22Beweislast bei Kündigung einer Vertragsbediensteten wegen behaupteter sexueller Belästigung
Beweislast bei Kündigung einer Vertragsbediensteten wegen behaupteter sexueller Belästigung
Die wissentliche wahrheitswidrige Behauptung einer Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien, von einem Vorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein, verwirklicht die Kündigungsgründe gem § 42 Abs 2 Z 1 (gröbliche Dienstpflichtverletzung) und Z 5 (mit Ansehen oder Interessen des Dienstes unvereinbares Verhalten) VBO 1995.
Den DG trifft die Beweislast für von ihm geltend gemachte Kündigungs- und Entlassungsgründe. Er hat daher auch zu beweisen, dass die DN wissentlich unwahre Anschuldigungen erhoben und dadurch einen Kündigungsgrund gesetzt hat.
Die europäische und nationale Rechtsentwicklung zeigt die klare Tendenz, sexuelle Belästigungen im Arbeitsverhältnis zu bekämpfen und den Belästigungsopfern die Rechtsdurchsetzung so weit wie möglich zu erleichtern.
Damit ist es unvereinbar, das bei der Behauptung sexueller Belästigung im besonderen Maß bestehende Risiko der mangelnden Beweisbarkeit einer Anschuldigung bei der Prüfung eines Kündigungs- oder Entlassungsgrundes uneingeschränkt der die Anschuldigung erhebenden Person zuzuweisen.
Die zu OGH vom 28.6.1989, 9 ObA 186/89 (Entlassung eines Zimmermädchens wegen grober Ehrenbeleidung aufgrund des nicht erwiesenen Vorwurfs der sexuellen Belästigung durch einen AN), vertretene Rechtsauffassung, der AG habe nur die Behauptung der Belästigung, die AN hingegen die Wahrheit ihrer Behauptung zu beweisen, wird angesichts der seitdem eingetretenen Rechtsentwicklung zur Bekämpfung sexueller Belästigungen nicht mehr aufrechterhalten.
[...] Die Kl war seit 18.12.2000 bis zu ihrer Kündigung mit 30.11.2008 Vertragsbedienstete der Bekl. Auf das Dienstverhältnis ist das Gesetz über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien, LGBl 1995/50 (in weiterer Folge: VBO 1995), anwendbar. Die Kl war der Wiener Linien GmbH & Co KG zur Dienstleistung zugewiesen und als Autobuslenkerin beschäftigt. Zwischen ihr und ihrem – seit 20.5.2007 an ihrer Dienststelle tätigen – Vorgesetzten bestanden nur gelegentliche und meist oberflächliche Kontakte. Am 15.8.2007 hatte die Kl mit dem Bus einen Unfall, weshalb sie nach einer am selben Tag in einem Krankenhaus durchgeführten Schockbehandlung in die Dienststelle kam, um ihrem Vorgesetzten den Vorfall zu melden.
Die Kl behauptet, bei dieser Vorsprache von ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein. Am 28.10.2007 zeigte sie den Vorgesetzten nach § 7 des Gesetzes über die Gleichbehandlung von Frauen und Männern und die Förderung von Frauen als Bedienstete der Gemeinde Wien (W-GlBG, LGBl 1996/18) bei ihrem DG wegen Diskriminierung durch sexuelle Belästigung an. In dieser Anzeige brachte sie vor, wiederholt von ihrem Vorgesetzten durch sexuelle Anspielungen und Bemerkungen belästigt worden zu sein. Am 15.8.2007 habe er ihr mit beiden Händen an ihre Brüste gegriffen und gefragt, ob diese echt seien.
Die Bekl leitete aufgrund dieser Anzeige ein Disziplinarverfahren gegen den Vorgesetzten ein, welches am 13.12.2007 eingestellt wurde. Am 19.12.2007 wurde die Kl dienstfrei gestellt. Nachdem der Zentralausschuss der Personalvertretung der Gemeinde Wien eine Zustimmung zur Kündigung der Kl (die Mitglied des Dienststellenausschusses war) nicht erteilte, wurde von der Magistratsdirektion der Stadt Wien am 14.3.2008 die gemeinderätliche Personalkommission befasst.
