236 Abs 4 auf, sondern auf Gerechtigkeitserwägungen. Die Qualität als Beitragszeit wird nicht in Frage gestellt. So geht der OGH in zwei Entscheidungen* davon aus, dass Pflichtversicherungszeiten nach § 8 Beitragszeiten gem § 225 Abs 1 Z 1 sind, ebenso Brodil/Windisch-Graetz „Die Zeiten, die zu einer Teilversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g ASVG führen, sind als Zeiten der Pflichtversicherung gemäß § 225 ASVG Beitragszeiten
“.* Für Teschner wurde mit dem APG eine wesentliche Änderung der Versicherungszeiten vorgenommen.*Heckenast sieht die Einordnung der Teilpflichtversicherungszeiten als Beitragszeiten kritisch.*148
Gerade die Entscheidungsbegründung mit dem Argument der Ungleichbehandlung erscheint jedoch paradox, wurde doch mit der Umstellung auf das Pensionskonto ein Paradigmenwechsel vorgenommen, von dem pensionsnahe Jahrgänge (vor 1955 geboren) aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgenommen wurden.* Der OGH stellt keinen Systemvergleich an, sondern greift eine Maßnahme heraus und befindet, dass diese der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann, weil sie die Altrechtsgruppe benachteilige.
Damit geht der OGH auch von seiner bisherigen Rsp ab, dass ein Vergleich dieser beiden Altersgruppen von vornherein nicht zielführend sei, wäre doch mit dem APG durch die Einführung des Pensionskontos das Pensionssystem grundlegend geändert worden. Diese Systemänderung läge im weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Diese Begründung hat der OGH in einer E angeführt, in der es um die unterschiedliche Berücksichtigung der Selbstversicherung nach § 18b ASVG geht. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kl (es liege eine Lücke vor) wurden vom OGH mit dem Verweis abgetan, dass ein „Vergleich dieser beiden Altersgruppen von vorneherein nicht zielführend sei, weil sich das System der Verrentung von Beitragszahlungen geändert habe
“.*
Wendet man diese Argumentation des OGH auf den gegenständlichen Fall an, kommt man unweigerlich zum Ergebnis, dass mit dem APG durch die Einführung des Pensionskontos auch das System der Versicherungszeiten grundlegend geändert wurde und diese Änderung wohl auch im weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt und die unterschiedliche Behandlung der Altersgruppen bezogen auf § 236 Abs 4 Z 1 ASVG eben Folge dieser Systemänderung ist. Es gibt zahlreiche weitere Unterschiede zwischen dem Altrecht der vor 1955 Geborenen und dem Pensionskonto der ab 1955 Geborenen.
So gilt für Personen, die ab 1955 geboren sind, das APG, insb die Kontoerstgutschrift gem § 15 APG und zahlreiche Sonderregelungen im ASVG. Personen, die ab 1955 geboren sind, haben grundsätzlich einen deutlich leichteren Zugang zur Alterspension (vgl § 4 APG mit § 236 ASVG). Als ewige Anwartschaft werden nicht 180 Beitragsmonate, sondern 180 Versicherungsmonate verlangt, wovon 84 Monate Erwerbszeiten sein sollen. Zeiten einer Selbstversicherung wegen Betreuung eines behinderten Kindes gelten für ab 1.1.1955 Geborene als Pflichtversicherungszeiten der Beschäftigung auch für den Zeitraum vor 2005 (vgl auch § 16 Abs 3a und 3b APG). Damit wird die Erfüllung der Mindestversicherungszeit schlagartig erleichtert und ein Pensionszugang ohne Erwerbszeiten ermöglicht. Es reichen zB acht Jahre der Selbstversicherung gem § 18a und sieben Jahre Ersatzzeit wegen Kindererziehung aus, um einen Anspruch auf Alterspension zu erwerben. Diesen beträchtlichen Vorteil haben vor 1955 geborene Frauen nicht. Das betrifft auch Zeiten der Pflege naher Angehöriger und Familienhospizzeiten. Das Ziel, die Erfüllung der ewigen Anwartschaft zur Förderung der eigenständigen Alterssicherung der Frauen wesentlich zu erleichtern, ist vielfach dokumentiert.* Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Alterspension werden somit in erster Linie für weibliche Versicherte ganz entscheidend erleichtert.* Nach der Logik des OGH müsste es sich bei diesen Regelungen um eine Ungleichbehandlung handeln, die dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden könne.
