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Lehr- und/oder Erziehungskräfte vom Anwendungsbereich des AZG ausgenommen?

FRIEDRICHSTEINER (SALZBURG)
  1. Die vom Gesetzgeber in § 1 Abs 2 Z 6 AZG formulierten Begriffe sind alternativ, also iS von Lehrkräfte oder Erziehungskräfte sowie Unterrichtsanstalten oder Erziehungsanstalten auszulegen.

  2. Die Frage, ob die RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom nationalen Gesetzgeber nur unzureichend umgesetzt wurde und insb die generelle Ausnahme von Lehr- und Erziehungskräften an Unterrichtsund Erziehungsanstalten (§ 1 Abs 2 Z 6 AZG) unionsrechtswidrig ist, kann hier unerörtert bleiben, da keine Möglichkeit zur richtlinienkonformen Auslegung besteht.

[...] Die Bekl betreibt eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft, bei der es sich um eine Einrichtung zur Durchführung der Maßnahme der vollen Erziehung [...] handelt. In dieser sozialpädagogischen Wohngemeinschaft bringt die Bekl Minderjährige unter, deren Obsorge dem Land Steiermark als Kinder- und Jugendhilfeträger obliegt. Die Bekl übt die Pflege und Erziehung durch Wohngruppenbetreuer aus, die in der Wohngemeinschaft mit allen damit zusammenhängenden Tätigkeiten betraut werden.

Die sozialpädagogische Wohngemeinschaft ist für die Unterbringung von höchstens sieben Jugendlichen ausgerichtet. Für diese standen mit der Kl insgesamt sechs Betreuer (5,5 vollzeitäquivalente Dienstposten) zur Verfügung. Da die Minderjährigen in der Wohngemeinschaft an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr betreut werden, ist mindestens ein Betreuer immer (rund um die Uhr) anwesend. Die Betreuer leisten 24-Stunden-Dienste. [...]

Das Leben in der Wohngemeinschaft ist möglichst an familiennahen bzw familienähnlichen Beziehungsregeln auszurichten. Nach Möglichkeit ist an einer Rückführung in die (Herkunfts-)Familie zu arbeiten. Ziel sind die Emanzipation der Minderjährigen und der Erwerb von Ressourcen, die eine Lebensform in Selbstorganisation und Selbständigkeit ermöglichen. Entscheidungsfähigkeit, Handlungskompetenz und Mitwirkungsmöglichkeiten werden erweitert und Benachteiligungen/Defizite reduziert. Zielgruppe sind Minderjährige zwischen 10 und 18 Jahren.

Im Modell der von der Bekl ebenfalls praktizierten Bezugsbetreuung wird jedem Bewohner ein/e bestimmte/r Betreuer/in zugewiesen, zu dem ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelt werden soll. Die Bezugsbetreuer sind in besonderer Weise für ihre Bezugsbewohner verantwortlich, erledigen für diese Behördenwege, besuchen Sprechstunden in der Schule, nehmen Kontakt zu den Lehrherren auf usw. Sie organisieren auch die für den jeweiligen Bewohner notwendigen medizinischen Maßnahmen, wie zB einen Suchtmittelentzug. Bei allen Betreuern handelt es sich um geschulte Fachkräfte mit einer Ausbildung im psychosozialen Bereich, wie etwa Sozialpädagogen und Psychologen.

Die Vorgaben der Bekl an die Betreuer orientieren sich am gesetzlichen Auftrag. Es sollen, wie bereits erwähnt, möglichst familienähnliche Beziehungsstrukturen geschaffen und es soll zwischen den Betreuern und den Bewohnern eine Vertrauensbasis aufgebaut werden. Dafür ist sehr viel Zeit und Beziehungsarbeit notwendig. Die Betreuer stehen den Bewohnern als Ansprechperson bei der Bewältigung aller Alltagsprobleme zur Verfügung. [...]

Der Betreuungsumfang in der Wohngemeinschaft war während des ganzen Jahres gleich. Der Unter-275schied zwischen Schul- und Ferienzeit lag nur darin, dass sich während der Ferienzeit tagsüber mehr Jugendliche in der Einrichtung befanden und die Ausgehzeit nicht so streng gehandhabt wurde. Die Betreuer unternahmen mit den Jugendlichen in dieser Zeit auch vermehrt Freizeitaktivitäten und fuhren mit ihnen auf Ferienlager. Die Betreuer konnten den eigenen Urlaub mit der Bekl individuell vereinbaren. [...]

