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Betriebsbegriff – Betriebsstättenstandort

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)
  1. Für die Beurteilung eines Betriebsstättenstandortes als einheitlicher Betrieb ist es unbeachtlich, ob einzelne dort angesiedelte Abteilungen ein ausreichendes Maß an Selbständigkeit und ein einheitliches, abgeschlossenes und von anderen Betriebsvorgängen unabhängiges Arbeitsergebnis aufweisen.

  2. Sind die verschiedenartigen Funktionen mit völlig unterschiedlicher Selbständigkeit und Abhängigkeit von der Zentrale ausgestattet und verfolgen sie unterschiedliche Aufgabenstellungen, dann kann für den Standort in seiner Gesamtheit weder von einer einheitlichen Organisation noch von einem einheitlichen Betriebszweck gesprochen werden.

  3. Ein Betrieb liegt nicht vor, wenn ein die unterschiedlichen Bereiche an einem Standort umfassendes eigenständiges Arbeitsergebnis mangels struktureller Verbindung dieser Bereiche nicht erzielt werden kann und keine Standortleitung besteht, unter der ein einheitlicher Betriebszweck verfolgt wird.

Die Kl ist ein Unternehmen mit Sitz in Wien. Sie ist Abfüllerin von alkoholfreien Getränken in Österreich. Die Herstellung der Produkte erfolgt in einer einzigen Produktionsstätte in Niederösterreich. Die Kl hat fünf Zweigniederlassungen, und zwar in Asten, Graz, Innsbruck, Salzburg und Klagenfurt. Am Standort Klagenfurt fand am 10.4.2013 eine Betriebsratswahl statt, an der 33 DN in Klagenfurt wahlberechtigt waren.

Im Unternehmen der Kl ist der Bereich Verkauf in die Sparten Handel und Gastronomie gegliedert. [...] Die Sparte Handel wird im Großen und Ganzen von Wien aus geleitet. [...] Die Sparte Gastronomie wird vom nationalen Verkaufsleiter geführt. Diesem unterstehen vier Regionen in Österreich mit jeweils einem Geschäftsleiter. Die Region Süd umfasst Kärnten, Osttirol, Steiermark und das südliche Burgenland mit den beiden Zweigniederlassungen in Klagenfurt und Graz.

Die Zweigniederlassung in Klagenfurt war im Zeitpunkt der Betriebsratswahl am 10.4.2013 in die drei Bereiche (Abteilungen) Verkauf, bestehend aus den beiden Sparten Handel und Gastronomie, Distribution und Technischer Service gegliedert. Für die Zweigniederlassungen in Klagenfurt und Graz ist der Prokurist W. R. selbständig vertretungsbefugt. Er ist Leiter des IC-Bereichs (Gastronomie) für die Region Süd. Ihm sind in dieser Region insgesamt drei Gebietsverkaufsleiter direkt unterstellt, einer davon in der Niederlassung in Klagenfurt, mit sechs Kundenberatern. [...]

Der Gebietsverkaufsleiter am Standort Klagenfurt hat jährlich einen Sales Operating-Plan festzulegen, den er mit seinem Vorgesetzten abstimmt und der diesen an seinen Vorgesetzten, den nationalen Verkaufsleiter, zur Genehmigung vorlegt. Inhalt dieses Plans sind die Distributionsziele, Programmumsetzungen, Aktivierungen, Eventplanungen sowie Kundenvereinbarungen. Die Zentrale in Wien legt sämtliche Budgets für die vier Regionen in Österreich fest. Lediglich im Marketingbereich gibt es an den einzelnen Standorten noch ein eigenes Budget. [...] Für alle anderen Events wird von der Zentrale für den jeweiligen Standort ein eigenes Budget festgelegt, über das der jeweilige Gebietsverkaufsleiter verfügungsberechtigt ist. Dieses Eventbudget betrug im letzten Jahr für die Zweigniederlassung in Klagenfurt 30.000 €. Events, bei welchen die Kl Einkünfte lukrieren kann, können vom Gebietsverkaufsleiter eigenverantwortlich vereinbart und durchgeführt werden. Der Einkauf im Unternehmen der Kl wird von einer eigenen Abteilung mit Unterstützung der Rechtsabteilung durchgeführt, wobei der gesamte Beschaffungsprozess in der Zentrale in Wien, teilweise auch überregional, verhandelt wird. [...]