Die Kl hatte ihrerseits am 6.3.2008 die Wiener Gleichbehandlungskommission (ua) um Feststellung ersucht, dass das Wiener Gleichbehandlungsgesetz dadurch verletzt worden sei, dass sie von ihrem Vorgesetzten verbal und physisch sexuell belästigt worden wäre. Am 25.6.2008 stellte die Wiener Gleichbehandlungskommission fest, dass eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots nicht vorliege.
Nach Vorliegen dieses Gutachtens fasste die gemeinderätliche Personalkommission am 13.8.2008 den Beschluss, dem Antrag auf Kündigung der Kl stattzugeben. Mit Schreiben vom 19.8.2008 sprach die Bekl die Kündigung der Kl aus. Sie begründete die Kündigung mit dem Vorwurf, die Kl hätte wahrheitswidrig behauptet, Opfer einer sexuellen Belästigung geworden zu sein. Von einer Entlassung gem § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 werde zwar abgesehen, die Kl habe jedoch gegen die allgemeinen Verhaltenspflichten eines Vertragsbediensteten gem § 4 VBO 1995 und gegen die Interessen des Dienstes verstoßen. Deshalb seien die Kündigungsgründe des § 45 Abs 2 Z 1 und Z 5 VBO 1995 verwirklicht.
Die Kl begehrt die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis über den 30.11.2008 hinaus aufrecht fortbestehe. Hilfsweise begehrt sie, die Kündigung vom 19.8.2008 für rechtsunwirksam zu erklären. [...]
Die Bekl wandte dagegen die Berechtigung der Kündigung ein. [...]
Das Erstgericht wies das Klagebegehren [...] ab.
In seiner rechtlichen Beurteilung [...] ging das Erstgericht davon aus, dass es der Kl nicht gelungen sei, die von ihr gegen ihren Vorgesetzten erhobenen Vorwürfe zu beweisen. [...] Sie habe (Einfügung der Verf)
die Kündigungsgründe des § 42 Abs 2 Z 1 und 5 VBO 1995 verwirklicht. [...]
Das Berufungsgericht gab [...] dem Klagebegehren statt [...]. Die Beweislast für das Vorliegen der geltend gemachten Kündigungsgründe treffe die Bekl. [...]
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl. [...]
Die Revision ist zulässig und iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt. [...]
3.1 Gem § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 ist die Gemeinde zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnis-182ses berechtigt, wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens der Gemeinde unwürdig erscheinen lässt, insb wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen Vorgesetzte, Mitarbeiter, Parteien oder Kunden zuschulden kommen lässt. Eine gröbliche Verletzung von Dienstpflichten kann auch den Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 1 VBO 1995 verwirklichen, wenn das beanstandete Verhalten des DN diesem vorwerfbar ist (RIS-Justiz RS0114667) und über bloße Ordnungswidrigkeiten hinausgeht (8 ObA 6/03w mwH). Unabhängig von einem Verschulden des Vertragsbediensteten (RIS-Justiz RS0081887) ist die Gemeinde zur Kündigung des Dienstverhältnisses gem § 42 Abs 2 Z 5 VBO 1995 berechtigt, wenn sich erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten mit dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes unter Anlegung eines objektiven Maßstabs (RIS-Justiz RS0081891) unvereinbar ist, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt.
3.2 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die wissentliche wahrheitswidrige Behauptung, von einem Vorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein, den genannten Kündigungsgrund verwirklicht, steht mit der Rsp im Einklang (vgl RIS-Justiz RS0060912). [...] Hier stellt sich allerdings die Frage, ob der Kündigungsgrund auch dann verwirklicht ist, wenn die Richtigkeit der Behauptung, sexuell belästigt worden zu sein, nicht geklärt werden kann.