Für Bewohner, die aufgrund ihres Verhaltens für eine Regelschule nicht tragbar, aber schulpflichtig waren, organisierten die Betreuer die Zusatzleistung der „Intensivbetreuung mit besonderer Beschulung“. Während die Kl in der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft arbeitete, wurde regelmäßig ein Bewohner in dieser Form zusätzlich betreut. Diese Intensivbetreuung wurde von einem dafür ausgebildeten (externen) Lehrer durchgeführt, mit dem ein entsprechender Dienstvertrag abgeschlossen wurde. Die Kl hielt diesen Unterricht nicht ab.

Die Kl übte als Betreuerin in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft die Obsorge über die Bewohner im Bereich der Pflege und Erziehung aus. Ihr Tätigkeitsbereich umfasste alle Betreuungsaufgaben im stationären Wohnbereich und auch die Bezugsbetreuung.

Die Kl begehrt von der Bekl, gestützt auf eine Berechnung der Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz (AZG), den Klagsbetrag, bestehend aus Zuschlägen für die von ihr im Zeitraum 1.2.2011 bis 30.9.2011 geleisteten Überstunden. [...]

1. Die Bestimmungen des AZG gelten für die Beschäftigung von AN (Lehrlingen), die das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 1 Abs 1 AZG).

Nach § 1 Abs 2 Z 6 AZG sind vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes Lehr und Erziehungskräfte an Unterrichts- und Erziehungsanstalten, soweit sie nicht unter Z 1 fallen, ausgenommen. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 1 AZG, der vor allem AN von Gebietskörperschaften betrifft, kommt auf das zwischen den Streitteilen bestandene Dienstverhältnis nicht zur Anwendung.

2. Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass der Kl die geltend gemachten Ansprüche nur dann zustehen können, wenn sie dem AZG unterliegt. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist daher ausschließlich die Auslegung des von der Bekl relevierten Ausnahmetatbestands des § 1 Abs 2 Z 6 AZG. Die Kl versteht die Begriffe „Lehr- und Erziehungskräfte“ sowie „Unterrichts- und Erziehungsanstalten“ jeweils kumulativ, die Bekl hingegen alternativ, also iS von „Lehr- oder Erziehungskräfte“ sowie „Unterrichts- oder Erziehungsanstalten“. [...]

4.1. Die wörtliche Auslegung der Begriffe „Lehr- und Erziehungskräfte“ sowie „Unterrichts- und Erziehungsanstalten“ lässt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, grundsätzlich sowohl ein alternatives, als auch ein kumulatives Verständnis dieser Begriffe zu. Der Gesetzgeber könnte damit entweder zum Ausdruck gebracht haben, dass die Ausnahmebestimmung sowohl auf Lehrkräfte als auch auf Erziehungskräfte zutrifft, die entweder in Unterrichtsanstalten oder in Erziehungsanstalten tätig sind, oder aber, dass sie nur für AN anzuwenden ist, die als Lehr- und auch als Erziehungskraft in einer Anstalt beschäftigt sind, die (gemeinsam) als Unterrichts- und Erziehungsanstalt fungiert.

4.2. Die Gesetzesmaterialien geben über den Grund und den Inhalt der fraglichen Ausnahmebestimmung keinen Aufschluss. [...]

4.3. In der Lehre werden zum telos des Begriffs „Unterrichts und Erziehungsanstalten“, auf den in der Folge der Schwerpunkt in der Revisionsentscheidung gelegt wird, unterschiedliche Meinungen vertreten:

4.3.1. Heilegger (in

Heilegger/Klein/Schwarz
, AZG3 § 1 Erl 13) sieht den Zweck der Ausnahmeregelung darin, dass bei bestimmten Tätigkeiten im Rahmen des Schul- und Erziehungswesens eine Bindung an Arbeitszeitgrenzen nur schwer möglich oder wie zB in Internatsschulen sogar eine Betreuung „rund um die Uhr“ notwendig sei. Gemeint seien also (nur) Einrichtungen, die beiden Zwecken, nämlich Unterricht und Erziehung dienten. Das seien im Wesentlichen Privatschulen iSd § 2 Privatschulgesetz 1962. Einrichtungen, die in erster Linie der Unterbringung von Kindern oder Jugendlichen dienten, ohne dass der Unterrichts- und Erziehungszweck im Vordergrund stehe, wie zB Kinderdörfer, Lehrlingsheime, Jugendwohnheime udgl, würden nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 2 Z 6 AZG fallen.

