EichenhoferRecht des aktivierenden Wohlfahrtsstaates

Nomos Verlag, Baden-Baden 2013, 175 Seiten, broschiert, € 39,–

ROBERTREBHAHN (WIEN)

Die Schrift des bekannten deutschen Sozialrechtslehrers widmet sich der „grundlegenden Neuausrichtung der Sozialpolitik“ vom „alimentierenden“ hin „zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat“, die in einigen Ländern Westeuropas um das Jahr 2000 herum erfolgte. Eberhard Eichenhofer will das Wesentliche des Neuen herausarbeiten sowie Beweggründe und Ziele des Umbaus darlegen. Der Band behandelt ein sozialpolitisch hochbedeutsames Thema. Im Vordergrund stehen die Leistungen bei Arbeitslosigkeit, angesprochen werden aber auch andere Bereiche des Sozialrechts.

Anlass der Überlegungen ist wohl die Einordnung der „Agenda 2010“ der rot-grünen deutschen Bundesregierung aus 2003. Eichenhofer blickt zuerst auf die vorangehende Entwicklung in einigen anderen Ländern der damaligen EG, nämlich in den Niederlanden (ab den 1980er-Jahren, S 26 ff), in Dänemark (ab Beginn der 1990er-Jahre, S 31 ff) sowie in Großbritannien (ab 1997 – New Labour, S 34 ff), die sich dann auch auf Gemeinschaftsebene niedergeschlagen habe, in der Folge auch in Deutschland (S 51 ff). Als Paradigma der neuen Politik sieht Eichenhofer die Strategie des „Third Way“ der ab 1997 wirkenden Labour-Regierung unter Blair (S 24 f). Die Leitmotive des neuen Weges seien: Der Bezug von Sozialleistungen darf wirtschaftlich nicht attraktiver sein als Erwerbsarbeit („make work pay“ statt „welfare without work“); „keine Rechte ohne Verantwortlichkeiten“ – „Fördern und Fordern“; „Hilfe zur Selbsthilfe“. Eichenhofer billigt und verteidigt die Tendenzwende.

Grundlage der Ausführungen ist das Bekenntnis zur Arbeitsgesellschaft. Arbeit wird als sinnstiftend gesehen, der Sozialstaat setze die Arbeitsgesellschaft voraus (S 65 ff). Daraus resultiert die Ablehnung eines bedingungslosen Grundeinkommens, weil es die Arbeit entwerte und eine „Prämie auf Nichtstun“ gebe (S 77 ff). Historisch abschreckend sei das Beispiel des englischen Speenhamland-Systems vor 1834, bei dem Löhne stets von den Gemeinden aufgestockt wurden, auch weil es die AG zur Lohnverringerung nutzten (S 35 f).

Die Grundlage der Wende „vom konsumtiven zum aktivierenden Sozialstaat“ sieht Eichenhofer in der sozialphilosophischen Lehre des Kommunitarismus, insb von Etzioni (S 87 ff). Danach trage nicht nur die Gesellschaft Verantwortung für den Einzelnen, sondern auch die Einzelnen hätten Verantwortung für die Gesellschaft. Soziale Rechte seien Rechte auf Teilhabe, diese setzten Mitwirkung, wo dies möglich ist, sowie Mitverantwortung voraus, Solidarität müsse von zumutbarer Eigenverantwortung begleitet sein. Aktivierung sei nicht Beschränkung, sondern Verwirklichung von Rechten (S 100).

Eichenhofer grenzt das „aktivierende“ Konzept zum einen von „neoliberaler“ und konservativer Politik ab, zum anderen von der Sozialpolitik der „altmodischen Sozialdemokratie“ und des „orthodoxen Staatssozialismus“ (S 44).

