Schubert/Jerchel/DüwellDas neue Mindestlohngesetz – Grundlagen und Auswirkungen

Nomos Verlag, Baden-Baden 2015 183 Seiten, broschiert, € 34,–

MICHAELAFISCHER (SALZBURG)

22 von 28 EU-Mitgliedstaaten haben einen gesetzlichen Mindestlohn. In Österreich gibt es, abgesehen vom öffentlichen Dienst (vgl einerseits die Ausnahmen vom Geltungsbereich des ArbVG, andererseits das GehG bzw das VBG), einen solchen nicht. Aktuell ist das Thema des gesetzlichen Mindestlohns momentan in Deutschland. Hier wurde mit 1.1.2015, mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz (BGBl I S 1348), ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von € 8,50 brutto pro Arbeitsstunde eingeführt. Das vorliegende Werk stellt eines der vielen dar, die momentan zum neuen Mindestlohngesetz in Deutschland erscheinen. Die AutorInnen bezeichnen die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns als Meilenstein im deutschen Arbeitsrecht. Ziel des Buches ist es laut Vorwort, dieses „Arbeitsrecht im Arbeitsrecht“, wie die AutorInnen das Mindestlohnrecht umschrieben, in seinen Strukturen zu erkennen, auf die besonderen Rechtsfolgen hinzuweisen und „Argumentationssteinbruch“ für die zu erwartenden Diskussionen und Rechtsstreitigkeiten zu sein. Aus dem Vorwort geht weiters hervor, dass die AutorInnen mit der Hilfe von TarifpolitikerInnen, insb von den Gewerkschaften ver.di und NGG gearbeitet haben, was dem Buch eine wertvolle Praxisnähe verschafft.

Gleich zu Beginn legen die AutorInnen dar, was die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns veranlasst hat. Im Jahr 2012 verdienten fünf Millionen Beschäftigte in Deutschland weniger als € 8,50 brutto pro Stunde (davon 1,8 Mio unter € 6,– und 1,3 Mio unter € 5,–, vgl Rz 2 ff mwN). Dieser Umstand ist ua auf die Deregulierung des Arbeitsmarktes mit der immer weiteren Verbreitung prekärer Beschäftigung zurückzuführen. Damit einhergegangen ist auch eine Erosion des Tarifvertragssystems mit einer Abnahme der Tarifbindung (durch Mitgliederverluste der Gewerkschaften aber auch durch Verbandsaustritte auf AG-Seite). Die Gewerkschaften waren es dann, die die Diskussion um den gesetzlichen Mindestlohn vorangetrieben haben (vgl Rz 4 mwN). Er soll eine „(Gerechtigkeits-)Lücke“ vor allem im Niedriglohnbereich schließen. Das BM für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass ca 3,7 Mio Menschen vom Mindestlohn profitieren (www.der-mindestlohn-gilt.de/ml/DE/Ihre-Fragen/Allgemeine-Fragen-zum-Mindestlohn/faq-zum-mindestlohn-info.html). Auch in Österreich werden immer wieder Stimmen laut, die einen gesetzlichen Mindestlohn fordern. Warum ist das so? Trotz der hohen Abdeckungsrate der Kollektivverträge sind nicht alle AN vor Löhnen unter der Niedriglohngrenze (zwei Drittel des Medianlohnes) geschützt. Diese betrug in Österreich, im Jahr 2010, € 8,52/Stunde (auf eine 40-Stunden-Woche aufgerechnet sind das € 1.476,– brutto im Monat). Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten betrug in Österreich, im Jahr 2010, 15,1 % der Gesamtzahl der Beschäftigten. Ein großes Problem ist auch, dass bestimmte Beschäftigte gar nicht von den Instrumenten der kollektiven Rechtsetzung erfasst und daher ohne Mindestlohnschutz373 sind. Das Thema des gesetzlichen Mindestlohns ist daher auch in Österreich jedenfalls diskussionswürdig. Die Flucht aus dem Arbeitsrecht in atypische Beschäftigungsformen ist durch die vorhandenen Instrumente nicht aufzuhalten.

