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Deutsches Kündigungsschutzrecht konkludent ausgewählt

FLORIAN G.BURGER (INNSBRUCK)
  1. Ob eine schlüssige Rechtswahl vorliegt, bestimmt sich nach § 863 ABGB (RS0077082) und setzt bei den Parteien eine klar erkennbare Geltungsvorstellung voraus.

  2. Bei einer konkludenten Rechtswahl kommt es darauf an, dass der objektiv festgestellte Sachverhalt vermuten lässt, die Parteien hätten die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung vorausgesetzt, weil ihre Rechtsbeziehungen privatautonom so ausgestaltet wurden, dass nur der Bezug auf eine bestimmte Rechtsordnung eine sinnvolle Regelung ihrer Rechtsbeziehungen erwarten lässt (RS0009281).

  3. Unmittelbare und wesentliche Indizien für eine konkludente Rechtswahl sind vor allem die direkte Verweisung auf konkrete Vorschriften oder Usancen einer bestimmten Rechtsordnung sowie die Verwendung von dafür typischen Fachausdrücken und Klauseln. Der bloßen Lokalisierung einzelner Umstände des Schuldverhältnisses, wie dem vereinbarten Erfüllungsort, dem Abschlussort, dem Wohnsitz bzw Sitz der Parteien, kommt dagegen nur eine indirekte Indizwirkung zu (RS0077082 [T1]; RS0045183).

  4. Wegen der Möglichkeit späterer Rechtswahl ist auf das Verhalten der Vertragsteile während der Vertragslaufzeit Bedacht zu nehmen.

  5. Der Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des dKSchG ist als Individualrecht ausgestaltet und nicht dem Betriebsverfassungsrecht iSd II. Teils des ArbVG zuzuordnen. Für ihn gilt daher nicht das Territorialitätsprinzip. Er ist sowohl hinsichtlich der Dauer der Anfechtungsfrist als auch materiell günstiger als die inhaltlich vergleichbaren österreichischen Regelungen des § 105 ArbVG, zumal die Anfechtung nach § 1 Abs 2 dKSchG ua nicht den Nachweis einer Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des AN erfordert.

Der Kl war bei der Bekl, deren Sitz sich in Deutschland befindet, ab 2004 bis zur DG-Kündigung zum 30.9.2013 als Vertriebsrepräsentant angestellt. Der Kl hatte die Aufgabe, in Österreich die österreichischen Kunden der Bekl zu betreuen. Er war an vier Tagen der Woche in seinem Repräsentationsgebiet unterwegs, am fünften Tag erledigte er in seiner Wohnung die notwendigen administrativen Arbeiten. Eine Tätigkeit des Kl in Deutschland war nie vorgesehen.

Der Anstellungsvertrag des Kl vom 13.8.2004 enthält ua folgende Bestimmungen:

„§ 2 Tätigkeitsbereich(…) Dem Vertriebsrepräsentanten wird zur Durchführung seiner Aufgaben das Gebiet Österreich zugewiesen. (…)§ 3 ArbeitszeitDie Arbeitszeit richtet sich nach dem Tarif des Groß- und Außenhandels Hamburger Wirtschaftsraum. (…)334§ 8 GratifikationDie Gewährung von Sonderzahlungen (übertarifliche Weihnachtsgratifikation, Tantiemen, Prämien oder sonstige Sondervergütungen) erfolgt freiwillig (…).Der Anspruch auf Sonderzahlung ist ausgeschlossen, wenn das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Auszahlung oder bis zum 31.12. des betreffenden Jahres von einer Vertragsseite gekündigt wird oder infolge Aufhebungsvertrag endet.§ 10 UrlaubDer Vertriebsrepräsentant erhält einen Jahresurlaub gemäß geltendem Tarifvertrag von derzeit 30 Arbeitstagen und ein tarifliches Urlaubsgeld von derzeit € 15,34/Urlaubstag (…). Für die Übertragung von Urlaubsansprüchen auf das nächste Urlaubsjahr wird ausdrücklich auf § 10 Nr. 10 des Rahmentarifvertrags Groß- und Außenhandel Hamburger Wirtschaftsraum verwiesen. (…). Die zeitliche Festlegung des Urlaubs erfolgt durch [die Bekl] unter Berücksichtigung betrieblicher Belange und der persönlichen Wünsche des Vertriebsrepräsentanten.“

Die Bekl beschäftigte im Zeitpunkt der Kündigung in Österreich insgesamt sechs Personen, alle als Vertriebsrepräsentanten. Jeder dieser Angestellten benützte für administrative Arbeiten sein privates „Home Office“, hatte seinen Ansprechpartner für die gesamte Abwicklung der Aufträge in Deutschland und traf die anderen österreichischen Repräsentanten lediglich bei Weihnachtsfeiern. Die Bekl unterhielt in Österreich weder Büro noch Lager.