Die Abteilung Technischer Service in Klagenfurt besteht aus einem Abteilungsleiter und vier weiteren DN. Dem Abteilungsleiter übergeordnet ist der technische Leiter in der Zentrale in Wien. Die Abteilung Technischer Service ist für die Durchführung von Reparaturen und technischen Serviceleistungen bei Kunden zuständig. [...] Kann ein Auftrag nicht von den eigenen Mitarbeitern durchgeführt werden, ist der Abteilungsleiter befugt, ein externes Unternehmen damit zu betrauen. [...] Der Abteilungsleiter arbeitet dabei mit bestimmten Unternehmen zusammen. Mit diesen gibt es eine Rahmenvereinbarung, welche von ihm und seinem Vorgesetzten in Wien ausverhandelt wurde. Innerhalb des ihm vorgegebenen Budgetrahmens von ca 40.000 € kann der Abteilungsleiter ohne Rücksprache mit seinem Vorgesetzten Aufträge an externe Unternehmen vergeben. [...] Waren bis zu einem Wert von 200 € kann der Leiter der Abteilung Technischer Service ohne Rücksprache mit dem Vorgesetzten auch bei einem anderen Unternehmen kaufen. [...] Der Abteilungsleiter ist berechtigt, Überstunden für seine Mitarbeiter anzuordnen und zu genehmigen. Er kann auch Urlaubsvereinbarungen abschließen.

In der Zweigniederlassung der Kl in Klagenfurt gab es bis 30.6.2013 eine Abteilung für Distribution mit insgesamt sechs Mitarbeitern, denen ebenfalls ein Abteilungsleiter vorstand. Dieser konnte mit seinen Mitarbeitern Urlaubs- und Zeitausgleichsvereinbarungen treffen. [...]

Die Personalangelegenheiten der Kl werden grundsätzlich von der Personalabteilung in der Zentrale in Wien abgewickelt. Diese erstellt auch den Personalplan. Die Stellenausschreibungen erfolgen ebenfalls durch diese Abteilung. Die Personalabteilung nimmt eine Vorselektion der Bewerber vor und führt mit den verbleibenden Anwärtern ein Telefoninterview. Die Personalabteilung und der zuständige Abteilungsleiter am jeweiligen Standort führen dann ein persönliches Gespräch mit den in Betracht kommenden Bewerbern. Die endgültige Entscheidung über eine Aufnahme im Bereich243 Technischer Service am Standort Klagenfurt erfolgt dann in Absprache zwischen dem technischen Leiter vor Ort und dessen vorgesetzten technischen Leiter in Wien. Die Auflösung von Dienstverhältnissen durch die Kl erfolgt durch die Personalabteilung, wobei dem Leiter der jeweiligen Abteilung die Aufgabe zukommt, mit dem Mitarbeiter im Vorfeld ein Gespräch zu suchen und ihm ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten. Disziplinär unterstehen die DN dem jeweiligen Abteilungsleiter, der bei Fehlverhalten Ermahnungen aussprechen kann. Das offizielle Verwarnungsschreiben wird nach Rücksprache von der Personalabteilung verfasst.

Die Kl ficht die am 10.4.2013 am Standort Klagenfurt durchgeführte Betriebsratswahl an und begehrt diese für ungültig zu erklären. [...]