4.3.2. Nach Grillberger (AZG3 § 1 Rz 24) dürfte der Zweck der Ausnahmeregelung des § 1 Abs 2 Z 6 AZG darin bestehen, jenen Besonderheiten der Arbeitsleistung Rechnung zu tragen, wie sie bei Lehrkräften an staatlichen Schulen regelmäßig vorlägen: Zeiten stärkerer Inanspruchnahme der Lehrkraft wechselten auf Grund der gesetzlich geregelten Ferien mit längeren Freizeiten. Die ursprünglich relativ starre Arbeitszeitregelung (8-Stundentag, 40-Stundenwoche) erschiene unter solchen Bedingungen nicht sachgerecht. Grillberger definiert jedoch den Begriff „Unterrichts- und Erziehungsanstalten“ nicht als einen gemeinsamen Ausdruck, sondern die Termini Unterrichtsanstalten und Erziehungsanstalten jeweils gesondert.

4.3.3. Pfeil (in ZellKomm2 § 1 AZG Rz 9) sieht unter Berufung auf Grillberger die Legitimation für diese Ausnahme, die aber gleichzeitig als ein diese begrenzendes Tatbestandsmerkmal gesehen werden müsse, ebenfalls in der Arbeitszeitverteilung, die eine höhere Inanspruchnahme deshalb zulasse, weil dann durch Ferienzeit ein längerer Ausgleich erfolge. Nur solche Einrichtungen iSd Privatschulgesetzes (idF BGBl I 2008/71) würden als Anstalten im hier geforderten Sinn verstanden werden können.

4.3.4. Auch nach Binder/Brunner/Szymanski (AZG § 1 Anm 38 f) sei der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen, dass in solchen Einrichtungen eine Bindung an die Bestimmungen des AZG nur schwer möglich sei. Gehe man davon aus, dass durch die Ausnahmebestimmung eine Gleichstellung mit Schulen von Gebietskörperschaften beabsichtigt sei, würden unter die Ausnahme insb Privatschulen fallen.

4.3.5. Wolfsgruber (Der Geltungsbereich des Arbeitszeitgesetzes, in

Resch
, Arbeitszeitrecht 20 f)276 definiert den Begriff Erziehungsanstalten, verweist aber dazu im Wesentlichen auf die Ansichten von Grillberger und Cerny.

4.3.6. Schrank (AZG2 § 1 Rz 32, 35) vertritt die Auffassung, dass das jeweilige „und“ in § 1 Abs 2 Z 6 AZG nicht kumulativ, sondern als „und/oder“ gemeint und auch so zu verstehen sei. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, nur kombinatorische Einrichtungen ausgenommen zu haben, bestehe der sachliche Ausnahmebedarf doch in gleichem Maße auch bei getrennten Einrichtungen, was bei der Auslegung des „und“ als kumulativ und nicht auch alternativ zu unsachlicher und auch quantitativ unverständlicher Einengung der Ausnahme führen würde. Die Ausnahme des § 1 Abs 2 Z 6 AZG müsse umso mehr für erzieherisch qualifizierte Einrichtungen (Wohngemeinschaften) der „vollen Erziehung“ gelten, sollten diese ihren Zweck erreichen können.

Rechtliche Beurteilung

[...]

5. Der erkennende Senat gelangt zusammenfassend zur Überzeugung, dass die vom Gesetzgeber in § 1 Abs 2 Z 6 AZG formulierten Begriffe „Lehr- und Erziehungskräfte“ sowie „Unterrichts- und Erziehungsanstalten“ alternativ, also iS von Lehrkräfte oder Erziehungskräfte sowie Unterrichtsanstalten oder Erziehungsanstalten auszulegen sind. [...]