Das Kündigungsschreiben vom 26.6.2013 lautet auszugsweise wie folgt:

Hiermit kündigen wir den mit Ihnen am 13.08.2004 geschlossenen Arbeitsvertrag aus betrieblichen Gründen ordentlich zum 30.09.2013. (…) Die Rechte des Betriebsrates wurden gewahrt. Die Stellungnahme des Betriebsrats finden Sie in Kopie anbei. Sofern Sie die dreiwöchige Frist für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verstreichen lassen, bieten wir Ihnen hiermit eine Abfindung gem. § 1a, Abs 2, S. 1 Kündigungsschutzgesetz an. …

Der am Sitz der Bekl in Deutschland eingerichtete BR hatte mit Stellungnahme vom 25.6.2013 seine vorangegangene Anhörung gem § 102 dBetrVG wegen fehlender Informationen für unvollständig und unwirksam erklärt sowie „hilfsweise“ der beabsichtigten Kündigung ausdrücklich widersprochen. Der Kl begehrt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis ungeachtet der Kündigung aufrecht sei. Zwischen den Streitteilen sei konkludent die Anwendung deutschen Arbeitsrechts vereinbart gewesen. Die Kündigung sei mangels der im dKSchG normierten Voraussetzungen unwirksam. In eventu erklärte der Kl, die Kündigung nach § 105 ArbVG wegen Sozialwidrigkeit anzufechten.

Die Bekl vertrat den Standpunkt, auf das Dienstverhältnis sei österreichisches Recht anzuwenden. Eine Anfechtung der Kündigung nach § 105 ArbVG komme schon mangels eines österreichischen Betriebs der Bekl iSd § 34 ArbVG nicht in Frage, jedenfalls stünden der Weiterbeschäftigung des Kl wesentliche betriebliche Erfordernisse entgegen.

Das Erstgericht wies das Haupt- und Eventualbegehren ab. In seiner Begründung schloss es sich im Wesentlichen den Argumenten der Bekl an. Eine ausstrahlende Anwendung deutscher Kündigungsschutznormen komme nicht in Betracht, weil das Dienstverhältnis keine rechtliche oder tatsächliche Nahebeziehung zum deutschen Betriebsstandort aufgewiesen habe, die es rechtfertigen würde, seine Beschäftigung der in Deutschland entfalteten Betriebstätigkeit zuzurechnen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Eine Anfechtung der Kündigung nach § 105 ArbVG müsse am Fehlen eines entsprechenden inländischen Betriebs scheitern. Einer Einwirkung des § 102 dBetrVG als Eingriffsnorm iSd Art 7 Abs 1 EVÜ stehe entgegen, dass diese Bestimmung keinen internationalen Geltungswillen beanspruche, insb keine Anwendbarkeit auf AN, die ausschließlich für den Auslandseinsatz eingestellt wurden und nie in Deutschland gearbeitet haben.

Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil zur Anwendung deutschen Betriebsverfassungsrechts auf ausschließlich in Österreich tätige AN, insb aufgrund des Art 6 EVÜ, noch keine höchstgerichtliche Rsp vorliege.

In seiner von der Bekl beantworteten Revision hält der Kl seinen Standpunkt aufrecht, zwischen den Streitteilen sei konkludent die Anwendung deutschen Arbeitsrechts vereinbart worden. Davon abgesehen sei der Kl sehr wohl dem deutschen Betrieb der Bekl organisatorisch zugeordnet gewesen und daher seien die deutschen Kündigungsschutzbestimmungen als Eingriffsnorm anzuwenden. Sollte jedoch von der Geltung österreichischen Rechts auszugehen sein, wäre das Eventualbegehren berechtigt, weil der für eine Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG vorausgesetzte Betrieb iSd § 34 ArbVG nicht zwingend im Inland gelegen sein müsse. Das Fehlen eines nach österreichischem Recht konstituierten BR habe zur Folge, dass der AN die Kündigung selbst anfechten könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig. Sie ist iS ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalls eine schlüssige Rechtswahl der Parteien anzunehmen ist, wirft gewöhnlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS-Justiz RS0040169 [T1]), es sei denn, die Rechtsansicht des Berufungsgerichts erweist sich nach den konkreten Umständen als nicht vertretbar. Im vorliegenden Fall stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen mit leitenden Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rsp in Konflikt.

