BMASK (Hrsg)
Johann Bacher/Julius Braun/Simon Burtscher-Mathis/Cornelia Dlabaja/Thomas Lankmayer/Heinz Leitgöb/Martina Stadlmayr/Dennis TamesbergerUnterstützung der arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe „NEET“ – Endbericht der 2. Arbeitsgruppe zur Neugestaltung des Invaliditätsrechts September 2012- Juni 2013 – Studie von ISW, IBE und JKU im Auftrag des BMASK

Verlag des ÖGB, Wien 2014, 612 Seiten, € 34,– kostenloser download: www.studienreihe.at

WALTERSCHERRER (SALZBURG)

Jene Jugendlichen, die nicht in Beschäftigung stehen, keine Schule besuchen und auch nicht an Schulungsprogrammen teilnehmen, werden mit dem Begriff NEET („not in employment, education or training“) zusammengefasst. Sie bilden eine Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt, die sich mit den gebräuchlichen Arbeitsmarktkategorien nicht beschreiben lässt: Es handelt sich um Jugendliche, die weder als beschäftigt noch als arbeitslos noch als in Schulung befindlich erfasst werden, da sie weder an einer Ausbildung teilnehmen noch am Arbeitsmarkt aktiv sind. Das Auftreten des NEET-Phänomens in einem Land weist auf Schwierigkeiten beim Übergang vom Bildungs- in das Arbeitsmarktsystem hin, die individuelle Belastungen bei den Betroffenen und erhebliche volkswirtschaftliche Kosten nach sich ziehen. Der Umfang der NEET-Gruppe wird von internationalen Organisationen wie der OECD, der ILO und der EU als Indikator für die soziale Ausgrenzung Jugendlicher verwendet.

Vor diesem Hintergrund zeichnet die im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz erstellte Studie in drei Teilberichten ein umfassendes und differenziertes Bild des NEET-Phänomens in Österreich. Im ersten Teilbericht werden zunächst das Konzept und der internationale Forschungsstand zu NEET dargestellt. Die für internationale Vergleiche maßgebliche NEET-Definition der Europäischen Kommission bezieht sich auf Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren, die noch nicht beschäftigt sind und in den letzten vier Wochen keiner (Aus-)Bildung oder Schulung nachgegangen sind (Datenbasis: Europäischer Labour Force Survey). Die NEET-Rate errechnet sich als Anteil der NEET-Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung derselben Altersgruppe. Die Vorzüge dieses Indikators bestehen darin, dass er das Ausmaß der Desintegration von Jugendlichen im Bildungs- und Beschäftigungssystem aufzeigt und auf mögliche Lücken im Jugendauffangnetz hinweist.

Es folgt eine umfang- und detailreiche und sehr aufschlussreiche quantitative Analyse, die im Wesentlichen auf der Grundlage von Mikrozensus-Daten durchgeführt wird. In Österreich gehörten in den Untersuchungsjahren 2006 bis 2011 durchschnittlich rund 78.000 Personen im Alter von 16 bis 24 Jahre zur Gruppe der NEET, was einem Anteil von durchschnittlich 8,6 % an der gesamten Alterskohorte entspricht (2009 und 2010: rund 9 %, in den anderen Jahren jeweils unter 8 %). Knapp die Hälfte der NEET-Jugendlichen sucht eine Arbeit, jede/r Zehnte ist in einer „Warteposition“ (hat entweder eine Beschäftigungszusage oder plant eine Ausbildung), knapp ein Viertel ist nicht auf Arbeitssuche, hat aber einen Arbeitswunsch. Schließlich sucht ein weiteres knappes Viertel der NEET-Jugendlichen keine Arbeit und hat auch keinen Arbeitswunsch.