So ist auch die Anrechnung von Zeiten der Selbstversicherung nach § 16a ASVG für vor 1955 Geborene gem § 235 Abs 2 ASVG mit zwölf Monaten begrenzt. Diese Begrenzung gilt für die Mindestversicherungszeit im APG für die ab 1955 Geborenen nicht. Für ab 1.1.1955 Geborene werden Kindererziehungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit g auch angerechnet, wenn man noch nicht pensionsversichert war (vgl im Gegensatz dazu § 227a ASVG). Gem § 44 Abs 1 Z 18 ASVG gilt für Kindererziehungszeiten mit € 1.694,39 eine deutlich höhere Bemessungsgrundlage als gem § 239 ASVG. Der maximale Abschlag von 11 % bei einer Invaliditätspension im Zusammenhang mit Schwerarbeit gilt gem § 6 Abs 1 Z 2 APG nur für ab 1.1.1955 Geborene. Ebenfalls gelten die günstigeren Abschläge bei einer Schwerarbeitspension gem § 4 Abs 3 APG nur für ab 1955 geborene Personen, für davor Geborene erfolgt gem § 16 Abs 5 APG die Berechnung nach den Bestimmungen einer Invaliditätspension. Weiters entfällt nur für Personen, die ab 1.1.1955 geboren sind, beim Nachkauf von Schul- und Studienzeiten der Risikozuschlag.* Damit ist der Nachkauf für vor 1955 Geborene empfindlich teurer. Will zB ein 61-Jähriger, der 1954 geboren ist, ein Schuljahr nachkaufen, um mit 62 Jahren die Anspruchsvoraus setzungen für die Korridorpension zu erfüllen, kostet ein Monat mit Risikozuschlag € 2.480,87, ein 60-Jähriger, der im Jahr 1955 geboren ist, zahlt € 1.060,20 etc.
All diese Unterschiede werden allein aufgrund des Geburtsdatums schlagend und betreffen sowohl die Anspruchsvoraussetzungen wie auch die Pensionshöhe. Überwiegend kann das Altrecht als Schutzrecht verstanden werden,* daher ist die Zugehörigkeit zur Gruppe der vor 1955 Geborenen insgesamt ein Vorteil, aber es gibt bei der Systemänderung auch Regelungen, die für die Pensionskontogruppe günstiger sind. In einer Gesamtbetrachtung erscheint es höchst ungewöhnlich,149einen dieser Vorteile für die Pensionskontogruppe he raus zu greifen und wegen Ungleichbehandlung als dem Gesetzgeber nicht zusinnbar abzutun. Der OGH hätte mit dem Argument der Ungleichbehandlung ja auch die Verbesserung des Rechts für die vor 1955 Geborenen fordern können. Das hat bei ähnlicher Fragestellung der VwGH in der E vom 25.5.2011, 2007/08/0035, getan. Gem § 34 AlVG iVm § 617 Abs 3 ASVG iVm § 8 Abs 1 Z 2b ASVG hatten nur Personen, die ab 1955 geboren sind, bei Wegfall der Notstandshilfe wegen Anrechnung des Partnereinkommens Pensionsversicherungszeiten erwerben können. Der VwGH hat entschieden, dass § 617 Abs 3 ASVG wegen sachlich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung unangewendet zu bleiben hat. Damit konnten auch Personen, die vor 1955 geboren sind, Pensionsversicherungszeiten iS von § 8 Abs 1 Z 2 lit b ASVG erwerben, wenn wegen Anrechnung des Partnereinkommens keine Notstandshilfe gebührt. Festzuhalten ist, dass der OGH in den Entscheidungen vom 30.8.2011, 10 ObS 65/11y, und 12.9.2013, 10 ObS 109/13x, gegensätzlich, aber in beiden Fällen jedenfalls gegen die Versicherten entschieden hat. Mit der letztgenannten E hat der OGH den vor 1955 Geborenen auch die Möglichkeit genommen, die Geltung der Teilpflichtversicherungszeiten analog zum zitierten VwGH-Verfahren für sich zu reklamieren (vgl 2.3.)
Der OGH vernachlässigt den eindeutigen Wortlaut und die systematisch logische Interpretation und orientiert sich an der Absicht des Gesetzgebers. Methodisch handelt es sich dabei nicht mehr um Auslegung ieS, sondern um teleologische Reduktion.* Eine solche „invasive“ Rechtsfortbildung contra legem bedarf allerdings stets einer außerordentlich hohen inhaltlichen und methodischen Legitimation.*
Der OGH hat aus Gerechtigkeitserwägungen eine teleologische Reduktion des normativen Gehalts des § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g iVm § 225 iVm § 224 iVm § 235 iVm § 236 Abs 4 ASVG vorgenommen – auf einen Anwendungsbereich, dass Beitragszeiten nicht als Beitragszeiten gelten. Die teleologische Reduktion verschaffe der „ratio legis“ nicht gegen einen engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Geltung. Die (verdeckte) Lücke bestehe also im Fehlen einer nach dem Sinn des Gesetzes notwendigen Ausnahme. Die Voraussetzung einer solchen Reduktion sei stets der Nachweis, dass eine abstrakt umschriebene Fallgruppe von den Grundwerten oder Zwecken des Gesetzes – entgegen seinem Wortlaut – gar nicht getroffen werde, weil sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen soweit unterscheide, dass ihre Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Eine teleologische Reduktion erfordere also den klaren Nachweis jenes Gesetzeszwecks, an dem sich die (den Gesetzeswortlaut letztlich) korrigierende Auslegung orientieren solle.*