5.2. Dies wird auch dem Zweck der Ausnahmebestimmung, der wie auch Heilegger (in

Heilegger/Klein/Schwarz
, AZG3 § 1 Erl 13) betont darin liegt, dass bei bestimmten Tätigkeiten im Rahmen des Schul- und Erziehungswesens eine Bindung an Arbeitszeitgrenzen nur schwer möglich oder sogar eine Betreuung „rund um die Uhr“ notwendig ist, gerecht. Weshalb dann aber aus dieser Zweckbestimmung zu folgern sei, dass nur Einrichtungen, die beiden Zwecken, nämlich Unterricht und Erziehung dienen, gemeint sein sollen, ist nicht ersichtlich. Wie Schrank (AZG2 § 1 Rz 32, 35) überzeugend hervorhebt, besteht der sachliche Ausnahmebedarf für Unterrichtsanstalten in gleichem Maße auch für Erziehungsanstalten. Auch nach Auffassung des Senats ist gerade für Einrichtungen wie einer hier gegenständlichen sozialpädagogischen Wohngemeinschaft, die ihre Tätigkeit aufgrund der ihr vom Kinder- und Jugendhilfeträger übertragenen Obsorge im Rahmen der vollen Erziehung erbringt, ein sachlicher Ausnahmebedarf von den zulässigen Höchstarbeitszeitgrenzen des AZG gegeben, wollen sie dem Ziel einer familienähnlichen Einrichtung gerecht werden. Die volle Erziehung umfasst die (außerfamiliäre) Pflege und Erziehung der Minderjährigen, sofern der Jugendwohlfahrtsträger wie hier mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut wurde (§ 28 StKJHG). Insb die vielfältigen erzieherischen, organisatorischen und nicht immer zeitlich planbaren Aufgaben der in einer derartigen Einrichtung beschäftigten Erziehungskräfte lassen das dafür doch enge Korsett des AZG nicht unbedingt geeignet erscheinen. Damit trägt die Ausnahmebestimmung den spezifischen Anforderungen an eine professionelle Erziehungsarbeit iSd vollen Erziehung Rechnung und ermöglicht eine möglichst nachhaltige, familienähnliche Erziehungsarbeit. Dass bei Anwendung des AZG (vgl insb die nur in § 24 Abs 2 BAGS-KV vorgesehene Möglichkeit, Zeiten der Nachtarbeitsbereitschaft nicht in die wöchentliche Normalarbeitszeit von 38 Stunden einzurechnen) ein häufigerer Betreuungswechsel erfolgen müsste, würde den Aufbau von stabilen und von Kontinuität des persönlichen Betreuers geprägten Beziehungen (Bezugsbetreuung) zu den Bewohnern sowie die Schaffung und den Erhalt eines familienähnlichen Umfelds in der Wohngemeinschaft nicht bloß erschweren, sondern geradezu unmöglich machen.

5.3. Mit dieser Gesetzesauslegung wird die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 2 Z 6 AZG entgegen mancher Befürchtung auch nicht ausdehnend ausgelegt, weil es sich bei den von der Kl verrichteten Tätigkeiten zweifellos um Erziehungstätigkeiten im engsten Sinne handelt, die sonst üblicherweise im Familienverband von den Eltern wahrgenommen werden (§ 160 ABGB). [...]

6. Die Frage, ob die RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (kurz: Arbeitszeit-RL) vom nationalen Gesetzgeber nur unzureichend umgesetzt wurde und insb die generelle Ausnahme von Lehr- und Erziehungskräften an Unterrichts- und Erziehungsanstalten (§ 1 Abs 2 Z 6 AZG) unionsrechtswidrig ist (vgl Grillberger, AZG3 § 1 Rz 24; Resch, Das neue Arbeitszeitrecht 23 mwN), kann hier unerörtert bleiben. Eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien zwischen Privaten kommt nämlich nicht in Betracht (Art 288 AEUV; RIS Justiz RS0111214). Die innerstaatlichen Behörden haben die inhaltlich von der RL berührten Normen aber soweit wie möglich im Einklang mit der RL („richtlinienkonform“) auszulegen (RIS Justiz RS0111214). Dies gilt auch für nicht umgesetzte Richtlinien nach Ablauf der Umsetzungsfrist (Vcelouch in

