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Arbeitskräfteüberlassung und betriebliche Entgeltregelungen

ELIASFELTEN (SALZBURG)
  1. Der in § 36 normierte AN-Begriff ist nur für den II. Teil der Arbeitsverfassung relevant, nicht aber bei der Ermittlung des persönlichen Geltungsbereichs der im I. Teil des ArbVG geregelten Rechte. Jedenfalls für die Frage der Anwendung von KollV ist somit auf den allgemeinen AN-Begriff des Arbeitsvertragsrechts abzustellen.

  2. Die in Rede stehenden Betriebsvereinbarungen über weitere Zulagen finden ihre Rechtsgrundlage im Beschäftiger-KollV. Daraus ergibt sich klar, dass die Parteien der Betriebsvereinbarungen in Ansehung der Entgeltregelungen an dem für den KollV maßgebenden AN-Begriff anknüpfen und den Kreis der Anspruchsberechtigten im Verhältnis zu diesem nicht erweitern wollten.

  3. Die auf einer kollektivvertraglichen Ermächtigung beruhenden und daher zulässigen Zulagen bzw Entgelt-Betriebsvereinbarungen im Beschäftigerbetrieb sind auf überlassene Arbeitskräfte nur dann anzuwenden, wenn ihr Geltungsbereich ausdrücklich auch überlassene AN erfasst.

  4. Art 5 Abs 2 und Abs 3 der Leiharbeits-RL sehen bestimmte Möglichkeiten vor, von dem in Art 5 Abs 1 normierten Gleichbehandlungsgebot abzuweichen. Der österreichische Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit in § 10 Abs 1 letzter Satz AÜG (vgl auch Abs 3) Gebrauch gemacht. Eine Missachtung des in der RL nur allgemein beschriebenen Gesamtschutzes ist nicht zu erkennen.

Bei der Bekl handelt es sich um ein Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen. Der Kl war vom 19.9.2011 bis 7.9.2012 bei der Bekl als Maschinenschlosser beschäftigt. Im Zeitraum 19.9.2011 bis 12.8.2012 wurde er an denselben Beschäftigerbetrieb (Ö GmbH) überlassen. Das Dienstverhältnis endete durch DN-Kündigung. Auf das Beschäftigungsverhältnis ist der KollV für das Arbeitskräfteüberlassungsgewerbe anzuwenden. Beim Beschäftiger-KollV handelt es sich um jenen für österreichische Eisenbahnunternehmen. § 18 dieses KollV sieht vor, dass neben den in den §§ 28 ff geregelten Zulagen durch BV weitere Zulagen vereinbart werden können. Zwischen der ÖBB und deren Zentral-BR wurden Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die ua Erschwerniszulagen, Zuschläge für flexiblen Arbeitseinsatz sowie leistungsbezogene Prämien für Mitarbeiter in bestimmten Funktionen vorsehen.

Der Kl begehrte die Zahlung von Erschwerniszulagen, Flexibilitätszulagen und Leistungsprämien für näher bezeichnete Zeiträume. Aufgrund seiner länger als sechs Monate andauernden Tätigkeit im Beschäftigerbetrieb und seiner Eingliederung in diesen sei er als AN des Beschäftigerbetriebs gem § 36 ArbVG anzusehen. Außerdem habe er gem § 10 Abs 1 Satz 3 AÜG Anspruch auf das kollektivvertragliche Entgelt im Beschäftigerbetrieb. § 18 des Beschäftiger-KollV sehe eine Ermächtigung für die geltend gemachten Zulagen durch BV vor. Aufgrund dieser Ermächtigung seien die250 Betriebsvereinbarungs-Zulagen kollektivvertragliches Entgelt.

Die Bekl entgegnete, dass nach § 10 Abs 1 Satz 3 AÜG auf durch freie oder zulässige Betriebsvereinbarungen geregelte Entgeltansprüche nicht Bedacht zu nehmen sei. Eine vollständige Gleichstellung der Entgeltansprüche der Leih-AN mit jenen der Stamm-AN sei nicht vorgesehen. Auch aus der Leiharbeits-RL folge kein anderes Ergebnis.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...].

Das Berufungsgericht bestätigte diese E. [...]