Der bekl BR [...] beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die einzelnen Bereichsleiter in der Zweigniederlassung Klagenfurt innerhalb vorgegebener Richtlinien entscheiden könnten, über eigenes Pouvoir und Budget verfügten und für das ihnen unterstellte Personal verantwortlich seien.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. [...] Der Niederlassung in Klagenfurt komme [...] auch unter Berücksichtigung der räumlichen Entfernung zur Zentrale in Wien ein so hohes Maß an Selbständigkeit zu, dass von einem Betrieb iSd § 34 ArbVG auszugehen sei. Der Umstand, dass bestimmte administrative, kaufmännische und wirtschaftliche Agenden, sowie insb die Personalangelegenheiten von der Zentrale in Wien aus geführt würden, vermöge die organisatorische Einheitlichkeit nicht entscheidend zu beeinträchtigen.

In ihrer dagegen aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Kl die Abänderung des Berufungsurteils iS einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. [...]

Die Revision der Kl ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 59 Abs 2 ArbVG ist (auch) der Betriebsinhaber (BI) zur Anfechtung der Betriebsratswahl insb dann berechtigt, wenn die Wahl ihrer Art nach nicht durchzuführen gewesen wäre (RIS Justiz RS0051108). Dies ist ua dann der Fall, wenn ein BR für eine Abteilung oder eine sonstige Arbeitsstätte gewählt wurde, die nicht als selbständiger Betrieb (§§ 34, 134, 134b ArbVG) oder als gleichgestellter Betrieb (§ 35 ArbVG) zu betrachten ist (Kallab in ZellKomm2 § 59 ArbVG Rz 28; Schneller in

Cerny/Gahleitner/Kundter/Preiss/Schneller
, ArbVG II4 § 59, 469).

2. [...] In der „organisatorischen Einheit“ muss die Einheit des BI, des Betriebszwecks und der Organisation zum Ausdruck kommen. Dieser Einheit muss also ein gewisses Mindestmaß an Selbständigkeit, insb in technischer Hinsicht, eingeräumt sein, und auch dem Ergebnis des Arbeitsvorgangs dieser Einheit muss eine wenn auch beschränkte Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit von anderen Betriebsvorgängen eigen sein (RIS Justiz RS0051107). Wichtig ist vor allem, dass ein in sich geschlossenes Arbeitsverfahren vorliegt, das Arbeitsergebnis für sich allein bestehen kann und nicht nur ein Hilfs- oder Ergänzungsbetrieb anderer Teile eines Unternehmens vorliegen (Jabornegg/Naderhirn/Trost, Die Betriebsratswahl6 37; Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 34 Rz 10). Die für den Betriebsbegriff zu verlangende organisatorisch technische Einheit wird nicht entscheidend beeinträchtigt, wenn bestimmte administrative, kaufmännische oder wirtschaftliche Agenden für eine Reihe von Betriebsstellen in einer Zentrale gemeinsam geführt werden [...].

3. Für die Beurteilung eines Betriebsstättenstandortes als einheitlicher Betrieb wie hier ist es unbeachtlich, ob allenfalls einzelne dort angesiedelte Abteilungen ein ausreichendes Maß an Selbständigkeit und ein einheitliches, abgeschlossenes und von anderen Betriebsvorgängen unabhängiges Arbeitsergebnis aufweisen. Sind etwa die verschiedenartigen Funktionen mit völlig unterschiedlicher Selbständigkeit und Abhängigkeit von der Zentrale ausgestattet und verfolgen sie unterschiedliche Aufgabenstellungen, dann kann für den Standort in seiner Gesamtheit weder von einer einheitlichen Organisation noch von einem einheitlichen Betriebszweck gesprochen werden (8 ObA 276/97i; vgl auch 9 ObA 74/12s; Gahleitner in

Cerny/Gahleitner/Kundter/Preiss/Schneller
, ArbVG II3 § 34 Erl 2 [266]; Jabornegg/Naderhirn/Trost, Die Betriebsratswahl6 37).