Mayer/Stöger
, Komm EUV/AEUV, Art 288 Rz 79 mwN). Eine richtlinienkonforme Auslegung einer Bestimmung kann aber nur soweit erfolgen, als das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt. Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (9 ObA 20/14b; RIS Justiz RS0114158). Das wäre aber hier der Fall, würde man die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 2 Z 6 AZG wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht unangewendet lassen. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Der Gegenstand der vorliegenden E erschöpft sich letztlich in der Interpretation des Wörtchens „und“. Die Auswirkungen dieser nur scheinbar trivialen Rechtsfrage für die betroffenen AN sind dagegen umso weitreichender, da die Anwendbarkeit des § 1 Abs 2 Z 6 AZG nicht durch anderweitige Regelungen aufgefangen wird, sondern auf gesetzlicher Ebene zum Verlust jeglichen arbeitszeitrechtlichen277 Schutzes führt. Insofern zählt es nicht zur Kür, sondern zur Pflicht, dass sich der OGH dieser Frage (im ungekürzten Urteil) auf insgesamt 21 Seiten in aller Ausführlichkeit widmet.

Dem Ergebnis der E ist voll zuzustimmen, die plakative Bezeichnung des „alternativen Verständnisses“ des § 1 Abs 2 Z 6 AZG könnte jedoch zu Fehlinterpretationen einladen, die in dieser Form von der eigentlichen Argumentation des OGH nicht getragen werden. Es ist deshalb angezeigt, noch einmal die wesentlichen Eckpunkte der Entscheidungsbegründung im Detail zu beleuchten und die tatsächliche Reichweite der Ausnahmebestimmung klarzulegen. Daneben wurde von der Kl eine Kollision des § 1 Abs 2 Z 6 AZG mit dem Unionsrecht releviert. Mangels einer Möglichkeit zur richtlinienkonformen Interpretation hatte sich der OGH mit dieser Frage nicht zu befassen, von wissenschaftlichem Interesse ist sie dennoch.

2.
Zur Reichweite des Ausnahmetatbestandes
2.1.
Interpretation des OGH

Gem § 1 Abs 2 Z 6 AZG sind Lehr- und Erziehungskräfte an Unterrichts- und Erziehungsanstalten vom Anwendungsbereich des AZG ausgenommen. Der Wortlaut dieser Bestimmung lässt tatsächlich mehrere Interpretationsvarianten zu. Einerseits könnte sich der Ausnahmetatbestand auf jene Fälle beschränken, in denen vom/von der AN sowohl Lehr- als auch Erziehungsleistungen erbracht werden und diese/r in einer Anstalt tätig ist, die sich sowohl dem Unterricht als auch der Erziehung von Jugendlichen widmet. Andererseits könnte der Zweck dieser Formulierung aber auch sein, die ansonsten gebotene ungekürzte Aufzählung sämtlicher Ausnahmetatbestände, also „Lehrkräfte und Erziehungskräfte in Unterrichtsanstalten und Erziehungsanstalten“, durch eine verkürzte, leichter lesbare Variante zu ersetzen.

Auch ein Rekurs auf die Absichten des historischen Gesetzgebers gibt nur wenig Aufschluss. Im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung (AB 1463 BlgNR 11. GP), in dem erstmals der betreffende Ausnahmetatbestand aufscheint, finden sich keine Hinweise auf die damit verfolgten Zwecke oder die genaue Reichweite der Formulierung. Ein Blick in die Materialien zur gleichlautenden Ausnahmebestimmung in § 1 Abs 2 Z 4 ARG (ErläutRV 1289 15. GP 15 f) lässt allerdings erste, wenngleich sehr vorsichtige Schlüsse auf ein alternatives Begriffsverständnis zu. Die Erläuterungen zur fraglichen Ausnahme leiten mit der Klarstellung ein, dass „Lehrer und Erzieher“, die in einem Arbeitsverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder einem Gemeindeverband stehen, ohnehin bereits durch Z 1 aus dem Geltungsbereich ausgenommen sind. Durch die Z 4 sollte bezüglich dieser Lehrer und Erzieher wohl eine Gleichstellung mit dem privaten Sektor erreicht werden, indem vom Anwendungsbereich „auch Arbeitnehmer an privaten Unterrichts- und Erziehungsanstalten ausgenommen [werden], allerdings nur, soweit es sich um Lehr- und Erziehungskräfte handelt“. Der RV ist nun kein dezidierter Hinweis darauf zu entnehmen, dass – im Unterschied zu Bediensteten einer Gebietskörperschaft oder eines Gemeindeverbandes – bei einer Anstellung im privaten Sektor zwingend Lehr- und Erziehungstätigkeiten kumulativ vorliegen müssen, damit der/die AN unter die Ausnahmebestimmung fällt. Die Einschränkung auf „Lehr- und Erziehungskräfte“ dürfte hier lediglich der Klarstellung dienen, dass die Ausnahme eben nicht sämtliche AN von Unterrichts- und Erziehungsanstalten, sondern nur den unmittelbaren Betreuungsbereich betrifft, und zB HausarbeiterInnen, SchulwartInnen oder PortierInnen sehr wohl dem ARG (und selbstverständlich auch dem AZG) unterliegen. Eine ausdrückliche Stellungnahme zur Frage des kumulativen bzw alternativen Verständnisses sucht man aber vergebens.