Demnach sind die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion nicht erfüllt. Der OGH vergleicht die vom Gesetzeswortlaut erfasste Fallgruppe der ab 1955 Geborenen mit der Personengruppe, die gerade nicht zum Adressatenkreis des Gesetzes zählt. Für diese Gruppe gelten ja die Teilpflichtversicherungszeiten nicht als Beitragszeiten für die ewige Anwartschaft. Eine teleologische Reduktion ist definitionsgemäß nicht möglich, weil der OGH ja argumentiert, die Regelung ist ungleich, weil die vor 1955 Geborenen nicht erfasst sind. Eigentlich macht der OGH eine Diskriminierung geltend. Eine Diskriminierung kann man natürlich auch dadurch beseitigen, indem man die Wirkung einer Regelung überhaupt und damit auch für die von ihr Begünstigten abschafft. Aber das ist die Kompetenz des Gesetzgebers oder des VfGH, aber nicht die des OGH, auch nicht über eine vermeintliche teleologische Reduktion. Bei den Bedenken, die der OGH in der E äußert, hätte er die Sache dem VfGH vorzulegen. Dahin zeigt beispielsweise auch die in 2.2. zitierte E des VwGH im Zusammenhang mit der Einführung der Teilpflichtversicherungszeiten.*
Wie schon Ivansits* festgestellt hat, beherzigt der OGH „seine“ Auslegungsregeln nicht immer ausreichend. Diese Inkonsequenz ist dem OGH nun zum wiederholten Male vorzuhalten.* Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion sind aber nicht nur methodisch, sondern auch inhaltlich nicht erfüllt, weil sich schon der Gesetzgeber des Jahres 2004 der anspruchsbegründenden Wirkung der Teilpflichtversicherungszeiten als Beitragszeiten bewusst war, und dieses „sich bewusst sein“ hat der Gesetzgeber auch in mehreren Novellierungen nachfolgend bestätigt (vgl 3.1. und 2.4. Hacklerregelung).
Um die Hacklerregelung in Anspruch nehmen zu können, sind für Frauen 480 und für Männer 540 Beitragsmonate erforderlich. Nachdem Teilpflichtversicherungszeiten seit 2005 Beitragszeiten sind, gelten sie auch für die Hacklerregelung als solche. Der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) wurde bereits im Jahr 2005 von der Aufsichtsbehörde (BMASK) schriftlich bestätigt, dass (Teil-)Pflichtversicherungszeiten als Beitragszeiten gelten und als solche generell für die Anspruchsvoraus setzungen heranzuziehen sind, damit auch für die „Hacklerregelung“.*150
Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011* wurden die Zugangsvoraussetzungen in § 617 Abs 13 Z 4 auf Beitragsmonate der Erwerbstätigkeit deutlich eingeschränkt.* Als Beitragsmonate einer Erwerbstätigkeit gelten auch Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a (Wochengeld), nach § 8 Abs 1 Z 2 lit d und e (Präsenzdienst und Zivildienst) und bis zu 60 Kalendermonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g (Kindererziehung). Es ist unschwer zu erkennen, dass der Gesetzgeber gerade im Hinblick auf die Geltung der Teilpflichtversicherungszeiten als Beitragszeiten die Hacklerregelung reformiert hat. Dh der Gesetzgeber wollte, dass für Männer, die bis zum 31.12.1953 und für Frauen, die bis zum 31.12.1958 geboren sind, Teilpflichtversicherungszeiten zählen und für die danach Geborenen lediglich Beitragszeiten der Erwerbstätigkeit und ausgewählte Teilpflichtversicherungszeiten, die der Gesetzgeber den Beitragszeiten der Erwerbstätigkeit gleichgestellt hat. Diese Reform wäre völlig sinnlos, wenn Teilpflichtversicherungszeiten nicht als Beitragszeiten für die Anspruchsvoraussetzungen der Hacklerregelung gelten. Wenn der Gesetzgeber bei der Hacklerregelung von der Geltung der Teilpflichtversicherungszeiten als Beitragszeiten ausgeht, muss dies – neben all den anderen Argumenten – umso mehr für die ewige Anwartschaft auf eine Alterspension bzw eine Invaliditätspension gelten.
Nicht zuletzt wirft die Umsetzung der E Haftungsfragen im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz auf. Die Pensionsversicherungsträger haben – nach Abklärung der Rechtsfragen mit der Aufsichtsbehörde* – von 2005 bis September 2014 auf allen Informationswegen (schriftliche Anfragen, Broschüren, persönlichen Beratungen, etc) über die Geltung der Teilpflichtversicherungszeiten als Beitragszeiten informiert.* Viele Versicherte haben im Vertrauen auf die Informationen der Pensionsversicherungsträger disponiert (Altersteilzeitvereinbarungen, keine freiwilligen Beitragszeiten erworben, etc). Nicht nachvollziehbar und wohl auch haftungsrechtlich problematisch ist, dass die PVA ein Verfahren gegen ihre eigene Rechtsansicht geführt hat: Die PVA hat auf der einen Seite den Rechtsstandpunkt vertreten und auch regelmäßig beauskunftet, dass die ehemaligen Ersatzzeiten (ab 2005) als Beitragszeiten gelten und gleichzeitig den Inhalt ihrer eigenen Auskunft gerichtlich bekämpft.*
Die §§ 4-12 regeln die Pflichtversicherung im ASVG. § 4 ASVG regelt die Vollversicherung, die die KV, UV und PV umfasst, § 7 die Teilversicherung von im § 4 genannten Personen und § 8 die sonstige Teilversicherung.
