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Betriebsübergang: Kein Anspruch auf Lohnfortzahlung für die fiktive Dauer einer vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist bei privilegierter Arbeitnehmer-Kündigung

BIRGITSCHRATTBAUER

Die Rechtsfolgen der privilegierten AN-Kündigung wegen eines verschlechternden Betriebsübergangs gem § 3 Abs 5 AVRAG entsprechen denjenigen einer rechtmäßigen AG-Kündigung zum Stichtag der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein Anspruch des kündigenden AN auf Lohnfortzahlung für die fiktive Dauer einer vom AG einzuhaltenden längeren Kündigungsfrist ist daraus nicht ableitbar.

SACHVERHALT

Die als Flugbegleiterin bei der Bekl beschäftigte Kl kündigte ihr Dienstverhältnis wegen eines bevorstehenden Betriebsübergangs, der unstrittig mit einer wesentlichen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen verbunden gewesen wäre, unter Einhaltung der für sie geltenden gesetzlichen Kündigungsfrist. Mit ihrer Klage begehrte sie im Anschluss eine „Kündigungsentschädigung“ für die Dauer der vom AG einzuhaltenden längeren Kündigungsfrist.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Im Gegensatz zum Erstgericht wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab, da aus § 3 Abs 5 AVRAG kein Anspruch auf eine Entschädigung über das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus ableitbar sei. Der OGH bestätigte diese E.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. […] Die Revision stellt nicht in Frage, dass es sich beim Klagsanspruch, entgegen der in der Klage gewählten Bezeichnung, nicht um einen Schadenersatzanspruch im Sinne einer Kündigungsentschädigung handelt. Sie leitet einen unmittelbaren Erfüllungsanspruch aus Art 4 Z 2 der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG ab, der lautet: ‚Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des AN zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den AG erfolgt ist.

Der EuGH hat allerdings zur Auslegung dieser Bestimmung in der Entscheidung C-396/07, Juuri, festgehalten, dass Art 4 Pkt 2 der Betriebsübergangsrichtlinie nicht dahin verstanden werden könne, dass er implizit über die in ihm vorgesehene Zurechnungsregel hinaus ein einheitliches Schutzniveau für AN geschaffen habe. Die wirtschaftlichen Folgen der Zurechnung der Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses regle er nicht, sodass die sich aus einer privilegierten Beendigung ergebenden Rechtsfolgen, wie Abfindungen oder Schadenersatz, nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu beurteilen seien (C-396/07 Rz 25, 26). […]

Das nationale Gericht habe im Fall einer privilegierten Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rah-242men seiner Zuständigkeiten sicherzustellen, dass der Erwerber zumindest die Folgen trägt, die das anwendbare nationale Recht an die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den AG knüpft, wie die Zahlung des Arbeitslohns und die Gewährung anderer Vergünstigungen während der vom AG einzuhaltenden Kündigungsfrist (C-396/07, Juuri, Rz 35). Es bestehe jedoch keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, AN eine bestimmte Entschädigungsregelung zu garantieren, und folglich auch nicht die Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Modalitäten dieser Regelung den Modalitäten derjenigen Regelung entsprechen, die für AN gilt, wenn der AG den Arbeitsvertrag rechtswidrig beendet, oder die für sie während der vom AG zu beachtenden Kündigungsfrist gilt (C-396/07, Juuri, Rz 22). […]

5. Indem § 3 Abs 5 AVRAG fordert, dass die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine einzuhalten sind, stellt er klar, dass ein verschlechternder Betriebsübergang kein wichtiger Grund für einen berechtigten vorzeitigen Austritt ist.

Arbeitsrechtliche Kündigungsfristen sind Mindestfristen und werden auch dann ‚eingehalten‘, wenn die Kündigung nicht zum frühesten aller möglichen Beendigungstermine ausgesprochen wird. Wollte man daher der Beurteilung die Entscheidung des EuGH im Sinne ihrer Auslegung durch die Kl zugrunde legen, könnte dies nach dem Wortlaut des Gesetzes und im Lichte der RL nur zur Folge haben, dass der nach § 3 Abs 5 AVRAG kündigende AN nicht auf die für ihn selbst geltenden gesetzlichen bzw kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine beschränkt, sondern berechtigt ist, auch die für den AG geltenden längeren Fristen bzw späteren Termine in Anspruch zu nehmen […].

