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Begünstigung von Frauen bei der Vertragsarztauswahl

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)
Art 7 Abs 1 und 2 B-VG; § 338 Abs 1 und 2, § 343 Abs 1 und Abs 1a ASVG; BGBl II 2002/487 idF BGBl II 2009/239BGBl II 2009/239 § 2 Abs 1 Z 5, § 3 Abs 1; §§ 1, 5, 8 und 9 GlBG; Art 14 Abs 2 RL 2006/54/ EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen
  1. Es ist nicht gesetzwidrig, dass die Reihungskriterien-VO bei der Vergabe von Einzelverträgen im Sonderfach „Frauenheilkunde und Geburtshilfe“ 10 % der erreichbaren Gesamtpunktezahl für „die durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit“ vorsieht.

  2. Die sachliche Rechtfertigung ist allerdings nur solange gegeben, als ein nennenswerter Mangel an Vertragsfachärztinnen für Frauenheilkunde gemessen am Bedarf fortbesteht. Wurde eine ausreichende Versorgung erreicht und sieht die VO keine Ausnahmeregelung vor, kann die Bestimmung durch Zeitablauf gesetzwidrig werden.

  3. Die Vertragsarzttätigkeit unterliegt als selbständige Tätigkeit dem GlBG.

  4. Männliche Bewerber um eine Kassenstelle im Sonderfach Frauenheilkunde und Geburtshilfe werden durch die Vergabe von Zusatzpunkten an weibliche Bewerber iSd § 5 GlBG unmittelbar diskriminiert. Die unterschiedliche Behandlung ist aber zulässig, weil das weibliche Geschlecht eine – iSd § 9 GlBG – unverzichtbare Voraussetzung zur Sicherstellung einer angemessenen Versorgung sozialversicherter Patientinnen ist.

[…]

I. Anlassverfahren, Antrag und Vorverfahren

1. Mit dem vorliegenden, auf Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG gestützten Antrag begehrt das LG Salzburg, zwei näher bezeichnete Bestimmungen „der Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über die Kriterien für die Reihung der ärztlichen und zahnärztlichen BewerberInnen um Einzelverträge mit den Krankenversicherungsträgern (Reihungskriterien-Verordnung), BGBl II Nr 487/2002 idF [ergänze: der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit,] BGBl II Nr 239/2009, als gesetzwidrig aufzuheben“, und zwar „[i]n § 2 Abs 1 Z 5 die Wortfolge ‚bei im Sonderfach ‚Frauenheilkunde und Geburtshilfe‘ ausgeschriebenen Einzelverträgen die durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit‘ sowie in § 3 Abs 1 Gedankenstrich 5 die Wortfolge nach § 2 Abs 1 Z 5 zehn Prozent der durch die jeweiligen Gesamtvertragsparteien festgelegten erreichbaren Punkte“.

1.1. Diesem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.2. Beim LG Salzburg ist ein Verfahren gegen die Ärztekammer für Salzburg als Bekl anhängig. Der Kl, ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (im Folgenden: Frauenheilkunde), hat sich sowohl bei der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) als auch bei anderen Krankenkassen um Einzelverträge beworben, die gem § 343 Abs 1 des ASVG, BGBl 189/1955, zwischen dem zuständigen Träger der KV und dem Vertragsarzt nach den Bestimmungen des jeweiligen Gesamtvertrages im Einvernehmen mit der Ärztekammer abzuschließen sind. Die Auswahl des jeweiligen Bewerbers bzw der jeweiligen Bewerberin erfolgt dabei nach Maßgabe der VO des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über die Kriterien für die Reihung der ärztlichen und zahnärztlichen BewerberInnen um Einzelverträge mit den Krankenversicherungsträgern (Reihungskriterien-VO), BGBl II 487/2002, die ihre Grundlage in § 343 Abs 1a ASVG findet und die für die Vertragspartner des Gesamtvertrages verbindliche Kriterien für die Reihung der Bewerberinnen und Bewerber um Einzelverträge festlegt.

Die VO sieht ua in § 2 Abs 1 Z 5 leg cit vor, dass bei den im Sonderfach Frauenheilkunde ausgeschriebenen Einzelverträgen auch „die durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit“ ein Reihungskriterium ist, das gem § 3 Abs 1 fünfter Gedankenstrich Reihungskriterien-VO mit 10 % der durch die jeweiligen Gesamtvertragsparteien festgelegten erreichbaren Punkte zu bewerten ist. Gestützt auf diese Vorschriften schreibt auch § 3 Abs 6 Z 6a der Richtlinien der Ärztekammer für Salzburg und der GKK Salzburg für die Auswahl der VertragsärztInnen für Allgemeinmedizin und VertragsfachärztInnen vor, dass im Sonderfach Frauenheilkunde 7,5 von insgesamt 75 Punkten an weibliche Bewerber zu vergeben sind.

1.3. Nach Durchführung eines – den genannten Bestimmungen entsprechenden – Reihungsverfahrens wurde der Kl des Anlassverfahrens mit den von ihm – nach seinen Behauptungen – erreichten 70 Punkten auf den dritten Platz gereiht, während zwei weibliche Bewerber mit 78,75 bzw 71 Punkten den ersten bzw zweiten Platz belegten. Da der Kl eigenen Angaben zufolge nahezu alle Punktekontingente vollständig ausgeschöpft habe, sei es ihm unmöglich, in künftigen Reihungsverfahren weitere Punkte zu erlangen. Das habe zur Konsequenz, dass wegen des Punktevorsprunges von 10 % für weibliche Bewerber dauerhaft nicht der Kl, sondern Frauen erstgereiht würden; dies sogar im Falle schlechterer fachlicher Kompetenz.