Die Teilpflichtversicherung in der PV gem § 8 ASVG ist keine neue Versicherungsart, sondern seit der Stammfassung im ASVG vorgesehen und besagt nicht mehr, als dass die genannten Personengruppen lediglich in der PV der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterliegen, aber nicht in der KV und UV.* Vor dem Pensionsharmonisierungsgesetz waren gem § 8 Abs 1 Z 2 ASVG die Wissenschaftlichen (Künstlerischen) MitarbeiterInnen (in Ausbildung) in der PV teilpflichtversichert, danach wurden durch das 2. SRÄG 2009, BGBl I 2009/83als lit h bestimmte Lehrbeauftragte und als lit j durch das ARÄG 2013, BGBl 2013/138BGBl 2013/138, pflegeteilzeitbeschäftigte Personen einbezogen. Der Gesetzgeber hat diese Ergänzungen vorgenommen, weil er anspruchswirksame Beitragszeiten schaffen wollte.* Es gibt keinen Hinweis dafür, dass die lit a bis g anderer Qualität sind.
Gem § 224 gelten als Versicherungszeiten die Beitragszeiten nach § 225 und die Ersatzzeiten nach § 227 etc. Gem § 225 sind alle Pflichtversicherungszeiten in der PV auch Beitragszeiten* und gem § 236 Abs 4 ist die ewige Anwartschaft mit 180 Beitragsmonaten erfüllt; gem § 607 Abs 12 wird die besondere Anspruchsvoraussetzung für die Hacklerregelung mit 540 bzw 480 Beitragsmonaten erfüllt. Die Umwandlung von Ersatzzeiten in Beitragszeiten führt dazu, dass die genannten Voraussetzungen leichter erfüllt werden können. Für die Frage, ob der Gesetzgeber das auch gewollt hat, soll kurz auf die Genese der Bestimmung eingegangen werden.
Der Gesetzgeber stand vor der Entscheidung, für das Pensionskonto mit dem APG ein vom ASVG völlig losgelöstes Gesetz zu schaffen oder das APG mit dem ASVG zu verknüpfen. Nach eingehenden Diskussionen hat man sich für die Verknüpfung der beiden Gesetze entschieden,* wobei die Umwidmung der Ersatzzeiten in Beitragszeiten von der Arbeitsgruppe bestehend aus ExpertInnen der Pensionsversicherungsträger, des Hauptverbandes und des Sozialministeriums besonders intensiv diskutiert wurde. In den Protokollen des „Arbeitskreises Pensionsversicherung“ ist der Umstand, dass die Teilpflichtversicherungszeiten ab 2005 anspruchsbegründende Wirkung für die „ewige Anwartschaft“ und für die Hacklerregelung haben, mehrfach dokumentiert.* Nicht zuletzt hat man sich für die anspruchsbegründende Wirkung deshalb entschieden, weil auch international beinahe ausschließlich Beitragszeiten vorgesehen sind. Im Vergleich zum Wanderversicherungsrecht sollten Benachteiligungen von rein inländischen Versicherungskarrieren abgebaut werden. Diese Ergebnisse haben auch Eingang in die Erläuternden Bemer-151kungen* gefunden und werden im ersten Kommentar zum APG von Pinggera/Pöltner/Stefanits, die führend am Reformprozess beteiligt waren, an vielen Stellen bestätigt. Im Folgenden werden einige Belege für die beabsichtigte Wirksamkeit der ehemaligen Ersatzzeiten als Beitragszeiten angeführt:
„Bei der Pensionsharmonisierung handelt es sich um eine grundsätzliche Umgestaltung des Pensionssystems, die all jene Versicherten ausnimmt, die am 1.1.2005 über 50 Jahre alt waren.“*
„Die Umwandlung der Ersatzzeiten in Beitragszeiten ist neben der Schaffung des Pensionskontos die bedeutendste Änderung gegenüber dem bisherigen Alterssicherungssystem.“*
„Es ergibt sich daher eine neue Dreiteilung der Versicherungs- bzw Beitragszeiten, und zwar
Beitragszeiten auf Grund einer Erwerbstätigkeit,
Beitragszeiten auf Grund einer Teilversicherung und
Beitragszeiten einer Selbstversicherung.“*
„Diese Bestimmung baut auf den versicherungsrechtlichen Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze auf und gliedert die Versicherungstatbestände dieser Gesetze in die Systematik des APG ein. Ob eine Person und wenn ja, aufgrund welcher Tatbestände eine Person pflichtversichert ist, bestimmt sich nach wie vor nach ASVG, GSVG/ FSVG oder BSVG.“*
„Gem § 617 Abs 3 ASVG gelten für Personen, die vor dem 1.1.1955 geboren wurden, weiter die Ersatzzeiten: Dies bedeutet, dass sie auch für etwaige Anspruchsvoraussetzungen nur als Ersatzzeiten und nicht als Beitragszeiten gelten.“*
„Der Unterschied zwischen Beitragszeiten und Ersatzzeiten wurde fallen gelassen. Wurden etwa Zeiten der Kindererziehung zuletzt mit zwei Jahren pro Kind als Beitragszeit und maximal zwei weitere Jahre als Ersatzzeit gewertet, so wird zukünftig für jedes Kind eine Zeit von vier Jahren als vollwertige Beitragszeit gewertet.“*
Zeiten einer Familienhospizkarenz wurden mit dem 2. SVÄG 2003, BGBl 2003/145, mit Wirkung ab 1.1.2004 in den Katalog der Beitragszeiten aufgenommen. Mit dem Pensionsharmonisierungsgesetz, BGBl I 2004/142, wurden die Teilversicherungen mit Wirkung ab 1.1.2005 Teil der Beitragszeiten gem § 225 und die Zeiten der Familienhospizkarenz im Pensionsrecht den Kindererziehungszeiten gleichgestellt.* Zu den Kindererziehungszeiten wird ausgeführt, dass diese – in der Qualität analog zum Kinderbetreuungsgeld – vier Jahre gewährt werden.*
Zur Einbettung der Teilversicherungszeiten als Beitragszeiten waren systematische Anpassungen des Melde-, Versicherungs- und Beitragsrechts erforderlich.