Zum Aufbau des Buches: In Teil 1 findet sich ein Überblick über die Mindestlohnregelungen, der laut den AutorInnen als Zusammenfassung zur Information der Belegschaft gut geeignet ist. Außerdem wird das Mindestlohngesetz in der Normenhierarchie beleuchtet und einer verfassungs- und unionsrechtlichen Bewertung unterzogen. Weiters wird der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens erläutert. Teil 2 beschäftigt sich vertieft mit Fragestellungen des Mindestlohngesetzes. Es werden die Anspruchsvoraussetzungen und die Rechtsfolgen erläutert. Die AutorInnen gehen davon aus, dass auch bei höherem Entgelt bis zum Betrag von € 8,50 das Regime des Mindestlohngesetzes gilt, was zur Folge hat, dass eine pauschale Monatsbetrachtung zur Vermeidung von Überstundenzahlungen nicht zulässig ist, weil Bezugspunkt die Zeitstunde ist (Rz 89). Dann widmen sich die AutorInnen der schwierigen und gesetzlich nicht geregelten Frage, welche Zahlungen auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen und nehmen eine Einteilung vor. Weiters werden die Ausnahmen vom persönlichen Anwendungsbereich des gesetzlichen Mindestlohns (PraktikantInnen, Jugendliche, Auszubildende, ehrenamtlich Tätige und Langzeitarbeitslose) dargestellt und einer kritischen Prüfung unterzogen. Bei der Ausnahme der Jugendlichen (Rz 172 ff), die damit begründet wird, dass der Mindestlohn Jugendliche vom Antritt einer Berufsausbildung oder dem Besuch einer weiterführenden Schule abhalten könnte, kommen die AutorInnen zu dem Ergebnis, dass diese sowohl verfassungs- als auch unionsrechtswidrig ist. Sie sehen eine Verletzung der Berufsfreiheit der Jugendlichen (Art 12 Abs 1 GG) und des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art 3 Abs 1 GG). Generell halten sie die Regelung für ungeeignet, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Mindestlohn einen Anreiz für Jugendliche schafft, eine Berufsausbildung oder Schule abzubrechen. Genau beschrieben wird weiters die Mindestlohnkommission (Rz 251 ff), die alle zwei Jahre über die Anpassung des Mindestlohns entscheidet. Sie ist eine ständige Kommission, die alle fünf Jahre neu berufen wird. Sie besteht aus einem neutralen Vorsitzenden, sechs stimmberechtigten Mitgliedern aus dem Kreis der Tarifpartner und zwei Mitgliedern ohne Stimmrecht aus dem Kreis der Wissenschaft. Das erste Mal wird sie Mitte 2016 zusammenkommen. Teil 3 widmet sich der Rolle des BR und seinen Rechten sowie den Umgehungsstrategien, etwa der Beschäftigung von Scheinselbstständigen. Teil 4 fasst die sozialrechtlichen Folgen des Mindestlohnrechts zusammen. Teil 5 und 6 behandeln die Änderungen im AN-Entsendegesetz und im Tarifvertragsgesetz. Im Anhang finden sich die wesentlichen Gesetzesbestimmungen abgedruckt.

Das vorliegende Buch bietet einen ausgezeichneten Einblick in das neue Mindestlohnrecht in Deutschland. Es ist sehr übersichtlich gestaltet und beinhaltet viele Verweise auf weiterführende Judikatur und Literatur für diejenigen, die sich vertieft mit der Materie beschäftigen wollen. Es wird auch immer wieder auf die Materialien zurückgegriffen, was die Darstellung abrundet. Vor allem für PraktikerInnen ist es ein wertvolles Nachschlagewerk, weil es sich praxisnah mit konkreten Fallgestaltungen beschäftigt, Lösungen präsentiert und, wie versprochen, Argumentationshilfen bereithält. Doch auch WissenschafterInnen und Interessierten, die sich einen kurzen Überblick verschaffen wollen, kann das Buch nur wärmstens empfohlen werden.