Anders als neoliberale Politik, für Eichenhofer repräsentiert insb durch die Thatcher-Regierung, sehe das aktivierende Konzept den Sozialstaat grundsätzlich positiv. Sozialer Schutz sei ein notwendiger Teil der Arbeitsgesellschaft und ein wichtiger Produktionsfaktor (S 23). Der Neoliberalismus setze bei unangepasstem Verhalten primär auf Kürzen oder Entfall von Leistungen als Strafe (S 72, 140), die Aktivierung hingegen nicht auf Strafe, sondern auch auf Förderung.

Aufgrund der deutschen Vorgeschichte fällt die Abgrenzung gegenüber der „alten“ Sozialpolitik intensiver aus. Diese habe keine Anforderungen an Sozialleistungsempfänger gestellt und damit „unbedingte“ Rechte gegeben („permissiver“ Sozialstaat, S 30). Arbeitslosigkeit sei als für den Einzelnen unabänderliches Schicksal gesehen worden (welfare without work), weshalb die Leistungen auch einkommens- und nicht bedarfsorientiert bemessen waren. Der aktivierende Sozialstaat gebe statt unbedingten Rechten, auch bei vorangehender Beitragszahlung, Ansprüche nur bei einer „Gegenleistung“, nämlich der Bereitschaft (Obliegenheit) zu Arbeit und Mitwirkung und setze somit Anreize zu sozial wünschenswertem Verhalten (zB 62 f, 92 ff). Bei Arbeitssuchenden stehe daher die aktive Arbeitsmarktpolitik durch Vermittlung und Erhöhung der Arbeitsfähigkeit (employability) im Vordergrund (zB S 55). Geldleistungen bei Arbeitslosigkeit müssten einen Anreiz zur Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes setzen und nicht für den Arbeitsplatzverlust entschädigen. Die Ersatzrate sei so festzulegen, dass Arbeitsanreize bestehen. Auch das (von Eichenhofer grundsätzlich bejahte) „Recht auf Arbeit“ setze voraus, dass „zumutbare und verfügbare Arbeit auch getan wird“ (S 99). Dies führe zwar zu mehr Marktorientierung und damit zu einer partiellen Rücknahme der „Dekommodifizierung“ von Arbeit, dies sei aber gerechtfertigt (zu pauschal wohl die Aussage: „Aktivierung ist tendenziell mit der Prekarisierung von Arbeit verbunden“, S 75).

Eichenhofer beleuchtet die Bedeutung von Aktivierung auch in anderen Sozialbereichen. Zur KV wird ausführlich die Frage des Leistungsentfalls bei Selbstschädigung erörtert (wobei die Fälle, in denen es dazu tatsächlich kommt, wohl zu weit gesehen werden, S 102 ff). Eichenhofer wendet sich aber gegen Leistungsentfall bei bloß fahrlässiger Selbstgefährdung, insb weil dies die Handlungsfreiheit zu sehr einschränke und Sozialleistungen auch sonst in weitem Umfang von privatautonomen Entscheidungen abhängen (S 105 ff). Zu pauschal scheint aber die These: „Die Kostenbelastungen der Solidargemeinschaft steigen mit wachsender Regelkonformität des Lebens“ (S 111). Zur Rentenversicherung/PV gehe es insb um Rehabilitation vor Verrentung sowie die Ergänzung der staatlichen Altersvorsorge durch betriebliche und private (S 56 f). Angesprochen wird ferner die Bedeutung von Aktivierung bei Erziehung und bei Integration von Zuwanderern.

Insgesamt sei das Prinzip der Aktivierung eine „zentrale Leitvorstellung für den heutigen Sozialstaat“.367 Auch wenn es sich dabei um eine „schwer durchschaubare und nur selten durchschaute Mischung aus Versatzstücken liberaler, konservativer und sozialdemokratischer Programmatik“ handle, sei das Prinzip genuin sozialdemokratisch, und nicht – wie manche meinen – liberal oder konservativ (S 85). Aufgrund der „Mischung“ sei die Aktivierung aber für alle genannten Ausrichtungen anschlussfähig.