2. Die Vorinstanzen sind von der Anwendung österreichischen Rechts auf das Arbeitsverhältnis ausgegangen. Das Berufungsgericht begründete dieses Ergebnis mit Art 6 Abs 2 lit a EVÜ und ging auf die vom Kl behauptete schlüssige Rechtswahl iSd Art 3 EVÜ nicht näher ein. Das Erstgericht war davon ausgegangen, dass die im Anstellungsvertrag mehrfach enthaltene Verweisung auf die Regelungen eines deutschen Tarifvertrags nur auf335 die Vereinbarung dieser einzelnen Bestimmungen bei ansonsten unberührter Geltung des Art 6 Abs 2 EVÜ hindeute. Die Vereinbarung von Bedingungen des Tarifvertrags sei aus Sicht der Bekl iS einer leichteren „Administrierbarkeit“ der wenigen in Österreich tätigen DN zu verstehen. Hätte die Bekl generell die Anwendung deutschen Arbeitsrechts vereinbaren wollen, wäre es ihr leicht möglich gewesen, dies ausdrücklich zu erklären.

3. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt und den unstrittigen Urkunden kann dieser Begründung nicht gefolgt werden.

Das Argument, es sei keine schlüssige Rechtswahl anzunehmen, weil keine ausdrückliche vereinbart wurde, enthält einen Zirkelschluss. Das Fehlen einer ausdrücklichen Rechtswahl ist erst die Voraussetzung dafür, dass eine konkludente überhaupt in Frage kommt.

Schweigt ein Vertrag mit internationalem Bezug über das auf ihn anzuwendende Recht, kann dies zwar bedeuten, dass sich die Vertragsteile einfach dem geltenden Kollisionsrecht unterwerfen wollten, es kann aber auch bedeuten, dass sie an eine Rechtswahlklausel gar nicht gedacht haben, weil sie an der Anwendbarkeit des von ihnen konkludent vorausgesetzten Rechts keinen Zweifel hatten.

Ob eine schlüssige Rechtswahl vorliegt, bestimmt sich nach § 863 ABGB. Sie ist anzunehmen, wenn nach den Umständen „kein vernünftiger Grund“ übrig bleibt, am realen Willen der Parteien zu zweifeln, sich unter zwei oder mehreren in Betracht kommenden Rechten für eine bestimmte Rechtsordnung mit Geltungsabsicht zu entscheiden. Dies setzt bei den Parteien eine klar erkennbare Geltungsvorstellung voraus (RIS-Justiz RS0077082; 8 Ob 533/85 = EvBl 1987/2, 15).

Eine konkludente Rechtswahl ist insb dann anzunehmen, wenn mehrere übereinstimmende Vertragsabreden, Parteiäußerungen oder sonstiges Verhalten der Parteien – allenfalls unter Zuhilfenahme von im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen – auf ein und dieselbe Rechtsordnung hinweisen. Es kommt darauf an, dass der objektiv festgestellte Sachverhalt vermuten lässt, die Parteien hätten die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung vorausgesetzt, weil ihre Rechtsbeziehungen privatautonom so ausgestaltet wurden, dass nur der Bezug auf eine bestimmte Rechtsordnung eine sinnvolle Regelung ihrer Rechtsbeziehungen erwarten lässt (RIS-Justiz RS0009281).

Unmittelbare und wesentliche Indizien dafür sind vor allem die direkte Verweisung auf konkrete Vorschriften oder Usancen einer bestimmten Rechtsordnung sowie die Verwendung von dafür typischen Fachausdrücken und Klauseln (RIS-Justiz RS0076626 = 1 Ob 672/86). Der bloßen Lokalisierung einzelner Umstände des Schuldverhältnisses, wie dem vereinbarten Erfüllungsort, dem Abschlussort, dem Wohnsitz bzw Sitz der Parteien, kommt dagegen nur eine indirekte Indizwirkung zu (RIS-Justiz RS0077082 [T1]; RS0045183).

