LudwigMitbestimmung im europäischen Konzern

Nomos Verlag, Baden-Baden 2014 390 Seiten, kartoniert, € 100,80

DOMENICORIEF (INNSBRUCK)

Beim Werk „Mitbestimmung im europäischen Konzern – Die Beteiligung konzernangehöriger Arbeitnehmer nach dem europarechtlichen Mitbestimmungsstatut“ von Pascal M. Ludwig, handelt es sich um eine 359 Seiten starke Dissertation, die an der Universität Tübingen im Jahr 2013 angenommen wurde.

Von seinem Aufbau her entspricht das Buch daher einer klassischen, juristischen wissenschaftlichen Arbeit, eine Tatsache, die für den Praktiker eher von Nachteil ist. Ein schnelles Nachschlagewerk zur Interpretation der einschlägigen europarechtlichen Gesetzgebungsakte zur Mitbestimmung samt dazugehöriger Judikatur darf nicht erwartet werden. Zudem findet sich kein Stichwortverzeichnis, man ist also bei der gezielten Suche auf das Inhaltsverzeichnis angewiesen. Auch ein Abkürzungsverzeichnis sucht man vergeblich, was für jene, die das Buch nicht systematisch von Beginn weg lesen und mit den Abkürzungen deutscher Gesetze nicht vertraut sind, durchaus störend sein kann. Auf die Übersichtlichkeit der Gliederung im Text wurde kein erhöhter Wert gelegt, die Überschriften sind einheitlich ohne Fettdruck formatiert, stechen daher nicht gleich ins Auge. Erleichtert wird die Lektüre aber durch sogenannte Thesen am Ende jedes Kapitels, welche meist einer Kurzzusammenfassung der wichtigsten Aussagen des jeweiligen Kapitels entsprechen. Wer sich den Inhalt in wenigen Minuten zu Gemüte führen möchte, findet die Thesen am Ende nochmals unter dem Titel 5 „Schlussbetrachtung“ auf knapp 16 Seiten wiedergegeben. Die Arbeit selbst geizt nicht mit Fußnoten und enthält ein umfassendes Literaturverzeichnis, wie es sich für eine Dissertation gehört.

Inhaltlich beginnt das Buch mit einem historischen Abriss zum Mitbestimmungsrecht in Deutschland. Für jene, die das Buch aufgrund seines Titels zur Hand nehmen, dürfte dieser Teil aber wenig hilfreich sein. Die Geschichte der Mitbestimmung, sei es in Deutschland, sei es bei der Entstehung der europäischen Richtlinien, nimmt generell einen erheblichen Teil der Arbeit ein und wird in Österreich bestenfalls einer historisch sehr interessierten Leserschaft entgegen kommen. Dem folgt ein recht umfassendes Kapitel zum deutschen Mitbestimmungsgesetz, zum Drittelbeteiligungsgesetz sowie zu einem deutschen Spezifikum, dem Montanmitbestimmungsgesetz. Ersteres ist durchaus informativ, da man einen Einblick in die viel gepriesene paritätische Mitbestimmung in Deutschland bekommt, welche den AN-VertreterInnen im Aufsichtsrat aufgrund des Dirimierungsrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden, der in der Regel der AG-Seite zugerechnet werden kann, keine echte Gleichberechtigung in der Stimmenverteilung einräumt. Dieses Kapitel ist auch notwendig, um die Beispielsfälle im Teil 4 besser verstehen und nachvollziehen zu können.

Erst auf S 127 startet mit dem Teil 3 „Mitbestimmung in europäischen Gesellschaften“ jener Teil, den der Titel des Buches verspricht. Auch dieser Teil beginnt mit der historischen Entwicklung in Europa seit 1970 und gibt vorerst interessante Hintergründe zur Entstehung der Societas Europea-(SE-)VO und der SE-RL, wie beispielsweise die Verhandlungspositionen der damaligen EG-(EU-)Mitgliedstaaten im Vorfeld der Gesetzgebung. Wer sich schon immer gefragt hat, warum die Bestimmungen zur Beteiligung der AN in einer SE nicht in der SE-VO, sondern in einer getrennten RL geregelt wurden, bekommt auch darauf eine Antwort: Es lag ausschließlich an den notwendigen Abstimmungsmehrheiten, die sich unterschieden, je nachdem auf welche Vertragsbestimmung sich der Rechtsakt stützte. Die für die SE-VO notwendige Einstimmigkeit konnte im Bereich der Mitbestimmung nicht erzielt werden. Für die SE-RL reichte jedoch eine qualifizierte Mehrheit. Schließlich führt der Autor an dieser Stelle noch Beispiele für die ersten SE-Gründungen in Deutschland auf. Seine, dieses Kapitel „Erste SE-Gründungen“ abschließende These, wonach das Modell SE in der Praxis als Erfolg bezeichnet werden müsse, stellt er jedoch völlig kommentarlos und ohne weitere Begründung auf.

Im historischen Abriss zur Verschmelzungs-RL erfährt man, dass dieser RL, deren Notwendigkeit bereits in den 1960er-Jahren erkannt wurde, erst die Einigung in den Mitbestimmungsregeln der SE zum Durchbruch verholfen hat.

Nach knapp 160 Seiten Lektüre kommt man zum eigentlichen materiellrechtlichen Teil über die Mitbestimmung. Wer aber glaubt, jetzt alles über jene EU-Richtlinien zu erfahren, die eine Mitbestimmung der AN auf europäischer Ebene regeln, irrt. Der Autor legt seinen Fokus nur auf zwei deutsche Umsetzungsgesetze. Auf der einen Seite handelt es sich dabei um das SEBG (Gesetz über die Beteiligung der AN in einer Europäischen Gesellschaft), welches in Umsetzung der RL 2001/86/EG das Mitbestimmungsmodell der SE in Deutschland festlegt, und auf der anderen Seite um das MgVG über die Mitbestimmung nach375 grenzüberschreitenden Verschmelzungen (Gesetz über die Mitbestimmung der AN bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung), das die RL 2005/56/EG umsetzt. Er gibt deren Inhalt ausführlich wieder, zeigt anschaulich die Abweichungen der deutschen Umsetzungsgesetze von den genannten Richtlinien anhand konkreter Beispiele auf und bewertet deren Europarechtskonformität. Hierzu stellt der Autor die unterschiedlichen Meinungen in der deutschen Fachliteratur dar und widmet sich dann selbst den diversen Auslegungsmöglichkeiten der SE-RL. Dabei kommt er entgegen der hM zum Schluss, dass die überschießende Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber bei der Einbeziehung der konzernangehörigen AN nicht durch den von der RL verfolgten Zweck der Mitbestimmungssicherung gerechtfertigt werden könne und daher nicht richtlinienkonform sei. Abschließend zeigt der Autor Lösungswege von der richtlinienkonformen Auslegung bis hin zum gesetzgeberischen Regelungsbedarf auf.

Was gänzlich fehlt, man aber aufgrund des Buchtitels eventuell auch erwarten hätte können, sind die (Umsetzungs-)Bestimmungen zur RL über die Mitbestimmung der AN in der Europäischen Genossenschaft (RL 2003/72/EG) oder eine Bezugnahme zur Europäischen-Betriebsräte-RL (RL 2009/38/EG).

Aus Sicht des österreichischen Praktikers kann das Buch aber durchaus seine Bedeutung haben, wenn im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung eines österreichischen Unternehmens ein deutsches Unternehmen beteiligt ist und es zur Anwendung der deutschen Umsetzungsregeln kommt oder wenn eine SE nach deutschem Recht gegründet wird und österreichische Töchter davon betroffen sind.376