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Entlassung eines Betriebsratsmitglieds wegen Weitergabe von Gehaltsdaten unzulässig

MARTINACHLESTIL

Selbst wenn das Betriebsratsmitglied durch die Weitergabe von Gehaltslisten den Tatbestand des Geheimnisverrats iSd § 122 Abs 1 Z 4 erster Fall ArbVG verwirklicht, ist die Zustimmung zur Entlassung (Kündigung) nicht zu erteilen, wenn das Betriebsratsmitglied der Meinung sein konnte, dass es im Rahmen seines Mandats tätig wurde.

SACHVERHALT

Der bekl AN hat in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied immer wieder AN in Fragen ihrer Entlohnung beraten und auch bei der AG interveniert. Im vorliegenden Fall übermittelte er für eine AN – nachdem Gespräche mit der AG ergebnislos verlaufen waren – an den zuständigen Mitarbeiter der Arbeiterkammer Listen, die umfangreiche (auch persönliche) Daten von AN der kl AG enthielten, um eine vermutete Ungleichbehandlung zu belegen. Er nahm an, dass der Mitarbeiter der Arbeiterkammer diese nur als Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Rechtsschutz benötigen und verwenden würde. Tatsächlich wurden diese Listen aber im nachfolgenden Arbeitsgerichtsverfahren als Beweis vorgelegt.240

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das daraufhin von der AG eingebrachte Klagebegehren auf Zustimmung zur Entlassung (in eventu zur Kündigung) des Betriebsratsmitglieds wegen des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Der OGH wies – im Ergebnis diesen Entscheidungen folgend – auch die außerordentliche Revision der kl AG zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Vorgangsweise des Beklagten den Tatbestand des Geheimnisverrats im Sinn des § 122 Abs 1 Z 4 erster Fall ArbVG verwirklicht, ist die von der Klägerin begehrte Zustimmung zur Entlassung (bzw zur Kündigung) des beklagten Betriebsratsmitglieds nicht zu erteilen, weil unter den hier gegebenen Umständen die Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1 letzter Satz ArbVG zum Tragen kommt. […]

Die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer in Entgeltfragen gehört zum Kernbereich der Vertretungsaufgaben des Betriebsrats, der deshalb ja auch gemäß § 89 Abs 1 Z 1 ArbVG berechtigt ist, in die vom Betrieb geführten Aufzeichnungen über die Bezüge und die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen. Die Versuche des Beklagten, die Arbeitnehmerin bei der Geltendmachung einer (jedenfalls von ihm angenommenen) Ungleichbehandlung zu unterstützen, sind daher grundsätzlich von seinem Mandat erfasst.

Dass das Betriebsratsmitglied objektiv seine Kompetenzen und Befugnisse überschritten hat, steht der Anwendung der Mandatschutzklausel dann nicht entgegen, wenn das Betriebsratsmitglied der Meinung sein konnte, dass es im Rahmen seines Mandats tätig wurde (9 ObA 77/07z; 9 ObA 47/97w mwN; RIS-Justiz RS0106956). […] Die Handlungsweise des Beklagten ist daher zumindest als entschuldbar im Sinn des § 120 Abs 1 letzter Satz ArbVG zu werten (vgl RIS-Justiz RS0106955).“

ERLÄUTERUNG

Der OGH setzt sich im vorliegenden Fall nicht damit auseinander, ob die Weitergabe der Daten an die Arbeiterkammer einen Geheimnisverrat und somit einen Entlassungstatbestand iSd § 122 Abs 1 Z 4 erster Fall ArbVG darstellt oder nicht. Er urteilt vielmehr, dass das Verhalten des Betriebsratsmitglieds jedenfalls unter die Mandatsschutzklausel fällt und als entschuldbar iSd § 120 Abs 1 letzter Satz ArbVG anzusehen ist. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Mandatsschutzklausel ist, dass das Betriebsratsmitglied objektiv der Meinung sein konnte, die Handlung im Zuge der Erfüllung der Betriebsratsaufgaben vorgenommen zu haben. Ist dies der Fall, ist die Mandatsschutzklausel auch dann anzuwenden, wenn objektiv gesehen eine Kompetenzüberschreitung vorliegt, dh, die Handlung objektiv rechtswidrig ist (siehe dazu Schneller in

Gahleitner/Mosler
[Hrsg], ArbVG 35 § 120 Rz 49 ff). Folglich hat das Gericht das Verhalten des Betriebsratsmitglieds speziell zu prüfen und unter besonderer Berücksichtigung der Interessen des Betriebsinhabers, der Belegschaft und des BR abzuwägen, inwieweit dieses entschuldbar ist.

Zu beachten ist, dass der Schutz der Betriebsratsmitglieder durch die Mandatsschutzklausel kein absoluter ist: Nicht in jedem Fall, in dem sich das Betriebsratsmitglied auf die Erfüllung von Aufgaben im Rahmen des Mandats beruft, ist eine Kündigung oder Entlassung unzulässig: Nach der nicht unproblematischen E des OGH aus dem Jahr 2001 (OGH9 ObA 338/00xDRdA 2002/13, 219 [krit Pfeil]) wird ein Betriebsratsmitglied, das einem anderen AN ohne konkreten Anlass und ohne Aufforderung Einsicht in Gehaltslisten ganzer Abteilungen gewährt, nicht in Ausübung seines Mandates tätig und kommt daher nicht in den Genuss der Mandatsschutzklausel nach § 120 Abs 1 ArbVG; die vorsätzliche Weitergabe dieser Geschäftsgeheimnisse bildet einen Entlassungsgrund nach § 122 Abs 1 Z 4 ArbVG. Die Ansicht, subjektiv in Ausübung des Mandats tätig gewesen zu sein, ist daher nur zu berücksichtigen, wenn das Betriebsratsmitglied auch objektiv der Ansicht gewesen sein durfte, in Ausübung des Mandats tätig zu sein.

Abschließend sei noch auf die strengen Verschwiegenheitsverpflichtungen hingewiesen, die Betriebsratsmitglieder – auch um den Datenschutz der einzelnen AN zu wahren (siehe dazu auch OGH6 ObA 1/14mDRdA-infas 2015, 11 f) – generell im Hinblick auf die Weitergabe von Lohn- und Gehaltslisten zu beachten haben.