4. Die Zweigniederlassung der Kl am Standort in Klagenfurt bestand zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl aus den drei Bereichen Verkauf, Distribution und Technischer Service. Dass diese schon von den Aufgabenstellungen unterschiedlichen Bereiche einen einheitlichen Betriebszweck verfolgten, lässt sich weder dem festgestellten Sachverhalt noch dem Vorbringen des Bekl entnehmen. Jeder Abteilung stand ein eigener Leiter vor, der ausschließlich für seinen Bereich und seine ihm unterstellten Mitarbeiter die Verantwortung hatte und der wiederum einen eigenen Vorgesetzten in der Zentrale in Wien hatte. Ein sämtliche drei Bereiche umfassendes eigenständiges Arbeitsergebnis dieses Standorts konnte mangels struktureller Verbindung dieser drei Bereiche nicht erzielt werden. Zudem gab es auch keinen „Standortleiter“, unter dessen Leitung allenfalls ein einheitlicher Betriebszweck verfolgt wurde. Die Vertretungsbefugnis nach außen (Prokura), die der Regionsleiter für die Zweigniederlassungen Klagenfurt und Graz innehatte, kann die fehlende organisatorische Einheit innerhalb der verschiedenen Bereiche am Standort Klagenfurt weder begründen noch ersetzen. Dazu kommt, dass alle wesentlichen, jedenfalls die Bereiche Verkauf und Technischer Service betreffenden, Agenden, wie etwa Budgeterstellung, Personalangelegenheiten, Vertragsvorgaben, Einkauf und Öffentlichkeitsarbeit zum weitaus überwiegenden Teil in der Zentrale in Wien wahrgenommen wurden. Der räumlichen Entfernung zwischen Wien und Klagenfurt kommt daher keine entscheidende Bedeutung mehr zu.

Entgegen der Ansicht des Revisionsgegners sind die den Entscheidungen 9 ObA 147/07v und 9 ObA 143/95 zugrunde liegenden Sachverhalte mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar.244 [...] Im Gegensatz dazu unterstehen die drei am Standort Klagenfurt bestehenden Bereiche keiner gemeinsamen übergeordneten Leitung. Hat jeder grundsätzlich selbständige (Teil-)Bereich eines Standorts nur einen jeweils eigenen Bereichsleiter und gibt es auch keinen gemeinsamen Standortleiter, der für die wesentlichen Belange aller Bereiche zuständig und verantwortlich ist, dann ist die Verfolgung eines einheitlichen Betriebszwecks des Standorts nicht ersichtlich.

Der Revision der Kl ist danach Folge zu geben und sowohl dem Feststellungsbegehren (§ 34 Abs 2 ArbVG) als auch dem auf Ungültigerklärung der Betriebsratswahl gerichteten Klagebegehren [...] stattzugeben.

ANMERKUNG

Die unspektakuläre, knapp begründete E ist im Ergebnis voll und in der Begründung durchwegs nachvollziehbar. Sie bewegt sich in den durch Rsp und Literatur vorgespurten Bahnen. Verwunderung löst da schon eher aus, dass die Unterinstanzen anders entschieden haben. Dafür könnte nicht nur eine andere Beurteilung des Sachverhalts verantwortlich sein. Vielleicht spielte im Hintergrund ein „heimliches“ und aus meiner Sicht gar nicht unsympathisches Verständnis für die Position der in Klagenfurt Beschäftigten eine Rolle.

Dogmatisch hat der OGH die Argumentation des bekl BR und der Unterinstanzen gnadenlos vernichtet. Umfassendere kritische Anmerkungen zur E sind somit nicht erforderlich. Eine ergänzende Kommentierung erscheint dennoch angebracht. Das Gericht hat die E angesichts der Eindeutigkeit der Rechtslage nur sehr kurz und etwas lustlos begründet, so dass einige Präzisierungen angebracht erscheinen. Zum anderen muss auf Schwächen des geltenden Betriebsbegriffs hingewiesen werden, die sich gerade an diesem Fall deutlich manifestieren.