Den Abschluss bilden Überlegungen zur Implementierung. Eichenhofer weist auf die Tendenz hin, „bürokratische“ Hoheitsakte durch „Verträge“ insb mit Arbeitssuchenden zu ersetzen sowie dort und im Gesundheitsbereich individualisierendes „Fallmanagement“ zu verwenden (S 119 ff): Es komme zur „Umkehr von der Transfer- zur Dienstleistungsorientierung“ (S 136). Der Vertrag sei insb bei Arbeitssuchenden das passende Instrument, weil diese sich nicht in einer der Verwaltung prinzipiell unterlegenen Lage befänden (S 128). Das „New Public Management“ wird hier aber etwas zu wohlwollend gesehen. Was die Folgen unterbleibender Mitwirkung betrifft, so betont Eichenhofer, dass es sich dabei – zB bei Sperrzeiten für Arbeitslosengeld – nicht um Strafen handle, sondern um als in die Sozialleistungsregelung integrierte Versagungsgründe (S 141 f), die verhältnismäßig sein müssten (S 143 ff) und von Fördern begleitet seien; dies unterscheide das Konzept der Aktivierung von konservativen Ansätzen, die nur auf Strafe setzten. Eine Reduktion existenzsichernder Leistungen müsse den Gerichten vorbehalten sein (S 146 f).

Eichenhofer weist selbst darauf hin, dass die Idee von Mitwirkungsobliegenheit bei Unterstützung schon sehr alt ist (zB S 80). Aus österreichischer Sicht fällt auf, dass das Konzept der Aktivierung in der Arbeitsmarktpolitik hier wohl schon länger verwirklicht ist, insb durch eine im Vergleich zu manch anderen Ländern geringe Ersatzrate von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sowie die frühe Betonung aktiver Arbeitsmarktpolitik.

Das Buch bietet eine Fülle interessanter und anregender Ausführungen. Der Rezensent hat es mit Gewinn gelesen, und teilt auch weitgehend die vorgetragenen sozialpolitischen Vorstellungen. Wer diese nicht teilt, den wird die Lektüre allerdings wohl nicht umstimmen. Zum einen sind die Ausführungen nicht selten zu abstrakt, die allgemeinen Thesen werden mehrmals wiederholt, es fehlen aber zu manchen wichtigen Fragen konkrete Beispiele für die vom Verfasser postulierte Umorientierung. So fällt auf, dass in den landesbezogenen Teilen zwar auf die Ausgestaltung im 19. Jahrhundert eingegangen wird, jene in der „goldenen Zeit“ des Sozialstaates von 1950 bis 1980 jedoch weitgehend ausgeblendet bleibt. Man erfährt zB nicht, wie sich die Anforderungen an die zumutbare Arbeit konkret geändert haben, inwieweit die „reservation wage“ gesunken ist, und wodurch sich etwa in Großbritannien die nachteiligen Folgen der Nichtaufnahme einer zumutbaren Arbeit im Rahmen der aktivierenden Strategie von den „Strafen“ der vorangehenden konservativen Phase abheben. Zum anderen hätte eine mehr an den Grundüberlegungen ausgerichtete Systematik die Kraft der Argumente deutlicher hervortreten lassen. Die sozialtheoretischen Ausführungen beziehen auch die Perspektive der Ökonomie kaum ein, die durchaus Argumente für die Aktivierung bietet (zB Barr, The economics of the welfare state, OUP). Ausgeblendet bleibt schließlich die Frage, ob der vom EuGH forcierte Zugang zu Sozialleistungen qua Unionsbürgerschaft insb bei Leistungen an Arbeitssuchende das Konzept der Aktivierung konterkariert; so wird etwa bei großen Sprachproblemen im Zuwanderungsland kaum eine Erwerbschance, aber möglicherweise ein Anspruch bestehen.