1.4. Mit der am 26.11.2013 beim LG Salzburg im Anlassverfahren eingebrachten Klage begehrte der Kl das Urteil, die Ärztekammer für Salzburg sei schuldig, gegenüber dem Kl für den Fall der Bewerbung um eine freie Kassenvertragsstelle die Anwendung des § 3 Abs 6 Z 6a der genannten Richtlinien der Ärztekammer für Salzburg und der SGKK zu unterlassen. Er begründete seine Klage damit, dass es gleichheitswidrig sei, ausschließlich wegen seiner Geschlechtszugehörigkeit bei der Reihung zur Vergabe von Einzelverträgen benachteiligt zu werden. Die Ärztekammer für Salzburg bestritt das Klagebegehren und brachte vor, dass sie an die Reihungskriterien-VO gebunden sei. […]

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. […]

1.2. […]322

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

Der Antrag ist jedoch nicht begründet:

2.1. Gem § 338 Abs 2 ASVG ist durch Verträge gem Abs 1 der zitierten Gesetzesstelle die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen der gesetzlichen KV sicherzustellen. Nach § 343 Abs 1 ASVG erfolgen die Auswahl der Vertragsärzte und der Abschluss der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der KV und dem Arzt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. Zu diesem Zweck sind gem § 343 Abs 1a ASVG auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer durch VO des Bundesministers für Gesundheit verbindliche Kriterien für die Reihung der Bewerber um Einzelverträge festzulegen.

2.1.1. Die – gestützt auf die letztgenannte Bestimmung – vom Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen erlassene (und vom Bundesminister für Gesundheit novellierte) Reihungskriterien-VO schreibt in ihrem § 2 Abs 1 leg cit als maßgebliche Auswahlkriterien die fachliche Eignung, zusätzliche fachliche Qualifikationen, den Zeitpunkt der ersten Eintragung in eine Bewerberliste um Einzelverträge sowie die Zusage, sich ernsthaft zu bemühen, einen behindertengerechten Zugang zur Praxis zu schaffen, vor. Als weiteres Kriterium für die Reihung ist seit der VO des Bundesministers für Gesundheit, BGBl II 239/2009beim Sonderfach Frauenheilkunde gem § 2 Abs 1 Z 5 leg cit außerdem „die durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit“ genannt.

2.1.2. Die einzelnen Kriterien sind nach einem in § 3 Abs 1 leg cit festgelegten Punktesystem zu bewerten, wobei auf die fachliche Eignung zwischen 15 und 35 Punkte, auf eine zusätzliche fachliche Qualifikation 5 bis 15 Punkte, auf den Zeitpunkt der Eintragung in die Bewerberliste 5 bis 20 Punkte, auf die Zusage, sich ernsthaft zu bemühen, einen behindertengerechten Zugang zur Praxis zu schaffen, 2 bis 5 Punkte und im Sonderfach Frauenheilkunde auf die durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit 10 % der insgesamt durch die jeweiligen Gesamtvertragsparteien festgelegten erreichbaren Punkte entfallen. Als weitere Kriterien können zudem geleistete Präsenz-, Ausbildungs-, Zivildienst und zurückgelegte Mutterschutz- oder Karenzzeiten sowie die soziale Förderungswürdigkeit im Ausmaß von jeweils 5 Punkten berücksichtigt werden. Die nähere Ausgestaltung innerhalb des von der VO vorgegebenen Rahmens obliegt dem Gesamtvertrag.

2.1.3. Diesen Vorgaben entsprechend normiert § 4 Abs 4 des zwischen dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und der Ärztekammer für Salzburg abgeschlossenen Gesamtvertrages, dass die Vertragsparteien für die Auswahl der Vertragsärzte Richtlinien vereinbaren können. Diese Richtlinien der Ärztekammer für Salzburg und der SGKK für die Auswahl der VertragsärztInnen, die als Anhang Teil des genannten Gesamtvertrags sind, sehen in Übereinstimmung mit der Reihungskriterien-VO in § 3 Abs 6 vor, dass für die fachliche Eignung maximal 35 Punkte, für eine zusätzliche fachliche Qualifikation maximal 15 Punkte, für den Zeitpunkt der Antragstellung maximal 20 Punkte, für die Zusage eines behindertengerechten Zuganges zur Praxis 5 Punkte und für die durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit 7,5 Punkte, also 10 % der nach dieser RL festgelegten maximalen Punkteanzahl von 75 Punkten, zu vergeben sind (§ 3 Abs 6 Z 6a leg cit).

2.2. Das LG Salzburg führt in seinem Antrag aus, dass die Norm dadurch, dass weibliche Bewerber um eine Kassenvertragsstelle im Fachgebiet der Frauenheilkunde gegenüber männlichen Bewerbern zusätzlich 10 % der insgesamt zu vergebenden Punkte erhielten, ausschließlich an das Geschlecht der Bewerberin anknüpfe. Es liege daher insoweit eine direkte Diskriminierung nach dem Geschlecht vor.