1.
Bloße „Betriebsstättenstandorte“ sind kein Betrieb

Der E verdanken wir für eine nicht so seltene Fallgruppe eine Klarstellung (siehe schon OGH 16.10.1997, 8 ObA 276/97i): Des Pudels Kern beim vorliegenden Sachverhalt liegt darin, ob eine lose Agglomeration, eine weitgehend unverbundene örtliche Ansammlung von Arbeitsstätten, ein lokaler „Arbeitsstättencluster“, deren einzige Gemeinsamkeit das Unternehmen (der BI) und der Ort der Beschäftigung sind, als solcher Anerkennung als Betrieb gem § 34 ArbVG finden kann. Der OGH nennt ein solches Gebilde recht treffend „Betriebsstättenstandort“. Nicht überraschend stellt die E klar, dass die bloße räumliche Nähe von Arbeitsstätten, bei zersplitterten Arbeitsaufgaben, disparaten Produkten und Organisationsformen und fehlenden übergeordneten Leitungsfunktionen nicht ausreicht, auf der lokalen Ebene die Betriebseigenschaft iSd § 34 ArbVG zu begründen. Bei stark differenzierten, zersplitterten und fachlich diversifizierten betrieblichen Strukturen ist das keine gute Nachricht für die Belegschaften. Der aus der grauen Vorzeit der Betriebsverfassung (Jacobi, Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriff, in FS Ehrenberg [1927] 1 ff) stammende formale organisations- und produktionsfixierte („technische“) Betriebsbegriff des § 34 ArbVG lässt damit eine allenfalls auch effektivere und von den Beschäftigten gewünschte Organisation ihrer Vertretung nicht zu.

Im Mittelpunkt der Begründung steht die Frage nach einer einheitlichen, übergreifenden Leitung für die unterschiedlichen „Abteilungen“ am Standort Klagenfurt. Dass der OGH sein Kernargument (wörtlich: „Hat jeder grundsätzlich selbständige (Teil-) Bereich eines Standorts nur einen jeweils eigenen Bereichsleiter und gibt es auch keinen gemeinsamen Standortleiter ... dann ist die Verfolgung eines einheitlichen Betriebszwecks des Standorts nicht ersichtlich“) an Hand der beiden von der Bekl angeführten Entscheidungen entwickelt, ist schon deswegen nachvollziehbar, weil man die Berufung auf die Entscheidungen OGH 28.11.2007, 9 ObA 147/07v (Flugsicherungsstellen) und OGH 27.9.1995, 9 ObA 143/95 (Autobahnmeistereien) als „aufgelegten Elfer“ ansehen muss, der pragmatisch und trocken verwertet wurde. Generell sollte aber mit dem Kriterium der „Leitungsfunktionen“ sehr bedachtsam umgegangen werden. Zum einen ist dieser Faktor durch den BI leicht manipulierbar (Trümmer in

Däubler ua
, Betriebsverfassungsrecht4 § 4 Rz 45), zum anderen geht es dabei primär um Leitungsfunktionen in betriebstechnischer, arbeitsorganisatorischer und produktionsbezogener Hinsicht (vgl nur Windisch-Graetz in
Neumayr/Reissner
(Hrsg), ZellKomm2 § 34 ArbVG Rz 7), so dass der Hinweis des Gerichts auf das Fehlen eines „gemeinsamen Standortleiters“ etwas verkürzt erscheint. Wenn der OGH davon ausgeht, dass für die drei am Standort Klagenfurt bestehenden Bereiche keine gemeinsame übergeordnete Leitung besteht, so ist zur Vermeidung von voreiligen Verallgemeinerungen zu ergänzen, dass das Bestehen einer solchen Leitung nicht immer zu einem anderen Ergebnis führen muss. Der springende Punkt ist vielmehr, dass hier auch kein einheitlicher Betriebszweck und keine betrieblichstrukturellen Verbindungen und Vernetzungen zwischen den drei Bereichen bestehen. Selbst dann also, wenn die Leitungsbefugnisse anders organisiert wären, etwa die Personalagenden, die Arbeitszeitplanung und ein Controlling der Produktion für die drei Bereiche einem Büro in Klagenfurt überantwortet wären, könnte man auf der örtlichen Ebene wegen der bestehenden arbeitsorganisatorisch-produktionsbezogen selbständigen Arbeitsstätten von keinem Betrieb sprechen. Den wirklich entscheidenden Aspekt erwähnt das Gericht nur sehr beiläufig, dass nämlich „ein sämtliche drei Bereiche umfassendes eigenständiges Arbeitsergebnis dieses Standorts mangels struktureller Verbindung dieser drei Bereiche nicht erzielt werden kann“. Es ist daher ergänzend festzuhalten: Selbst übergreifende Leitungsfunktionen sind ohne Vorliegen eines Betriebes iSd klassisch-engen organisatorischen Deutung der hM und stRsp nicht geeignet, eine „gemeinsame“ Betriebsratswahl durchzuführen.245