4. [...] Dass das Erstgericht (Einfügung der Verf)
im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Aussage der Kl kritisch würdigte und ausführlich begründet, warum es den behaupteten Vorfall nicht als erwiesen annimmt, [...] bedeutet [...] keineswegs, dass das Erstgericht die Unwahrheit der Anschuldigung als erwiesen annahm. Dagegen spricht [...] auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, in der die Behauptung der Kl als unbewiesen, nicht aber als widerlegt gewertet wird.
Es ist daher davon auszugehen, dass [...] die Frage, ob die Behauptungen der Kl über den Vorfall vom 15.8.2007 zutreffen oder ob es sich dabei um eine Falschbehauptung handelt, nicht geklärt ist.
Damit stellt sich die Frage nach der Beweislast der Parteien.
5.1 Grundsätzlich trifft den AG die Beweislast für die geltend gemachten Entlassungs- bzw Kündigungsgründe (RIS-Justiz RS0081882; RS0125343; RS0029127). Nach diesem Grundsatz hätte die Bekl als AG auch zu beweisen, dass die Kl wissentlich unwahre Anschuldigungen erhoben hat.
5.2 Die Revisionswerberin macht aber an sich zutreffend geltend, dass zu den Entlassungsgründen der erheblichen Ehrverletzung (§ 27 Z 6 AngG) bzw der groben Ehrenbeleidigung (§ 82 Abs 1 lit g GewO 1859) wiederholt dem AG lediglich die Beweislast für die ehrverletzende Behauptung zugewiesen wurde; sofern diese ihrer Natur nach einem Wahrheitsbeweis zugänglich sei, treffe hingegen den AN die Beweislast für die Wahrheit der erhobenen Beschuldigung bzw dafür, dass er hinreichende Gründe hatte, sie für wahr zu halten (9 ObA 186/89; RIS-Justiz RS0029754, zuletzt 8 ObA 90/11k; Kuderna, Entlassungsrecht2 124 f). [...] Daraus leitet die Revisionswerberin die Beweislast der Kl für die Richtigkeit ihrer Anschuldigungen ab. [...]
6. Der OGH ist allerdings der Ansicht, dass diese Rsp für den hier zu beurteilenden Fall der Behauptung, Opfer einer sexuellen Belästigung geworden zu sein, nicht zum Tragen kommen kann.
6.1 Die Rechtsentwicklung der letzten Jahre auf europäischer und auf nationaler Ebene ist von der klaren Tendenz getragen, sexuelle Belästigung im Arbeitsverhältnis zu bekämpfen und den Opfern derartiger Belästigung die Durchsetzung ihrer Rechte so weit wie möglich zu erleichtern.
Mit Art 4 der RL 97/80/EG des Rates vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Beweislast-RL) verpflichteten sich die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Bekl obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Diese Beweislastverteilungsregel (9 ObA 46/04m) findet sich nunmehr in Art 19 der RL 2006/54/EG.
Darüber hinaus wurde in Art 7 der RL 2002/73/ EG (nunmehr Art 24 der RL 2006/54/EG) ein allgemeines Verbot an den AG normiert, einen AN in Reaktion auf eine Beschwerde oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu benachteiligen (Verbot der Viktimisierung; vgl auch den 17. Erwägungsgrund der RL 2002/73/EG; 9 ObA 113/11z).
6.2 Auch auf der Ebene der Bekl wurden diese Vorgaben zum Schutz der Bediensteten vor sexueller Belästigung im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis und der dadurch bewirkten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (§ 7 W-GlBG) durch Bestimmungen des W-GlBG und der VBO 1995 (vgl insb die Antidiskriminierungsnovelle WrLGBl 2004/36) umgesetzt. So hat etwa gem § 18 Abs 4 W-GlBG die von einer sexuellen Belästigung betroffene Person zur Durchsetzung ihrer aus dem Wiener Gleichbehandlungsgesetz resultierenden Rechte den Umstand einer sexuellen Belästigung lediglich glaubhaft zu machen. Betroffene Personen dürfen keine Nachteile dadurch erleiden, dass sie eine sexuelle Belästigung geduldet, zurückgewiesen oder zur Anzeige gebracht haben (§ 4c Abs 3 Z 2 und 3 VBO 1995).