§ 10 Abs 6b regelt den Beginn und § 12 Abs 5b das Ende der Pflichtversicherung für Zeiten gem § 8 Abs 1 lit 2 a bis g; § 21 schließt eine Formalversicherung für diese Zeiten aus, § 36 Abs 1 lit 11f regelt Meldepflichten für die Beitragsgaranten der ehemaligen Ersatzzeiten. Abschnitt V des ersten Teils regelt im ersten Unterabschnitt mit der Überschrift „Beiträge zur Pflichtversicherung auf Grund des Arbeitsverdiens tes (Erwerbseinkommens)“ in § 44 Abs 1 Z 7 sowie 12-18 die allgemeine Beitragsgrundlage für diese Zeiten; § 52 Abs 4 normiert, dass für die Pflichtversicherungszeiten des § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g 22,8 % dieser Beitragsgrundlage zu entrichten sind.*
Die neuen Versicherungszeiten wurden auch in die Systematik des Leistungsrechtes der PV eingebettet. § 230 Abs 2 regelt, dass Abs 1 „Unwirksamkeit der Beiträge“ auf Beiträge des § 52 Abs 4 nicht anzuwenden ist. Weiters erfolgten entsprechende Anpassungen in § 231 ASVG (Entstehen eines Versicherungsmonats) und § 232 ASVG (Art der Versicherungsmonate). Besonders instruktiv für die Absicht des Gesetzgebers ist die Stellung der Teilpflichtversicherungszeiten in § 233, der die Reihung der Versicherungsmonate für deren Berücksichtigung bei der Wartezeit regelt.
Der Gesetzgeber hat in § 233 Abs 2 die Teilpflichtversicherungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g und die Beitragszeiten bei Familienhospizkarenz und Pflegekarenz gem § 225 Abs 1 Z 8 ASVG den Kindererziehungszeiten, die als Beitragszeiten gelten, gleichgestellt. Die sonstigen Ersatzzeiten sind nachgereiht, dann kommen die freiwilligen Zeiten, danach die sonstigen Ersatzmonate wegen Kindererziehung. Noch klarer kann der Gesetzgeber seine Absicht, dass Teilpflichtversicherungszeiten anspruchswirksam sind, nicht mehr erklären, als sie für die Wartezeit jenen Monaten gleichzustellen, die explizit für die ewige Anwartschaft und die besonderen Anspruchsvoraussetzungen angerechnet werden.*
Die OGH-E bezieht sich ieS auf § 236 Abs 4 ASVG, der die ewige Anwartschaft für eine Alterspension 152und eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit regelt. Die Wartezeit für eine Alters- oder Invaliditätspension ist jedenfalls dann erfüllt, wenn entweder 180 Beitragsmonate vorliegen (ewige Anwartschaft) oder 180 Versicherungsmonate innerhalb der letzten 30 Jahre oder 300 Versicherungsmonate. Als Beitragsmonate zählen hier auch Zeiten der freiwilligen Versicherung.*
Nach § 4 APG werden 180 Versicherungsmonate, davon jedoch mindestens 84 Monate an Beitragszeiten der Erwerbstätigkeit gefordert (vgl 2.2.).
Zu beachten ist auch, dass die Wartezeiten für Leistungen der geminderten Arbeitsfähigkeit (Invalidität, Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit) und des Todes (Witwen-/Witwerpension, Waisenpension) für alle Geburtsjahrgänge ausschließlich im ASVG geregelt bleiben.