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Aufzeigens einer entscheidungsrelevanten Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Aufzeigens einer entscheidungsrelevanten Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1.1 Die vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierte Rechtsfrage bezieht sich auf § 36 Abs 1 ArbVG. Der Kl vertritt dazu die Ansicht, dass zulässige Entgeltregelungen in einer BV auch für Leih- AN dann beachtlich wären, wenn die Überlassung für zumindest sechs Monate geplant und der Leih-AN in den Beschäftigerbetrieb eingegliedert sei.

1.2 § 36 ArbVG beschreibt den personellen Geltungsbereich des II. Teils des ArbVG und bestimmt damit den speziellen AN-Begriff für das Betriebsverfassungsrecht. Dieser betriebsverfassungs-rechtliche AN-Begriff ist mit dem arbeitsvertragsrechtlichen nicht gleichzusetzen (RIS Justiz RS0050959; 8 ObA 49/12g; Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 36 Rz 1 und 3). Der in § 36 normierte AN-Begriff ist demnach nur für den II. Teil der Arbeitsverfassung relevant, nicht aber bei der Ermittlung des persönlichen Geltungsbereichs der im I. Teil des ArbVG geregelten Rechte. Jedenfalls für die Frage der Anwendung von Kollektivverträgen ist somit auf den allgemeinen AN-Begriff des Arbeitsvertragsrechts abzustellen (9 ObA 285/01d; Gahleitner in
Cerny/Gahleitner/Kuntner/Preiss/Schneller
, ArbVG4 § 36 Erl 1).

1.3 Die in Rede stehenden Betriebsvereinbarungen über weitere Zulagen finden ihre Rechtsgrundlage im Beschäftiger-KollV. Daraus ergibt sich klar, dass die Parteien der Betriebsvereinbarungen in Ansehung der Entgeltregelungen an dem für den KollV maßgebenden AN-Begriff anknüpfen und den Kreis der Anspruchsberechtigten im Verhältnis zu diesem nicht erweitern wollten. Die auf einer kollektivvertraglichen Ermächtigung beruhenden und daher zulässigen Zulagen bzw Entgelt-Betriebsvereinbarungen im Beschäftigerbetrieb wären daher auf den Kl nur dann anzuwenden, wenn ihr Geltungsbereich ausdrücklich auch überlassene AN erfassen würde (vgl Schindler in ZellKomm2 § 10 AÜG Rz 30). Dies ist nicht der Fall.

Der Kl kann sich damit nicht auf § 36 ArbVG stützen. Die Beurteilung der Vorinstanzen steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nicht vor.

2. Die für die Lösung des Anlassfalls maßgebliche Rechtsfrage betrifft § 10 Abs 1 AÜG. Der Kl steht dazu auf dem Standpunkt, dass die begehrten Betriebsvereinbarungszulagen kollektivvertragliches Entgelt seien, weil § 18 des Beschäftiger-KollV eine entsprechende kollektivvertragliche Ermächtigung Ermächtigung enthalte. Da Leih-AN nicht benachteiligt werden dürften, müsse das im Beschäftiger-KollV geregelte Entgelt auch den Leih-AN zugutekommen.

3.1 Der OGH hat sich erst jüngst in der E 8 ObA 18/14a grundlegend mit der Frage auseinandergesetzt, welche Ansprüche einem überlassenen AN nach den kollektivrechtlichen Entgeltregelungen für den Beschäftigerbetrieb zustehen. Die dieser E zugrunde liegenden Grundsätze sind auch für den Anlassfall maßgebend. Damit liegt in Bezug auf den Regelungsgehalt des § 10 Abs 1 AÜG ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage vor.

3.2 Aus der zitierten E ergeben sich folgende Grundsätze:

§ 10 AÜG regelt die Ansprüche der überlassenen Arbeitskraft. § 10 Abs 1 bezieht sich dabei auf das Entgelt. Mit Satz 1 und Satz 2 dieser Bestimmung wird der schon vor einer Überlassung zwischen Überlasser und Arbeitskraft zu vereinbarende Grundanspruch (das überlassungsunabhängige Grundentgelt) inhaltlich geregelt. Für das Grundentgelt ist in erster Linie die für den Überlasserbetrieb geltende kollektivvertragliche Regelung maßgebend (vgl 9 ObA 33/13p).