6.3 Mit diesen klaren, aus der europäischen und der nationalen Gesetzgebung abgeleiteten Vorgaben ist es unvereinbar, in Fällen wie dem hier zu beurteilenden das gerade im Falle der Behauptung sexueller Belästigung im besonderen Maß bestehende Risiko der mangelnden Beweisbarkeit einer Anschuldigung im Zusammenhang mit der Verwirklichung eines Entlassungs- oder Kündigungsgrundes uneingeschränkt der die Anschuldi-183gung erhebenden Person zuzuweisen. Dies würde das Risiko, derartige Behauptungen vorzubringen und Abhilfe zu suchen, enorm erhöhen, was der dargestellten gesetzgeberischen Tendenz klar zuwiderlaufen und dem Grundsatz widersprechen würde, dass nationale Regelungen die Durchsetzung der durch Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Grundsatz der Effektivität; vgl Art 47 GRC; Art 19 Abs 1 EUV; 4 Ob 154/09i; 8 ObA 20/13v ua).
6.4 Der aus der in der Revision zitierten E 9 ObA 186/89 von diesem Ergebnis abweichende Standpunkt kann angesichts der seither eingetretenen Rechtsentwicklung auf europäischer und auf nationaler Ebene nicht aufrecht erhalten werden.
Es ist daher davon auszugehen, dass die Beweislast dafür, dass die Kl gegen ihren Vorgesetzten wissentlich einen unwahren Vorwurf erhoben und damit den angezogenen Kündigungsgrund verwirklicht hat, die Bekl trifft. Dieser Beweis ist ihr allerdings nach den bisher vorliegenden Feststellungen nicht gelungen. [...]
Im Anlassfall hatte der OGH die Berechtigung der Kündigung einer als Autobuslenkerin bei den Wiener Linien tätigen Vertragsbediensteten durch die Gemeinde Wien zu beurteilen. Kündigungsanlass war der Vorwurf der DN, von ihrem Dienstvorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein. Im Kündigungsverfahren konnte sie die Richtigkeit dieses Vorwurfs nicht beweisen. Es konnte aber auch nicht festgestellt werden, dass die DN den Vorwurf wissentlich wahrheitswidrig erhoben hatte. In dieser heiklen Fallkonstellation gelangte der OGH zu einer sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung überzeugenden rechtlichen Beurteilung.
§ 2 Abs 5 Z 3 iVm §§ 3 und 7 W-GBG (Wiener Gleichbehandlungsgesetz, LGBl 1996/18 idF LGBl 2014/34) normieren ein dem einschlägigen Bundesrecht (vgl § 8 B-GlBG, § 6 GlBG; weiterführend Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG [2009] § 6 Rz 1 ff) ähnliches Verbot der sexuellen Belästigung. Unzulässig sind Belästigungen „Bediens teter im Zusammenhang mit ihrem Dienstverhältnis am Ort ihrer Dienstverrichtung“ (1. Fall), Belästigungen „durch Bedienstete in örtlicher oder zeitlicher Nahebeziehung zur dienstlichen Sphäre“ der Belästigten (2. Fall) und Belästigungen, die „ohne diese Nahebeziehung aufzuweisen – ein einschüchterndes, feindseliges oder demütigendes Arbeitsklima“ für die davon betroffenen Bediensteten geschaffen haben (3. Fall). Sexuelle Belästigung gilt als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iSd W-GBG. Nach § 8 W-GBG gelten solche Diskriminierungen als Dienstpflichtverletzungen und sind „nach den dienst- und disziplinarrechtlichen Vorschriften zu verfolgen.“ Außerdem trifft die DN nach § 17 Abs 1 W-GBG bei sexueller Belästigung eine Schadenersatzpflicht gegenüber den belästigten Mitbediensteten.