Aber auch dann, wenn man stärker als die bisher für mich nur schwer nachvollziehbare herrschende österreichische Auslegung (zB OGH 27.9.1995, 9 ObA 143/95) auf die Kongruenz zwischen Kompetenzen der dezentralen Ebene und den Belegschaftsbefugnissen abstellt (eine Sichtweise, die sich in Deutschland gut etabliert hat (vgl etwa Richardi, MünchArbR I3 § 30 Rz 9), vor allem um ein Leerlaufen der Mitwirkungsrechte zu vermeiden, ergibt sich hier kein anderes Ergebnis: Eine lokale Ebene, die gegenüber den drei Klagenfurter Arbeitsstätten über irgendwelche Entscheidungskompetenzen verfügt, ist hier schlicht nicht existent.

2.
Entfernung von der Zentrale: ein doppelbödiges Kriterium

Die Entfernung der lokalen Arbeitsstätten von der Zentrale in Wien könnte für eine dezentrale Vertretung sprechen. Die Instanzgerichte haben idS den Faktor „Entfernung“ zugunsten der Betriebsratswahl angeführt. Der OGH hat zu Recht den gegenteiligen Standpunkt vertreten. Eine Erschwernis der Befugnisausübung durch Dislozierung spielt bei der Prüfung des Vorliegens eines Betriebes schon grundsätzlich eine sehr begrenzte Rolle. Das ergibt sich vor allem aus der Ausnahmeregelung des § 35 ArbVG, der für die Geltendmachung des Faktors der räumlichen Distanz bei „Fast-Betrieben“ sowohl ein Verfahren statuiert als auch eine Mindestzahl an Beschäftigten erfordert (Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht2 [2012] 524 f mwN). Dem Kriterium der Entfernung kommt darüber hinaus wohl nur dann eine gewisse Bedeutung zu, wenn es sich im Rahmen des beweglichen Systems der Prüfungskriterien zum Typusbegriff „Betrieb“ um einen Grenzfall handelt.

Eine lokale Vertretung kann man aber immer nur dann einfordern, wenn vor Ort ein Minimum an befugniskongruenten Kompetenzen des Managements besteht. Befugnisse, auf deren Grundlage über die Klagenfurter Arbeitsstätten auf der Ebene des lokalen Betriebsstättenstandorts übergreifend entschieden werden könnte, fehlen hier aber zur Gänze. Es war daher im Grunde überflüssig, wenn der OGH anführt, der räumlichen Entfernung zwischen Wien und Klagenfurt komme deswegen keine entscheidende Bedeutung zu, weil „alle wesentlichen Agenden zum weitaus überwiegenden Teil in der Zentrale in Wien wahrgenommen werden“. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die „Restbefugnisse“, die von der zentralen Leitung delegiert wurden, allesamt bei den einzelnen Arbeitsstätten und deren Bereichsleitern liegen. Auch wenn also wesentlich mehr Agenden den Klagenfurter Teilbereichen (Arbeitsstätten) überantwortet wären, könnte am „Betriebsstättenstandort“ nicht gewählt werden, sondern allenfalls in den einzelnen Arbeitsstätten (was nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits war).

