TomandlUrlaubsrecht – eine kritische Analyse

Verlag Österreich, Wien 2014, 174 Seiten, broschiert, € 42,–

CHRISTOPHCHRISTOPH (WIEN)

Theodor Tomandl geht in seiner Monographie zum Urlaubsrecht der Frage nach, „wie weit sich das Urlaubsrecht … als ein in sich geschlossenes und weitgehend widerspruchsfreies Rechtsgebiet darstellen und verstehen lässt“ (S V). Er versucht also im geltenden Urlaubsgesetz (UrlG) – wobei er dessen historische Vorläufer und Entwicklung sehr umfassend mitberücksichtigt – eine schlüssige, dem Gesetz zugrunde liegende Systematik aufzuspüren. Wie bei Tomandl nicht anders zu erwarten, ist das flüssig geschrieben und höchst intelligent argumentiert. In den inhaltlichen Ergebnissen seiner Analyse ist Tomandl dort am überzeugendsten, wo er Brüche und Widersprüchlichkeiten in bzw entgegen dem von ihm im Urlaubsrecht diagnostizierten System aufzeigt und dem Gesetzgeber systemkonforme Sanierungsschritte anempfiehlt. ZB macht er auf den S 63 ff zu Recht darauf aufmerksam, dass das Verfahren gem § 4 Abs 4 UrlG (eigenmächtiger Urlaubsantritt des AN nach erfolglosem Vermittlungsversuch des BR und Klagsführung des AG dagegen) nicht zu einer sinnvollen, Rechtssicherheit bietenden und die Interessen beider Vertragsparteien abwägenden Ermittlung des Urlaubstermins führt. Das Urteil über die Berechtigung des vom AN geäußerten Urlaubsterminwunsches wird in aller Regel erst nach dem tatsächlichen Urlaubsverbrauch ergehen, und das Risiko, dass der AN dann möglicherweise ex post erfährt, sein Urlaubskonsum sei – mit allen möglichen arbeitsvertraglichen Konsequenzen – rechtswidrig gewesen, ist eigentlich unzumutbar. Tomandls Gegenvorschlag der Einrichtung einer Schlichtungsstelle verdient daher Beachtung; freilich sollte die Anrufung beim AG verbleiben, damit der von seinem Arbeitsplatz und einem guten Betriebsklima abhängige AN nicht gezwungen ist, gegen seinen AG ein Verfahren zu eröffnen.369

Weniger nachvollziehbar erscheint Tomandl jedoch vielfach in jenen Passagen, in denen er nicht nur den Gesetzgeber auffordert, Systemwidrigkeiten aufzulösen, sondern für diverse Problemstellungen aus der von ihm dem UrlG zugrunde gelegten Systematik de lege lata Lösungen entnimmt, die oft konträr zu bisher herrschenden und kaum angezweifelten Positionen stehen. Ein Beispiel: Der Gesetzgeber sagt mit größter Klarheit in § 5 Abs 1 UrlG, dass Krankenstände in der Dauer von mehr als drei Kalendertagen nicht auf das Urlaubsausmaß anzurechnen sind, wenn ein AN während des Urlaubs erkrankt, „ohne dies vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt zu haben“. Ebenso klar statuiert der Gesetzgeber in § 5 Abs 2 UrlG, dass die Nichtanrechnung von Urlaubstagen auf den Krankenstand jedenfalls dann nicht stattfindet, wenn eine dem Erholungszweck widersprechende Erwerbstätigkeit Ursache der Erkrankung ist. Zusammengefasst: Der AN verliert die Rechtswohltat der Nichtanrechnung von Krankheitstagen auf seinen Urlaubsverbrauch, wenn er 1. die Krankheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, oder wenn 2. die Krankheit – völlig unabhängig von einem Verschulden des AN – Folge einer bezahlten Erwerbstätigkeit ist, der der AN im Urlaub nachgeht. Diese vom Gesetzgeber geschaffene Risikoverteilung erscheint nicht nur normativ völlig klar, sondern ist auch logisch nachvollziehbar: Hat der AN seine Erkrankung nur leicht fahrlässig herbeigeführt (Wer hat sich nicht schon einmal durch zu wenig vorausschauende Auswahl von Kleidung und Kopfbedeckung eine böse Erkältung geholt?), verkürzt der Krankenstand die insgesamt zustehende Urlaubsdauer nicht. Geht er aber „pfuschen“, muss er sich gefallen lassen, dass die Periode einer daraus resultierenden Erkrankung ohne weiteres als Urlaubsverbrauch gilt. Tomandl hingegen, dessen System des Urlaubsrechts auf der Fürsorgepflicht des AG beruht, sieht diese „überspannt“, wenn bei leicht fahrlässig verursachter Krankheit der Urlaub nicht verbraucht wird. Es sei widersprüchlich, bei durch Erwerbstätigkeit verursachter Krankheit auch ohne Verschulden des AN diesem das Risiko des Urlaubsverbrauchs zuzuschieben, bei – wenn auch nur leicht – fahrlässiger Verursachung jedoch nicht. Auf Basis dieser systematischen Gesetzesinterpretation ist nach Tomandl der Katalog jener Tatbestände in § 5 Abs 1 UrlG, in denen der AN den Anrechnungsanspruch verliert (vorsätzliche oder grob fahrlässige Verursachung) interpretatorisch um die leichte Fahrlässigkeit zu ergänzen (S 78 f). Angesichts des völlig klaren Gesetzeswortlautes, der auch wertungsmäßig überzeugt, ist kein Grund erkennbar, die bisherige Auslegung aufzugeben und Tomandls systemischem Ansatz zu folgen.