Das LG Salzburg ist der Auffassung, dass diese Diskriminierung sachlich nicht zu rechtfertigen sei, und zwar weder im Lichte des Art 7 Abs 2 B-VG noch des Art 7 Abs 1 B-VG unter dem Gesichtspunkt der Erleichterung des Zuganges von Frauen zu gynäkologischen Behandlungen bei weiblichen Vertragsfachärzten:

2.2.1. Zwar würden die angefochtenen Vorschriften der Reihungskriterien-VO dem in Art 7 Abs 2 B-VG verankerten legitimen Ziel der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insb durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten dienen. Allerdings sei ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Bewerbern bei der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit nicht zu erblicken, weshalb die angefochtenen Bestimmungen auch das angestrebte Ziel verfehlten.

2.2.2. Hinsichtlich des zweitgenannten Gesichtspunktes gebe es keinen Grund, aus dem man herleiten könne, dass Frauen aus rein medizinischer Sicht bessere fachliche Fähigkeiten als Männer besäßen und somit aus biologisch bestehenden Gründen eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei.

2.3. Die Erläuterungen zur Reihungskriterien-VO begründen die angefochtenen Bestimmungen wie folgt:

„Viele Frauen haben das Bedürfnis, gynäkologische Untersuchungen und Behandlungen von einer Ärztin durchführen zu lassen. Dabei stehen sie häufig vor dem Problem, dass in ihrer Versorgungsregion alle Vertragsarztstellen im Sonderfach Frauenheilkunde und Geburtshilfe durch Männer besetzt sind. […]Wird eine Wahlärztin aufgesucht, so sind die Kosten für die in Anspruch genommenen Leistungen zunächst zur Gänze von der Patientin zu tragen und können in der Folge nur teilweise vom Krankenversicherungsträger erstattet werden. Ferner ist die Rückerstattung der Kosten für die Patientin mit einem administrativen Aufwand ver-323bunden, da die Kostenerstattung einen entsprechenden Antrag voraussetzt.Durch die vorgeschlagene Änderung, wonach die durch das gleiche Geschlecht von Ärztin und Patientin zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit als Kriterium für die Reihung mit zehn Prozent der nach der jeweiligen Richtlinie erreichbaren Punkten bewertet werden soll, soll der Frauenanteil im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe erhöht werden. In der Folge soll Patientinnen, die eine/n Fachärztin/Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe aufsuchen möchten, ermöglicht werden, in ihrer Versorgungsregion zwischen einem Vertragsarzt und einer Vertragsärztin zu wählen.“

2.4. Dem aus Art 7 Abs 2 B-VG abgeleiteten Argument des antragstellenden Gerichtes ist zu entgegnen, dass hinsichtlich der angefochtenen Bestimmungen der Reihungskriterien-VO weder Ziel noch Wortlaut der Norm eine Bevorzugung weiblicher Fachärzte bei der Vergabe von Einzelverträgen auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde zum Zwecke einer faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insb durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten anstreben.

Der verordnungserlassende Bundesminister geht vielmehr davon aus, dass im Fachgebiet der Frauenheilkunde insoweit ein Mangel der Versorgung vorliegt, als es deutlich weniger weibliche Vertragsärzte auf diesem Fachgebiet gibt, als für die Versorgung der weiblichen Patienten benötigt werden, sodass diese ihren Bedarf an weiblichen Fachärzten zum Großteil nur im Wege der Inanspruchnahme von weiblichen Wahlärzten decken können.

2.4.1. Die angegriffenen Bestimmungen der VO dienen somit der Behebung eines entgegen dem gesetzlichen Versorgungsauftrag des § 338 Abs 2 erster Satz ASVG bestehenden Mangels der Gesundheitsversorgung sozialversicherter weiblicher Patienten auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde und sollen diesen weiblichen Patienten eine gleichwertige Wahlmöglichkeit zwischen weiblichen und männlichen Vertragsärzten eröffnen.

2.4.2. Das antragstellende Gericht verkennt mit seinem Argument, wonach die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt sei, weil sich Frauen und Männer in den fachlichen Fähigkeiten nicht unterscheiden würden, das Anliegen des Verordnungsgebers, der die medizinischen Fähigkeiten männlicher Fachärzte der Frauenheilkunde keineswegs geringer als jene der weiblichen Fachärzte bewertet: Der Verordnungsgeber berücksichtigt vielmehr, dass es – abgesehen von der ärztlichen Befähigung – auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde dem Gegenstand des Faches gemäß für das Vertrauen eines Teils der weiblichen Patienten eine besondere Rolle spielt, dass der Arzt weiblichen Geschlechts ist. Vor diesem Hintergrund besteht aus objektiven Gründen ein – iSd Art 7 Abs 1 B-VG zu verstehendes – legitimes Bedürfnis nach einem entsprechenden Anteil weiblicher Vertragsärzte aus dem Fachgebiet der Frauenheilkunde.

2.4.3. Die im Verfahren vom Bundesminister für Gesundheit vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen nicht bestrittenen Daten belegen, dass sich diese Annahme auch in der Realität bestätigt. Wenn in der Äußerung des Bundesministers dargetan wird (und in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde), dass im Jahr 2013 insgesamt 40.288 Honorarnoten von Wahlfachärzten für Frauenheilkunde zur Kostenerstattung eingereicht worden sind, wovon 62,5 % von weiblichen Wahlfachärzten ausgestellt worden sind (das sind ein Drittel aller eingereichten Honorarnoten von Wahlärzten), dann ist dem Bundesminister für Gesundheit nicht entgegenzutreten, wenn er davon ausgegangen ist, dass auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde das für das Verhältnis der weiblichen Patienten zum Arzt erforderliche Vertrauen in einem besonders hohen Ausmaß zu weiblichen Fachärzten besteht, und zwar aus den zuvor genannten und für die Versorgung bedeutsamen Gründen.