Im vorliegenden Fall hatte die bekl DG weder eine Niederlassung, noch ein Büro oder eine sonstige Vertretung in Österreich. Gerade im Interesse einer leichteren „Administrierbarkeit“ der relativ kleinen Anzahl hier tätiger Außendienstmitarbeiter war es für die Bekl entgegen der Argumentation des Erstgerichts offenkundig nicht sinnvoll, nur einzelne Vertragsbestimmungen aus dem deutschen Rechtsbestand zu übernehmen und damit ein kompliziertes rechtliches Konglomerat zu erhalten, für dessen Auslegung und Rechtsfolgen teilweise deutsches, teilweise österreichisches Recht maßgeblich wäre.

Die dynamische Verweisung im Dienstvertrag des Kl auf Regelungen des Tarifvertrags des Groß- und Außenhandels Hamburger Wirtschaftsraum, nicht nur bei der Arbeitszeitregelung, sondern auch bei Urlaubsansprüchen und Gratifikationen, ist vielmehr ein deutliches Indiz dafür, dass die Parteien ohne Weiteres von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgegangen sind. Dieses Ergebnis wird durch die Benutzung deutscher Rechtsbegriffe (zB Anstellungsvertrag, Gratifikation; Überarbeit, Altersruhegeld), und von Regelungen, deren Vereinbarung im österreichischen Arbeitsrecht unwirksam wäre (zB Recht des DG, den Urlaubsverbrauch festzulegen, Verpflichtung zur Rückzahlung von anteiligen Sonderzahlungen bei DG-Kündigung) oder die diesem zumindest fremd sind (vertragswidriges Verhalten als Voraussetzung für das Recht zur DG-Kündigung, fixe Höhe des Urlaubsentgelts), verstärkt.

Der vorgelegte Anstellungsvertrag vermittelt das Bild einer für deutsche AN erstellten Schablone, die nur in den unbedingt notwendigen, in der Urkunde jeweils durch Fettdruck hervorgehobenen Punkten personalisiert wurde (Name, Arbeitsbeginn und -ort, Produktsparte, Gehalt, Kündigungsfrist).

Gem Art 3 Abs 2 EVÜ können die Parteien eines Vertrags jederzeit vereinbaren, dass der Vertrag nach einem anderen Recht zu beurteilen ist als dem, das zuvor entweder aufgrund einer früheren Rechtswahl oder aufgrund anderer Vorschriften dieses Übereinkommens für ihn maßgebend war. Die Parteien können das anzuwendende Recht außerdem jederzeit abändern (ua Verschraegen in

Rummel
3 Art 6 EVÜ Rz 17 ff; Musger in KBB4 Art 3 Rom I VO Rz 6).

Selbst wenn die dargestellten Umstände des Vertragsabschlusses noch nicht als hinreichend für die Annahme einer konkludenten Wahl deutschen Rechts erachtet würden, wäre wegen der Möglichkeit späterer Rechtswahl daher auf das Verhalten der Vertragsteile während der Vertragslaufzeit Bedacht zu nehmen. Hier fällt ins Gewicht, dass die Bekl die Kündigung des Kl ausdrücklich nach § 1a dKSchG (wegen betrieblicher Erfordernisse, mit gesetzlichem Abfindungsanspruch) ausgesprochen und das in Deutschland geltende betriebsverfassungsrechtliche Vorverfahren eingehalten hat. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt kann kein Zweifel mehr an ihrer Überzeugung von der Anwendbarkeit deutschen Rechts auf das Arbeitsverhältnis bestehen. Infolge unstrittiger Zustimmung des Kl ist von einer im Verfahren beachtlichen Rechtswahl der Streitteile zu Gunsten deutschen Rechts auszugehen.

4. Die Rechtswahl bezieht sich grundsätzlich auf die Sachnormen der gewählten Rechtsordnung ein-336schließlich seiner zwingenden Vorschriften. Geht es um die Beendigung eines Arbeitsvertragsverhältnisses, sind auch die allgemeinen Kündigungsschutznormen der gewählten Rechtsordnung einzuhalten, sofern sie nicht nach Art 8 Abs 1 EVÜ durch für den AN noch günstigere zwingende Bestimmungen des Rechts des Arbeitsorts verdrängt werden.

Der Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des dKSchG ist als Individualrecht ausgestaltet. Dem deutschen BR kommen im Kündigungsverfahren Widerspruchs- und Mitwirkungsrechte zu (§ 1 Abs 2 Z 1, § 3 dKSchG), deren Inanspruchnahme aber keine Voraussetzung für die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung ist. Dieses Recht steht dem AN selbst zu (§ 4 dKSchG).