Bei erwiesenen sexuellen Belästigungen drohen den belästigenden Gemeindebediensteten somit negative dienst- und haftungsrechtliche Folgen, deren Art und Ausmaß von den jeweiligen Einzelfallumständen abhängt. Entsprechendes gilt auch im Bundesdienstrecht (vgl §§ 9, 19 B-GlBG) und im Arbeitsrecht (vgl § 12 Abs 11 GlBG). Je gravierender die vorgefallene sexuelle Belästigung ist, desto schwerwiegender können (und sollen) die Rechtsfolgen für die BelästigerInnen sein. Es sind angemessene (Disziplinar-)Maßnahmen und Sanktionen geboten und in besonders gravierenden Fällen kann auch die Beendigung des Dienstverhältnisses seitens des DG durch Kündigung oder Entlassung berechtigt sein. Aufgrund der Fürsorgepflicht des DG (siehe § 6 Abs 1 VBO 1995, Gesetz über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien, Vertragsbedienstetenordnung 1995, LGBl 1995/50 idF LGBl 2014/34) ist allerdings vor der Ergreifung solcher Maßnahmen eine sorgfältige Prüfung geboten, ob es tatsächlich zu einer Belästigung gekommen ist.
Nachteilige Rechtsfolgen können aber nicht nur die BelästigerInnen treffen, sondern uU auch die DN, die Belästigungsvorwürfe gegenüber Vorgesetzten oder Mitbediensteten erhoben haben, wenn sie die behauptete sexuelle Belästigung später nicht beweisen können. Dieses Risiko ist wegen der vom OGH zutreffend betonten, für Belästigungssituationen typischen Beweisschwierigkeiten beträchtlich, obwohl die einschlägigen Gleichbehandlungsgesetze – so auch § 18 Abs 4 W-GBG (ebenso § 20a B-GlBG und § 12 Abs 12 GlBG) – Beweiserleichterungen für Beschäftigte vorsehen, die Belästigungen geltend machen, indem sie das erforderliche Beweismaß vom Regelbeweismaß auf Glaubhaftmachung („Bescheinigung“) herabsetzen (dazu ausführlich OGH9 ObA 46/04mDRdA 2005/34, 424 [Eichinger]; OGH9 ObA 177/07fZAS 2009/29, 186 [Klicka]; weiterführend Hopf/ Mayr/Eichinger, GlBG § 12 Rz 123 ff).
Für die DG ist der Umgang mit solchen Fallkonstellationen schwierig, weil sie ihre DN nicht nur vor und bei sexuellen Belästigungen zu schützen haben (aufgrund spezieller Schutzbestimmungen im Gleichbehandlungsrecht [vgl § 17 Abs 2 W-GBG, § 8 Abs 1 Z 1, § 19 Abs 2 B-GlBG, § 6 Abs 1 Z 2, § 12 Abs 11 GlBG] und der Fürsorgepflicht), sondern auch bei nicht berechtigten Belästigungsvorwürfen (Fürsorgepflicht). Außerdem ist, wenn DG entweder wegen sexueller Belästigungen oder wegen nicht berechtigter Belästigungsvorwürfe verhaltensbedingte Kündigungen oder Entlassungen der betreffenden DN in Betracht ziehen, auch auf die rechtzeitige Geltendmachung des Beendi-184gungsgrundes (Aufgriffsobliegenheit infolge des Unverzüglichkeitsgrundsatzes) zu achten.
Im Anlassfall nahm der DG von einer Entlassung der DN Abstand, sprach aber die Kündigung aus, die neben der Schriftform und der Angabe eines Kündigungsgrundes (siehe § 42 Abs 1 VBO 1995) wegen der Mitgliedschaft der DN im Dienststellenausschuss auch der Zustimmung der Personalvertretung bedurfte (nach anfänglicher Ablehnung des Zentralausschusses der Personalvertretung der Gemeinde Wien erteilte letztlich die gemeinderätliche Personalkommission die Kündigungszustimmung).