2.4.4. Der Bundesminister für Gesundheit hat auch dargetan, dass ein Mangel an weiblichen Vertragsärzten für Frauenheilkunde besteht. Denn aus dem im Verfahren vor dem VfGH zu dieser Frage vorgelegten Datenmaterial geht hervor, dass auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde der Anteil der weiblichen Vertragsärzte im österreichischen Durchschnitt mit etwa 17,2 % (2009) weit unter jenem Prozentsatz von über 60 % liegt, in dem Frauen weibliche Wahlärzte nachfragen.

So hat der Anteil der weiblichen Vertragsärzte auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde im Jahr 2009 höchstens 36 % (Burgenland), gefolgt von 33 % (Niederösterreich) und 22 % (Wien) betragen. In den übrigen Bundesländern lag der Wert zwischen 7 und 13 % (Salzburg, Vorarlberg, Oberösterreich, Steiermark, Tirol), während es in Kärnten keinen einzigen weiblichen Vertragsarzt gegeben hat.

Angesichts dessen und angesichts der Bevorzugung von weiblichen Wahlärzten durch die weiblichen Patienten im Ausmaß von über 60 % der Inanspruchnahme von Fachärzten für Frauenheilkunde ist dem verordnungserlassenden Bundesminister auch in der Annahme nicht entgegenzutreten, dass im Bereich dieses Sonderfaches tatsächlich ein Mangel an weiblichen Vertragsfachärzten besteht. Das Ziel der angefochtenen Verordnungsbestimmungen, diesen tatsächlich bestehenden Mangel im Gesundheitswesen alsbald zu beheben, entspricht einem wichtigen öffentlichen Interesse.

2.4.5. Der verordnungserlassende Bundesminister konnte auch vertretbarerweise davon ausgehen, dass die Bevorzugung von Frauen bei der Vergabe von Facharztstellen ein geeignetes Mittel ist, diesem Mangel abzuhelfen, wie auch die seither gestiegenen Anteile an weiblichen Vertragsärzten für Frauenheilkunde in den einzelnen Bundesländern belegen.

2.4.6. Angesichts des nach wie vor nicht behobenen Mangels an weiblichen Vertragsfachärzten für Frauenheilkunde sind die Bestimmungen auch im Jahre 2014 nicht unsachlich geworden. Wie das vom Bundesminister für Gesundheit vorgelegte Datenmaterial nämlich zeigt, erreicht der Frauenanteil in den Bundesländern den für eine ausreichende Versorgung erforderlichen Anteil nach wie vor nicht. Vielmehr liegt der Anteil der weiblichen324 Vertragsärzte für Frauenheilkunde im Jahr 2014 in den einzelnen Bundesländern zwischen 4 und 50 %; im österreichischen Durchschnitt beträgt er erst 23 %.

2.4.7. Das ändert freilich nichts daran, dass die angefochtenen Vorschriften der Reihungskriterien-VO nur solange sachlich gerechtfertigt werden können, als ein nennenswerter Mangel an weiblichen Fachärzten für Frauenheilkunde gemessen am Bedarf fortbesteht. Sie können durch Zeitablauf gesetzwidrig werden, nämlich dann, wenn eine ausreichende Versorgung erreicht wurde und die VO dafür eine entsprechende Ausnahmeregelung nicht vorsieht (vgl VfSlg 12.735/1991 ua). Das ist derzeit aber (noch) nicht der Fall.

2.5. Aber auch mit dem vorgebrachten weiteren Bedenken, die angefochtenen Vorschriften der Reihungskriterien-VO verstießen gegen das BG über die Gleichbehandlung (GlBG), BGBl I 66/2004, ist das LG Salzburg im Ergebnis nicht im Recht:

2.5.1. Das antragstellende Gericht bringt in diesem Zusammenhang zunächst vor, dass das GlBG – in Umsetzung der RL 2010/41/EU zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der RL 86/613/EWG des Rates – seit der Novelle BGBl I 107/2013auch auf selbständige Tätigkeiten anzuwenden sei. Seitdem sehe § 1 Abs 1 GlBG vor, dass die Bestimmungen des 1. Teiles, die eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt intendieren, auch für die Gründung, Einrichtung oder Erweiterung eines Unternehmens sowie die Aufnahme oder Ausweitung jeglicher anderen Art von selbständiger Tätigkeit gelten. Niedergelassene Ärzte seien nach Ansicht des LG Salzburg selbständig tätig, weshalb ein Abschluss eines Einzelvertrages mit einer Krankenkasse für einen Arzt auch als Ausweitung dieser selbständigen Tätigkeit gem § 4 Z 3 GlBG anzusehen sei.

2.5.2. Durch die Gewährung eines Punktezuschlages nur an weibliche Bewerber werde zudem ausschließlich nach dem Geschlecht differenziert. Damit liege aber eine unmittelbare Diskriminierung iSd § 5 GlBG vor, die ihrerseits nur durch Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern, insb durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten iSd Art 7 Abs 2 B-VG, gerechtfertigt werden könnte. Die Erreichung eines solchen Zieles sei bei der Erlassung der Novelle zur Reihungskriterien-VO gerade nicht beabsichtigt gewesen. Es liege insoweit also ein Verstoß der angefochtenen Vorschriften gegen das GlBG vor.

