Fuchs/MarholdEuropäisches Arbeitsrecht

4. Auflage, Verlag Österreich, Wien 2014 600 Seiten, gebunden, € 99,–

BARBARASALASCH (WIEN)

Rund vier Jahre nach der Veröffentlichung der dritten Auflage ist das schon bisher bewährte Handbuch „Europäisches Arbeitsrecht“ im Juli 2014 in seiner vierten Auflage erschienen. Durch die zwischenzeitlich erfolgte Übernahme des rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Programms des Springer-Verlags durch den Verlag Österreich wird das Handbuch nunmehr im Verlag Österreich herausgegeben und ist umfangmäßig deutlich um weitere 125 Seiten angewachsen.

Wenn auch in der Vorauflage die Änderungen des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), welche beide mit 1.12.2009 in Kraft traten, bereits berücksichtigt wurden, so wurden deren Auswirkungen erst nach und nach sichtbar. Eine nicht unbeachtliche Anzahl an neuen Gerichtsentscheidungen ist seitdem ergangen. Ebenso zahlreich und differenziert setzte sich die Wissenschaft und Lehre mit den Änderungen auseinander. In der Neuauflage des Handbuchs wurden daher in der Zwischenzeit ergangene Entscheidungen des EuGH sowie aktuelles Schrifttum umfassend eingearbeitet. Der Tatsache, dass durch den Vertrag von Lissabon die Charta der Grundrechte der EU Rechtsverbindlichkeit erlangte, indem sie durch Art 6 Abs 1 EUV als rechtlich gleichrangig mit den Gründungsverträgen erklärt wurde, wird bei der Beleuchtung der Judikatur und wissenschaftlichen Auseinandersetzung in der Neuauflage entsprechend Rechnung getragen.

Anpassungen waren auch im Bereich des Kollisionsrechts erforderlich, da mit 10.1.2015 eine Neufassung der EuGVVO – Verordnung (EU) 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – in Kraft trat, welche neben einer Neunummerierung der Artikel eine Erweiterung des gerichtlichen Zuständigkeitsbereichs der Mitgliedstaaten betreffend drittstaatsangehörige AG bewirkte.

Das Handbuch ist in drei Teile gegliedert: einleitend Funktion und Aufgabe des Europäischen Arbeitsrechts, daran anschließend Regelungsbereiche des Europäischen Arbeitsrechts (untergliedert in das Recht der Freizügigkeit der AN, Individualarbeitsrecht, kollektives Arbeitsrecht sowie Arbeitsschutzrecht), und abschließend als dritter Teil Europäisches Arbeitskollisionsrecht.

Im ersten Teil des Buchs werden neben historischen Hintergründen die Entwicklungen von einem rein wettbewerbspolitisch motivierten Europäischen Arbeitsrecht hin zu sozialen Grundrechten sowie der Einfluss der europäischen Beschäftigungs-, Wirtschaftsund Stabilitätspolitik auf das Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten – dies vor allem unter Berücksichtigung der Aspekte der Bewältigung der Finanzkrise der letzten Jahre – beleuchtet.

Ein Schwerpunkt bei der Darstellung der Regelungsbereiche wird zunächst auf das Recht der Freizügigkeit der AN gelegt, wobei die Neuauflage des Handbuchs der VO (EU) 492/2011 über die Freizügigkeit der AN innerhalb der EU Rechnung trägt, welche die bisherige VO (EWG) 1612/68 ablöste.