NEET-Jugendliche sind häufiger im Ausland geboren, leben häufiger in Städten, und ihre Eltern verfügen über geringere Bildung als dies bei Nicht-NEET-Jugendlichen der Fall ist. Wien weist im Untersuchungszeitraum mit 12,2 % die höchste NEET-Rate unter den Bundesländern auf – dort leben überdurchschnittlich viele Jugendliche mit Migrationshintergrund aus niedrigeren Bildungsschichten und mit frühem Schulabbruch. Knapp 40 % der NEET-Jugendlichen sind ein Jahr oder länger durchgehend in einer NEET-Situation; dieser Anteil ist mit 47 % bei jungen Frauen höher als mit 27 % bei jungen Männern. Der Ausstieg aus der NEET-Situation wird bei weiblichen Jugendlichen durch Betreuungspflichten und bei männlichen durch Krankheiten erschwert; bei beiden Gruppen ist darüber hinaus ein früher Schulabgang ein entscheidendes Hemmnis für das Verlassen des NEET-Status.

Im zweiten Teilbericht – dem qualitativen Untersuchungsteil – werden anhand von 20 Gesprächen und 80 teilstandardisierten Interviews mit Jugendlichen, die sich in verschiedenartigen NEET-Situationen befinden, fünf Typen von NEETs herausgearbeitet. Der erste Typ umfasst Jugendliche, die versuchen, den NEET-Status aktiv zu überwinden; darunter fallen insb Arbeitslose. Der zweite Typ umfasst Jugendliche „jenseits der Leistungsnorm“, die aufgrund von physischen Beeinträchtigungen oder psychisch-sozialen Problemen nicht in der Lage sind, auf dem ersten Arbeitsmarkt einer Beschäftigung nachzugehen. Der dritte Typ umfasst Personen mit Betreuungspflichten und damit insb junge Mütter, von denen sich viele vor Eintritt der Schwangerschaft gar nicht in einer NEET-Situation befunden haben. Der vierte Typ ist durch die Suche nach beruflicher Orientierung und Identität gekennzeichnet, während der fünfte Typ die „Arbeitsmarktinaktiven“ umfasst. Diese Typologisierung erleichtert das Verstehen des Phänomens NEET und soll Ansatzpunkte für mögliche Politikmaßnahmen identifizieren helfen.

Aus den Befragungen werden ua folgende Risikofaktoren für den Eintritt von NEET hergeleitet: die soziale Herkunft und der familiäre Hintergrund des bzw der Jugendlichen, individuelle Risikofaktoren (zB Migrationshintergrund, Krankheit, Betreuungspflichten), Verhaltens- und Persönlichkeitsfaktoren (zB Gewaltbereitschaft, Suchtprobleme), Bildungsbiografie und Bildungsoutcome (zB Schulabbruch), die Beschäftigungsart und strukturelle Faktoren (zB atypische Beschäftigung), sowie die Nichterfüllung gesellschaftlicher Wertvorstellungen (zB Leistungsnormen). Diese293 Typologie ist nicht deckungsgleich mit der im quantitativen Teilbericht entwickelten Typologie, eine Einschätzung des quantitativen Umfangs der in der qualitativen Untersuchung hergeleiteten Typen ist daher kaum möglich.

Der quantitative und der qualitative Teilbericht bilden zusammen den Großteil des Buches; die beiden Teilberichte ergänzen einander, sind aber inhaltlich kaum miteinander verwoben. Im dritten Teilbericht werden schließlich Handlungsempfehlungen abgeleitet, die in einem abschließenden „Maßnahmenworkshop“ mit ExpertInnen diskutiert wurden. Auch wenn Österreich unter den EU-Mitgliedsländern die viertniedrigste NEET-Rate aufweist, zeigt die Studie doch, dass präventive Maßnahmen im Schulbereich, Interventionen beim Übergang von der Schule in das Berufsleben und Reintegrationsmaßnahmen erforderlich sind, um ein Ansteigen der NEET-Rate und die damit verbundenen individuellen Belastungen und volkswirtschaftlichen Kosten zu vermeiden. Die vorliegende Studie liefert interessante Ergebnisse und bereitet wesentliche Grundlagen für die Entwicklung entsprechender Strategien und Maßnahmen auf.