2.5.2.1. Es trifft zu, dass die Tätigkeit eines Vertragsarztes der SV als selbständige Tätigkeit dem Anwendungsbereich des GlBG unterliegt. Dies war bereits vor der vom LG Salzburg angesprochenen Neufassung des § 1 Abs 1 Z 4 GlBG der Fall, als das GlBG in dieser Hinsicht noch ausschließlich auf „Bedingungen für den Zugang zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit“ anwendbar war (vgl dazu Rebhahn in

Rebhahn
[Hrsg], GlBG [2005] § 1 Rz 46). Umso mehr hat dies deshalb für die Neufassung dieser Bestimmung durch BGBl I 107/2013zu gelten, der zufolge die „Aufnahme oder Ausweitung jeglicher anderen Art von selbständiger Tätigkeit“ dem GlBG unterfällt.

2.5.2.2. Es kann dem antragstellenden Gericht auch nicht entgegengetreten werden, wenn es vorbringt, dass die angefochtenen Vorschriften der Reihungskriterien-VO männliche Bewerber um Vertragsarztstellen im Bereich der Frauenheilkunde unmittelbar diskriminieren, da eine solche Diskriminierung nach § 5 GlBG nur voraussetzt, dass eine Person auf Grund ihres Geschlechtes in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Gerade dies ist bei männlichen Bewerbern um eine Kassenvertragsarztstelle hier der Fall.

2.5.3. Anders als das LG Salzburg meint, ist aber die in der Reihungskriterien-VO vorgenommene Differenzierung nach dem Geschlecht auch nach den Vorschriften des GlBG vor dem Hintergrund des europäischen Sekundärrechts, das es umsetzt, einer Rechtfertigung zugänglich.

2.5.4. Das antragstellende Gericht übersieht in diesem Zusammenhang, dass eine Vorgangsweise, die sonst als unmittelbare Diskriminierung anzusehen wäre, nicht nur nach § 8 leg cit zulässig sein kann, wonach Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern iSd Art 7 Abs 2 B-VG nicht als Diskriminierungen iS dieses Gesetzes gelten. Vielmehr liegt eine zulässige Differenzierung nach dem Geschlecht auch dann vor, wenn das Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für eine berufliche Tätigkeit ist (siehe dazu ausführlich Hopf/Mayr/Eichinger, Gleichbehandlung – Antidiskriminierung [2009] § 5 Rz 48 ff).

2.5.5. § 9 GlBG regelt den Fall zulässiger Verschiedenbehandlung aus dem Grund der geschlechtsbezogenen beruflichen Anforderungen in der Weise, dass ein AG einen Arbeitsplatz nicht nur für Männer oder nur für Frauen ausschreiben darf, es sei denn, ein bestimmtes Geschlecht ist unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der vorgesehenen Tätigkeit (vgl die weitere Erwähnung dieser Voraussetzung in § 12 Abs 12 GlBG betreffend die Beweislastverteilung). Wie die Erörterung dieser Frage in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, ist der Begriff der „Unverzichtbarkeit“ iSd ihm zugrunde liegenden Richtlinienbestimmung des Art 14 Abs 2 der RL 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) auszulegen. Das Erfordernis des weiblichen Geschlechts des Arztes zur Sicherstellung einer angemessenen Versorgung sozialversicherter Patientinnen auf dem Fachgebiet der Frauenheilkunde ist – wie das Verordnungsprüfungsverfahren ergeben hat – im Rahmen des bestehenden Versorgungsbedarfs für die auf diesem Gebiet tätigen weiblichen Fachärzte eine objektiv vorliegende berufliche Anforderung iSd Richtlinienbestimmung (vgl in diesem Sinne zum Beruf der Hebammen EuGH 8.11.1983, 165/82, Kommission gegen Vereinigtes Königreich) und daher „unverzichtbar“ iSd GlBG.325

2.6. Vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Sekundärrechts liegt daher auch der vom LG Salzburg behauptete Verstoß der angefochtenen Verordnungsteile gegen Vorschriften des GlBG nicht vor. […]

ANMERKUNG
1.
Sachverhalt und Präjudizialität

Ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe hatte sich um eine Vertragsarztstelle bei der SGKK beworben. Er wurde entsprechend den Reihungskriterien des anwendbaren Gesamtvertrags, der gem § 343 Abs 1a ASVG an die Reihungskriterien-VO gebunden ist, an die dritte Stelle hinter zwei Frauen gereiht. Die Reihungsrichtlinien des Gesamtvertrags sehen entsprechend § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 5 Reihungskriterien-VO 10 % der erreichbaren Gesamtpunkte für „die durch das weibliche Geschlecht zusätzlich vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit“ vor, im konkreten Fall 7,5 von 75 Punkten. Ohne Anwendung dieses Kriteriums wäre der Facharzt an die zweite Stelle der Reihung gekommen. Für das konkrete Verfahren waren die Zusatzpunkte für Frauen daher, geht man davon aus, dass die Erstgereihte die Stelle auch angenommen hat, nicht ausschlaggebend. Trotzdem hat der VfGH zu Recht den Antrag auf Verordnungsprüfung zugelassen. Nach § 57 Abs 2 VfGG reicht es bei einem gerichtlichen Antrag dafür aus, dass die VO vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Gesetzmäßigkeit der VO eine Vorfrage für die E der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Es geht also – so der VfGH – nur um denkmögliche Anwendung. Der Arzt hat sich in seiner Klage gar nicht unmittelbar auf das konkrete Vergabeverfahren bezogen, sondern die Unterlassung der Anwendung der sE gesetzwidrigen Richtlinien begehrt. Diesbezüglich ist die VO jedenfalls denkmöglich anzuwenden. Im Übrigen wäre die Präjudizialität auch dann gegeben gewesen, wenn das Verfahren die konkrete Vergabe betroffen hätte. § 57 Abs 2 VfGG verlangt nicht, dass die Nicht-Anwendung der VO zu einem anderen Ergebnis im konkreten Rechtsstreit führt.