Satz 3 trifft demgegenüber eine ergänzende Regelung für das Entgelt für die Dauer der Überlassung. Nach dieser Bestimmung (idF BGBl I 2005/104ab 1.8.2005) ist bei Beurteilungen der Angemessenheit für die Dauer der Überlassung auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren AN für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche (oder gesetzliche) Entgelt Bedacht zu nehmen. Nach dem durch BGBl I 2012/98(ab 1.1.2013) eingefügten letzten Satz in § 10 Abs 1 AÜG ist auch auf die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare AN mit vergleichbaren Tätigkeiten geregelten sonstigen verbindlichen (Entgelt-)Bestimmungen allgemeiner Art Bedacht zu nehmen, außer es besteht ein Überlasser-KollV sowie eine kollektivvertragliche, gesetzliche oder durch Verordnung festgelegte Entgeltregelung für den Beschäftigerbetrieb (siehe dazu Schörghofer, Zur Umsetzung der Leiharbeits-RL im AÜG, ZAS 2012/61, 336). In Rsp und Literatur ist anerkannt, dass durch die in Rede stehende Bestimmung die Entgeltansprüche weitgehend jenen der Stamm-AN angepasst werden. Eine gänzliche Harmonisierung des Lohnniveaus zwischen Überlasser und Beschäftiger ist im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung aber nicht angeordnet (RIS Justiz RS0050789; Schindler in ZellKomm2 § 10 AÜG Rz 2 und 4). Dementsprechend ist etwa eine Angleichung an die im Beschäftigerbetrieb gezahlten überkollektivvertraglichen Ist-Löhne für die Dauer der Beschäftigung nicht vorgesehen.

Entgegen der Ansicht des Kl ist unter „kollektivvertraglichem Entgelt“ in § 10 Abs 1 AÜG ausschließlich das kollektivvertragliche Mindestentgelt zu verstehen (9 ObA 33/13p; 8 ObA 18/14a).

verstehen (9 ObA 33/13p; 8 ObA 18/14a).

3.3 Im Anlassfall gelangt § 10 Abs 1 AÜG idF BGBl I 2005/104zur Anwendung. Diese Bestimmung bezieht sich nur auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt für den Beschäftigerbetrieb. Die vom Kl angesprochene kollektivvertragliche Ermächtigung in § 18 des Beschäftiger-KollV bedeutet nur, dass es sich bei den zugrunde liegenden Betriebsverein-251barungen über die weiteren Zulagen um zulässige Entgelt-Betriebsvereinbarungen handelt. Dadurch werden die Betriebsvereinbarungs-Zulagen aber nicht zu einem kollektivvertraglichen Entgelt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich für den Anlassfall, dass die vom Kl begehrten Betriebsvereinbarungs-Zulagen nicht in den Schutzbereich des § 10 Abs 1 Satz 3 AÜG idF BGBl I 2005/104fallen.

3.4 Auch aus der Rechtslage ab 1.1.2003 (BGBl I 2012/98) würde kein anderes Ergebnis folgen. Zwar sind unter „sonstigen verbindlichen (Entgelt-) Bestimmungen allgemeiner Art“ betriebliche Regelungen, vor allem eine allenfalls zulässige, weil durch KollV ermächtigte (Entgelt-)BV gemeint (vgl Schindler in ZellKomm2 § 10 AÜG Rz 4; Schindler, Die neue EU Leiharbeits RL, DRdA 2009, 176 [177]; Schörghofer, ZAS 2012, 336 [341]). Allerdings besteht von dieser Anordnung eine Ausnahme, sofern ein Überlasser-KollV sowie eine kollektivvertragliche, gesetzliche oder verordnete Entgeltregelung für den Beschäftigerbetrieb besteht. Dies ist hier der Fall.

3.5 Dieser Rechtslage liegt die Leiharbeits- RL 2008/104/EG zugrunde; § 10 Abs 1 AÜG steht mit dieser RL auch im Einklang.

Nach dem in Art 5 Abs 1 der RL normierten Gleichbehandlungsgebot sollen Leiharbeitskräfte in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen so behandelt werden, wie AN, die unmittelbar im Beschäftigerbetrieb eingestellt worden wären. Gemäß der Definition in Art 3 Abs 1 lit f der RL bezeichnet der Ausdruck „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgesetzt sind und sich auf das Arbeitsentgelt beziehen. Darunter fallen auch Entgeltregelungen für Stamm-AN nach dem Beschäftiger-KollV oder einer (aufgrund einer Kollektivvertrags-Ermächtigung) zulässigen BV.