Der OGH hat bereits in der E 9 ObA 65/11s unter Berufung auf Rebhahn (RdW 1996, 70) und Kühteubl/Kozak (Arbeitnehmerentsendung 87) ausgeführt, dass manches dafür spreche, in Fragen des Bestandschutzes unabhängig von der Ausgestaltung den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem jeweiligen Arbeitsvertragsstatut anzuwenden. Soweit der E 9 ObA 12/95 entnommen werden kann, dass der deutsche Kündigungsschutz dem Betriebsverfassungsrecht iSd II. Teils des ArbVG zuzuordnen sei und daher das dKSchG aufgrund des für das Betriebsverfassungsrecht kollisionsrechtlich geltenden Territorialitätsprinzips für in Österreich tätige AN nicht zur Anwendung kommen könne, wird dies nicht aufrecht erhalten.

5. Nach § 4 Abs 1 dKSchG muss ein AN innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, wenn er geltend machen will, dass seine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.

Eine Kündigung ist nach § 1 Abs 2 dKSchG allgemein dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des AN liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des AN in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

Diese Bestimmungen des gewählten Rechts sind für den Kl sowohl hinsichtlich der Dauer der Anfechtungsfrist, als auch materiell günstiger als die inhaltlich vergleichbaren österreichischen Regelungen des § 105 ArbVG, zumal die Anfechtung nach § 1 Abs 2 dKSchG ua nicht den Nachweis einer Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des AN erfordert.

Mit der am 15.7.2013 beim Erstgericht eingebrachten Klage hat der Kl die dreiwöchige Anfechtungsfrist des § 4 Abs 1 dKSchG nach Zustellung der Kündigung am 28.6.2013 gewahrt.

Auf die im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts sowie in der Revision aufgeworfenen weiteren Rechtsfragen kommt es bei diesem Ergebnis nicht mehr an, sodass es dem erkennenden Senat verwehrt ist, darauf näher einzugehen.

Aufgrund seiner vom OGH nicht geteilten Rechtsansicht hat das Erstgericht noch keine Feststellungen zu den in § 1 Abs 2 dKSchG normierten Voraussetzungen für die Beurteilung einer Sozialwidrigkeit der Kündigung des Kl getroffen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen. […]

ANMERKUNG

Im vorliegenden Streitfall lehnt der kl AN den österreichischen Arbeitsschutzstandard ab und möchte ins deutsche Arbeitsrecht ausweichen, während seine AG als Bekl mit Sitz in Deutschland dem widerspricht. Der beabsichtigte Ausbruch des AN ist aber verständlich, denn es geht um seinen allgemeinen Kündigungsschutz: Zum ersten ist nach § 1 dKSchG jede Kündigung des AG – sofern Mindestbetriebsgröße und Mindestbeschäftigungsdauer erreicht wird – rechtfertigungsbedürftig, während in Österreich bekanntlich nur AG-Kündigungen zu rechtfertigen sind, die wesentliche Interessen des AN beeinträchtigen – eine zusätzliche Hürde, die das deutsche Kündigungsschutzrecht nicht kennt. Zum zweiten unterhielt seine AG in Österreich weder Büro noch Lager, der AN erbrachte als Vertriebsrepräsentant seine Arbeitsleistungen unterwegs im Vertriebsgebiet oder bei sich zu Hause, sodass sich das Fehlen eines Betriebs in Österreich fatal auf seinen betriebsverfassungsrechtlich ausgebildeten Kündigungsschutz nach § 105 ArbVG auswirken könnte.

Das Problem des AN: Gem Art 6 Abs 2 lit a EVÜ – der Arbeitsvertrag wurde 2004 geschlossen, sodass der Arbeitsvertrag nicht der Rom-I-VO unterliegt, doch auch im Regime der Rom-I-VO stünde der AN vor demselben Problem – ist das Recht jenes Staates anzuwenden, in dem der AN in Erfüllung des Arbeitsvertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; weil dies unstrittig in Österreich ist, unterfällt er nicht dem dKSchG. Drei Argumentationswege böten sich an, um doch noch vom dKSchG erfasst zu werden:

  1. Der Kündigungsschutz des dKSchG sei jedenfalls als Eingriffsnorm iSd Art 7 EVÜ beachtlich: Dies wird aber sowohl nach der Rsp (BAG 2 AZR 3/89 SAE 1990, 317 [Junker] = NZA 1990, 841; ihm folgend OGH9 ObA 65/11sZAS 2013/6, 35) als auch nach überwiegender deutscher (Deinert, Reichweite des deutschen Kündigungsschutzgesetzes bei internationalen Sachverhalten, RIW 2008, 148 [153]; Gravenhorst, Kündigungsschutz bei Arbeitsverhältnissen mit Auslandsbezug, RdA 2007, 283 [285]; Reiter, Entsendung zu Tochtergesellschaften im In- und Ausland, NZA-Beilage 2014, 22 [25]; Martiny in Münchener Kommentar zum BGB6 [2015] Art 8 Rom-I-VO Rz 132) und österreichischer Ansicht (Niksova, Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Bestimmungen über den allgemeinen Kündigungsschutz, ZAS 2013/4, 18 [19]) abgelehnt; außerdem bedürfte es zusätzlich auch einen tatsächlichen Arbeitsort in Deutschland oder jedenfalls eines gleich starken Bezuges zu Deutschland (Magnus in

    Staudinger
    [Hrsg], BGB12 [2001] Art 30 EGBGB Rz 192).337

  2. Das Arbeitsverhältnis weise eine engere Verbindung zum deutschen als zum österreichischen Recht auf; diesfalls würde die lex loci laboris verdrängt werden (sogenannte Ausweichklausel des Art 6 Abs 2 aE EVÜ): Unabhängig davon, ob der Ausweichklausel ein Ausnahmecharakter zugestanden wird (dafür Verschraegen in

    Rummel
    3, ABGB [2004] Art 6 EVÜ Rz 30; dagegen Rudisch in
    Czernich/Heiss
    , EVÜ [1999] Art 6 Rz 39), sind im vorliegenden Streitfall engere Verbindungen zu Deutschland nicht zu erkennen.

  3. Aus guten Gründen stützte sich daher der kl AN auf die dritte Variante, nämlich dass – konkludent – die Anwendung deutschen Rechts vereinbart worden sei.

1.
Konkludente Rechtswahl

In seiner rechtlichen Begründung wendet sich der OGH zuerst dieser vom Kl behaupteten schlüssigen Rechtswahl zu, die von den Unterinstanzen noch abgelehnt wurde, erinnert an seine bisherige Rsp und erkennt zutreffend im Argument des Erstgerichts, dass die Parteien deshalb keine Rechtswahl vereinbart hätten, weil es ihnen leicht möglich gewesen wäre, dies ausdrücklich zu vereinbaren, einen unzulässigen Zirkelschluss: Gerade das Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung eröffnet erst die Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl und schließt sie nicht aus. Bei den Indizien, die auf einen unausgesprochenen übereinstimmenden Parteiwillen hindeuten, nimmt der OGH insofern eine Reihung vor, als er unmittelbare Hinweise, die sich aus der verwendeten Vereinbarung selbst ergeben, eine größere Bedeutung zuschreibt als der bloßen Lokalisierung einzelner Umstände des Schuldverhältnisses wie zB den Erfüllungsort, den Abschlussort oder den (Wohn-)Sitz der Parteien.

Ob aus den einzelnen festgestellten Tatsachen insgesamt auf eine vereinbarte Rechtswahl geschlossen werden kann, ist eine Rechtsfrage, die der OGH hier gleich selbst beantwortet und erkennt aus folgenden Indizien die vom Kl behauptete konkludente Wahl deutschen Arbeitsrechts: fehlende örtliche Einrichtungen der Bekl in Österreich; Widerspruch zwischen einer bloß punktuell vereinbarten Anwendung deutschen Rechts mit dem Interesse einer erleichterten Personalverwaltung; ausdrückliche Verweisung auf Regelungen eines deutschen Tarifvertrags; ausdrückliche Benutzung deutscher Rechtsbegriffe; ausdrückliche Vereinbarung von Regelungen, die nach österreichischem Recht unwirksam wären oder zumindest diesem fremd sind; sowie der Eindruck, dass eine Vertragsschablone für deutsche AN verwendet wurde.

Schließlich wird diese Beurteilung noch mit der – in Art 3 Abs 2 EVÜ explizit genannten – Möglichkeit einer auch nachträglichen konkludenten Wahl deutschen Rechts einzementiert, denn die Kündigung wurde ausdrücklich nach § 1a dKSchG ausgesprochen, womit kein Zweifel mehr am Willen der Bekl an der Anwendung deutschen Rechts bestand – ein Angebot zur Rechtswahl, das der Kl auch angenommen hatte.