2.
Gleichheitssatz

Das vorlegende Gericht hat die Gleichheitswidrigkeit vor allem darin gesehen, dass Art 7 Abs 2 B-VG positive Maßnahmen zur Förderung nur erlaubt, wenn sie auf die Beseitigung oder Verringerung tatsächlicher Ungleichheiten abzielen. Zwischen Bewerberinnen und Bewerbern bestünden aber – ohne die Vergabe zusätzlicher Punkte für Frauen – keine tatsächlichen Unterschiede. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob Art 7 Abs 2 B-VG tatsächlich so eng ausgelegt werden kann. Der Wortlaut spricht eher dagegen. Es sind danach Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Männern und Frauen zulässig, insb durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten. Die Gleichstellungsförderung ist ein legitimes Ziel staatlichen Handelns und erlaubt auch solche Maßnahmen, die Männer schlechter stellt („positive Diskriminierung“), sofern diese verhältnismäßig sind (vgl Berka, Art 7 B-VG, in

Kneihs/Lienbacher
[Hrsg], Rill/Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht [1. Lfg 2001] Rz 90). Da es deutlich weniger Frauen mit Kassenverträgen in dem hier maßgeblichen Sonderfach gibt, wäre eine Begünstigung bei der Vergabe jedenfalls eine Maßnahme der Gleichstellungsförderung. Eine solche soll „insbesondere“, also nicht zwingend, durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten erfolgen. Damit sind nicht biologische oder fachliche, sondern vor allem gesellschaftlich bedingte Ungleichheiten gemeint. Es geht letztlich darum, dass vorhandene Diskriminierungen von Frauen durch Privilegierungen solange ausgeglichen werden sollen, bis keine Diskriminierung mehr besteht. Eine ausgewogene Verteilung von Vertragsarztstellen kann durch Zusatzpunkte für Frauen bei der Vergabe von Kassenverträgen erreicht werden (ob es effektivere Maßnahmen gibt, ist bei der Eignung nicht zu prüfen). Dabei stehen Qualifikationskriterien deutlich im Vordergrund, weshalb man auch von einem durchaus maßvollen und keineswegs überzogenen Mittel der Durchsetzung des verfolgten Ziels sprechen kann. Die Punkteregelung wäre daher an sich als zulässige Maßnahme der Gleichstellung iSd Art 7 Abs 2 B-VG anzusehen (ob die Beschränkung auf ein einziges Fach verfassungsrechtlich bedenklich wäre, muss hier nicht beurteilt werden).

Wie der VfGH zu Recht ausführt, geht es im konkreten Fall aber nicht um „positive Diskriminierung“, sondern um eine angemessene Versorgung von Patientinnen. Nach der klaren Absicht des Verordnungsgebers dienen die Zusatzpunkte nur dazu, die Zahl der Kassenärztinnen im Fach Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu erhöhen und nicht etwa auch in anderen Fächern, in denen Vertragsärztinnen ebenso unterrepräsentiert sind. Eine solche Maßnahme ist aber am allgemeinen Gleichheitssatz des Art 7 Abs 1 B-VG zu messen. Der VfGH stellt das Anliegen an sich nicht in Frage und begnügt sich dann mit einer globalen Prüfung, ob tatsächlich ein Mangel an einschlägigen Vertragsfachärztinnen besteht. Dabei wird einerseits auf das Verhältnis männlicher und weiblicher Kassenärzte für Frauenheilkunde und andererseits (zur Begründung des Bedarfs der Patientinnen) auf das Verhältnis der Inanspruchnahme weiblicher und männlicher Wahlärzte im betroffenen Sonderfach abgestellt. Die vorgelegten Zahlen sind dabei österreichweit eindeutig (2014: 23 % Vertragsärztinnen). Zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen aber offenbar große Unterschiede (2014: zwischen 4 und 50 %).