Art 5 Abs 2 und vor allem Abs 3 der RL sehen jedoch bestimmte Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten vor, von dem in Art 5 Abs 1 normierten Gleichbehandlungsgebot abweichende Regelungen zu treffen. Der österreichische Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit in § 10 Abs 1 letzter Satz AÜG (vgl auch Abs 3) Gebrauch gemacht. In den Gesetzesmaterialien (RV 1903 BlgNR XXIV. GP 3) wird dazu Folgendes ausgeführt: „Ein Abweichen durch Kollektivvertrag entsprechend der gemäß Art 5 Abs 3 der Leiharbeits RL zulässigen Öffnungsklausel ist jedoch möglich, sofern unter Beachtung des Art 5 Abs 5 weder der Gesamtschutz der überlassenen Arbeitskräfte noch die Situation der Arbeitnehmer/innen in den Beschäftigerbetrieben verschlechtert werden. Bestehende Überlasser-Kollektivverträge gelten als solche Abweichung, sofern auch für den jeweiligen Beschäftiger eine normativ zwingende, überbetriebliche Entgeltregelung besteht.

Die Abweichklausel ist ganz allgemein gehalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch in dieser Hinsicht den Sozialpartnern ein großer Ermessensspielraum zukommt (vgl EuGHC-141/11Rn 32; C-297/10 Rn 66; Erwägungsgrund 16 der RL). Auch eine Missachtung des in der RL ebenfalls nur allgemein beschriebenen Gesamtschutzes ist nicht zu erkennen. Schörghofer (Zur Umsetzung der Leiharbeits-RL im AÜG, ZAS 2012/61, 342) zieht ebenfalls nicht in Zweifel, dass jedenfalls mit dem KollV für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung der Gesamtschutz der überlassenen Arbeitskräfte ausreichend gewahrt wird.

3.6 Der Einwand des Kl, von der Abweichklausel werde vom Gesetzgeber und nicht wie in der RL vorgesehen von den Sozialpartnern Gebrauch gemacht, ist nicht berechtigt. Die Sozialpartner haben es in der Hand, die in der Ausnahmebestimmung des § 10 Abs 1 AÜG vorgesehenen kollektivvertraglichen Instrumentarien zu schaffen oder nicht.

Die Beurteilung der Vorinstanzen weicht auch von dieser Rechtslage nicht ab.

4. Insgesamt gelingt es dem Kl nicht, mit seinen Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen. [...]

ANMERKUNG

Im vorliegenden Verfahren ging es um die Frage, ob Zulagen, die im Beschäftigerbetrieb auf Grund einer BV zur Auszahlung gelangen, auch an überlassene Arbeitskräfte zu leisten sind. Im konkreten Fall hatte ein Leih-AN einen solchen Anspruch gegenüber seinem Überlasser geltend gemacht und dafür zwei Rechtsgrundlagen ins Spiel gebracht. Zum einen ergebe sich die Verpflichtung zur Zahlung solcher Zulagen aus dem Umstand, dass auch überlassene Arbeitskräfte AN iSd § 36 ArbVG seien und deshalb in den persönlichen Anwendungsbereich von Entgelt-Betriebsvereinbarungen des Beschäftigerbetriebes fielen. Zum anderen sehe § 10 Abs 1 AÜG einen Gleichbehandlungsanspruch in Bezug auf das im Beschäftigerbetrieb geltende kollektivvertragliche Entgelt vor. Da die betreffende Entgelt-BV auf einer Regelungsermächtigung des Beschäftiger-KollV beruhe, seien die fraglichen Zulagen als „kollektivvertragliches Entgelt“ iSd § 10 Abs 1 Satz 3 AÜG zu qualifizieren.

Beide Vorbringen wies der OGH – im Ergebnis zu Recht – zurück. Dem Gerichtshof schien keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO vorzuliegen. Sieht man sich die Begründung des Zurückweisungsbeschlusses an, ergeben sich daran jedoch berechtigte Zweifel. Diese ist im einen Fall widersprüchlich (1.), im anderen Fall zu kurz ausgefallen (2.).