Ein zentraler Aspekt der Freizügigkeit ist das Gebot der Gleichbehandlung bzw das darin enthaltene Verbot der unmittelbaren sowie mittelbaren Diskriminierung, welche laut Art 7 Abs 4 Freizügigkeits-VO nicht nur für staatliche Regelungen zu beachten ist, sondern auch in Tarif- bzw Kollektiv- und Einzelverträgen. In zahlreichen Fällen hatte der EuGH bisher Regelungen, die die Anrechnung von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Beschäftigungszeiten ausschlossen, für unionsrechtswidrig erklärt. Das Handbuch geht in der Neuauflage in diesem Zusammenhang besonders auf die Rs Zentralbetriebsrat Salzburger Landeskliniken (EuGH 5.12.2013, C-514/12) ein. Das Salzburger L-VBG beschränkte die Vordienstzeitenanrechnung für in- und ausländische Zeiten gleichermaßen. Alle Vordienstzeiten, die über drei bzw sieben Jahre (bei höheren Diensten) hinausgingen, fanden nicht mehr zu 100 %, sondern nur zu 60 % Berücksichtigung. Laut EuGH sei auch solch eine Regelung geeignet, die Mobilität der AN zu verhindern, indem die bereits beim Land Salzburg beschäftigten AN davon abgehalten würden, vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Die Bestimmung würde sich daher nicht nur stärker auf Wander-AN als auf inländische AN auswirken. Der Verhältnismäßigkeitsprüfung hielt die Regelung ebenfalls nicht stand. Da Beschränkungen der Anrechnung von Vordienstzeiten bei Vorliegen von europarechtsweiten Sachverhalten unter Bedachtnahme auf gleichwertige Tätigkeiten in anderen Mitgliedstaaten somit rechtswidrig sein können – selbst wenn die Regelung für in- und ausländische Zeiten gleichermaßen gilt –, ist anzunehmen, dass weitere einschlägige Judikatur dazu folgen wird.

Besonders anschaulich werden die Auswirkungen der europarechtlichen Vorgaben im Kapitel zum Indivi-294dualarbeitsrecht aufgezeigt. Neben dem großen Kapitel zum Antidiskriminierungsrecht werden die Richtlinien zu den Bereichen Nachweis des Arbeitsvertragsinhalts, Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverträge, Schutz der Leih-AN sowie AN-Schutz in Fällen von Insolvenz, Massenentlassung und Betriebsübergang behandelt.

Für den praktischen Rechtsanwender von besonderer Bedeutung sind die zum Urlaubsrecht ergangenen EuGH-Erkenntnisse, deren Folgen sowohl die österreichischen als auch die deutschen Gerichte weiter beschäftigt haben. Während die Auswirkungen auf die deutsche Rsp betreffend Verfallsregelungen von während längerer Krankenstände erworbenen Urlaubsansprüche ausführlich dargestellt werden (EuGH 20.1.2009, C-350/06, Schultz-Hoff; EuGH 20.1.2009, C-520/06, Stringer; EuGH 10.9.2009, C-277/08, Pereda; EuGH 22.11.2011, C-214/10, KHS; EuGH 21.6.2012, C-78/11, ANGED), wird die E EuGH 22.4.2010, C-486/08, Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, nur kurz angeführt. Darin setzte sich das Gericht mit der Frage der Auswirkungen auf den Urlaubsanspruch bei Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit auseinander. Im Handbuch unerwähnt bleibt die zweite diesbezüglich einschlägige E des EuGH (EuGH 13.6.2013, C-415/12, Brandes), in der dieser nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss entschied und die in der Rs Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols aufgestellten Grundsätze bestätigte. Das einschlägige Unionsrecht, insb die Teilzeit-Rahmenvereinbarung, sei dahingehend auszulegen, „dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht“.

Die beiden letztgenannten Entscheidungen warfen die Frage nach der weiteren Zulässigkeit der bis dato unstrittigen Vorgangsweise der unter kalenderwochenerhaltend erfolgenden Umrechnung beim Wechsel zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung auf. Der OGH stellte mittlerweile in drei Erkenntnissen (OGH 24.10.2012, 8 ObA 35/12y; OGH 22.7.2014, 9 ObA 20/14b; OGH 19.12.2014, 8 ObA 80/14v) mE vollkommen zutreffend klar, dass dem Urlaubsrecht nach UrlG (kalendarischer Urlaubsbegriff) und dem in den EuGH-Vorlagefällen anzuwendenden Urlaubsregelungen (nach VBG bzw freistellungsorientierter in Stunden ausgedrückter Urlaubsanspruch) zwei unterschiedliche Urlaubssysteme zu Grunde liegen. In Urlaubssystemen, die den Urlaubsanspruch in Arbeitsstunden oder Arbeitstagen festlegen, könne dieser nach Ablauf des Urlaubsjahres nicht mehr reduziert werden. Laut Ausführungen des OGH in 9 ObA 20/14bhält dieser zusammenfassend fest, dass das UrlG aber – anders als in den bisher vom EuGH entschiedenen Fällen – klar von einem grundsätzlich in ganzen Wochen zu verbrauchenden „kalendarischen“ Urlaubsanspruch iS eines Erholungszeitraums ausgehe, dies völlig unabhängig vom jeweils bestehenden Arbeitszeitausmaß.