2.
Kündigungsschutz

Interessanter sind aber die kürzeren Ausführungen des OGH zum deutschen Kündigungsschutz und sein Verhältnis zu § 105 ArbVG. Die Anwendung des ersten Abschnittes des dKSchG durch (konkludente) Rechtswahl setzt voraus, dass der allgemeine Kündigungsschutz einer Rechtswahl überhaupt zugänglich ist. Gegenstand des Art 3 EVÜ sind vertragliche Schuldverhältnisse, mit Blick auf Art 6 EVÜ auch Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse. Von diesem Gegenstand sind unzweifelhaft auch Fragen der Vertragsbeendigung (Verschraegen, Internationales Privatrecht [2012] Rz 478; vgl auch Art 10 Abs 1 lit d EVÜ) erfasst, somit auch ein Kündigungsschutz, soweit er in das Schuldverhältnis eingeschrieben ist und vom gekündigten Vertragspartner aufgegriffen werden kann (vgl zum Kriterium des durchsetzbaren Anspruchs Rebhahn, Österreichisches Arbeitsrecht bei Sachverhalten mit Auslandsberührung, in FS Strasser [1983] 59 [66]). Dementsprechend orientieren sich diese Kündigungsschutznormen nach Art 6 EVÜ (der OGH nennt hier irrtümlich Art 8 EVÜ) im vorliegenden Fall somit nach deutschem Recht. Ob dabei die österreichische Sachnorm § 105 ArbVG nach traditionellem Verständnis als Bestandteil des Betriebsverfassungsrechts, als Individualrecht oder als Konglomerat mit beiderlei Komponenten gesehen wird (vgl dazu eingehend Schrank, Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung [1982] 94 ff), ist für die Interpretation der Verweisungsnorm (Art 3, 6 EVÜ) an sich unbeachtlich; auch das deutsche Pendant ist dafür ohne Bedeutung.

Im zweiten Schritt ist zu untersuchen, welche deutsche Sachnorm denn den nach Art 3 und 6 EVÜ gewählten Kündigungsschutznormen entspricht. Erfasst ist jene Sachnorm, die funktionell den Wertungen (dem Ordnungsziel) der Verweisungsnorm entspricht (Verschraegen, IPR Rz 1174). Während der OGH in 9 ObA 12/95.

noch davon ausging, dass der allgemeine Entlassungsschutz des dKSchG nicht dem Individualarbeitsrecht, sondern dem Betriebsverfassungsrecht iSd II. Teiles des ArbVG angehöre und daher dem Territorialitätsprinzip folge, also nicht von der Verweisung des § 44 IPRG erfasst sei (ebenso zum ungarischen Kündigungsschutz OGH9 ObA 183/95; dazu krit Mottl, Zum Bestandschutz im internationalen Arbeitsrecht, [384 f]), rückt er in der vorliegenden E ausdrücklich davon ab und bestätigt zutreffend die Ausgestaltung des ersten Abschnittes des dKSchG als – von einer Rechtswahl erfassbaren – Individualrecht.

Dies führt direkt zum dritten Schritt, nämlich zur Prüfung des Günstigkeitsvorbehalts nach Art 6 Abs 1 EVÜ, wonach die Rechtswahl insoweit unbeachtlich ist, als diese gegen zwingende Sachnormen des gesetzlich berufenen Statuts verstößt (OGH9 ObA 105/07tARD 5826/2/2007). Auf den vorliegenden Fall umgelegt, bedeutet dies: Ist der Kündigungsschutz – so wie er von Art 3 und 6 EVÜ verstanden wird – nach dKSchG günstiger als der338 zwingende, dh durch Parteienvereinbarung nicht beseitigbare Kündigungsschutz nach österreichischem Recht? Nicht überraschend stellte der OGH hier fest, dass der erste Abschnitt des dKSchG materiell günstiger ist als § 105 ArbVG (ebenso nach eingehender Analyse Zeibig, Allgemeiner Kündigungsschutz und Abfertigungszahlungen bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen in Österreich [2012] 206: „Die Übernahme des österreichischen Kündigungsschutz- und Abfertigungsrechts als Ganzes wäre für die Beschäftigten in Deutschland mit einer erheblichen Beschneidung von Arbeitnehmerschutzrechten verbunden.“), sodass die Wahl deutschen Kündigungsschutzrechts zulässig ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass auch die Anfechtungsmöglichkeit des § 105 ArbVG dem Individualrecht zugehörig ist und durch die getroffene Rechtswahl verdrängt wird (vgl OGH9 ObA 144/08dDRdA 2011/20, 252 [zust A. Burgstaller/K. Binder mwN]; zust Mankowski, Zur Abgrenzung des Individual- vom Kollektivarbeitsrecht im europäischen internationalen Zivilverfahrensrecht, IPRax 2011, 93; so auch Niksova, ZAS 2013/4, 23). Weil für die Beurteilung der Anfechtung nach dKSchG erforderliche Sachverhaltsfeststellungen fehlten, wurde die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen, und Rechtsfragen zu § 105 ArbVG, insb die Frage, ob der Betrieb in Deutschland ein Betrieb iSd § 34 ArbVG ist, musste vom OGH nicht beantwortet werden.