1.
Einbeziehung in Entgelt-Betriebsvereinbarungen nach ArbVG

Der Kl hatte im vorliegenden Verfahren vorgebracht, er hätte einen Anspruch auf Zulagen aus einer BV des Beschäftigerbetriebs, weil er AN des Beschäftigerbetriebes iSd § 36 Abs 1 ArbVG sei. Tatsächlich besteht kein Zweifel, dass überlassene252 Arbeitskräfte AN im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne des Beschäftigterbetriebes sind. § 36 Abs 1 ArbVG stellt primär auf die faktische Beschäftigung und weniger auf das vertragliche Band zwischen Betriebsinhaber und AN ab. Dh, dass auch Personen, die über keinen Arbeitsvertrag zum Betriebsinhaber verfügen, AN iSd § 36 Abs 1 sein können. Neben Beamten gilt das insb auch für überlassene Arbeitskräfte (Windisch-Graetz in ZellKomm2 § 36 ArbVG Rz 8 f; Tomandl in

Tomandl
[Hrsg], ArbVG § 36 Rz 111) und zwar – nach der inzwischen überwiegend vertretenen Ansicht (Schrattbauer, wbl 2015, 40; Tomandl, ZAS 2011, 249; Marhold, ASoK 2008, 251) – unabhängig von der Dauer der Überlassung. Es ist also unstrittig, dass auch der Kl während seiner Überlassung AN iSd § 36 Abs 1 ArbVG des Beschäftigerbetriebes war. Das stellt auch der OGH nicht in Frage.

Allerdings bedeutet die Bejahung der AN-Eigenschaft iSd ArbVG nur, dass der Kl Teil der Belegschaft des Beschäftigerbetriebes und damit der Beschäftiger-BR auch zur Vertretung seiner Interessen berechtigt bzw verpflichtet war. Folglich gelten vom Beschäftiger-BR abgeschlossene BV grundsätzlich auch für überlassene Arbeitskräfte. Auch das ist grundsätzlich unbestritten, wirft aber die Frage der Auflösung eines allfälligen Kompetenzkonflikts auf, wenn auch im Betrieb des Überlassers ein BR bestehen sollte (siehe dazu Tomandl, ZAS 2011, 249 ff; Marhold, ASoK 2008, 251 ff). In diesem Punkt ist dem Kl also vollinhaltlich zuzustimmen.

Aus einer solchen BV kann aber nur der Betriebsinhaber des Beschäftigerbetriebes verpflichtet werden; nicht hingegen der Überlasser (Felten/Preis in

Mosler/Gahleitner
[Hrsg], ArbVG12 § 97 Rz 33). Der BR des Beschäftigerbetriebes kann nur gegenüber dem Betriebsinhaber des Beschäftigerbetriebes wirksam Rechtshandlungen setzen. Das ergibt sich aus dem Zuschnitt der Interessenvertretungsaufgabe des BR auf den „Betrieb“. Auch wenn es dem Wortlaut des § 34 ArbVG nicht ausdrücklich zu entnehmen ist, setzt der Betriebsbegriff die Existenz eines Betriebsinhabers und zwar eines einzigen Betriebsinhabers voraus. Strasser spricht in diesem Zusammenhang von der „Einheit des Betriebsinhabers“ (Strasser in
Jabornegg/Resch/Strasser
, ArbVG § 34 Rz 8).

Adressat eines Leistungsanspruches aus einer BV des Beschäftigerbetriebes kann also immer nur der Beschäftiger als Betriebsinhaber sein. Das gilt auch dann, wenn sich der persönliche Anwendungsbereich der BV ausdrücklich auf überlassene Arbeitskräfte bezieht. Die Ausführungen des OGH, dass die Entgelt-Betriebsvereinbarungen im Beschäftigerbetrieb dann auf den Kl anzuwenden wären, wenn ihr Geltungsbereich ausdrücklich auch überlassene Arbeitskräfte erfassen würde, sind daher zumindest missverständlich (siehe bloß Schrattbauer, wbl 2015, 40). Denn im konkreten Fall wurde der Überlasser auf Zahlung geklagt, nicht der Beschäftiger. Gegenüber dem Überlasser vermag jedoch die AN-Eigenschaft gem § 36 ArbVG nie einen Leistungsanspruch zu begründen; selbst dann nicht, wenn die BV ausdrücklich überlassene Arbeitskräfte miteinschließt. Die Klage hätte daher bereits aus diesem Grund zurückgewiesen werden müssen.

