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1. Nicht mehr rückforderbares Arbeitslosengeld unterliegt den Anrechnungsbestimmungen;...

MANFREDTINHOF

2. Bei anderweitig erworbenem Verdienst sind einzelne Zeitabschnitte zu vergleichen; 3. Keine Verpflichtung ein „Zwischenarbeitsverhältnis“ einzugehen bei Bindung an ein anderes Dienstverhältnis.

Das Arbeitslosengeld stellt zwar kein Entgelt aus einer „anderweitigen Verwendung“ iSd § 1155 Abs 1 zweiter Halbsatz ABGB dar, dies steht aber – unter Berücksichtigung des Zwecks der genannten Anrechnungsbestimmung und des Charakters des Arbeitslosengeldes als Einkommensersatz – der Anrechenbarkeit nicht mehr rückforderbaren Arbeitslosengeldes nicht entgegen.

Hat ein AN, der sich in einem unwirksam gekündigten, also aufrechten Dienstverhältnis zu einem AG befindet, bei einem anderen AG ein Erwerbseinkommen, so sind bei der Anrechnung dieses Verdienstes gem § 1155 ABGB die Einkommen in den einzelnen Zeitabschnitten und nicht die Gesamtentgelte gegenüberzustellen.

Ein AN ist nicht verpflichtet, bei seinem AG, welcher ihn unwirksam gekündigt hat, ein „Zwischenarbeitsverhältnis“ einzugehen, wenn und solange er an ein anderes Arbeitsverhältnis gebunden ist, mit dessen Erfüllung das „Zwischenarbeitsverhältnis“ nicht vereinbar wäre.

SACHVERHALT

Die Arbeitsverhältnisse von zwei Piloten gingen im Rahmen eines am 1.6.1994 erfolgten Betriebsübergangs auf die im vorliegenden Verfahren bekl AG über. Diese kündigte aber schon am 6.6.1994 beide AN. Die Kündigung und auch weitere in der Folge ausgesprochene Kündigungen und Entlassungen erwiesen sich als rechtsunwirksam (OGH 1.2.2007, 9 ObA 16/06b). Daher forderte die AG die Piloten mit Schreiben vom 16.4.2007 zum Dienstantritt am 1.8.2007 auf. Da die AN ihren Dienst nicht antraten, wurden sie nach Verstreichen einer Nachfrist am 6.8.2007 entlassen.

Zwischenzeitig waren die AN bei anderen Unternehmen als Piloten beschäftigt und befanden sich zum Zeitpunkt des geforderten Dienstantritts in aufrechten Arbeitsverhältnissen. Der Zweitkl hatte nach der233 ersten Kündigung 1994 ein Jahr lang Arbeitslosengeld bezogen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Piloten klagten auf Zahlung von Entgelt gem § 1155 ABGB für den Zeitraum, in dem sie wegen der – sich dann als rechtsunwirksam erweisenden – Beendigungen von der Bekl nicht beschäftigt worden waren, sowie auf Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Urlaubsersatzleistung wegen unberechtigter Entlassung.

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren ab. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen E zurück. Dem von der Bekl gegen diesen Beschluss erhobenen und vom OGH als zulässig erachteten Rekurs wurde von diesem aber keine Folge gegeben.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Der Arbeitnehmer muss sich nach der Rechtsprechung nur für den Zeitabschnitt, in welchem er anderweitig etwas verdient hat, diesen Verdienst anrechnen lassen. Hat der Arbeitnehmer in einem Zeitabschnitt nichts verdient, im zweiten Zeitabschnitt aber mehr verdient, als er beim Arbeitgeber bekommen hätte, muss er sich diesen Überschuss daher nicht anrechnen lassen (RIS-Justiz RS0021532, zuletzt 9 ObA 81/10t; Rebhahn in ZellKomm, Rz 49 zu § 1155 ABGB). […]

Auch wenn man daher von einer Obliegenheit des Arbeitnehmers ausgehen wollte, unter bestimmten Voraussetzungen während eines mit dem Arbeitgeber geführten Bestandschutzverfahrens ein Zwischenarbeitsverhältnis zum Arbeitgeber einzugehen, wäre für die Beklagte daraus hier nichts zu gewinnen, weil die Kläger zum Zeitpunkt der von der Beklagten behaupteten Aufforderungen zum Dienstantritt im Jänner 1996 bereits bei einer anderen Fluglinie beschäftigt waren und weil zu diesem Zeitpunkt das arbeitsrechtliche Bestandschutzverfahren 9 ObA 97/02h noch in erster Instanz anhängig war (das – klagestattgebende – Ersturteil erging am 12.12.2000). Jedenfalls unter diesen Umständen fehlt für die von der Beklagten behauptete Obliegenheit der Kläger, bei ihr ein befristetes Dienstverhältnis einzugehen, jegliche Grundlage. Den Klägern, die ja bereits eine ihrer Qualifikation entsprechende Ersatzarbeit aufgenommen hatten, kann hier nicht vorgeworfen werden, eine zumutbare Ersatzbeschäftigung ausgeschlagen oder sich nicht darum bemüht zu haben. Sie hätten ihre Ersatzarbeitsplätze aufgeben müssen, um ein befristetes Zwischenarbeitsverhältnis bei der Beklagten anzutreten, obwohl diese im noch in erster Instanz anhängigen Verfahren den Rechtsstandpunkt verfolgte, sich von den Klägern wirksam gelöst zu haben. Der von § 1155 Abs 1 Fall 3 ABGB verpönte Vorsatz ist den Klägern in einem Fall wie dem vorliegenden gerade nicht vorzuwerfen. […]