Als Kündigungsgründe wurden § 42 Abs 2 Z 1 (gröbliche Dienstpflichtverletzung) und Z 5 (Unvereinbarkeit des DN-Verhaltens mit dem Ansehen oder den Inte ressen des Dienstes) VBO 1995 herangezogen. Hätte die DN ihren Vorgesetzten beim DG erwiesenermaßen wissentlich und wahrheitswidrig der sexuellen Belästigung beschuldigt, wäre ihre Kündigung berechtigt gewesen, weil sie durch eine Falschbeschuldigung ihre allgemeinen Verhaltenspflichten als Vertragsbedienstete verletzt hätte. Denn § 4 Abs 4 VBO 1995 verpflichtet die DN zu höflichem und hilfsbereitem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Mitbediensteten sowie – im Dienst und außer Dienst – auch zur Vermeidung von allem, das die Achtung und das Vertrauen, die der dienstlichen Stellung entgegengebracht werden, untergraben könnte. Außerdem sind die DN gem § 4e VBO 1995 zum achtungsvollen Umgang mit Vorgesetzten und Mitbediensteten verpflichtet und haben daher ua „Verhaltensweisen ... zu unterlassen, die deren menschliche Würde verletzen oder dies bezwecken ...“. Mit diesen Pflichten ist es unvereinbar, Vorgesetzte oder Mitbedienstete durch die bewusste falsche Beschuldigung wegen Belästigung dem Risiko (uU erheblicher) nachteiliger rechtlicher aber auch sozialer Folgen (zweifelhafter „Ruf“ im Betrieb) auszusetzen.
Eine wissentliche Falschbeschuldigung hätte den DG gem § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 wohl sogar zur Entlassung der DN berechtigt. Danach liegt ein Entlassungsgrund vor, wenn sich Gemeindevertragsbedienstete einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder eines zur Vertrauensunwürdigkeit führenden Verhaltens schuldig machen, insb wenn sie sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen zB gegen Vorgesetzte oder Mitbedienstete zuschulden kommen lassen.
Den Entlassungsgrund der groben Ehrenbeleidigung gem § 82 lit g GewO bejahte der OGH in einem Urteil vom 28.6.1989 (9 ObA 186/89Arb 10.813 = SZ 62/124) im Fall eines Zimmermädchens, das den Hausmeister eines Hotelbetriebs zunächst beim örtlichen Gendarmerieposten und danach auch beim AG der sexuellen Belästigung beschuldigt hatte, die Wahrheit dieser Beschuldigung aber im Entlassungsverfahren nicht beweisen konnte. Nach der vom OGH damals vertretenen Rechtsauffassung hatte der AG nur das Vorliegen der Beschuldigung zu beweisen, während die AN beweisen musste, dass „ihre ehrverletzenden Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen“. Da der AN dieser Beweis nicht gelang, beurteilte der OGH ihre Entlassung wegen grober Ehrenbeleidigung als berechtigt.
Der Hintergrund für die damals vom OGH vorgenommene „Aufteilung“ der Beweislast war anscheinend ein Austrittsfall, in dem eine AN wegen der letztlich haltlosen Beschuldigung durch den Ehemann ihrer AG, in eine Unterschlagung verwickelt gewesen zu sein, das Angestelltendienstverhältnis vorzeitig auflöste. Der OGH ging in diesem Fall von der „Eignung“ dieser Beschuldigung als Austrittsgrund der erheblichen Ehrverletzung gem § 26 Z 4 AngG aus (vgl OGH4 Ob 121/57Arb 6787). Mit Bezug auf diese E nannten Martinek/Schwarz/Schwarz (AngG6 [1984] 580) als Beispiel für einen begründeten Austritt wegen Ehrverletzung ua Strafanzeigen gegen einen AN, zB wegen Diebstahls, wenn dieser im Strafverfahren freigesprochen wird und der AG „nicht hinreichende Verdachtsgründe für die Strafanzeige darzutun vermag“. Dahinter steht wohl die Rechtsauffassung, dass einen AN, der aufgrund einer fälschlichen Beschuldigung wegen einer Straftat vorzeitig austritt, nur die Beweislast für das Vorliegen dieser Beschuldigung trifft, während dem AG die Beweislast für die Richtigkeit dieses Vorwurfs oder wenigstens für das Bestehen hinreichender Verdachtsgründe zur Annahme einer Straftat obliegt (siehe OGH9 ObA 186/89Arb 10.813 mit Zitat von Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG6 580 und der OGH-E zu 4 Ob 121/57Arb 6787).