Der OGH hat hingegen eine andere Begründung gewählt, weshalb der Kl aus seiner AN-Eigenschaft iSd § 36 ArbVG keinen Leistungsanspruch – gegenüber dem Überlasser (!) – ableiten kann. Verantwortlich dafür soll sein, dass die fragliche BV auf einer kollektivvertraglichen Ermächtigung iSd § 29 ArbVG beruht; konkret auf einer Ermächtigung des Beschäftiger-KollV. Da der Beschäftiger-KollV nur für AN des Beschäftigerbetriebs und nicht für überlassene Arbeitskräfte gelte, sei davon auszugehen, dass auch die ermächtigte BV keine Ansprüche für überlassene Arbeitskräfte begründe. MaW, der persönliche Anwendungsbereich einer delegierten BV sei mangels anderweitiger Vereinbarung deckungsgleich mit dem persönlichen Anwendungsbereich des delegierenden KollV. Anderes soll nach Ansicht des OGH nur dann gelten, wenn die delegierte BV ihren Anwendungsbereich ausdrücklich auch auf überlassene Arbeitskräfte ausdehnt.

Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen; sie ist – gelinde gesagt – widersprüchlich. Fraglich ist bereits, ob der persönliche Anwendungsbereich einer delegierten BV iSd § 29 ArbVG tatsächlich durch den persönlichen Anwendungsbereich des delegierenden KollV bestimmt wird. Der persönliche Anwendungsbereich der BV wird nämlich durch das Gesetz, konkret durch § 36 ArbVG, festgelegt. Das ergibt sich aus § 1 Abs 3 ArbVG (Reissner in ZellKomm2 ArbVG § 1 Rz 26). Eine Differenzierung innerhalb des persönlichen Anwendungsbereiches nach dem Rechtsgrund der BV ist dem ArbVG nicht zu entnehmen. Dafür kann auch nicht § 29 ArbVG ins Treffen geführt werden. Nach § 29 ArbVG kann eine BV inhaltlich nur das regeln, was ihr durch Gesetz oder KollV zur Regelung vorbehalten ist. Regelungsgegenstand des § 29 ArbVG ist demnach der materielle bzw inhaltliche und nicht der persönliche Anwendungsbereich von BV. Aus dem bloßen Umstand, dass die fragliche BV auf einer kollektivvertraglichen Delegation beruht, kann daher nicht der Schluss gezogen werden, die Betriebsparteien hätten klar den Willen gehabt, den persönlichen Geltungsbereich der BV an jenen des delegierenden KollV anzupassen. Ganz im Gegenteil. Wenn in der BV nichts Näheres geregelt ist, wird man davon ausgehen können, dass § 36 Abs 1 ArbVG den persönlichen Geltungsbereich bestimmt. Sollte dies nicht gewollt sein, weil die BV nur für bestimmte AN – zB nur für Stamm-AN – gedacht ist, so muss das klar zum Ausdruck gebracht werden. Freilich stellt sich dann, in Anbetracht der mittelbaren Grundrechtsbindung der Betriebsparteien, die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung einer solchen Differenzierung.

Dass die Betriebsparteien auf Grund der kollektivvertraglichen Delegation den persönlichen Anwendungsbereich der BV einschränken wollten, lässt sich auch nicht damit begründen, dass der KollV nur jene Regelungsinhalte an die BV delegieren darf, zu deren Regelung er selbst berechtigt wäre. Denn auch dieser Grundsatz gilt wiederum nur für den materiellen Anwendungsbereich. Dadurch soll253 im Ergebnis gewährleistet werden, dass die fragliche Regelungsmaterie letztlich auf eine gesetzliche Grundlage zurückgeführt werden kann. Oder anders ausgedrückt, es soll zu keiner Ausdehnung kommen, die nicht in irgendeiner Weise gesetzlich legitimiert wäre. Dieses Problem stellt sich jedoch beim persönlichen Anwendungsbereich, zumindest in Bezug auf überlassene Arbeitskräfte nicht, da diese ohnehin von § 36 Abs 1 ArbVG erfasst sind. Folglich überzeugt es nicht, wenn der OGH die Regelungsermächtigung des § 29 ArbVG nunmehr einschränkend interpretiert und eine Bindung der delegierten BV an den persönlichen Anwendungsbereich des delegierenden KollV annimmt bzw davon ausgeht, die Betriebsparteien hätten eine solche Bindung stillschweigend vorausgesetzt. Von einem „klaren Willen“ der Betriebsparteien, dass der persönliche Anwendungsbereich der BV jenem des delegierenden KollV entsprechen soll, könnte nur dann die Rede sein, wenn es die Regel – und nicht die Ausnahme – wäre, dass der persönliche Anwendungsbereich des KollV jenen der BV bestimmt. Genau das ist aber aus den genannten Gründen nicht der Fall.