Im Folgenden soll der Unterschied der Mindestwartezeiten veranschaulicht werden. Als Beispiel 1 wird ein dem der Kl der OGH-E 10 ObS 109/13x schematisch nachgebildeter Versicherungsverlauf gewählt (siehe 2.) und als Beispiel 2 im Gegensatz dazu ein Verlauf mit wenigen Erwerbsmonaten und weitaus überwiegenden Ersatzzeiten. Mit dieser Gegenüberstellung soll gezeigt werden, dass das Wartezeitregime des ASVG selbst im Spannungsfeld beträchtlicher Wertungswidersprüche steht, die durch die Teilpflichtversicherungszeiten vermindert werden. Die OGH-E führt jedoch zu einer Verschärfung dieser Wertungswidersprüche, weil sie ein Auseinanderklaffen der Mindestwartezeiten zwischen Alterspension und Invaliditätspension zur Folge hat.
Aufgrund des Übergangsrechts ergeben sich drei zu unterscheidende Gruppen:*
Zum einen die Altrechtsgruppe der vor 1955 geborenen Personen, für die ausschließlich die Wartezeitregeln des ASVG gelten (sie erwirbt über 2005 hinaus Ersatzzeiten).
Dann die Übergangsgruppe der nach 1954 geborenen Personen, die Versicherungszeiten vor 2005 erworben haben. Für sie gelten – nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 16 Abs 3 APG) – für die Alterspension sowohl die Wartezeitregeln des ASVG wie die des APG. Diese Personen erwerben ab 2005 keine Ersatzzeiten mehr, sondern Teilpflichtversicherungszeiten.
Und schließlich die Neurechtsgruppe der nach 1954 geborenen Personen, die erst ab 2005 Versicherungszeiten erworben haben. Für diese Personen gilt für die Alterspension ausschließlich die Mindestwartezeit gem APG. Auch diese Gruppe erwirbt ab 2005 keine Ersatzzeiten mehr sondern (Teil-)Pflichtversicherungszeiten.
Versicherungszeiten | Altrechtsgruppe (vor 1955 geboren) | Übergangsgruppe (ab 1955 geboren und Versicherungszeiten vor 2005) | Neurechtsgruppe (ab 1955 geboren und Versicherungszeiten erst ab 2005) |
Beispiel 1:neun Jahre Beschäftigung vom 19. bis zum 28. Lebensjahr, sieben Jahre Kindererziehungszeiten bis zum 35. Lebensjahr, dann Unterbrechung bis zum 48. Lebensjahr; dann vier Jahre erwerbstätig und drei Jahre arbeitslos | Die Wartezeit für eine Alterspension ist nicht erfüllt. Es liegen nur 13 statt 15 Arbeitsjahre vor, innerhalb der letzten 20 Jahre liegen nur sieben statt zehn Versicherungsjahre; insgesamt wurden nur 23 statt 25 Versicherungsjahre erworben. | Nach dem APG ist die Wartezeit klar erfüllt, wenn sieben Arbeitsjahre und acht sonstige Jahre ab 2005 vorliegen. Nach dem ASVG ist die Wartezeit erfüllt, wenn ab 2005 zumindest zwei Jahre Teilpflichtversicherungszeiten erworben werden. | Nach dem APG ist die Wartezeit klar erfüllt, wenn sieben Arbeitsjahre und acht sonstige Jahre ab 2005 vorliegen. |
Beispiel 2: vor 2005 liegen zwei Jahre Erwerbstätigkeit, ab 2005 liegen 15 Jahre Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs, Notstandshilfe, Zeiten der Kindererziehung, etc vor. | Nach dem ASVG ist die Wartezeit für eine Alterspension erfüllt, wenn 15 Versicherungsjahre innerhalb der letzten 30 Kalenderjahre vorliegen. | Nach dem ASVG ist die Wartezeit für eine Alterspension erfüllt, weil 15 Beitragsjahre (der Teilpflichtversicherung) vorliegen. Nach dem APG ist Wartezeit nicht erfüllt, weil 84 Monate der Erwerbstätigkeit nicht vorliegen. Es gilt gem § 16 Abs 3 APG die Warte zeit des ASVG. | Nach dem APG ist die Mindestwartezeit nicht erfüllt, weil 84 Monate der Erwerbstätigkeit nicht vorliegen. |
Der Vergleich ergibt, dass die Anspruchsvoraussetzungen für eine Alterspension iSd „ewigen Anwartschaft“ durch das APG wesentlich erleichtert wurden. Beispiel 1 zeigt, dass im Altrecht selbst bei 13 Arbeitsjahren bzw 23 Versicherungsjahren kein Anspruch auf Alterspension besteht. Wenn die Wartezeit nicht erreicht wird, verfallen bekanntlich die Beiträge. Dies vor dem Hintergrund, dass durch die hohe Beitragsleistung wäh-153rend der Arbeitsphasen kaum eine Möglichkeit zu einer sonstigen gleichwertigen Altersvorsorge besteht. Das hat den Gesetzgeber dazu bewogen, die im internationalen Vergleich äußerst strengen Mindestwartezeiten mit der Umstellung auf das APG zu erleichtern. Im Gegenzug wurde mit 84 eine Mindestzahl an Beitragsmonaten der Erwerbstätigkeit festgelegt.48)
Der einzige Unterschied hinsichtlich der Wartezeit zwischen der Altrechtsgruppe und der Übergangsgruppe besteht nun darin, dass die Übergangsgruppe die Wartezeit für eine Alterspension durch Zeiten der (Teil-)Pflichtversicherung dann leichter erfüllen kann, wenn die vor 2005 erworbenen Beitragszeiten außerhalb des 30-jährigen Rahmens liegen. Dass im Beispiel 1 die Wartezeit für die Alterspension erfüllt wird, ist aus den genannten Gründen und hinsichtlich des Dauerrechtes im APG ein vom Gesetzgeber gewünschter und systematisch stimmiger Effekt. Für Versicherungszeiten, die innerhalb der letzten 30 Jahre erworben wurden, bringen – wie Beispiel 2 zeigt – die Teilpflichtversicherungszeiten keine Verbesserung, weil es nach dem ASVG irrelevant ist, welche Qualität diese Zeiten haben. Ob sie Ersatzzeiten, Teilpflichtversicherungszeiten, freiwillige Beitragszeiten oder Erwerbszeiten sind, die Wartezeit für eine Alterspension ist in jedem Fall erfüllt.