Generell ist fraglich, auf welche Verhältniszahlen es ankommen soll. Der österreichweite Frauenanteil bei VertragsärztInnen ist letztlich wenig aussagekräftig. Das liegt zwar nicht daran, dass die großen Kassen (GKK) jeweils für ein Bundesland zuständig sind. Die freie Wahl zwischen den Vertragsärzten bezieht sich auf das gesamte Bundesgebiet (das ergibt sich aus § 129 ASVG, vgl dazu Mos-326ler, Die freie Arztwahl in der Krankenversicherung, DRdA 2015, 139 ff [142]). Es hilft den Vorarlberger oder Lungauer Frauen allerdings wenig, wenn es in Wien einen hohen Anteil an Gynäkologinnen gibt und dadurch der Österreichschnitt verbessert wird. Eine mehrstündige Fahrt zur Vertrauensärztin ist nicht zumutbar. Es liegt nahe, den für die freie Arztwahl (§ 135 Abs 2 und § 342 Abs 1 Z 1 ASVG) als Regelfall vorgesehenen Maßstab „in angemessener Zeit erreichbar“ auch hier anzuwenden. Die Vertragsärztinnen begünstigende Regelung in der Reihungskriterien-VO bezweckt ja, Patientinnen die Behandlung durch eine Frau zu ermöglichen. Auch wenn aufgrund verbesserter Verkehrsbedingungen idR eine schnellere Erreichbarkeit des jeweiligen Zentralraums als früher gegeben ist, wird das angestrebte Ziel nicht erreicht sein, wenn es zB in der Stadt Salzburg ausreichend (vielleicht sogar mehr als 50 %) Frauen mit Kassenvertrag in der Frauenheilkunde gibt, im südlichen Teil des Bundeslandes aber keine weibliche Vertragsärztin in diesem Fach vorhanden ist. Die Reihungskriterien-VO ist sehr allgemein gehalten und berücksichtigt weder regionale Unterschiede noch eine mögliche Veränderung der Situation. Der VfGH hat dies zwar akzeptiert, aber darauf hingewiesen, dass die VO durch Zeitablauf gesetzwidrig werden kann, wenn eine ausreichende Versorgung erreicht wurde und die VO keine entsprechende Ausnahmeregelung vorsieht. Wann ist aber die Versorgung mit Vertragsärztinnen in der Frauenheilkunde ausreichend? Sogar wenn man dem Verordnungsgeber iSd Rsp des VfGH zubilligt, dass er von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen darf, wird eine Orientierung am österreichischen Durchschnitt angesichts des Ziels einer adäquaten Versorgung ein zu grober Raster sein. Stellt man auf das Bundesland oder auf eine kleinere regionale Einheit (iSd angemessenen Erreichbarkeit) ab, wäre freilich die VO gesetzwidrig, wenn in einer Einheit eine ausreichende Versorgung mit Vertragsärztinnen gegeben ist. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn mehr als 50 % der entsprechenden VertragsärztInnen Frauen sind. Das ist die Konsequenz daraus, dass die VO weder regional differenziert noch eine Ausnahmebestimmung bzw Grenze bei ausreichender Versorgung vorsieht. Eine solche differenzierende Regelung sollte daher in die Reihungskriterien-VO aufgenommen werden, wobei auch eine entsprechende Ermächtigung der Gesamtvertragsparteien möglich wäre.

3.

Kein Zweifel besteht mittlerweile daran, dass Vertragsarztstellen als Aufnahme oder Ausweitung von selbständiger Tätigkeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 GlBG idF BGBl I 2013/107anzusehen sind. Beim früheren Wortlaut („Bedingungen für den Zugang zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit“) war dies zwar nicht ganz eindeutig, letztlich aber auch zu bejahen. Zu Recht qualifiziert der VfGH die einschlägige Bestimmung in der Reihungskriterien-VO als unmittelbare Diskriminierung nach § 5 GlBG, weil schon eine weniger günstige Behandlung des anderen Geschlechts dafür ausreicht. Nach § 4 Z 3 GlBG ist eine solche Diskriminierung verboten. Eine Ausnahme sieht das GlBG nur in § 8 in den Fällen der Gleichstellungsförderung iSd Art 7 Abs 2 B-VG vor. Diese Ausnahme greift hier nicht, weil eine positive Diskriminierung gar nicht intendiert ist (siehe oben 2.). Unter Verweis auf Hopf/Mayr/Eichinger, Gleichbehandlung – Antidiskriminierung ([2009] § 5 GlBG Rz 48 ff) liegt nach dem VfGH eine zulässige Differenzierung nach dem Geschlecht auch dann vor, wenn das Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für eine berufliche Tätigkeit ist. Aus dem Wortlaut des GlBG ergibt sich das freilich nicht. Abgeleitet wird dies offenbar daraus, dass § 9 GlBG eine solche Ausnahme beim Verbot der geschlechtsbezogenen Stellenausschreibung vorsieht (und in § 12 Abs 12 GlBG diese Voraussetzung bei der Beweislastverteilung erwähnt wird). Auch wenn diese Schlussfolgerung nicht zwingend ist, weil es ja nicht um die Ausschreibung einer Stelle, sondern um die Diskriminierung bei der Auswahl (dh im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit) geht, ist sie vertretbar. Ein ausnahmsloses Differenzierungsverbot kann, wie das vorliegende Beispiel zeigt, kaum durchgehalten werden. Es wäre auch widersprüchlich, die geschlechtsbezogene Ausschreibung ausnahmsweise zu erlauben, dann aber bei der Einstellung der Person uU eine geschlechtsbezogene Diskriminierung anzunehmen.