3.
Was unter den Tisch fällt

Dass der Ansprechpartner des BR ohnehin nicht die Arbeitsstättenleiter sind, sondern der BI (Runggaldier zu OGH9 ObA 143/95

), dass auch heterogene Betriebszwecke und eine heterogene Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft mit unterschiedlichsten Interessen mit dem herrschenden Betriebsbegriff vereinbar sind und dass (hier) ein BR vor Ort für immerhin 33 wahlberechtigte AN mehr Wirkung gegenüber der Zentrale entfalten kann als (wenn überhaupt) drei Mini-Betriebsräte: Diese nicht unplausiblen Argumente können die Festung des formal-starren Betriebsbegriff des § 34 ArbVG nicht erschüttern. Die zweiseitig-zwingende Regelung des Organisationsrechts und die dadurch vorgegebene Vertretungsstruktur ermöglichen nur für arbeitsorganisatorisch-produktionsbezogene Einheiten einen BR. Für eine rein ortsbezogene zusätzliche Vertretungsebene bzw für eine Bündelung lokaler Arbeitsstätten zum Zwecke einer gemeinsamen Vertretung ist im ArbVG kein Platz. „Wünsche“ der AN spielen ohnehin keine Rolle, da die Organisationsstrukturen nur nach Maßgabe des Gesetzes (vgl zB § 40 Abs 3 ArbVG) durch Entscheidungen der Belegschaft(en) – in äußerst geringem Ausmaß – veränderbar sind.

4.
Betriebsbegriff: veraltet und nicht konsistent

Stellen wir abschließend eine nicht abwegige, aber unangenehme Frage – ganz iSd anerkannten Grundsatzes, dass der Gesetzgeber mit § 34 ArbVG eine Organisationseinheit erfassen wollte, in der eine sinnvolle Interessenvertretung der AN durch ein gemeinsames Organ zweckmäßig ist (Gahleitner in

Cerny/Gahleitner/Kundter/Preiss/Schneller
, ArbVG II4 § 34 Erl 1 [263]; ebenso OGH9 ObA 311-338/93RdW 1994, 183 = ecolex 1994, 418; LG Linz12 Cga 283/93Arb 11.135 = ZASB 1995, 18; LG Linz7 Cga 145/97xArb 11.749 = ZASB 1999, 19): Wo wäre eine betriebliche Vertretung bei Vorliegen einer differenzierten und fragmentierten Arbeitsstättenstruktur und einer de facto übermächtigen Zentrale „sinnvoll“, unter Beachtung der Effektivität der Befugnisausübung und der Kommunikation innerhalb der betroffenen Beschäftigten? Aus dieser Perspektive erscheint das dogmatisch zweifelsohne richtige Ergebnis nun doch unbefriedigend. Möglicherweise wurden die Unterinstanzen dadurch dazu veranlasst, die Wahl zu bestätigen. Das ist zwar juristisch schief gegangen, es sei aber angemerkt, dass deren Position auch als Aufbäumen gegen einen formalstarren „produktions- und organisationsfixierten“ Betriebsbegriff angesehen werden kann, der den historischen Kontext aus einer Zeit widerspiegelt, in der „ein Betrieb noch ein Betrieb war“.

Der Fall zeigt, dass dieser in die Jahre gekommene Betriebsbegriff, den Runggaldier (zu OGH9 ObA 143/95