3.
Ergebnis

Der E ist zuzustimmen. Die Ausführungen zur konkludenten Rechtswahl sind nicht überraschend und auch die Zuordnung der Möglichkeit zur Kündigungsanfechtung zum Individualrecht, das der Rechtswahl iSd Art 3 EVÜ zugänglich ist, ist zutreffend. Noch zwei Hinweise:

  1. Dass diesfalls die Kündigungsanfechtung nach dKSchG zu beurteilen ist (insb ohne Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des AN), heißt nicht zwingend, dass auch das Vorverfahren nach § 102 dBetrVG durchzuführen ist. Dieses wird – und so auch das Vorverfahren nach § 105 Abs 1 und 2 ArbVG – als Teil des Betriebsverfassungsrechts gesehen und ist der Rechtswahl nach Art 3 EVÜ bzw Art 3 Rom-I-VO entzogen. MaW: Weil das Vorverfahren keinen Individualanspruch begründet, ja der AN gar nicht in das Verfahren eingebunden ist, ist es nicht Teil des Schuldverhältnisses iSd Art 3 EVÜ. Wäre daher im vorliegenden Fall ein BR in Österreich errichtet, so wäre dieser nach § 105 ArbVG zu verständigen gewesen; seine ausdrückliche Zustimmung zur Kündigung hätte aber die Prüfung der Sozialwidrigkeit iSd § 1 Abs 2 dKSchG nicht verhindert, weil das deutsche Recht kein Sperrrecht kennt.

  2. Was wäre gewesen, wenn keine konkludente Rechtswahl erfolgt wäre? Dann steht und fällt der Kündigungsschutz des Kl mit der Frage, ob der Betrieb in Deutschland ein Betrieb iSd § 34 ArbVG ist. Eine Bejahung erscheint möglich, weil weder der Betriebs- noch der AN-Begriff des II. Teiles des ArbVG von ihrem Wortlaut her auf das Inland eingeschränkt sind und auch die Anfechtung nach § 105 Abs 3 ArbVG individualrechtlich verstanden werden kann. Damit wird das Territorialitätsprinzip des Betriebsverfassungsrechts aber nicht grundlegend aufgegeben, denn die Errichtung eines BR nach ArbVG im ausländischen Betrieb und damit verbunden alle Betriebsratstätigkeiten sind und bleiben unmöglich. Daher wird eine Anfechtung nach § 107 ArbVG zulässig sein (für diesen Lösungsweg Deinert, Internationales Arbeitsrecht [2013] § 13 Rz 34; Niksova, Grenzüberschreitender Betriebsübergang [2014] 145). Sollte ein Verfahren nach § 102 dBetrVG durchzuführen sein, was nach der deutschen Sachnorm eine Ausstrahlung des deutschen Betriebs voraussetzt (vgl Richardi, BetrVG14 [2014] Einl Rz 77; Koch in

    Ascheid/Preis/Schmidt
    , Kündigungsrecht4 [2012] § 102 BetrVG Rz 12), kommt auch eine Substitution (vgl dazu allg Verschraegen, IPR Rz 1363) des funktionell gleichwertigen Vorverfahrens nach § 105 Abs 1 und 2 ArbVG in Betracht mit der Folge, dass die Stellungnahme des deutschen BR für die Anfechtung nach § 105 ArbVG relevant wird.

Vielleicht begegnen uns diese spannenden Fragen im zweiten Rechtsgang dann wieder, wenn – etwa wegen einer Betriebsgröße zwischen fünf und zehn AN (vgl § 23 Abs 1 Satz 3 dKSchG) – der deutsche Kündigungsschutz nicht anwendbar und daher § 105 ArbVG diesfalls doch günstiger ist.339