Versicherungszeiten | Altrechtsgruppe (vor 1955 geboren) | Übergangsgruppe (ab 1955 geboren und Versicherungszeiten vor 2005) | Neurechtsgruppe (ab 1955 geboren und Versicherungszeiten erst ab 2005) |
Beispiel 1: neun Jahre Beschäftigung vom 19. bis zum 28. Lebensjahr, sieben Jahre Kindererziehungszeiten bis zum 35. Lebensjahr, dann Unterbrechung bis zum 48. Lebensjahr; dann vier Jahre erwerbstätig und drei Jahre arbeitslos | Die Wartezeit für eine Invaliditätspension zum 55. Lebensjahr ist nicht erfüllt. Es liegen nur 13 statt 15 Arbeitsjahre vor, innerhalb der letzten 20 Jahre liegen nur sieben statt zehn Versicherungsjahre; insgesamt wurden nur 23 statt 25 Versicherungsjahre erworben. | Die Wartezeit für eine Invaliditätspension zum 55. Lebensjahr ist erfüllbar, weil der Arbeitslosengeldbezug ab 2005 als Beitragszeit zählt und daher insgesamt 15 Beitragsjahre vorliegen können. Nach der OGH-E, wäre die Wartezeit für die Invaliditätspension nicht erfüllbar. | Auch für die Neurechtsgruppe gilt bei Invalidität das ASVG und damit dasselbe Recht wie für die Übergangsgruppe. |
Beispiel 2: zwei Erwerbsjahre vor 2005 und ab 2005 liegen 15 Jahre Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs, Notstandshilfe, Zeiten der Kindererziehung, etc vor. | Nach dem ASVG ist die Wartezeit für eine Invaliditätspension erfüllt, weil 15 Versicherungsjahre innerhalb der letzten 30 Kalenderjahre vorliegen. | Nach dem ASVG ist die Wartezeit für eine Invaliditätspension erfüllt, weil 15 Beitragsjahre (der Teilpflichtversicherung) vorliegen; und 15 Versicherungsjahre in den letzten 30 Jahren. Nach der OGH-E wäre die Warte zeit in diesem Fall auch erfüllt. | Auch für die Neurechtsgruppe gilt bei Invalidität das ASVG und damit dasselbe Recht wie für die Übergangsgruppe. |
Dieser Vergleich zeigt, die Wartezeit für eine Invaliditätspension ist lediglich im Beispiel 1 in der Altrechtsgruppe nicht erfüllt. Folgt man der OGH-E, wäre die Wartezeit auch in der Übergangs- und Neurechtsgruppe nicht erfüllbar, weil die Teilpflichtversicherungszeiten nicht mehr als Beitragszeiten anspruchswirksam würden. Der Gesetzgeber hat jedoch das Gegenteil beabsichtigt, nämlich die Erfüllung der „ewigen Anwartschaft“ zu erleichtern.
Die Umsetzung der OGH-E würde dazu führen, dass bei Konstellationen wie im Beispiel 1 für die Übergangs- und Neurechtsgruppe die Wartezeit für die Alterspension bei weitem erfüllt ist, für Leistungen der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes jedoch unerfüllbar wäre. Dh Personen wie die Kl der OGH-E, die zB mit 50 oder 55 Jahren arbeitsunfähig werden, hätten keinerlei Leistungsanspruch, weder aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit noch des Todes, aber auch nicht aus dem Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit (weil arbeitsunfähig), obwohl längst die ewige Anwartschaft auf eine Alterspension erfüllt ist. Selbst, wenn diese Personen in der Folge eine Alterspension bezögen, wäre davon keine Hinterbliebenenpension ableitbar. Man braucht die Folgen, die eine Umsetzung der OGH-E mit sich brächte, nicht weiterzudenken, um zu erkennen, dass dies zu unauflösbaren Widersprüchen führt.