„Spiegelbildlich“ dazu entwickelte sich eine Judikaturlinie, nach der der AG bei Entlassungen wegen Ehrenbeleidigung (unter bestimmten Voraussetzungen) nur das Vorliegen des beleidigenden Verhaltens, zB einer ehrverletzenden Behauptung, nachzuweisen hat, während der AN die Wahrheit seiner Behauptung oder zumindest das Bestehen hinreichender Gründe dafür, diese Behauptung für wahr zu halten, beweisen muss. Allerdings nur dann, wenn dies einem Wahrheitsbeweis oder einem Beweis des guten Glaubens zugänglich ist (siehe OGH9 ObA 186/89Arb 10.813; RIS-Justiz RS0029754). Die Möglichkeit eines Wahrheitsbeweises verneinte der OGH aber zB in einem Entlassungsverfahren wegen Ehrverletzungen und Tätlichkeiten nach § 34 Abs 2 lit b VBG, in dem nicht feststellbar war, ob sich der DN im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten ehrverletzende Äußerungen oder Tätlichkeiten zuschulden kommen ließ (vgl OGH 31.1.1990, 9 ObA 5/90). Diese Grundsätze zog der OGH auch im oben angeführten „Zimmermädchen-Fall“ vom 28.6.1989 heran und wich damit damals – entgegen der mE zutreffenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts (vgl OLG Linz 24.1.1989, 12 Ra 110/88) – von der sonst in stRsp angewendeten Grundregel ab, dass bei vorzeitiger Auflösung aus wichtigem Grund die den Vertrag lösende Partei den Beendigungsgrund zu behaupten und zu beweisen hat (siehe RIS-Justiz RS0081882; RS0029127; RS0107226).
Ungeachtet der dargelegten Bedenken in (bestimmten) Entlassungsverfahren wegen Ehrenbeleidigung von der skizzierten Grundregel abzugehen, ist dem OGH aber im Ergebnis beizupflichten, dass die185wissentliche wahrheitswidrige Behauptung, von Vorgesetzten oder Mitbediensteten sexuell belästigt worden zu sein, zumindest einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund, in aller Regel aber wohl einen Entlassungsgrund bildet (in diesem Punkt wurden die Ausführungen zu 9 ObA 186/89 zutreffend bestätigt).
Die Sachlage im Anlassfall war jedoch eine andere. Hier konnte weder die Vertragsbedienstete die von ihr behauptete sexuelle Belästigung durch ihren Vorgesetzten nachweisen noch der DG die Unwahrheit des von der DN erhobenen Belästigungsvorwurfs. Ob die Kündigung der DN wegen des Belästigungsvorwurfs berechtigt erfolgte, hängt daher nach der zutreffenden Auffassung des OGH von der Beweislast in Bezug auf das Vorliegen eines Kündigungsgrundes ab.
Im Anlassfall kam der OGH zum mE richtigen Ergebnis, dass die Beweislast für das Bestehen eines Kündigungsgrundes den DG trifft (Entsprechendes gilt für Entlassungsgründe). Dieser hat dabei allerdings nicht nur die Behauptung einer sexuellen Belästigung zu beweisen, sondern auch die Wissentlichkeit und Unwahrheit dieser Behauptung. Damit gab der OGH die am 28.6.1989 zu 9 ObA 186/89 („Zimmermädchen-Fall“) vertretene Rechtsauffassung (in dieser E hatte er ja der AN die Beweislast für die Wahrheit des Belästigungsvorwurfs auferlegt) mE zu Recht auf (vgl zu dieser Judikaturänderung auch Lindmayr, RdW 2014/660, 602). Wenn somit dem DG im Anlassfall der Beweis einer wissentlichen Falschbeschuldigung seitens der DN nicht gelingt, wird sich die Kündigung letztlich als unberechtigt erweisen. Das Verfahren war jedoch nicht spruchreif, weil noch Feststellungen zu weiteren Anschuldigungen der DN gegenüber ihrem Vorgesetzten fehlten.