Im Anschluss an die Darstellung des Individualarbeitsrechts befassen sich die Ausführungen zum kollektiven Arbeitsrecht mit der Frage nach der sozialpartnerschaftlichen Gestaltung der Arbeitsbeziehungen im Lichte des europäischen Regelungskontexts sowie mit der Beteiligung der Arbeitnehmerschaft an unternehmerischen Entscheidungen. Schließlich kommen auch das Koalitions- und Arbeitskampfrecht und das Arbeitsschutzrecht in der Gesamtdarstellung nicht zu kurz.

Im letzten Teil wird auf rund 40 Seiten ein kurzer Überblick über das Europäische Arbeitskollisionsrecht (EuGVVO neu, Rom I-VO, RL 96/71/EG über die Entsendung von AN im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen) geboten.

Das Buch zeichnet sich ua dadurch aus, dass die EuGH-Entscheidungen nicht nur in Fußnoten zitiert, sondern an den jeweils passenden Stellen als illustrierende Beispiele in den Text eingearbeitet sind, um die Regelungen unter Praxisbezug zu veranschaulichen. Zur leichteren Lesbarkeit und Übersicht sind die Textpassagen der Zitate der EuGH-Entscheidungen leicht eingerückt und in etwas kleinerer Schrift gesetzt. Ein übersichtlich und gut strukturierter Aufbau in Kombination mit dem im Anhang befindlichen EuGH-Entscheidungsregister sowie einem Schlagwortverzeichnis ermöglichen darüber hinaus ein rasches Auffinden beim Nachschlagen von Entscheidungen.

Wünschenswert wäre, in einer künftigen Neuauflage zusätzlich zu den bestehenden Verzeichnissen auch ein überblicksartiges Register der im Handbuch behandelten Richtlinien samt Verweisen auf die jeweiligen Seitenzahlen aufzunehmen.

Zu Beginn jedes größeren Kapitels sowie bei thematisch eigenständigen Unterkapiteln findet der Leser vorab eine ausführliche Literaturdarstellung zum weiterführenden Schrifttum, welches im nachfolgenden Kapitel zitiert wird. Überwiegend wird auf Literatur aus Österreich und Deutschland hingewiesen, sowie sich auch im Handbuch – korrespondierend zum österreichisch-deutschen Autorenduo – immer wieder Bezugnahmen auf österreichische und deutsche Regelungen finden. Ergänzend wird zusätzlich vereinzelt auf englisch-, italienisch- und französischsprachige Literatur verwiesen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich das Handbuch durch eine umfassende Darstellung des Europäischen Arbeitsrechts in seiner Gesamtheit auszeichnet und dabei zahlreiche Details unter laufender Einbeziehung von EuGH-Entscheidungen sowie innerstaatlichen Regelungen erörtert. Weiters gibt ein gut gegliederter Aufbau dem Werk trotz der Fülle der behandelten Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen eine übersichtliche Struktur. Das Handbuch eignet sich somit nicht nur als Lehrbuch für Studierende, sondern darüber hinaus auch für Praktiker als solides Nachschlagewerk, da es den Autoren gelingt, die komplexe Materie gut verständlich und nachvollziehbar abzubilden. Durch die Neuauflage wurde das Buch wieder auf den aktuellen Stand gebracht. Besonders die Auswirkungen des AEUV und der Gleichstellung der Grundrechtecharta mit dem EUV und dem AEUV, welche sich in den letzten Jahren vor allem durch Konkretisierungen in Form von Entscheidungen des EuGH deutlicher gezeigt haben, werden eingehend analysiert.295