Natürlich ist es verlockend, wenn man in einem Rechtsgebiet eine tragfähige und in sich schlüssige Systematik hervorschimmern sieht, jede auftauchende Fragestellung abgeleitet von dieser Systematik zu beantworten. So schön es auch wäre, sich den Gesetzgeber als stets klug, systematisch und in sich konsistent vorgehende Instanz zu denken, wissen wir freilich, dass gerade im Arbeitsrecht die Realität eine andere ist. Die Gesetze beruhen hier häufig – und zwar bis in verzweigte Details hinein – auf Kompromissen der Sozialpartner und anderer Kräfte; mag es dem Produkt auch an systematischer Eleganz mangeln (vieles im Arbeitsrecht darf man wahrlich nicht mit einer Fuge von Johann Sebastian Bach vergleichen!), so ist dennoch in der Auslegung der gesetzgeberische Wille zu respektieren. An anderer Stelle konzediert Tomandl übrigens durchaus, „dass der Gesetzgeber bei der gesetzlichen Ausformung des Urlaubsanspruches weniger vom Streben nach einer in sich geschlossenen Konzeption als vom Bemühen angetrieben war, den Interessenverbänden entgegen zu kommen“ (S 16).

Neben seinem ja durchaus nachvollziehbaren Wunsch nach systematischer Geschlossenheit des Urlaubsrechts führt ein zweites Phänomen Tomandl zu problematischen Auslegungen des geltenden Rechts: Zwar sieht er zu Recht neben dem bereits erwähnten Fürsorgegedanken den Erholungszweck als tragende Säule des Urlaubsrechts, die bei dessen Interpretation immer wieder als maßgeblicher Telos zugrunde zu legen ist, doch definiert er dabei „Erholung“ in einer sehr engen Art und Weise. Unter Berufung auf den Duden und Wikipedia geht es für Tomandl bei Erholung ausschließlich um die Wiedererlangung von „Gesundheit“ (hier funkt wohl die Erholung von Krankheit dazwischen, Anm d Verf) und „Leistungsfähigkeit“, und zwar durch eine „Ruhephase“. „Belastungen körperlicher oder geistiger Natur“ stünden jedenfalls im Widerspruch zum Erholungszweck (S 80). Wenn Tomandl (aaO) als anschauliches Beispiel für ein dem Erholungszweck des Urlaubs widersprechendes Verhalten anführt, einem Bauern bei der Holzschlägerung zu helfen, fallen mir dazu aus meinem persönlichen Bekanntenkreis zwei Personen ein, die – gleichsam als Kontrast zu ihrer beruflichen Tätigkeit vor dem Computerbildschirm bzw im Klassen- und Konferenzzimmer – an Wochenenden und im Urlaub nichts lieber zu ihrer Entspannung tun als mit Motorsäge und Axt in den Wald zu fahren. AN stehen dem Grunde nach ihr ganzes erwachsenes Leben hindurch von morgens bis abends unter der arbeitsvertraglich verankerten Weisungs- und Aufsichtsbefugnis des AG. Da gebietet es schon das allgemeine Persönlichkeitsrecht, den AN die Freizeit – tägliche Ruhezeiten, Wochenenden, Feiertage und eben Urlaube – zur weitestgehend freien Verfügung über ihre Lebenszeit zu überlassen. Was als „Erholung“ iSd Urlaubsrechts gilt, muss daher in das Ermessen des urlaubenden AN gestellt werden und darf ihm nicht iS eines Gebotes à la „Erholsam ist nur das Liegen auf dem Strandtuch oder der Gartenterrasse!“ vorgeschrieben werden. Der OGH bringt es zutreffend auf den Punkt (OGH 13.2.1991, 9 ObA 23/91): Der Erholungszweck wird „durch den vorübergehenden Entfall der arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen und die Schaffung eines Freiraumes zur Selbstbestimmung erreicht“ (Hervorhebung durch d Verf).