Gegen die Interpretation des OGH sprechen auch systematische Gründe. Die Auffassung des OGH führt nämlich im Ergebnis dazu, dass die Kollektivvertragsparteien durch die Festlegung des persönlichen Anwendungsbereiches des KollV gleichzeitig auch den persönlichen Anwendungsbereich der delegierten BV determinieren. Das läuft im konkreten Fall auf eine Ermächtigung der Kollektivvertragsparteien zur Einschränkung des § 36 Abs 1 ArbVG und auf eine entsprechende Bindung der Betriebsparteien hinaus. Dem ArbVG kommt aber gegenüber dem KollV nicht nur zwingende, sondern nach hL zweiseitig zwingende Wirkung zu (ausführlich Jabornegg in FS Strasser [1983] 367 ff). Zu Recht lehnt deshalb Kietaibl auch die Möglichkeit einer Erweiterung des persönlichen Geltungsbereichs der BV – zB auf leitende Angestellte – durch die Kollektivvertragsparteien ab (Kietaibl in

Tomandl
[Hrsg], ArbVG § 29 Rz 24). MaW, § 36 Abs 1 ArbVG steht nicht zur Disposition der Kollektivvertragsparteien.

Wenn sich aber der persönliche Anwendungsbereich der delegierten BV – wie der OGH meint – tatsächlich aus dem persönlichen Anwendungsbereich des delegierenden KollV ergeben soll, dann ist es einigermaßen widersprüchlich, im selben Atemzug die Ansicht zu vertreten, die Betriebsparteien hätten die Möglichkeit, den persönlichen Anwendungsbereich wieder auf überlassene Arbeitskräfte auszudehnen. Geht man nämlich von einem deckungsgleichen Anwendungsbereich des KollV und der BV aus, so bedeutet das nichts weniger, als dass § 1 Abs 1 ArbVG den persönlichen Anwendungsbereich der delegierten BV iSd § 29 ArbVG festlegt. Wenn dies der Fall ist, dann ist aber eine autonome Erweiterung desselben – zB auf überlassene Arbeitskräfte – durch die Betriebsparteien unzulässig. Denn auch der Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 ArbVG ist absolut zwingend. Oder anders ausgedrückt, die Betriebsparteien können nicht autonom vereinbaren, dass anstelle des § 1 Abs 1 ArbVG wieder § 36 Abs 1 ArbVG maßgeblich sein soll. Nicht von ungefähr hat der Gesetzgeber den ersten Teil und den zweiten Teil des ArbVG unterschiedlichen persönlichen Anwendungsbereichen unterworfen. Dass eine BV des Beschäftigerbetriebs auch Leih-AN erfasst, ist daher, selbst wenn sie auf einer kollektivvertraglichen Regelungsermächtigung beruht, nur dann denkbar, wenn § 36 Abs 1 ArbVG den persönlichen Zuschnitt festlegt. In diesem Fall braucht es freilich keine ausdrückliche Ausdehnung auf überlassene Arbeitskräfte, da diese ohnehin vom AN-Begriff des § 36 ArbVG erfasst sind. Vielmehr müssten diese ausdrücklich ausgeschlossen werden.

Unabhängig davon, ob die fragliche BV im Beschäftigerbetrieb auf einer kollektivvertraglichen oder gesetzlichen Ermächtigung beruht und unabhängig davon, ob sie ausdrücklich Leih-AN miteinschließt oder nicht, muss aber klar sein, dass auf Grundlage des § 36 Abs 1 ArbVG nur der Beschäftiger und nicht der Überlasser gegenüber überlassenen Arbeitskräften verpflichtet werden kann.