Den Fokus bei der Auslegung des § 1 Abs 2 Z 6 AZG hatte der OGH daher auf die teleologische Interpretation und damit auf die Erforschung des Normzwecks zu legen. In der Lehre werden hierzu nun durchaus unterschiedliche Ansätze vertreten. Nach der wohl hA soll die Ausnahmebestimmung dazu dienen, die besondere Verteilung der Arbeitsbelastung in Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu berücksichtigen. Zeiten höherer Belastung während des Semesters würden immer wieder von längeren Phasen der Freizeit in Form der Ferien durchbrochen. Aufgrund dieser unregelmäßigen Verteilung erscheine eine starre Arbeitszeitregelung nicht sachgerecht, weshalb der Gesetzgeber Lehr- und Erziehungskräfte vom AZG ausgenommen habe (vgl insb Grillberger in

Grillberger
[Hrsg], AZG3 § 1 Rz 24). Der Grund für die Ausnahme würde dem folgend also weniger im erzieherischen Bereich, sondern im Bereich des (schulischen) Unterrichts liegen, weshalb letztlich auch nur Schulen gem § 2 Privatschulgesetz als Unterrichts- und Erziehungsanstalt iSd Z 6 anzusehen wären, die durch den Ausnahmetatbestand an staatliche Schulen angeglichen werden sollten. Eine asymmetrische Arbeitsverteilung müsse dabei sogar nicht bloß als Legitimation der Ausnahmeregelung, sondern zugleich als ein diese begrenzendes Tatbestandsmerkmal gesehen werden (Pfeil in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 1 AZG Rz 9). AN von Anstalten, in denen der Betreuungsumfang während des ganzen Jahres gleich bleibt, insb also der entscheidungsgegenständlichen sozialpädagogischen Wohngemeinschaft, wären dieser Ansicht folgend also ohnedies voll dem AZG zu unterstellen. Fraglich bleibt bei dieser Auslegung der Zweck des Erfordernisses (auch) eines erzieherischen Ziels, er wäre dann aber wohl darin zu sehen, jene Anstalten, die sich lediglich der Vermittlung einzelner Fähigkeiten und Kenntnisse widmen, vom Ausnahmetatbestand auszugrenzen. Mangels einer erzieherischen Komponente unterliegen daher etwa Segelschulen, Schischulen, Fahrschulen oder Nachhilfeinstitute zweifellos dem AZG, auch wenn in diesen Branchen durchaus mit dem staatlichen Schulbetrieb vergleichbare saisonale Schwankungen in der Arbeitsauslastung auftreten werden.

Der OGH schließt sich jedoch den Ansichten von Heilegger (in

Heilegger/Klein/Schwarz
, AZG3 § 1278 Erl 13, die die Bestimmung aber dennoch kumulativ versteht) und insb Schrank (AZG3 § 1 Rz 32 ff) an, wonach Hintergrund der Ausnahmeregelung nicht nur der Ausgleich einer stark schwankenden Arbeitsbelastung, sondern die generell mangelnde Vereinbarkeit von bestimmten Tätigkeiten im Rahmen des Schul- und Erziehungswesens mit den strengen Grenzen des AZG sei. Die Anwendung des AZG auf AN von Erziehungseinrichtungen wie etwa der fraglichen sozialpädagogischen Wohngemeinschaft würde bspw einen häufigen Betreuungswechsel nach sich ziehen, der dem Aufbau einer von Kontinuität und Vertrautheit geprägten Beziehung der BetreuerInnen zu den BewohnerInnen im Wege stehen und so letztlich die angestrebte Schaffung eines familienähnlichen Umfelds unmöglich machen würde.