Ein Beispiel für eine problematische Neudeutung des Gesetzes, die Tomandl aus dem reduzierten Erholungsbegriff gewinnt: Die Vereinbarung eines Urlaubs für den Zeitraum einer krankheitsbedingten Dienstverhinderung erklärt der Gesetzgeber in § 4 Abs 1 UrlG ausdrücklich für unwirksam. Auf der Grundlage seines Erholungsbegriffs will Tomandl diese Bestimmung völlig neu deuten und bringt dafür folgenden Fall: Ein Geiger, der sich an der Hand verletzt hat, ist zwar arbeitsunfähig, aber nicht erholungsunfähig (S 40 f). Folgt370 man Tomandl, kann der Träger des Orchesters den Geiger daher anhalten, in seinem Krankenstand seinen Urlaub zu verbrauchen – eine entsprechende Urlaubsvereinbarung wäre nach Tomandl also entgegen dem klaren Wortlaut von § 4 Abs 1 UrlG rechtsgültig. Freilich wird sich der Geiger, während seine Hand eingegipst ist, auf der Terrasse liegend im Tomandlschen Sinne erholen können. Wenn er es aber hasst herumzuliegen und er seinen favorisierten Freizeitbetätigungen – etwa dem Malen von Aquarellen oder vielleicht auch selbst im Urlaub: dem Spielen von Streichquartetten – nicht nachgehen kann, wird ihm genau der Freiraum zur Selbstbestimmung entsprechend dem weiten Erholungsbegriff des OGH entzogen. Ob und wie sich AN erholen, liegt in deren – im Fall eines Rechtsstreits realistisch ja auch kaum auszulotenden – Privatbereich; wohl auch deswegen hat der Gesetzgeber vollkommen zu Recht pauschaliter festgesetzt: Wer iSd Entgeltfortzahlungsrechts (§ 4 Abs 1 UrlG verweist ausdrücklich auf das EFZG!) krank ist, kann für diese Zeit rechtswirksam keinen Urlaub vereinbaren. Die durch den Verweis klar definierte Arbeitsunfähigkeit darf nicht in eine angesichts der unendlichen Vielzahl unterschiedlicher menschlicher Bedürfnisse undefinierbare „Erholungsunfähigkeit“ (S 41) umgedeutet werden.

Schließlich ist neben dem Bedürfnis, alle Antworten aus einem geschlossenen System zu entwickeln, und dem eigenwilligen Erholungsbegriff eine dritte Quelle der einen oder anderen hinterfragenswerten Gesetzesauslegung zu verorten: Tomandls Bild von der Lebensrealität heutiger AN ist leider nicht mit allen Segmenten der Arbeitnehmerschaft in Übereinstimmung zu bringen. So meint er zB, dass die Judikatur verfehlt sei, die in einer regelmäßigen Verteilung des Urlaubsentgelts über das ganze Jahr in Form einer Erhöhung des laufenden Entgelts eine verbotene Vereinbarung gem § 7 UrlG sieht (S 74 f). Dass der OGH in diesen Fällen befürchtet, dass dadurch für AN ein Anreiz entstehen könne, nicht den vollen Urlaub zu verbrauchen (weil der AN wegen des bereits auf die 46 oder 47 Arbeitswochen des Jahres verteilten Urlaubsentgelts in den Urlaubswochen ohne Einkommen dasteht), hält Tomandl für unbegründet, weil AN mündig genug seien sich das für die Urlaubszeit benötigte Geld zurückzulegen. Nur das „mimosenhafte Arbeitnehmerbild“ (S 75) des OGH sei Grundlage dieser in den Augen Tomandls unzulässigen Fehlinterpretation von § 7 UrlG. Seine Sichtweise mag für viele überdurchschnittlich verdienende AN zutreffen, aber Tomandl sei daran erinnert, dass das Schlagwort „working poor“ nicht von ungefähr kommt: Ein Viertel der unselbständig Beschäftigten in Österreich muss mit einem Nettomonatslohn oder -gehalt von weniger als 1.100 € sein Auslangen finden (Berechnungen der AK Wien auf der Grundlage von Mikrozensus und Einkommensteuerstatistik). Bedenkt man, dass mit diesen Einkommen Wohnungsmiete, Lebensmittel und andere Grundbedürfnisse (nach Jahren heftiger Preisentwicklung gerade in diesen Bereichen) zu begleichen sind, muss die Frage erlaubt sein, ob die Annahme wirklich „mimosenhaft“ ist, dass diese Menschen es nicht immer schaffen würden, ein übers Jahr verteiltes Urlaubsentgelt so weit anzusparen, dass damit fünf oder sechs einkommenslose Wochen gleichsam dem Luxus Erholung gewidmet werden können. Der Schutzzweck des Arbeitsrechts geht ins Leere, wenn er nicht gerade auch die reale Situation weniger privilegierter AN berücksichtigt.

Zusammenfassend kann Tomandls kleine Monographie wegen des interessanten und in vielerlei Hinsicht überzeugenden Versuchs dem UrlG eine schlüssige Systematik zu entnehmen und wegen der ausgezeichneten Lesbarkeit als geradezu vergnügliche Lektüre empfohlen werden. Die Schlussfolgerungen, die Tomandl daraus – in vielen Fällen entgegen der herrschenden Judikatur und Lehre – de lege lata zieht, vermögen jedoch wegen des allzu konsequenten Bemühens am einmal gefundenen System festzuhalten, wegen eines zu engen Erholungsbegriffes und wegen eines zu optimistischen AN-Bildes in der Sache häufig nicht zu überzeugen.