Der Oberste Gerichtshof hatte erst jüngst in der Entscheidung 8 ObA 42/14f im Zusammenhang mit den vergleichbaren Anrechnungsregeln des § 1162b ABGB die Anrechenbarkeit von Beihilfen nach dem AMSG zu beurteilen. Bei diesen Beihilfen handelt es sich – ebenso wie beim Arbeitslosengeld – nicht um Entgelt im eigentlichen Sinn. Dennoch hat der Oberste Gerichtshof für den Fall, dass diese Beihilfe nicht rückgefordert werden kann, ihre Anrechenbarkeit im Hinblick auf den Zweck der Anrechnungsbestimmungen bejaht. Die Kündigungsentschädigung bezwecke, den Arbeitnehmer finanziell so zu stellen, als wäre sein Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß aufgelöst worden, nicht aber, ihn besser zu stellen. Mit den gesetzlichen Anrechnungsvorschriften solle eine Bereicherung des Arbeitnehmers verhindert werden, die eintreten würde, wenn er neben solchen Einkünften, die er bei aufrechtem Arbeitsverhältnis wegen der zu erbringenden Arbeitsleistung nicht erlangen hätte können, auch die ungekürzte Kündigungsentschädigung bekäme. Diese Überlegungen lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen.“

ERLÄUTERUNG

In höchstgerichtlichen Vorverfahren wurde die Unwirksamkeit der im Zuge des Betriebsüberganges auf die Bekl ausgesprochenen Kündigungen festgestellt, so dass die Kl bis zu ihrer Entlassung ein aufrechtes Dienstverhältnis zur Bekl hatten. Im gegenständlichen – noch nicht abgeschlossenen – Verfahren hatte der OGH zu beurteilen, welcher von den Kl anderweitig erworbene „Verdienst“ auf die den Kl von der Bekl zustehenden Entgelte anzurechnen ist. Die hier maßgebliche Bestimmung des § 1155 ABGB besagt, dass AN das Entgelt auch für nicht zustande gekommene Dienstleistungen gebührt, wenn sie arbeitsbereit waren und durch Umstände, die auf Seite des AG liegen, daran verhindert worden sind. Allerdings haben sie sich das woanders Erworbene oder versäumte Erwerbsmöglichkeiten anrechnen zu lassen; drei solcher (tatsächlicher oder möglicher) Einkünfte hatte der OGH hier zu erörtern:

  1. Zum Arbeitslosengeld: Die og Anrechnungsregel hat den Zweck, dass der AN bei Nichtleistung seiner Arbeit nicht besser gestellt sein soll als bei Erbringung der Dienste. Wenn nun das Arbeitslosengeld durch das AMS nicht mehr zurückgefordert werden kann (was vom Gericht erster Instanz im weiteren Verfahren noch zu prüfen ist), so würde eine Nichtanrechnung den AN „bereichern“ – er würde für den Zeitraum, in dem er Arbeitslosengeld bezog, zusätzlich das volle Entgelt von der AG erhalten, die ihn rechtsunwirksam gekündigt hatte.

  2. Zu den Einkünften bei anderen AG: Während das Erstgericht den gesamten über die Jahre anderweitig erworbenen Verdienst als eine Gesamtsumme dem von der Bekl geforderten Gesamtentgelt gegenüberstellte, sind gemäß OGH richtigerweise die234 einzelnen „Zeitabschnitte“ zu vergleichen (siehe Originalzitate 1. Absatz). Gemeint sind damit wohl Monate: Erreicht oder übersteigt ein in einem Monat verdientes Entgelt den entsprechenden monatlichen Entgeltanspruch bei der ehemaligen AG, wird diese für den betreffenden Monat leistungsfrei; ansonsten hat sie gem § 1155 ABGB die Differenz zu entrichten.

  3. Zur Verpflichtung, ein „Zwischenarbeitsverhältnis“ zur Bekl einzugehen: Die Bekl brachte vor, die Kl zum Antritt eines (Zwischen-)Dienstverhältnisses aufgefordert zu haben. Hätten sie dieses angenommen, wären sie nicht auf den geringeren bei anderen Unternehmen erworbenen Verdienst in den Jahren von 1996 bis 2000 angewiesen gewesen, so dass sie die selbst verschuldete Differenz nicht mehr begehren könnten. Der OGH sieht jedoch keine Verpflichtung, ein Zwischenarbeitsverhältnis einzugehen, wenn und solange der AN an ein anderes Arbeitsverhältnis gebunden ist, mit dessen Erfüllung das Zwischenarbeitsverhältnis nicht vereinbar wäre.

Die Kl haben nach der Aufforderung zum Arbeitsantritt am 1.8.2007 ihren Dienst nicht angetreten und begründeten dies damit, dass die Bekl ihnen noch Entgelt schulde. Dieses Zurückbehaltungsrecht der Arbeitsleistung bei Entgeltrückständen ist prinzipiell legitim und auch in der Rsp anerkannt (vgl zuletzt OGH 29.5.2012, 9 ObA 39/11t). Ob es jedoch berechtigt ausgeübt wurde und somit die eingeklagten Beendigungsansprüche zustehen, wird sich im fortgesetzten Verfahren erweisen, in dem unter Anwendung der drei vom OGH zur Anrechnung festgelegten Grundsätze zu prüfen sein wird, ob zum Zeitpunkt der Entlassung noch von den Kl geltend gemachte Entgeltrückstände vorhanden waren.