Der AN, der von einer privilegierten Kündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG Gebrauch machen will, muss diese Erklärung zur Wahrung des Privilegs rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist abgeben und die für ihn geltenden Fristen und Termine als Mindesterfordernis einhalten, darüber hinaus kann er aber den tatsächlichen Beendigungstermin selbst wählen […]. Die Entgelt- und Beendigungsansprüche des privilegiert kündigenden AN sind aber nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs 5 AVRAG zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung zu beurteilen. Löst ein AN das Arbeitsverhältnis rechtmäßig vorzeitig auf, entfällt mit der Beendigung der Arbeitspflicht auch der synallagmatische Entgeltanspruch.“

ERLÄUTERUNG

Im Mittelpunkt der E steht die Auslegung des § 3 Abs 5 AVRAG, der in Umsetzung des Art 4 Z 2 der Betriebsübergangs-RL eine privilegierte Kündigungsmöglichkeit für jene AN vorsieht, für die der mit dem Betriebsübergang verbundene AG-Wechsel zu einer wesentlichen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen führt. Zwar muss im Zuge eines Betriebsübergangs bekanntlich der Erwerber als AG in alle Rechte und Pflichten des Veräußerers eintreten, so dass die arbeitsvertragliche Position des AN durch den Betriebsübergang nicht berührt wird; führt der Betriebsübergang allerdings zu Veränderungen bei den anzuwendenden kollektiven Rechtsquellen (zB Kollektivvertragswechsel im Zuge des Betriebsübergangs), so sind Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen keineswegs ausgeschlossen. Die Privilegierung des § 3 Abs 5 AVRAG besteht darin, dass trotz Selbstkündigung des AN alle Ansprüche wie bei einer AG-Kündigung zustehen (zB kein Verlust des Anspruchs auf Abfertigung alt; allfällige Konkurrenz- oder Ausbildungskosten-Rückersatzklauseln kommen nicht zur Anwendung etc).

Im vorliegenden Fall hat die Kl unter Berufung auf diese Regelung bzw auf Art 4 Z 2 Betriebsübergangs-RL einen Ersatzanspruch gegen den AG wie bei fristwidriger AG-Kündigung geltend gemacht: Obwohl sie selbst einen früheren, den gesetzlichen Vorgaben für eine AN-Kündigung entsprechenden Kündigungstermin gewählt hatte, forderte sie eine der Kündigungsentschädigung im Falle der fristwidrigen AG-Kündigung vergleichbare Lohnfortzahlung bis zum Ende der fiktiven AG-Kündigungsfrist und fand darin Unterstützung durch das Erstgericht, das sich in seiner Begründung auf die E des EuGH in der Rs Juuri stützte.

Tatsächlich sendet das genannte EuGH-Urteil diesbezüglich widersprüchliche Signale aus: Verneint der EuGH zunächst ausdrücklich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für die privilegierte Kündigung dieselben Rechtsfolgen vorzusehen wie im Falle einer rechtswidrigen AG-Kündigung (Rn 22), so spricht er später davon, dass Art 4 Z 2 der RL die Mitgliedstaaten dazu verpflichte sicherzustellen, dass der Erwerber jedenfalls jene Folgen zu tragen habe, die das nationale Recht an die AG-Kündigung knüpfe, „wie die Zahlung des Arbeitslohns und die Gewährung anderer Vergünstigungen während der vom AG einzuhaltenden Kündigungsfrist“ (Rn 30) – was für den Prozessstandpunkt der Kl zu sprechen scheint.

Der OGH löst diese Widersprüche unter Hinweis auf den insofern klaren Wortlaut des § 3 Abs 5 Satz 2 AVRAG dahingehend auf, dass die Entgelt- und Beendigungsansprüche des privilegiert kündigenden AN zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu beurteilen sind. Zwar stehe es ihm frei, auch auf etwaige für den AG geltende längere Kündigungsfristen bzw spätere Kündigungstermine zurückzugreifen; tut er dies nicht, so ende aber mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses auch sein Anspruch auf Lohnzahlung. Dies entspricht nach Ansicht des OGH auch dem von der RL geforderten Mindestschutz, nämlich dem AN die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu den Bedingungen einer AG-Kündigung zu ermöglichen.243

Vor diesem Hintergrund sieht der OGH auch keine Notwendigkeit für die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH.

Im Übrigen ist ein entsprechender Parteienantrag nach stRsp als unzulässig zurückzuweisen, da das Gericht von Amts wegen darüber zu befinden hat, ob die Voraussetzungen für ein Vorabentscheidungsersuchen vorliegen oder nicht; die Parteien können ein entsprechendes Ersuchen nur anregen.