2.
Einbeziehung in Entgelt-Betriebsvereinbarungen nach AÜG

Für eine Verpflichtung des Überlassers aus einer BV des Beschäftigerbetriebs bedarf es daher einer eigenen gesetzlichen Anordnung (so auch Schrattbauer, wbl 2015, 41). Nach § 10 Abs 1 AÜG – zumindest in der im Anlassfalls zur Anwendung gelangenden Fassung BGBl I 2005/104– ist der Überlasser jedoch nur angehalten, „für die Dauer der Überlassung auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren AN für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche oder gesetzlich festgelegte Entgelt Bedacht zu nehmen“. Dh, dass nur ein Anspruch auf das während der Überlassung im Beschäftigerbetrieb zur Anwendung kommende „kollektivvertragliche“ Entgelt besteht. Deshalb hatte der Kl auch vorgebracht, die fraglichen Zulagen seien, obwohl sie ihre Grundlage in einer BV hätten, dennoch „kollektivvertragliches“ Entgelt, da die BV selbst auf einer kollektivvertraglichen Ermächtigung iSd § 29 ArbVG beruhe. Dies hat der OGH zu Recht verneint. Der bloße Umstand, dass die fragliche BV auf eine kollektivvertragliche Ermächtigung zurückgeht, macht diese nicht zu einer „kollektivvertraglichen“ Regelung. Voraussetzung dafür wäre gem § 2 Abs 1 ArbVG eine Vereinbarung zwischen „kollektivvertragsfähigen Körperschaften“. Schon alleine deshalb, weil im konkreten Fall die Vereinbarung zwischen dem Betriebsinhaber und dem BR abgeschlossen wurde, liegt keine „kollektivvertragliche“ Regelung vor. Dem OGH ist daher vollinhaltlich zuzustimmen, dass die vom Kl begehrten Betriebsvereinbarungszulagen nicht dem Schutzbereich des § 10 Abs 1 AÜG idF BGBl I 2005/104unterliegen.

Problematisch werden die Ausführungen des OGH erst dort, wo er sich mit der Rechtslage seit 1.1.2013 befasst, die auf den konkreten Sachverhalt freilich gar nicht anzuwenden war. Seit BGBl I 2012/98bezieht sich nämlich der Entgeltanspruch überlassener Arbeitskräfte während der Dauer der Überlas-254sung nicht mehr nur auf das „kollektivvertragliche“ Entgelt, sondern auch auf die im Beschäftigerbetrieb geltenden „sonstigen verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art“. Dass darunter Betriebsvereinbarungen fallen, ist klar und wird vom OGH auch nicht in Zweifel gezogen. Allerdings ist auf Betriebsvereinbarungen des Beschäftigerbetriebes gem § 10 Abs 1 letzter Satz AÜG nur dann Bedacht zu nehmen, wenn weder der Überlasser noch der Beschäftiger einem KollV unterliegen. Beides war im Anlassverfahren jedoch der Fall.

Die Ausnahme des § 10 Abs 1 letzter Satz geht auf Art 5 der Leiharbeits-RL 2008/104/EG zurück, der Abweichungen vom Gleichbehandlungsgebot mittels KollV erlaubt, wenn der „Gesamtschutz von Leih-AN“ geachtet wird. Dh, dass Entgelt-Betriebsvereinbarungen des Beschäftigerbetriebs nach der RL nur dann nicht zu berücksichtigen wären, wenn auf Grund der Bedachtnahme auf den Beschäftiger- KollV und unter Anwendung des Überlasser- KollV gem § 10 Abs 1 AÜG der „Gesamtschutz“ der überlassenen Arbeitskraft gewahrt bleibt. Man hätte sich also eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Rechtsquellen und ihrem unterschiedlichen Schutzniveau erwartet. Der OGH stellt hingegen apodiktisch fest, dass „eine Missachtung des in der Richtlinie ebenfalls nur allgemein beschriebenen Gesamtschutzes nicht zu erkennen sei“. Daran wurden freilich zuletzt mehrfach berechtigte Zweifel geäußert (Schrattbauer, wbl 2015, 41; Schrattbauer/Goricnik, DRdA 2013, 284; Mazal, ecolex 2013, 102; Schörghofer, ZAS 2012, 342). Vor diesem Hintergrund hätte es also einer ausführlichen Begründung bedurft, weshalb von einer „Achtung des Gesamtschutzes“ auszugehen ist und weshalb konkret der KollV für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung diesen wahrt. Beides bleibt der OGH – auch, wenn es sich im konkreten Fall „bloß“ um einen Zurückweisungsbeschluss handelt – schuldig.