) noch verteidigt hat, zunehmend ungeeignet ist, eine sinnvolle Organisation der Vertretungen der Belegschaften bereitzustellen. Bei Bestehen einer Betriebs- bzw Arbeitsstättenstruktur, die hoch differenziert, fragmentiert, in kleine unselbständige Einheiten zersplittert ist, wo IKT-gestützte unübersichtliche und oft hochflexible Leitungsnetzwerke in unentwirrbarer Weise die Produktionsprozesse steuern und lokale Leitungen zu virtuellen Verbundlösungen zusammengefasst und integriert sind, sich also die materielle Sub-246stanz des „Betriebes“, wie wir ihn lange Zeit kannten und für typisch, ja unerschütterlich hielten, auflöst, kann dieser alte Betriebsbegriff eine effektive Vertretungsstruktur nicht mehr gewährleisten (Firlei, DRdA 2014, 225 f;
Leitsmüller/Schindler/Schneller
, DRdA 2014, 490 ff;
Brill/de Vries
[Hrsg], Virtuelle Wirtschaft [1998];
Tinnefeld/Köhler/Piazolo
, Arbeit in der mobilen Kommunikationsgesellschaft [1996]). Die Zentrale ist oft weit weg, zahlreiche Mini-Einheiten finden kein Gegenüber vor, die Beschäftigten können kaum miteinander kommunizieren, die fragmentierten Teilinteressen sind nur schwer unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Preis spricht von der Gefahr einer Atomisierung der Betriebsverfassung auf mitbestimmungsirrelevante Kleinsteinheiten (RdA 2000, 34). Unter solchen Bedingungen wird die Fixierung auf „produktionstechnische“ Einheiten, die auf einheitliche Betriebszwecke und abgrenzbare Produkte abstellt, ihrem Anspruch nicht mehr gerecht.

Davon abgesehen ist schon der Ansatz dieses Betriebsbegriffs nicht konsistent: Er schafft es weder, betriebsverfassungsrechtliche Befugnisse und Entscheidungszuständigkeiten im Betrieb/Unternehmen zu harmonisieren, noch ist er (entgegen Runggaldier [

]) Ausdruck einigermaßen homogener Interessenlagen innerhalb der Belegschaften. Hinzu kommt, dass der BI die Belegschaftsorganisation durch mitbestimmungsfreie Entscheidungs- und Organisationskompetenzen maßgeblich bestimmen kann, ohne dass mit dem „Umgehungsargument“ erfolgreich gegengesteuert werden könnte. Angesichts der Tendenz zu einer zunehmenden Auflösung der klassischen betrieblichen Substrate, einer Verflüssigung, Heterogenisierung und Differenzierung der Gesamtorganisation der Unternehmen und des Vorhandenseins von zahllosen kleinen Entscheidungseinheiten mit höchst unterschiedlichen Betriebszwecken ist daher der Betriebsbegriff dringend revisionsbedürftig. Auslegungsbemühungen könnten hier zwar einen bescheidenen Beitrag leisten, aber die Grenze zur Rechtsfortbildung ist schnell erreicht. Ua müsste man bei einer künftigen Neuordnung eine gemeinsame Vertretung von Belegschaften in einem örtlichen Naheverhältnis, unabhängig von heterogenen Betriebszwecken, Produkten und Organisationsformen ermöglichen, zumindest dann, wenn nach dem Muster von § 40 Abs 3 ArbVG übereinstimmende Mehrheitsentscheidungen in den betreffenden Arbeitsstätten vorliegen.

Zusammenfassend: Die Wünsche der beim Klagenfurter Arbeitsstättencluster-Beschäftigten waren aus meiner Sicht nachvollziehbar, sind aber an den Klippen eines veralteten, starren und einseitig technisch-produktivistischen Betriebsbegriffs zerschellt. Der OGH hatte keine andere Wahl. Der Gesetzgeber hätte sie. Die um sich greifende Flexibilisierung, Aufweichung, Virtualisierung und Netzwerkarchitektur der betrieblichen Organisationsformen müsste durch eine Flexibilisierung der Belegschaftsorganisation aufgefangen werden (vgl auch Preis, RdA 2000, 256 f). Durch Auslegung kann man dem Ziel, Organisationseinheiten jeweils dort zu ermöglichen, wo „eine sinnvolle Interessenvertretung der Arbeitnehmer durch ein gemeinsames Organ zweckmäßig ist“, immer häufiger nicht gerecht werden. Das ist die bittere Lehre aus dieser E.