SchneiderEntgeltfortzahlung und Konkurrenzen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2014 659 Seiten, € 119,90

MONIKADRS (WIEN)

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Dissertation, die 2013 von der Bucerius Law School angenommen wurde. Darin werden die Probleme rund um das Entgeltfortzahlungsrecht, insb im Zusammenhang mit dem Zusammentreffen mehrerer Entgeltfortzahlungsbestimmungen, behandelt.

Die Arbeit verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: In Teil 2 geht es um die ausführliche Analyse der wichtigsten Arbeitsausfallsgründe im deutschen Entgeltfortzahlungsrecht. Zunächst werden auf rund 220 Seiten diverse Entgeltfortzahlungstatbestände (der Vergütungs- bzw Entgeltfortzahlungsanspruch bei alleiniger oder überwiegender Verantwortlichkeit des AG – § 326 BGB, im Krankheitsfall – § 3 EFZG, an Feiertagen – § 2 EFZG, bei vorübergehender Verhinderung – § 616 BGB, im Urlaub – § 1 BUrlG, bei Schwangerschaft – § 14, §§ 7, 11, 16 MuSchG, bei Annahmeverzug des AG und in Fällen des Betriebsrisikos – § 615 BGB, bei Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten – insb §§ 320 und 273 BGB, bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts – § 14 AGG, bei Ausübung des Entfernungsrechts – § 9 ArbSchG, bei persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungs- und Wehrersatzbehörden – § 14 ArbPlSchG, bei Arbeitsversäumnis wegen Betriebsratstätigkeiten – §§ 37 f BetrVG, im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen – § 20 BetrVG, bei Teilnahme an Betriebsversammlungen – § 44 BetrVG und bei Inanspruchnahme des BR – § 39 BetrVG) und dann auf rund 60 Seiten etliche Ausschlussgründe dargestellt (am ausführlichsten der Arbeitskampf, sehr kurz der unbezahlte Urlaub, etwas umfangreicher die Elternteilzeit und sonstige Risken des AN).

Ziel ist die Herausarbeitung der strukturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der einzelnen Tatbestände, um so ein umfassendes Bild des Status quo zu bekommen und die Frage zu klären, inwiefern der Gestaltung des deutschen Entgeltfortzahlungsrechts ein in sich stimmiges, einheitliches Konzept zugrunde liegt. Daniel David Schneider kommt zu dem Ergebnis, dass sich systematische Einordnung, Zielsetzung, Normenstruktur und Rechtsfolgen sehr stark unterscheiden. All diese Unterschiede demonstrieren sE die mangelnde Einbettung der einzelnen Entgeltfortzahlungstatbestände in ein kohärentes System der Lohnfortzahlung, was die Auflösung von Kollisionskonstellationen beim Zusammentreffen mehrerer Verhinderungsgründe erschwert.368

Im 3. Teil geht es dann um die Klärung der Frage wie zu verfahren ist, wenn mehrere Arbeitsausfallgründe gleichzeitig auftreten und wenigstens einer von ihnen eine Entgeltfortzahlung auslöst; dabei geht es um den Vergütungsanspruch bei Kollision eines Entgeltfortzahlungstatbestandes mit einem Ausfallgrund sowie der bei Kollision mehrerer Entgeltfortzahlungstatbestände: Welcher Ausfallgrund setzt sich dann durch? Erhält der AN eine Vergütung und wenn ja, in welcher Höhe? Zur Beantwortung dieser Fragen greift der Autor auf die Erkenntnisse zurück, die er zuvor im Rahmen der Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts im 2. Teil gewonnen hat.

Nach einem kurzen Überblick über die bisher dazu in Rsp und Literatur vertretenen Meinungen, inklusive kritischer Würdigung, kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass die analysierten einheitlichen Lösungsansätze allesamt nicht überzeugen können. Er weist ua darauf hin, dass der im Entgeltfortzahlungsrecht überwiegend vertretene Grundsatz der Monokausalität zur Auflösung von Kollisionen ungeeignet und daher aufzugeben sei. Darauf aufbauend entwickelt er einen eigenen (dreistufigen) Lösungsansatz, wobei zunächst ein Kapitel dem Zusammentreffen von zwei (= Doppelkausalität) und anschließend ein weiteres von drei und mehr Ausfallgründen (= Mehrfachkausalität) gewidmet ist.

Er vertritt hiezu die Ansicht, dass für den Fall, dass zwei bzw mehrere Gründe alternativ kausal sind, sich die Vergütung nach übergeordneten Wertungsgesichtspunkten und insb dem Zweck der betroffenen Norm richtet. Das Vorrangverhältnis ist sE in drei Schritten zu klären (siehe S 378 ff): 1. ist zu prüfen, ob die in Betracht kommenden Ausfallgründe tatsächlich einschlägig sind und gegebenenfalls ist in einem 2. Schritt zu prüfen, ob die Konkurrenz gesetzlich geregelt ist oder ob eine wirksame, das Arbeitsverhältnis erfassende Vereinbarung das Vorrangverhältnis klärt. Lässt sich dadurch noch keine Lösung erzielen, ist in einer 3. Stufe der vorrangige Ausfallgrund durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften und Rechtsgrundsätze, insb unter Berücksichtigung auf deren Zweck, zu ermitteln. Er wendet seinen „dreistufigen Ansatz“ dann auf alle denkbaren Kollisionen an.

Das Buch enthält auch noch einen Gesetzesentwurf, der die in diesem Zusammenhang bestehenden Schwierigkeiten lösen soll, wobei sich der Autor im Rahmen seiner Arbeit dafür entschieden hat, nicht das gesamte Entgeltfortzahlungsrecht auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen, sondern die Entgeltfortzahlungstatbestände soweit wie möglich unberührt zu lassen und nur ihr Verhältnis zueinander zu regeln.

Für einen Leser, der mit dem österreichischen Entgeltfortzahlungsrecht vertraut ist, ist das Buch auch insoweit sehr interessant, da man wiederholt erkennen muss, dass wir in Österreich zwar sehr ähnliche, im Detail aber zum Teil ganz anders gelöste Entgeltfortzahlungsregelungen haben bzw die hM zum Teil eine andere Auslegung der Entgeltfortzahlungsbestimmungen vornimmt. Ich möchte hier beispielhaft die Ausführungen zur qualitativen und quantitativen Teilunmöglichkeit im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit herausgreifen, wo – anders als die hM in Österreich – nicht immer das Alles-oder-Nichts-Prinzip herangezogen wird oder die Ausführungen zu den Arbeitsversäumnissen wegen Betriebsratstätigkeiten, wo – anders als nach österreichischem Recht – nicht auf das Ehrenamt der Betriebsratstätigkeit hingewiesen wird, sondern wiederholt betont wird, dass die Tätigkeit grundsätzlich während der Arbeitszeit zu erledigen ist und diese Zeit zu vergüten ist und für den Fall, dass die Erledigung ausnahmsweise aus betriebsbedingten Gründen nicht während der Arbeitszeit durchgeführt werden kann, ein entsprechender Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich bzw subsidiär ein Vergütungsanspruch für diese Mehrarbeit besteht.

Abschließend sei betont, dass das Buch zunächst einen überaus interessanten und informativen Überblick über die wichtigsten Bestimmungen des deutschen Entgeltfortzahlungsrechts bietet und dass die danach dargelegten Lösungsansätze für Fälle der Doppel- bzw Mehrfachkausalität – aufgrund der ähnlichen Problemstellung im österreichischen Entgeltfortzahlungsrecht – auch interessante Anregungen für den österreichischen Rechtsanwender bieten können und daher auch diesen zu empfehlen ist.