„Unverzichtbar“ ist das weibliche Geschlecht für die Ausübung der Tätigkeit einer ärztlichen Tätigkeit im Fach Frauenheilkunde jedoch keineswegs. Nimmt man den Wortlaut ernst, wird man kaum Beispiele für Unverzichtbarkeit finden (vgl auch Hopf/Mayr/Eichinger, Gleichbehandlung – Antidiskriminierung § 5 GlBG Rz 54, die das Beispiel der Amme erwähnen). In der Folge versteht der VfGH unter Verweis auf die Erörterung dieser Frage in der mündlichen Verhandlung (???) und ansonsten begründungslos unter „Unverzichtbarkeit“ die „objektiv vorliegende berufliche Anforderung“ iSd § 14 Abs 2 der RL 2006/54/EG. Das scheint ein weniger strenger Maßstab zu sein. Der Wortlaut der RL ist aber keineswegs klar. Es besteht danach uU keine Diskriminierung, „wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt“. Nach hM ist bei der Auslegung ein strenger Maßstab anzulegen und es sind nur solche Voraussetzungen erfasst, die ein Tätigwerden von Beschäftigten des anderen Geschlechts praktisch oder rechtlich ausschließen (vgl Hopf/Mayr/Eichinger, Gleichbehandlung – Antidiskriminierung § 5 GlBG Rz 53). Da es männliche Vertragsärzte für Frauenheilkunde gibt und diese auch von Frauen in Anspruch genommen werden, bleiben bei diesem Verständnis auch bei der Einbeziehung von § 14 Abs 2 der RL 2006/54/EG Zweifel daran, ob die Diskriminierung gerechtfertigt werden kann. Die als Beleg zitierte E des EuGH zur beruflichen Anforderung von Hebam-327men (EuGH 8.11.1983, 165/82, Kommission/Vereinigtes Königreich) ist zwar insofern vergleichbar, als der EuGH Beschränkungen für den Zugang zu dieser Beschäftigung als gerechtfertigt angesehen hat, weil „persönliche Empfindsamkeiten“ in der Beziehung zwischen Hebamme und Patientin eine bedeutende Rolle spielen würden. Der Unterschied in den Fallgestaltungen liegt aber darin, dass die Konsultation eines männlichen Vertragsfacharztes für Frauenheilkunde in der Praxis häufig vorkommt, während es männliche Hebammen auch international kaum geben dürfte. Freilich zeigt ein Blick auf Rsp und Literatur, dass die vorgebliche Strenge bei der Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung im Einzelfall immer wieder relativiert wird. So wird etwa anerkannt, dass die geschlechtsbezogene Besetzung einer Position auch zur „Wahrung der Authentizität“ zulässig ist, zB bei bestimmten Rollen von KünstlerInnen oder bei Mannequins, oder wegen sozialer Erfordernisse, wie dem Schutz der Intimsphäre von PatientInnen oder Häftlingen (Hopf/Mayr/Eichinger, Gleichbehandlung – Antidiskriminierung § 5 GlBG Rz 55). Auch in einer E des EuGH ( 30.6.1988, 318/86Kommission/Frankreich) wurde es als gerechtfertigt angesehen, dass Stellen des Aufsichtspersonals in Männergefängnissen hauptsächlich Männern und solche in Frauengefängnissen hauptsächlich Frauen vorbehalten werden. Im vorliegenden Fall könnte die Rechtfertigung darin liegen, dass es zum Schutz der Intimsphäre von Frauen und der Gewährleistung eines geschlechtsbezogenen besonderen Vertrauensverhältnisses die Möglichkeit geben muss, eine Ärztin wählen zu können. Das ist weit mehr als ein bloßer Kundinnenwunsch, der nicht ausreichend wäre.

Die E zeigt vor allem, dass der Wortlaut des § 5 GlBG unglücklich formuliert ist. Im offenkundigen Bestreben, möglichst keine Ausnahmen zuzulassen, wurde über das Ziel geschossen (vgl auch die Kritik von Rebhahn in

Rebhahn
[Hrsg], Gleichbehandlungsgesetz [2005] § 5 Rz 15). Man kommt sogar dann in Auslegungsschwierigkeiten, wenn – wie im vorliegenden Fall – eigentlich kein Zweifel bestehen sollte, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Der auch in Literatur und Rsp zu Art 157 AEUV erkennbare Trend, keine Rechtfertigung zuzulassen, führt immer wieder zu Problemen, die meist durch die Verneinung einer vergleichbaren Lage umgangen werden (so treffend Rebhahn in
Schwarze
, EU-Kommentar3 [2012] Art 157 AEUV Rz 22). Eine sachliche Rechtfertigung sollte aber stets möglich sein. Einer allfälligen Aushöhlung des Anti-Diskriminierungsrechts könnte man durch eine nähere Umschreibung der Rechtfertigungsgründe entgegentreten. Freilich sollte dies ausdrücklich erfolgen. Da Art 14 Abs 2 der RL 2006/54/EG den Mitgliedstaaten eine Einschränkung des Diskriminierungsverbots nur erlaubt, ist derzeit sogar unklar, ob der österreichische Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Wortlaut und Materialien belegen dies nicht unbedingt.

Dass die Reihungskriterien-VO keine Ausnahme bei Erreichen einer ausreichenden Versorgung mit Vertragsärztinnen enthält (siehe oben 2.), ist nicht nur wegen Art 7 Abs 1 B-VG, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der möglichen geschlechtsbezogenen Diskriminierung problematisch. Sobald genügend Kassenärztinnen vorhanden sind, liegt jedenfalls keine „unverzichtbare Voraussetzung“ mehr vor (vgl zum Ganzen ausführlich und mwN Mosler, Positive Diskriminierung bei der Vergabe von Kassenverträgen? in FS Binder [2010] 647 ff [658 ff]).