In seiner Begründung beruft sich der OGH damit hauptsächlich auf besondere Anforderungen im Bereich des Erziehungswesens und verwirft das von der hA vertretene Erfordernis einer ungleichmäßigen Auslastung während des Jahres. Obgleich die E eine nähere Erläuterung der Gründe für diese Auslegung schuldig bleibt, erscheint sie dennoch zutreffend. Weder aus den Materialien noch aus dem Gesetzeswortlaut selbst ergeben sich Hinweise darauf, dass die Ausnahme lediglich der Bewältigung von jahreszeitlichen Schwankungen diene. Ein derart überschießender Ausschluss von sämtlichen arbeitszeitrechtlichen Schutzbestimmungen nur für diesen Zweck darf dem Gesetzgeber wohl auch nicht unterstellt werden. Die Aufrechterhaltung eines „normalen Schulbetriebes“ wäre mit dem AZG wohl problemlos vereinbar. Ein Lösungsansatz wäre etwa, die Lehrkräfte entsprechend dem jahresdurchschnittlichen Arbeitsaufkommens als Teilzeitkräfte zu beschäftigen. § 19d Abs 2 AZG würde dann erlauben, im Vorhinein eine ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit zu vereinbaren, die der jeweiligen Arbeitsbelastung während des Semesters bzw während der Ferien entspricht. Warum ausschließlich (!) die schwankende Arbeitsbelastung zudem noch den Ausschluss der AN von Ruhepausen, Arbeitszeithöchstgrenzen, und durch die gleichlautende Ausnahme in § 1 Abs 2 Z 4 ARG sogar den Ausschluss von der Wochenendruhe rechtfertigen soll, ist nicht ersichtlich. Tatsächlich wird der Zweck des Ausnahmetatbestandes daher darin zu sehen sein, den vielfältigen, zeitlich nicht immer planbaren Aufgaben Rechnung zu tragen, die mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen einhergehen.

2.2.
Uneingeschränkt alternatives Verständnis?

Folgerichtig schließt der OGH daher aus seinen Überlegungen, dass der sachliche Ausnahmebedarf in gleichem Maße auch dann besteht, wenn von dem/der AN keine Unterrichts-, sondern nur Erziehungstätigkeiten wahrgenommen wurden, der Z 6 also (für den Anlassfall) ein alternatives Verständnis zugrunde zu legen ist. Eine folgenschwere Fehlinterpretation der E wäre es mE jedoch, diese prägnant formulierte Conclusio der ausführlichen Erwägungen des Gerichts als generell extensive Auslegungslinie des gegenständlichen Ausnahmetatbestandes zu lesen (so andeutungsweise Heilegger in ihrer Anm in DRdA-infas 2015/63). Durch die besondere Betonung des Zwecks der Ausnahme wird deutlich, dass die Z 6 letztlich eben nicht (uneingeschränkt) alternativ zu verstehen ist. Zwar ist die Ausnahme im Hinblick auf ihren telos auch auf reine Erziehungsanstalten anzuwenden. Auch Privatschulen sowie andere Unterrichts- und Erziehungsanstalten im kumulativen Sinne fallen, wie auch bisher einhellig vertreten, unter die Ausnahme. Nach wie vor unbeschränkt anwendbar ist das AZG aber auf Lehrkräfte von „reinen Unterrichtsanstalten“, also Schulen ohne jede erzieherische Zielsetzung wie etwa Fahr-, Tanz- oder Reitschulen oder Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Der vom OGH herausgearbeitete und mehrfach betonte Normzweck ist bei diesen Einrichtungen von keiner Relevanz.