Zu überlegen ist, ob der Gesetzgeber nicht eine Vereinheitlichung der Mindestwartezeiten für Leistungen der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes nach dem ASVG mit der Mindestwartezeit für eine Alterspension nach dem APG vornehmen154sollte. Dies könnte dergestalt geschehen, dass die Mindestwartezeit gem § 4 APG die Wartezeit gem § 236 Abs 4 ASVG ersetzt. Dies sollte jedenfalls für alle ab 1955 geborenen Personen gelten. Für vor 1955 geborene Personen wäre ein Übergangsrecht zu prüfen.
Die Argumentation der OGH-E vom 12.9.2013, 10 ObS 109/13x, erscheint bei näherer Prüfung inhaltlich, methodisch und auch vom Ergebnis her nicht haltbar. Es gibt nicht nur keinerlei Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die Anspruchswirksamkeit der Zeiten nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g bezogen auf § 236 ASVG einzuschränken wollte, ganz im Gegenteil zeigt die Analyse, dass die ehemaligen Ersatzzeiten systematisch umfassend als Pflichtversicherungszeiten in das ASVG integriert sind. Der OGH ist zudem von seiner eigenen Rsp abgewichen. Hat er in der E OGH vom 30.8.2011, 10 ObS 65/11y, noch argumentiert „ein Vergleich der beiden Altersgruppen sei nicht zielführend“ stellt er in 10 ObS 109/13x gerade einen solchen, punktuellen, Vergleich an, der die Systemumstellung völlig unberücksichtigt lässt. Er bedient sich dabei – ohne dass jedoch die dafür notwendigen Voraussetzungen vorliegen – der Methode der teleologischen Reduktion und lässt seine gleichheitsrechtlichen Bedenken – anders als der VwGH49) – gleichsam in die Aufhebung der Bestimmung münden, statt diese an den VfGH heranzutragen.
Darüberhinaus hat der OGH offenbar auch die Folgen seiner E – die zahlreichen gesetzlichen Änderungen, die im Zuge der Umsetzung notwendig wären, und auch die Wertungswidersprüche, die daraus entstehen würden – nicht durchdacht. Nach der Logik des OGH müsste es sich bei nicht wenigen der in 2.2. genannten sonstigen Regelungen um Ungleichbehandlungen handeln, die dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden können.
Wenn Teilpflichtversicherungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 künftig eine eigene Kategorie von Beitragszeiten darstellen sollen, wären sie sowohl in § 224 ASVG wie auch in § 236 ASVG und den sonstigen Bestimmungen als eigene Kategorie von Versicherungszeiten aufzunehmen. Es müsste eine legistische Klarstellung erfolgen, ob Zeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 für die Erfüllung der besonderen Anspruchsvoraussetzung der Hacklerregelung berücksichtigt werden (vgl 2.2.). Der Gesetzgeber müsste auch ein Übergangsrecht für all jene normieren, die im Vertrauen auf die Auskunft und Rechtsansicht der PVA Dispositionen getroffen haben (vgl 2.4.).
Für ab 1955 geborene Personen gelten Kindererziehungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit g und Zeiten gem lit d und e (Bundesheer und Zivildienst) als Teilpflichtversicherungszeiten und als Beitragszeiten gem § 225, die grundsätzlich auch für die ewige Anwartschaft gem § 236 Abs 4 Z 1 ASVG zählen. Die Umsetzung der OGH-E hätte nun zur Konsequenz, dass diese Zeiten für die ewige Anwartschaft nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Denn diesbezügliche Sonderregelungen wie sie § 236 Abs 4a ASVG für Ersatzzeiten vorsieht, fehlen für Teilpflichtversicherungszeiten.
Weiters gelten für die Erfüllung der Mindestversicherungszeit gem APG zB Zeiten einer Familienhospizkarenz und Zeiten einer Pflegekarenz als Versicherungsmonate, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben wurden. Für die Wartezeit gem § 236 Abs 4 ASVG würden dieselben Zeiten nicht anspruchswirksam. Gem § 617 Abs 13 gelten für die „Hacklerregelung“ als Beitragsmonate einer Erwerbstätigkeit auch Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a (Wochengeld), nach § 8 Abs 1 Z 2 lit d und e (Präsenzdienst und Zivildienst) und bis zu 60 Kalendermonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g (Kindererziehung). Für die ewige Anwartschaft würden Teilpflichtversicherungszeiten jedoch nicht mehr als Beitragszeiten gelten etc.
Unsystematisch und widersprüchlich wäre auch die Diskrepanz der Mindestwartezeiten zwischen Alterspension und Invaliditätspension (vgl 4.).
Insgesamt ist es erfreulich, dass die Pensionsversicherungsträger in Abstimmung mit dem BMASK übereingekommen sind, aufgrund der aufgezeigten Komplikationen die E vorerst nicht zu vollziehen, sondern deren Auswirkungen zu evaluieren und eine Klarstellung des Gesetzgebers einzufordern. Zu wünschen ist, dass der Gesetzgeber über eine bloße Klarstellung hinaus die Mindestwartezeiten für die Versicherungsfälle des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes vereinheitlicht.155