3.
Unionsrechtliche Überlegungen

Die meisten Ausnahmetatbestände im AZG führen für die betroffenen AN nicht zum völligen Verlust des arbeitszeitrechtlichen Schutzes, sondern lediglich zur Anwendbarkeit speziellerer Normen, die andere (wenn auch meist niedrigere) Schutzstandards gewähren. Anderes gilt jedoch für Lehr- und Erziehungskräfte iSd § 1 Abs 2 Z 6 AZG, deren Arbeitszeiten mangels anderer gesetzlicher Regelungen bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit völlig der Disposition der Parteien obliegen. Oftmals – und so auch im Anlassfall – wird zwar im Wege der Anwendbarkeit eines KollV ein annähernd adäquates Schutzniveau erreicht werden, dennoch erscheint es höchst zweifelhaft, ob eine so weitreichende Ausnahme auf gesetzlicher Ebene im Hinblick auf das Unionsrecht, konkret die RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (kurz: AZ-RL) zulässig sein kann.

Die AZ-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, zur Wahrung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeitszeitgestaltung gewisse Mindeststandards festzusetzen, etwa ein Recht auf Ruhepausen sowie tägliche und wöchentliche Ruhezeiten, eine wöchentliche Höchstarbeitszeit oder Bestimmungen zum Schutz vor den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Nachtarbeit. Nach den Bestimmungen des Kapitels 5 der RL sind bestimmte Abweichungen und Ausnahmen von den verbrieften Mindeststandards zwar zulässig, je nach Berufsgruppe reichen die Abweichungsmöglichkeiten aber unterschiedlich weit und unterliegen zudem bestimmten Begleiterfordernissen. Die Ausnahmeregelung des § 1 Abs 2 Z 6 AZG ließe sich noch am ehesten in Art 17 Abs 3 lit c der AZ-RL verorten, der Abweichungen von einzelnen Bestimmungen der RL (etwa jenen zur täglichen und wöchentlichen Ruhezeit) bei solchen Tätigkeiten zulässt, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kontinuität des Dienstes oder der Produktion gewährleistet sein muss. Als Beispiele nennt die RL etwa Aufnahme-, Behandlungs- und Pflegedienste279 in Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen, aber auch Tätigkeiten in Heimen, sodass gewiss auch etwa sozialpädagogische Wohngemeinschaften diesem Tatbestand zuzuzählen wären. Die viel zu weitreichende Ausnahme aller Lehr- und Erziehungskräfte in Unterrichts- und Erziehungsanstalten aus dem gesamten nationalen Arbeitszeitrecht vermag die Bestimmung aber nicht zu tragen. Zum einen ermöglicht Art 17 Abs 3 AZ-RL nur die Abweichung von bestimmten Vorschriften, sodass etwa Art 6 der RL, der Grenzen für die wöchentliche Höchstarbeitszeit vorsieht, uneingeschränkt anwendbar wäre. Zum anderen sind Abweichungen gem § 17 Abs 2 AZ-RL nur zulässig, sofern die betroffenen AN gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung gleichwertiger Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten. Dem wird die derzeitige Rechtslage freilich nicht gerecht. Auf die in der Lehre schon mehrfach aufgezeigte Unionsrechtswidrigkeit des § 1 Abs 2 Z 6 AZG kann daher nur nochmals aufmerksam gemacht werden (vgl etwa Wolfsgruber in

Resch
, Arbeitszeitrecht [2002] 82; Risak in
Resch
, Das neue Arbeitszeitrecht [2008] 23; Binder/Brunner/Szymanski, AZG § 1 Anm 38 ua).

Für die E des OGH konnten diese Erwägungen aber ohne Einfluss bleiben. Da eine unmittelbare Anwendung der RL ausscheidet, könnte sie nur im Wege der richtlinienkonformen Interpretation Berücksichtigung finden. Auch hierbei bildet die Grenze für den Auslegungsspielraum aber der äußerste Wortsinn (vgl bspw Schauer in

Kletečka/Schauer
, ABGB-ON1.01 § 6 Rz 8). Von diesem wäre zwar durchaus auch ein kumulatives Verständnis der Z 6 umfasst, eine solche Auslegung würde aber nur für den Einzelfall eine Kollision mit dem Unionsrecht vermeiden. Ein wirklich richtlinienkonformer Rechtszustand ließe sich aber auch durch diese dem Normzweck widersprechende Differenzierung nicht erreichen. Hierfür müsste man den Ausnahmetatbestand contra legem unangewendet lassen.